L 3 B 467/03 KA ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 KA 5143/03 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 467/03 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.10.2003 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer begehrt die Aufhebung einer Vergütungsberichtigung und einer sachlich-rechnerischen Berichtigung in Höhe von 4.815,57 Euro.

Der Beschwerdeführer arbeitete als Vertragszahnarzt zusammen mit dem Vertragszahnarzt J. G. in der Zeit vom 01.08.2000 bis 30.06.2001 in einer Gemeinschaftspraxis in L. mit der ABE-Nr.003714. Am 31.05.2001 beantragten die Beigeladenen beim Prüfungsausschuss Zahnärzte Mittelfranken eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Vertragszahnarztpraxis der Zahnärzte M./G. im 4. Quartal 2000. Mit Beschluss vom 28.11.2001 erfolgte aufgrund der Sitzung des Prüfungsausschusses Mittelfranken vom 07.11.2001, zu der die Zahnarztpraxis M./G. geladen war, eine Vergütungsberichtigung und eine sachlich-rechnerische Berichtigung in Höhe von 11.541,70 Euro gegenüber der Zahnarztpraxis M./G. , ABE-Nr.003714.

Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Widerspruch. Er trug vor, der Prüfantrag habe sich unzulässigerweise gegen die aufgelöste Praxisgemeinschaft (muss wohl heißen Gemeinschaftspraxis) als BGB-Gesellschaft gerichtet, so dass der betroffene Vertragszahnarzt nicht erkennbar sei. Auch hätte beiden Zahnärzten rechtliches Gehör gewährt werden müssen und die Ladung zur Ausschusssitzung persönlich erfolgen müssen.

Mit Bescheid des Beschwerdeausschusses Nordbayern vom 20.05.2003 wurde aufgrund der Sitzung vom 19.02.2003, zu der die Zahnarztpraxis M./G. geladen worden war, dem Widerspruch des Beschwerdeführers teilweise stattgegeben und eine Vergütungsberichtigung und sachlich-rechnerische Richtigstellung in Höhe von 4.815,55 Euro festgelegt.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und die Aufhebung der Bescheide sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Bescheide vom 28.11.2001 und 20.05.2003 seien wegen eines nicht heilbaren Verfahrensmangels rechtswidrig. Antrag, Ladung und Zustellung seien ausschließlich an die Gemeinschaftspraxis mit der ABE-Nr.003714 erfolgt und nicht gegenüber den nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis allein passiv legitimierten betroffenen Vertragszahnärzten mit nunmehr getrennten ABE-Nummern. Eine arztbezogene Prüfung wie in § 106 Sozialgesetzbuch V (SGB V) und der Prüfordnung-Zahnärzte vorgesehen und damit die Überprüfung der höchstpersönlichen Leistung des Vertragszahnarztes habe nicht stattgefunden. Die Beklagte hätte durch Abfragen der entsprechenden Karteikarten differenzieren müssen, welcher Arzt welche Leistungen abgerechnet hatte und dies hätte bei der gebotenen Ermessensausübung nach § 412 BGB (gemeint ist wohl § 421 BGB) berücksichtigt werden müssen.

Die Beschwerdegegnerin hat eingewandt, der Prüfantrag habe den rechtlichen Anforderungen genügt und etwaige Verfahrensfehler seien im Widerspruchsverfahren geheilt worden.

Das SG hat mit Beschluss vom 06.06.2003 die Krankenkassen dem Verfahren beigeladen und mit Beschluss vom 14.10.2003 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.05.2003 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Bescheide seien, da das Hauptsacheverfahren kaum Aussicht auf Erfolg habe, bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Auch Gemeinschaftspraxen unterlägen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Zuordnung eines bestimmten unwirtschaftlichen Verhaltens zu einem bestimmten Mitglied der Gemeinschaftspraxis sei jedoch wegen des gemeinsamen Patientenstammes und der Behandlung unter einer gemeinsamen Abrechnungsnummer nicht möglich. Die Beschwerdegegnerin hätte den Beschwerdeführer in Anspruch nehmen können, da er für Gesamthandsverbindlichkeiten neben der Gesamthand als Gesamtschuldner auf den vollen Betrag hafte.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt. Er hat ausgeführt, § 106 Abs.2 Nr.1 SGB V verlange eine "arztbezogene" Prüfung, so dass eine analoge Anwendung auf die Überprüfung einer Gemeinschaftspraxis wegen eines Verstoßes gegen Art.102 Abs.2 Grundgesetz verfassungswidrig sei. Da die Wirtschaftlichkeitsprüfung Sanktionscharakter habe, müsse der individuelle Verstoß gegen die Wirtschaftlichkeit des einzelnen Gesellschafters nachgewiesen werden. Es sei nicht zulässig, eine Sippenhaft durch eine Analogie oder erweiterte Auslegung des § 106 SGB V zu erreichen. Bei Verzicht auf eine individuelle Prüfung des Tatvorwurfs liege ein Verstoß gegen Art.6 Abs.2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor. Nachdem die Beschwerdegegnerin beim Beschwerdeführer regressiert habe, hätte sie das Verfahren auch ihm gegenüber einleiten müssen. So aber habe sie ein Verfahren gegenüber einer Praxisgemeinschaft (muss wohl heißen Gemeinschaftspraxis) eingeleitet, die nach der Zulassungsverordnung nicht mehr existent gewesen sei.

Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, § 106 SGB V sei nicht analog, sondern unmittelbar angewandt worden, als sie aus den von der Gemeinschaftspraxis des Beschwerdeführers abgerechneten ärztlichen Leistungen einen Durchschnittswert gebildet habe. Sie habe zu Recht die vertragszahnärztlichen Leistungen bei Bestehen der Gesellschaft überprüft und einen Gesamtschuldner in Anspruch genommen.

Auf Anfrage des Senats hat der Beschwerdeführer mitgeteilt, die Gemeinschaftspraxis habe vom 01.08.2000 bis 30.06.2001 bestanden. Die Beschwerdegegnerin hat mitgeteilt, dass der Bescheid vom 20.05.2003 vollzogen wurde.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer beantragt (sinngemäß),

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.05.2003 bzw. die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14.10.2003 zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) schließt sich diesem Antrag an.

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Die Statthaftigkeit der Beschwerde folgt aus § 172 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte in Verfahren dieser Art die Beschwerde stattfindet (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86b Rdnr.21). Sie ist auch rechtzeitig in der Monatsfrist des § 173 SGG eingelegt. Das SG hat gem. § 174 SGG der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist nicht begründet, denn an der Rechtmäßigkeit der Vergütungsberichtigung und sachlich-rechnerischen Berichtigung gegenüber dem Beschwerdeführer durch den Bescheid vom 20.11.2003 bestehen bei summarischer Überprüfung keine Zweifel.

Die hier begehrte Anordnung richtet sich gem. Art.19 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGG nach dem ab 02.01.2002 in Kraft getretenen § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 und Satz 2 SGG, denn es ist als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zugrunde zu legen (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr.18 m.w.N.). Nach § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 und Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen und, falls der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen war, die Aufhebung der Vollziehung anordnen.

Im vorliegenden Fall hat die Klage des Beschwerdeführers gegen die vom Beschwerdeausschuss mit Bescheid vom 20.11.2003 festgesetzte Vergütungsberichtigung bzw. den Regressbetrag in Höhe von 4.815,57 Euro keine aufschiebende Wirkung gem. § 106 Abs.5 Satz 7 SGB V.

Ob die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, steht im Ermessen des Gerichts und erfolgt aufgrund einer Interessenabwägung, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Nr.12 i.V.m. § 86a Rdnrn.18 - 23 m.w.N.). Je größer die Erfolgsaussichten der Klage sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten der Klage zu bewerten sind, umso höher müssen die erfolgsunabängigen Interessen veranschlagt werden, um eine Aussetzung rechtfertigen zu können. Offensichtlich rechtmäßige Verwaltungsakte können in der Regel sofort vollzogen werden, während es an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich im Rechtsstaat kein legitimes Interesse gibt. Soweit sich eine Beurteilung als offensichtlich rechtmäßig bzw. rechtswidrig nicht treffen lässt, müssen die für und gegen die Aussetzung sprechenden Interessen gegeneinander abgewogen werden. Bei der Abwägung ist einerseits die gesetzliche Regelung zu beachten, dass Honorarkürzungen durch Beschwerdeausschüsse keine aufschiebende Wirkung haben sollen und andererseits die Frage, ob es in einer vertragszahnärztlichen Honorarstreitigkeit dem Vertragsarzt unzumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn durch die Nichtzahlung des Honorars noch vor der Entscheidung in der Hauptsache die Zahlungsunfähigkeit des Arztes eintreten würde.

Im vorliegenden Verfahren sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage als äußerst gering einzuschätzen. Die Beschwerdegegnerin hat nämlich zu Recht gegenüber der Gemeinschaftspraxis M./G. aufgrund des Antrags der Krankenkassen gem. § 14 Prüfvereinbarung (PV) (Anlage 4a GV-Z) eine arztbezogene Prüfung gem. § 106 Abs.1 Nr.2 SGB V vorgenommen und beim Beschwerdeführer regressiert.

Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beteiligten bestand zwischen dem Vertragszahnarzt M. und dem Vertragszahnarzt G. vom 01.08.2000 bis 30.06.2001 eine Gemeinschaftspraxis. Eine Gemeinschaftspraxis ist der Zusammenschluss mehrerer Ärzte des gleichen oder ähnlichen Fachgebiets zur gemeinsamen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis, wobei über die gemeinsame Nutzung der Praxisräume und der Praxiseinrichtungen sowie der gemeinsamen Beschäftigung von Personal hinaus die gemeinschaftliche Behandlung der Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten (BSGE 23,170). Daraus folgt, dass rechtlich eine einheitliche Praxis und ein Vertragsarztsitz vorliegen (Maaßen/Schermer 1200 § 95 Anm.22) und die Mitglieder der Gemeinschaftspraxis rechtlich "wie ein Arzt" behandelt werden (BSGE 61, 92, 95). Aufgrund der gemeinsamen Karteiführung und der gemeinsamen Abrechnung ergibt sich zwanglos, dass die Auffassung des Beschwerdeführers, die Beschwerdegegnerin hätte anhand der entsprechenden Karteikarten differenzieren müssen, welcher Arzt welche Leistungen abgerechnet hat unhaltbar ist. Ein bestimmtes unwirtschaftliches Verhalten ist vielmehr nicht einem bestimmten Mitglied der Gemeinschaftspraxis zuzuordnen und ein beteiligter Vertragsarzt muss sich das Abrechnungsverhalten eines anderen Vertragsarztes zurechnen lassen. Damit liegt auch eine "arztbezogene" Prüfung vor.

Der Verwaltungsakt ist auch nicht etwa aus Formgründen nichtig. Die Antragstellung gem. § 14 PV erfolgte von den Beigeladenen zu Recht mit Schreiben vom 31.05.2001 zu Lasten der Gemeinschaftspraxis, denn zu diesem Zeitpunkt bestand diese noch. Weitere Verfahrensfehler, die zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere ist den Vertragszahnärzten rechtliches Gehör gewährt worden.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, ihn träfen die Sanktionen bezüglich eines unwirtschaftlichen Verhaltens durch seinen Partner, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung keinen Strafcharakter hat und er im Übrigen bei dem Zusammenschluss zu einer Gemeinschaftspraxis über die Konsequenzen informiert sein konnte und musste.

Somit ist festzustellen, dass die Hauptsacheklage bei summarischer Würdigung erfolglos sein wird. Außerdem ist dem Beschwerdeführer kein unzumutbarer Nachteil durch die geringe Höhe der Honorarkürzung von 4.815,57 Euro entstanden ist. Damit ist die aufschiebende Wirkung der Klage bzw. - und soweit ist sein Antrag auslegungsbedürftig - die Aufhebung des Vollzugs gem. § 86b Abs.1 Satz 2 SGG nicht anzuordnen.

Die Beschwerde war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 Abs.1a SGG i.V.m. § 154 Abs.2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten gem. § 197a Abs.1 SGG i.V.m. § 162 Abs.3 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved