L 10 AL 1/05 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 815/03
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 1/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.942,00 EUR festgelegt.

Gründe:

I.

Streitig ist zuletzt, ob die Klägerin Leistungen der Beklagten an den Arbeitnehmer D. (D) in Höhe von 15.769,11 EUR gemäß § 147 a Drittes Buch Sozialgesestzbuch (SGB III) zu erstatten hat.

Der 1941 geborene D war seit 06.11.1989 bei der Klägerin als Meister tätig. D war ordentlich mit einer Frist von fünf Monaten kündbar. Mit Aufhebungsvertrag vom 16.09.2002 wurde das Arbeitsverhältnis "aus krankheitsbedingten Gründen" zum 31.10.2002 beendet.

D meldete sich ab 01.11.2002 ohne Einschränkung arbeitssuchend. Im Rahmen eines sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage für die Beklagte vom 03.11.2003 stellte Dr.K. fest, D sei im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsvertrages nicht für mehr als sechs Monate arbeitsunfähig. Die Beklagte bewilligte ab 01.11.2002 Arbeitslosengeld für 720 Tage (Bescheide vom 20.03.2003).

Mit Bescheid vom 31.07.2003 stellte die Beklagte die Erstattungspflicht der Klägerin gemäß § 147 a SGB III für die an D in der Zeit vom 01.11.2002 bis 30.04.2003 erbrachten Leistungen (10.159,98 EUR) fest.

Den Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, D habe aus gesundheitlichen Gründen die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können und ein anderer Arbeitsplatz hätte nicht zur Verfügung gestellt werden können. D habe den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anstelle einer personenbedingten Arbeitgeberkündigung gewünscht und eine Abfindung nicht gefordert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen des § 147 a Abs 1 Satz 2 Nr 3 bis 5 SGB III lägen bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht vor. Auch eine lange Arbeitsunfähigkeit stelle keinen objektiv wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. § 147 a SGB III sei ergänzend auszulegen. Die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses sei allein von D ausgegangen, sie selbst hätte das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt.

Mit zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheiden vom 27.11.2003 und 08.01.2004 stellte die Beklagte die weitere Erstattungspflicht für die Zeit vom 01.05.2003 bis 31.07.2003 in Höhe von 3.852,90 EUR und für die Zeit vom 01.08.2003 bis 31.10.2003 in Höhe von 5.212,18 EUR fest.

Der vom SG bestellte Sachverständige Dr.S. (Orthopäde) stellte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 12.03.2004 fest, ab 01.09.2003 seien D nur noch leichte bzw gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zuzumuten. Bei der gesundheitlichen Beeinträchtigung handele es sich um einen Dauerzustand.

