L 8 AL 490/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 558/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 490/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 28.10.2004 und des Bescheids vom 11.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.04.2003 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 26.03.2002 Arbeitslosengeld zu zahlen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen von Arbeitslosengeld (Alg) wegen Erhalt einer Abfindung streitig.

Die 1951 geborene Klägerin meldete sich am 12.12.2002 mit Wirkung zum 01.01.2003 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Sie war vom 20.09.1982 bis 31.12.2002, zuletzt als Marketing/Zählspezialistin, bei der Fa. H. GmbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einen am 28.06.2002 zum 31.12.2002 geschlossenen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung von 200.488,87 EUR. Die maßgebliche Kündigungsfrist betrug sechs Monate zum Ende des Quartals. Die ordentliche Kündigung sei nur bei Zahlung einer Abfindung zulässig. Weiter gab der Arbeitgeber auf der Arbeitsbescheinigung an, dass die Klägerin den Aufhebungsvertrag im Rahmen eines größeren Personalabbaus "Interessenausgleich" erhalten habe. Nach der Aufhebungsvereinbarung wurde das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet. In ihrer Stellungnahme vom 12.01.2003 zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gab die Klägerin an, ihre Aufgaben seien von M. nach B. verlagert worden. Von einem Umzug dort hin haben sie absehen wollen. Insgesamt seien weitere 200 Mitarbeiter betroffen gewesen.

Mit Bescheid vom 11.02.2003 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr Leistungsanspruch gemäß § 143a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bis zum 28.06.2003 ruhe, da sie von ihrem Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von 200.488,87 EUR erhalten habe und bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Frist von zwölf Monaten eingehalten worden sei. Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Arbeitsbescheinigung sei insoweit vom Arbeitgeber falsch ausgefüllt, als zwischen ihnen weder eine Einzel- noch tarifvertragliche Regelung bestanden habe, nach der eine ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistungen zulässig gewesen sei. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag für die Beschäftigten 1997, Metallindustrie Südbaden, sei sie weder absolut noch relativ unkündbar gewesen, da sie bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung erst das 50igste Lebensjahr vollendet gehabt habe. Auf Rückfrage der Beklagten verwies die Arbeitgeberin auf ein Schreiben vom 09.10.2001 an die Klägerin. Dort heißt es, dass unwiderruflich mitgeteilt werde, dass die Klägerin im Falle einer betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses beim Verlust ihres Arbeitsplatzes eine einmalige Abfindungszahlung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz in Höhe von 200.488,87 EUR erhalten werde. Diese Abfindung werde auf etwaige sonstige vertragliche, tarifliche oder gesetzliche Abfindungsansprüche, insbesondere auf Sozialplan- oder Nachteilsausgleichsansprüche angerechnet. Diese Zusage sei nicht kündbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Wie sich der Stellungnahme der ehemaligen Arbeitgeberin entnehmen lasse, sei eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen. Damit gelte eine Kündigungsfrist von einem Jahr. Diese Frist sei nicht eingehalten worden. Die gewährte Abfindung führe deshalb zum Ruhen des Leistungsanspruches.

Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ausgeführt, richtig sei zwar, dass sie das Schreiben der Arbeitgeberin vom 09.10.2001 erhalten habe. Dessen Inhalt sei jedoch von der Beklagten missverstanden worden. Sie sei nicht unkündbar gewesen. Sie sei bei einer einzuhaltenden Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres kündbar gewesen. Diese Frist sei auch beim Abschluss des Aufhebungsvertrages eingehalten worden. Dieses Schreiben stelle keine Vereinbarung im Sinne des § 143a Satz 4 SGB III dar. Gleichlautende Schreiben seien auch anderen Beschäftigten des Arbeitgebers zugegangen, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder des Alters. Es bestätige lediglich Ansprüche, die auch in dem Sozialplan vereinbart worden seien. Auf der Grundlage des Sozialplans hätte sie eine Abfindung in entsprechender Höhe erhalten.

Mit Urteil vom 28.10.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisse zum 31.12.2002 von ihrem Arbeitgeber eine Abfindung erhalten. Auf Grund der vom Arbeitgeber am 09.10.2001 unwiderruflich erteilten Zusage sei eine ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung an die Zahlung einer der Höhe nach bestimmten Abfindung gekoppelt. Hierbei handle es sich entgegen der Auffassung der Klägerin um eine Individualzusage, die diese Abfindung unabhängig von sonstigen Leistungen, etwa aus einem Sozialplan, begründet habe. Sonst würde die in der Zusage enthaltene Bestimmung, wonach die indívidualrechtliche Abfindung mit sonstigen Abfindungsleistungen zu verrechnen sei, völlig ins Leere gehen. Da somit eine Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen wäre, gelte hier eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr. Diese Frist sei durch den zum 31.12.2002 beschlossene Aufhebungsvertrag unstreitig nicht eingehalten worden. Im Übrigen hat das SG gemäß § 136 Abs.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Begründung des Urteils abgesehen.

Zur Begründung der Berufung führt die Klägerin aus, den Urteilsgründen des SG sei nicht zu folgen, als es davon ausgehe, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund einer Individualzusage nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen und deswegen eine fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr einzuhalten gewesen wäre. Richtig sei zwar, dass sie das Schreiben vom 09.10.2001, in dem ihr eine Abfindung zugesagt worden sei, erhalten habe. Dieses Schreiben stelle jedoch keine Vereinbarung im Sinne des § 143a Satz 4 SGB III dar. Gleichlautende Schreiben seien auch anderen Beschäftigten des Arbeitgebers zugegangen, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder des Alters. Abzustellen und entscheidend sei allein der Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages. Bei Abschluss dessen habe ihr auch ohne dieses Schreiben eine Abfindung auf Grund des Interessenausgleichs/Sozialplans zugestanden. Grundlage für den Aufhebungsvertrag sei somit der Interessenausgleich/Sozialplan gewesen. Auf die "Individualzusage" komme es somit nicht an. Sie sei nicht unkündbar gewesen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 28.10.2004 und des Bescheides vom 11.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2003 zu verurteilen, ihr ab 26.03.2002 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass es sich entgegen der Auffassung der Klägerin bei der Individualzusage der Abfindung um eine Vereinbarung im Sinne des § 143a Abs.1 Satz 4 SGB III handele. Auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weise man in diesem Zusammenhang hin. Dass die Klägerin nach den Vorschriften des Manteltarifvertrages nicht unkündbar gewesen sei, sei ohne Belang, da eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die vor Abschluss des Aufhebungsvertrages gegebene Individualzusage vom 09.10.2001 nur noch bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, (§§ 143, 151 SGG); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet.

Zu Unrecht hat das SG München mit Urteil vom 28.10.2004 die Klage abgewiesen, da der Bescheid vom 11.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2003 zu beanstanden ist.

Denn der Klägerin steht ab 26.03.2002 Alg zu, da der Erhalt der Abfindung nicht zum Ruhen des Anspruchs nach § 143a Abs.1 SGB III führt.

Hat nach dieser Regelung der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten, oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 143a Abs.1 Satz 1 SGB III).

Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 143a Abs.1 Satz 2 SGB III).

Ein Ruhen des Anspruches allein nach § 143a Abs.1 Satz 1 SGB III scheidet bereits deshalb aus, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende beendet wurde.

Nach § 143a Abs.1 Satz 4 SGB III gilt, wenn dem Arbeitnehmer bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann, eine Kündigungsfrist von einem Jahr.

Zwar hat der Arbeitgeber insoweit auf der Arbeitsbescheinigung angegeben, dass die ordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich nur bei einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistungen zulässig sei. Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem maßgeblichen Manteltarifvertrag für die Beschäftigen 1997 der Metallindustrie Südbaden. Nach dessen § 4 Ziffer 4. 5. 2 war die Klägerin bei einer einzuhaltenden Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Abschluss eines Kalendervierteljahres kündbar. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Vereinbarung vom 09.10.2001. Dort teilte der Arbeitgeber der Klägerin unwiderruflich mit, dass sie im Falle einer betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine einmalige Abfindungszahlung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz in Höhe von 200.488,87 EUR erhalte. Diese Abfindung werde auf etwaige sonstige vertragliche oder gesetzliche Abfindungsansprüche, insbesondere aus Sozialplan- oder Nachteilsausgleichsansprüchen angerechnet. Diese Zusage sei nicht kündbar. Im Widerspruch dazu steht die Angabe auf der Arbeitsbescheinigung, wo es heißt, dass die Klägerin "einen Aufhebungsvertrag im Rahmen eines größeren Personalabbaus - Interessenausgleich -" erhalten habe. Unbestritten trägt die Klägerin hierzu vor, dass sie auch ohne die Zusicherung des Arbeitgebers auf Grund des ebenfalls am 09.10.2001 geschlossenen Sozialplans/Interessenausgleichs einen Anspruch auf eine Abfindung in der identischen Höhe hatte. Von daher ist die Vereinbarung vom 09.10.2001 als bloße Bestätigung des Abfindungsanspruches anzusehen.

Die von der Beklagten genannte einschlägige Rechtsprechung des BSG ist mit der vorliegenden Fallkonstellation nicht vergleichbar. Die zitierten Urteile beziehen sich auf Arbeitnehmer, die nicht mehr ordentlich kündbar bzw. nur noch für den Fall kündbar waren, dass ein für sie geltender Sozialplan vorliegt und der Sozialplan eine Abfindung vorsieht. Die Unkündbarkeit dieser Arbeitnehmer beruht auf den den Arbeitsverhältnissen zugrunde liegenden Tarifverträgen. Auf Grund des hier anzuwendenden Manteltarifvertrages war die Klägerin aber gerade nicht unkündbar. Vorliegend war ein Sozialplan und eine Individualzusage vom 09.10.2001 gegeben, die Abfindungsregelung ist hier nur die Folge der sich aus den §§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten. § 143a Abs.1 Satz 4 SGB III erfasst jedoch nur die Fälle, in denen die ordentliche Kündigung für den Arbeitgeber vertraglich grundsätzlich ausgeschlossen ist, und nur für Fälle (wieder)eröffnet wird, in denen eine Abfindung gezahlt wird. Dieser Konstellation kann nicht der Fall gleichgestellt werden, dass der Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit der beabsichtigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer eine Abfindung, sei es durch Betriebsvereinbarung oder einseitige Erklärung, verbindlich zugesagt, denn eine solche Zusage, die im Zusammenhang mit der anschließenden Zahlung der Abfindung zu geben ist, erfolgt eben auf dem Boden der ordentlichen Kündbarkeit, weshalb ausgeschlossen ist, dass der Arbeitgeber gezwungen ist, wegen eines Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts eine entsprechend höhere Abfindung zuzusagen.

Somit waren auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG München vom 28.10.2004 und der Bescheid vom 11.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 26.03.2002 Alg zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved