L 4 B 23/05 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 237/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 23/05 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 9. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Streitig ist, in welcher Höhe die Antragsgegnerin Kosten für häusliche Krankenpflege zu übernehmen hat.

Bei der 1999 geborenen, bei der Antragsgegnerin versicherten Antragstellerin besteht ein Zustand nach peripartaler Asphyxie, schwere mentale und statomotorische Retardierung, Tetraspastik, Anfallsleiden, PEG-Sonde, Niereninsuffizienz, Harn- und Stuhlinkontinenz. Sie ist in Pflegestufe III eingestuft. Die Antragstellerin wird, abgesehen von immer wieder erforderlichen Zeiten stationärer Krankenhausbehandlung, zu Hause gepflegt.

Der behandelnde Arzt der Klägerin, der Kinderarzt und Allergologe Dr.S. hat aktenkundig erstmals am 05.05.2004 für die Zeit vom 14.05. bis 30.06.2004 Behandlungspflege (Medikamentengabe, Intensivpflegeleistung, Kontrolle der Vitalfunktion, Sauerstoffgabe, Monitoring, PEG-Pflege) acht Stunden täglich als Monatsbudget verordnet. Die Pflege wird durchgeführt von S. H. , außerklinische Kinder- und Intensivpflege. Die Kosten betragen kalendertäglich 224,00 EUR.

Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 07.06.2004 zugesagt, für Behandlungspflege tägliche Kosten in Höhe von 161,28 EUR zu übernehmen. Die während der Behandlungspflege nötigen Hilfeleistungen im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung seien bei festgestellter Pflegebedürftigkeit von der Pflegekasse zu übernehmen und deshalb von den Leistungen der Krankenkasse abzuziehen. Der Berechnung der Kürzung wurde der im Gutachten des MDK zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach SGB XI angenommene Zeitbedarf für Grundpflege von täglich 397 Minuten zugrunde gelegt und als 27,57 % des Tages angesetzt. Die restlichen 72,43 % wurden der Behandlungspfle zugeordnet. Zu Lasten der Antragsgegnerin sollten deshalb von den vom Pflegedienst geforderten 28,00 EUR stündlich nur 20,28 EUR (= 72,43 %) angesetzt werden. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11.01. 2005 (zusammen mit weiteren Widersprüchen, andere Zeiträume verordneter Behandlungspflege betreffend) zurückgewiesen.

Bereits am 24. August 2004 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin beim Sozialgericht Landshut beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig häusliche Krankenpflege ab Krankenhausentlassung am 12.08.2004 im Umfang von acht Stunden täglich zu einem Stundensatz von 28,00 EUR zu gewähren. Die Antragsgegnerin sei die einzige Krankenkasse, die die streitgegenständliche Quotierung durchführe. Im Fall der Antragstellerin, der nur acht Stunden Behandlungspflege verordnet sind, sei eine Verrechnung mit Leistungen der Pflegeversicherung nicht möglich, da diese Leistungen zusätzlich zu erbringen seien und sich mit den Leistungen der Behandlungspflege nicht überschneiden würden. Nach dem Gutachten des MDK könnten sich die Zeiten der Behandlungspflege von acht Stunden über den ganzen Zeitraum von 24 Stunden verteilen. Es sei nur ausnahmsweise möglich, dass diese - anders als bei verordneter Behandlungspflege von 24 Stunden - mit den Verrichtungen der Grundpflege zusammentreffen, dementsprechend würden von allen anderen Krankenkassen die entsprechenden Leistungen getrennt verrechnet. Auch die Antragsgegnerin habe in mehreren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Stundensätze von 32,00 bzw. 28,00 EUR anerkannt. Eilbedürftigkeit sei gegeben, die kalendertäglich bestehende Differenz von 61,76 EUR (monatlich 1.852,80 EUR) könne die Antragstellerin nicht aufbringen; das Pflegegeld der Pflegestufe III werde bereits für Behandlungspflege eingesetzt. Das Landratsamt L. - Sozialhilfeverwaltung - habe mit Bescheid vom 04.08.2004 eine Leistung abgelehnt, es habe den Antrag an die Antragsgegnerin weitergeleitet, die Leistungsgewährung wegen verwertbaren Vermögens abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat den Stundensatz auch für später verordnete Behandlungspflege gekürzt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 9. November 2004 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin häusliche Krankenpflege im Umfang von acht Stunden täglich zu einem Stundensatz von 28,00 EUR vom 12.08.2004 bis 31.12.2004 mit Ausnahme des Zeitraums des stationären Aufenthaltes zu gewähren. Es lägen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vor. Zum Anordnungsgrund wird ausgeführt, es sei unstreitig acht Stunden Behandlungspflege erforderlich, dafür müsse der Pflegekraft ein Betrag von 28,00 EUR pro Stunde, also 224,00 EUR pro Tag bezahlt werden. Es stelle für die Antragstellerin einen wesentlichen Nachteil dar, wenn sie überschießende Beträge von monatlich 420,80 EUR selbst tragen müsse. Auch ein Anordnungsanspruch liege vor. Eine Quotelung, wie von der Antragsgegnerin vorgenommen, komme im Fall der Antragstellerin nicht in Betracht. Zwar sei es gerechtfertigt, bei bestehender Notwendigkeit einer häuslichen Krankenpflege von 24 Stunden und gleichzeitig bestehender Pflegebedürftigkeit im Sinne der Pflegeversicherung die Anteile für die Grundpflege herauszunehmen und die entsprechenden Grundpflegeanteile als von der Pflegeversicherung abgedeckt anzu- sehen, dies treffe jedoch nicht zu bei erforderlicher und verordneter Behandlungspflege von täglich acht Stunden. Von den 1.440 Minuten eines Tages seien nur 397 Minuten mit Grundpflege und 480 Minuten mit Behandlungspflege belegt. In der restlichen Zeit erfolge weder Grund- noch Behandlungspflege. Damit liege hier eine klare Aufteilung zwischen Grundpflege und Behandlungspflege vor. Es komme eben nicht zu praktischen Schwierigkeiten, weil die Behandlungspflege nicht rund um die Uhr die Anwesenheit einer Pflegeperson erfordere und diese neben der Behandlungspflege nicht Grundpflege durchführen müsse. Die Erledigung sowohl von Grundpflege wie Behandlungspflege durch ein und dieselbe Pflegekraft könne zwar erfolgen und entspreche dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, dies rechtfertige es aber nicht, die Krankenkasse in Fällen, in denen eine genaue Aufteilung möglich sei, immer von dem Prozentanteil, der auf die Pflegeversicherung entfalle, freizustellen. Der zeitliche Aufwand für den jeweiligen Bereich könne ermittelt werden und er sei auch ermittelt worden.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 20. Dezember 2004 beim Sozialgericht Landshut eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin. Es bestehe bereits kein Anordnungsgrund. Es hätte ermittelt werden müssen, ob die Antragstellerin eigenes Vermögen habe oder ob sie schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen für die im Streit stehende Zeit treffen müsste. Der Antragstellerin sei zumutbar, Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern geltend zu machen. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Übernahme der achtstündigen Behandlungspflege ohne Abzug grundpflegerischer Leistungen. Es sei lebensfremd, anzunehmen, dass in der Zeit, in der der Pflegedienst anwesend ist, nur behandlungspflegerische Maßnahmen anfallen. Es könne davon ausgegangen werden, dass auch grundpflegerische Verrichtungen durchzuführen seien und dann auch vom Pflegedienst durchgeführt werden. Die Mutter der Klägerin müsste sonst 24 Stunden präsent sein, um trotz Anwesenheit des Pflegedienstes die in dieser Zeit anfallenden grundpflegerischen Maßnahmen durchzuführen. Umgekehrt erscheine es wenig wahrscheinlich, dass in der übrigen Zeit, in welcher der Pflegedienst nicht anwesend ist, nur die grundpflegerischen Maßnahmen anfallen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 09.11.2004 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es bestehe ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin verfüge nicht über eigenes Vermögen, ihre Eltern über ein selbstbewohntes Hausgrundstück und im Wesentlichen der Altersversorgung dienendes Vermögen. Dies könne nicht dazu führen, dass die Antragstellerin Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern durchsetzen müsse. Es bestehe auch ein Anordnungsanspruch. Der angefochtene Beschluss befinde sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der auch das Bayer. Landessozialgericht folge. Lediglich bei einem Anspruch auf Behandlungspflege bei 24 Stunden täglich sei gerechtfertigt, Zeitbedarf für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung von den 24 Stunden in Abzug zu bringen. Nur die Antragsgegnerin nehme die Quotierung der Stundensätze in Fällen, in denen es sich nicht um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung handele, vor. Die im vorliegenden Fall verordneten und auch von der Antragsgegnerin genehmigten acht Stunden Behandlungspflege seien mit 28,00 EUR pro Stunde unabhängig von den Leistungen der Pflegeversicherung zu vergüten.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG). Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die einstweilige Anordnung erlassen.

Gemäß § 86b Abs.2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Ver- änderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten einstweiliger Anordnung setzen einen Anordnungsanspruch - dies ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht - und einen Anordnungsgrund voraus, der insbesondere in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung besteht. Beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 ZPO). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben.

Die Antragsgegnerin bestreitet nicht, dass die Antragstellerin gemäß § 37 Abs.2 SGB V Anspruch auf die vertragsärztlich verordnete Behandlungspflege im Umfang von acht Stunden täglich hat. Es ist auch aktenkundig, dass die Behandlungspflege durch S. H. , außerklinische Intensivpflege, tatsächlich durchgeführt wurde und dass hierfür 28,00 EUR pro Stunde in Rechnung gestellt wurden. Damit besteht ein Anordnungsanspruch gemäß § 37 Abs.2 SGB V dem Grunde nach. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Kürzung des Stundensatzes von 28,00 EUR auf 20,28 EUR ist nicht gerechtfertigt. Bei ihrer Berechnung unterstellt die Antragsgegnerin einen täglichen Behandlungspflegebedarf von 72,43 % gegenüber einem Grundpflegebedarf von 27,57 %, wie sie aus der im Pflegegutachten angenommenen Zeit von 397 Mi- nuten pro Tag errechnet. Die Antragsgegnerin ignoriert hier, dass tatsächlich acht Stunden Behandlungspflege verordnet und notwendig sind. Es ist aus keiner ärztlichen Stellungnahme ersichtlich, dass - wie bei einer 24 Stunden Behandlungspflege - es zu Zeiten der Überlappung von Behandlung und Grundpflege kommt. Das wäre aber Voraussetzung für eine anteilsmäßige Kürzung, die ihrerseits den Zeitbedarf (Stundenzahl) beträfe, nicht aber das Honorar für den Leistungserbringer. Es ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Zwar ist im Beschwerdeverfahren nur noch über einen (relativ kurzen) Zeitraum in der Vergangenheit zu entscheiden, es ist jedoch zu befürchten, dass die Beklagte ihre Berechnungsweise auch in Zukunft beibehält. Derzeit spricht aber alles dafür, dass auch in Zukunft für die Antragstellerin Behandlungspflege erforderlich sein wird. Die Antragstellerin kann den Unterschiedsbetrag in Höhe von 420,80 EUR pro Monat, nicht selbst bezahlen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Antragstellerin auch nicht zumutbar, ihren Eltern gegenüber im Rahmen des Unterhaltsanspruchs eine Zahlung durchzusetzen, die die Antragsgegnerin nach überschlägiger Prüfung ohne Rechtsgrundlage verweigert.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Antragsgegnerin.

Dieser Bescheid ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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