L 4 B 586/04 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 560/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 586/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. -

Gründe:

Der bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versicherte Antragsteller bezieht neben der gesetzlichen Rente Versorgungsbezüge von der Bezirksfinanzdirektion A. , die von der Antragsgegnerin bis 31.12.2003 nach dem damals gültigen Recht mit der Hälfte des jeweils am 01.07. geltenden allgemeinen Beitragssatzes der Beitragsbemessung unterworfen wurden. Nach dem ab 01.01.2004 in Kraft getretenen neuen Recht wandte die Antragsgegnerin für die Beitragsbemessung dieser Bezüge den allgemeinen Beitragssatz (14,9 v.H.) an und erteilte hierüber im Februar 2004 einen Beitragsbescheid, in dem sie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 445,67 EUR geltend machte. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2004 abgewiesen wurde. Dagegen ist am 08.10.2004 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben worden. Gleichzeitig hat der Antragsteller beim Sozialgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge aus den Versorgungsbezügen anzuordnen. Aufgrund des Umfangs der Beitragserhöhung von 230,12 EUR auf 445,67 EUR und der übergangslosen Einführung würden der grundsätzlich garantierte Vertrauensschutz und die Rechte aus Art.14 Abs.1 (Schutz des Eigentums) GG verletzt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 08.11.2004 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Es bestehe kein ernsthafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 04.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2004. Ernstliche Zweifel seien erst dann begründet, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes derart überwiegen, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher sei als ein Unterliegen. Der Gesetzgeber habe in den Fällen § 86a Abs.2 Nr.1 SGG durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug höher eingeschätzt als das Privatinteresse an der vorläufigen Beibehaltung des bisherigen Beitragsbetrages. Davon abzuweichen bestehe nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar sei. Die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchzuführende summarische Überprüfung lasse ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide nicht aufkommen. Die Bescheide entsprächen der zum 01.01.2004 in Kraft getretenen Regelung des § 248 Abs.1 Satz 1 SGB V. Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser neugeregelten Vorschrift bestünden nicht. Auch der postulierte Vertrauensgrundsatz sei durch die sich für die Zukunft ergebende Beitragsmehrbelastung des Anstragstellers kein geeigneter Aspekt. Die Regelung verletze auch nicht das aus Art.20 Abs.3 GG folgende Willkürverbot und das Sozialstaats-prinzip. Die Eigentumsgarantie des Art.14 GG gebiete außerdem keinen Schutz vor Beitragsänderungen. In Anbetracht des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sei auch hinzunehmen, dass der Antragsteller gegenüber pflichtversicherten Rentnern, die aus ihren Renten keinen entsprechenden Beitragssatz aufbringen müssen, mit den Bezügen in vollem Umfang gerade zur Finanzierung der KVdR herangezogen werde. Es sei schließlich auch nicht ein überwiegendes subjektives Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der bisherigen niedrigeren Beitragshöhe gegeben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 17.12.2004, zu deren Begründung vorgetragen wird, allein der Beschwerdeführer verfüge über ein Einkommen, seine Frau sei völlig einkommenslos. Es sei im Beschluss überhaupt nicht berücksichtigt worden, dass der Antragsteller nicht nur selbst über Gebühr belastet werde, er werde durch die vorliegende Entscheidung in seiner Sorge um seine Frau stark belastet, denn auch deren Witwenanspruch in Höhe von 55 % der Versorgungsbezüge werde durch die Entscheidung erheblich beeinträchtigt. Es handele sich auch um eine echte Rückwirkung eines belastenden Gesetzes. Der Antragsteller sei bei Rentenantritt von einem halben Beitragssatz ausgegangen und durfte darauf vertrauen, dass es so bleiben würde.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.11.2004 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 09.09.2004 bezüglich der Beitragsfestsetzung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG). Sie erweist sich aber als unbegründet. Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG regelt, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. Der Senat hat aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 14.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2004, soweit es um die hier streitige Anwendung des Beitragssatzes geht. Gemäß § 248 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14.01.2003 (in Kraft ab 01.01.2004), gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils am 01.07. geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Mit dieser Neufassung der gesetzlichen Regelung des Beitragssatzes aus Versorgungsbezügen hat der Gesetzgeber das bis zum 31.12.2003 geltende Recht des § 248 SGB V zum Nachteil der Versicherten geändert.