Das SG hat die Lohnbuchhalterin der Klägerin, Frau S. (S), und D uneidlich als Zeugen vernommen. S hat angegeben, D habe erklärt, er könne die Tätigkeit nicht mehr ausüben und wolle aufhören. Man habe ihm daher vorgeschlagen, eine entsprechende ärztliche Bescheinigung beizubringen. Bei deren Vorliegen habe man einen Aufhebungsvertrag geschlossen, über ein Kündigung sei nicht mehr gesprochen worden. D hat ausgeführt, er habe in Altersteilzeit gehen wollen, was ihm verwehrt worden sei. Er selbst habe nicht kündigen wollen, vielmehr habe man einen Aufhebungsvertrag geschlossen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09.09.2004 abgewiesen. Eine Erstattungspflicht bestehe, denn die hier allein in Betracht kommenden Ausnahmeregelungen des § 147 a Abs 1 Satz 2 Nrn 4 und 5 SGB III würden nicht eingreifen. Bei § 147 a Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III sei nach der Rechtsprechung allein auf die Form abzustellen. Eine sozial gerechtfertigte Kündigung sei von der Klägerin nicht ausgesprochen worden. Die Klägerin sei auch objektiv nicht berechtigt gewesen, wegen der gesundheitlichen Einschränkungen des D das Arbeitsverhältnis gemäß § 147 a Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB III zu kündigen. Eine außerordentliche Kündigung sei selbst bei lang andauernder und häufiger Erkrankung nicht gerechtfertigt. Auch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist wäre nicht in Betracht gekommen, denn D hätte im Zeitpunkt der Kündigung weder bereits längere Zeit gefehlt noch hätte ein Ende der Arbeitsunfähigkeit abgesehen werden können.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und gleichzeitig beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen. Bislang habe die Beklagte von Vollstreckungsmaßnahmen - ohne dass eine entsprechende Entscheidung ergangen wäre - abgesehen. Mit Bescheid vom 30.09.2004 hat die Beklagte die Erstattungspflicht auf die Zeit bis zum 31.08.2003 reduziert; die Gesamtforderung belaufe sich auf 15.769,11 EUR. Die Klägerin hat eine bereits bekannte Umsatzaufstellung übersandt und auf wirtschaftliche Schwierigkeiten hingewiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten bezüglich der Klägerin und bezüglich D, die Akten des SG - S 6 AL 815/03 und S 6 AL 6/04 ER - sowie des LSG - L 10 AL 441/04 - und des streitgegenständlichen Verfahrens Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufhebenden Wirkung ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür besteht, denn gemäß § 86 a Abs 2 Nr 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 336 a Abs 1 Nr 1 SGB III, § 154 Abs 2 SGG hat die gegen die streitgegenständlichen Bescheide erhobene Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 86 b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache (hier: LSG) auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei entscheidet das Gericht nach Ermessen und auf Grund einer Interessenabwägung (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl, § 86 b RdNr 12). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass von Gesetzes wegen der Eintritt der aufschiebenden Wirkung nicht vorgesehen ist. Bei der Entscheidung sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ablehnung wird aber stärker auf die Erfolgsaussicht der Klage abzustellen sein. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse oder ein Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar sein wird. Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung. Es gilt der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, um so geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen (vgl zum Ganzen: Meyer-Ladewig aaO mwN).

Vorliegend bestehen nach einer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgenden summarischen Prüfung (Meyer-Ladewig aaO RdNr 16) keine Erfolgsaussichten für die erhobene Klage bzw für die gegen das Urteil des SG eingelegte Berufung. Die Voraussetzungen für eine Erstattungspflicht gemäß § 147 a Abs 1 Satz 1 SGB III liegen wohl vor. Die Erstattungspflicht entfällt nicht gemäß der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 147 a Abs 1 Satz 1 Nr 4 und 5 SGB III. Insbesondere ist ein Aufhebungsvertrag nicht im Wege der erweiternden Auslegung unter § 147 a Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III zu subsumieren. Bei Anwendung dieser Vorschrift ist allein auf die äußere Form der sozial gerechtfertigten Kündigung abzustellen (vgl BSG, Urteil vom 20.09.2001 - B 11 AL 30/01 R - und Urteil vom 04.09.2001 - B 7 AL 64/00 R - veröffentlich in Juris; Brandt in Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 147 a RdNr 38; Rolfs in Gagel, SGB III, § 147 a RdNr 58, Stand 11/03).

Die Klägerin wäre auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen (§ 147 a Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB III). Als wichtige Gründe sind Gründe im Sinne des § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzusehen. Dabei ist auf die objektive Rechtslage abzustellen (vgl Rolfs in Gagel, aaO, § 147 a RdNr 176, 177, Stand 7/04). Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund kommt nach summarischer Prüfung nicht in Betracht. Hierzu muss zunächst krankheitsbedingt ein wichtiger Grund an sich vorliegen. Dann ist eine Interessenabwägung vorzunehmen und zuletzt zu prüfen, ob eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Kündigenden zumutbar ist (vgl Palandt, BGB, 64.Aufl, § 626 RdNr 37 ff). Die Krankheit des Arbeitnehmers kann aber nur in besonderen Ausnahmefällen ein wichtiger Kündigungsgrund sein. Eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des erkrankten Arbeitnehmers kann daher erst bei einer lang andauernden Krankheit vorliegen, bei der eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Allerdings wird auch in diesen Fällen gewöhnlich die Weiterbeschäftigung noch zumutbar sein, da dem Arbeitgeber bereits keine Lohnfortzahlungspflicht mehr trifft. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in Betracht bei abschreckenden, ekelerregenden oder ansteckenden Krankheiten, oder wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Dann ist an die außerordentliche Kündigung aber ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl Wank in Münchener Handbuch Arbeitsrecht, 2.Aufl, § 120 RdNr 45 mwN).

Bei allgemeinen Dienstverhältnissen kann ein wichtiger Grund in einer kürzeren Erkrankung des Dienstverpflichteten dann gesehen werden, wenn der Vertragszweck dadurch gefährdet wurde oder die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Das trifft nur in Ausnahmefällen zu. Bei Arbeitsverhältnissen kann eine kürzere Erkrankung nur ausnahmsweise dann ein wichtiger Grund sein, wenn sie ansteckend ist. Längere Erkrankungen (über sechs Wochen) oder häufigere Fehlzeiten können wegen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für eine außerordentliche Kündigung nur in begrenzten Ausnahmefällen dann genügen, wenn eine ordentliche Kündigung ganz ausgeschlossen ist, eine ungewöhnlich lange vertragliche Kündigungsfrist vereinbart ist oder der Arbeitsplatz dringend besetzt werden muss. Eine bloße Minderung der Leistungsfähigkeit genügt in der Regel nicht. Bei Vorliegen einer Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung in zumutbarem Zeitraum ist in der Regel eine außerordentliche Kündigung ganz ausgeschlossen (Palandt aaO § 626 RdNr 51). So ist es auch bei D.

D konnte wegen seiner Erkrankung nicht außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden. Bei D hat weder eine ekelerregende noch eine ansteckende Krankheit vorgelegen. Auch war D im Zeitpunkt der Kündigung nicht bereits seit langem Arbeitsunfähig gewesen. Insbesondere aber wird im Rahmen der Klagebegründung von der Klägerin angegeben, eine Kündigung durch sie sei nie beabsichtigt gewesen, man habe D vielmehr nicht verlieren wollen. Dies bedeutet, dass das Interesse der Klägerin an einer weiteren Tätigkeit des Klägers in keinster Weise durch seine gesundheitlichen Einschränkungen beeinträchtigt war. Auch die Notwendigkeit der dringenden Besetzung des Arbeitsplatzes durch eine andere Person wird nicht dargetan. Eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung war damit nicht gegeben.

Wirtschaftliche Gesichtspunkte erlangen bei der voraussehbaren Erfolglosigkeit des Hauptsacheverfahrens keine wesentliche Bedeutung, zumal die Klägerin keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt hat. Allein einer Umsatzaufstellung für Teile eines Geschäftsjahres ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht zu entnehmen.

Nach alledem hat die Klage und die Berufung keine Erfolgsaussicht. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist damit abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Ausgangspunkt für die Streitwertfestsetzung ist der Wert der Hauptsache, der sich gemäß § 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG) nach dem Betrag richtet, der in den angefochtenen Bescheiden festgesetzt ist (hier: 15.769,11 EUR). Gemäß § 53 Abs 3 Nr 4 iVm § 52 Abs 1 GKG ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hiervon ein Teil anzusetzen, der der Bedeutung der Sache und dem Interesse des Antragstellers entspricht. Dabei ist ein Streitwert von 1/4 der Hauptsache als angemessen anzusehen (vgl BayLSG, Beschluss vom 08.01.2004 - L 10 B 469/03 AL ER - und Beschluss vom 25.08.2003 - L 10 AL 62/03 ER; BSG in NZS 1994, 142 = SozR 3-1930 § 16 Nr 6). Der Streitwert ist somit gerundet auf 3.942,00 EUR festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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