Es besteht kein Anlass, den Vollzug dieser gesetzlichen Regelung aufzuschieben, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da gemäß Art.20 Abs.3 GG die vollziehende Gewalt (also auch die gesetzlichen Krankenkassen) und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Damit scheidet die Möglichkeit aus, für den Antragsteller weiterhin das frühere Recht anzuwenden, d.h. seinen Versorgungsbezug nur mit dem halben Beitragssatz zu belasten. Die verfahrensrechtlich allein in Betracht kommende Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art.100 Abs.1 GG wendet der Senat nicht an, da er von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung nicht überzeugt ist.

Normzweck der Neufassung des § 248 SGB V ist, Rentner, die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung ihrer Leistungsaufwendungen zu beteiligen. Ob die Rentner daneben Ruhestandsbeamte sind und in dieser Eigenschaft gegenüber ihrem Dienstherrn besondere Fürsorge erwarten dürfen, spielt hier keine Rolle. Die Beitragszahlungen der Rentner deckten 1973 noch etwa 70 % der Leistungsaufwendungen ab, inzwischen decken die eigenen Beiträge der Rentner nur ca. 45 % der Leistungen ab, die für sie nötig sind. Es ist daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht höher werden zu lassen. Da die Empfänger von Versorgungsbezügen durch deren Zahlstellen lückenlos erfasst sind, erfolgt auch eine für sie alle gerechte Belastung, der sich niemand entziehen kann. Damit entsteht eine beitragsrechtliche Gleichbehandlung mit der Beitragsbemessung aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass gemäß § 249 SGB V die Rentenversicherungsträger die Hälfte dieser Beiträge zahlen, ist eine Frage, die nicht die Beitragssätze, sondern die Tragung der Beiträge betrifft.

Der Senat sieht in der Änderung des § 248 Satz 1 SGB V ab 01.01.2004 auch keine Verletzung des Vertrauensschutzes auf Gesetze unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung (Art.20 Abs.1, 3 GG). Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn die Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Hierunter fällt auch die Korrektur einer Dauerregelung für die Zukunft. Eine derartige unechte Rückwirkung ist in der Regel zulässig. Das heißt, der Gesetzgeber hat aufgrund der weiten Gestaltungsfreiheit im Sozialrecht die Möglichkeit, eine Rechtsposition zum Nachteil der Versicherten für die Zukunft zu ändern. Eine unechte Rückwirkung ist nur ausnahmsweise unzulässig, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, wobei das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht geschützt wird und außerdem das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdiger ist als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mussten aufgrund der seit langer Zeit eingeleiteten Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Abbau von Leistungen bzw. Beitragsvergünstigungen einzelner Gruppen und einer stärkeren Heranziehung zur Finanzierung der Leistungen für ihre Gruppe rechnen. Damit ist das Anliegen des Gesetzgebers, Beitragsvergünstigungen für eine Gruppe von Versicherten abzubauen, die einerseits hohe Leistungsausgaben verursacht, andererseits mit ihren Beiträgen weniger als die Hälfte finanziert, mit dem Grundsatz der solidarischen Finanzierung und dem Versicherungsprinzip zu vereinbaren. Der Gesetzgeber war also nicht gehindert, auch die Interessen der übrigen Versichertengemeinschaft an einer Beitragsstabilität zu berücksichtigen und insoweit einen Ausgleich herbeizuführen.

Die Vollziehung der Beitragsforderung stellt für den Antragsteller keine unbillige Härte dar, es ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin im Falle der rückwirkenden Aufhebung der Neuregelung des § 248 Satz 1 SGB V im bereits anhängigen Musterstreitverfahren dem Antragsteller die zu viel gezahlten Beiträge zurückerstatten wird.

Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved