L 9 AL 421/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 Al 294/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 421/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.1996 zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der beruflichen Rehabilitation die Umschulung der Klägerin zur Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, psychologischen Beraterin oder in einen anderen adäquaten sozialen Beruf streitig.

I.

Die 1955 geborene Klägerin, die nach dem Besuch der Hauptschule die Ausbildung an einer Fachschule für Kinderpflegerinnen (1970 bis 1972) absolviert und den erlernten Beruf eigenen Angaben zufolge vom 01.04.1974 mit Unterbrechungen bis 31.01.1991 ausgeübt hatte, beantragte am 08.04.1992 die Gewährung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation, da sie den Beruf wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden nicht mehr bzw. nur unter erheblichen Schwierigkeiten ausüben könne. Der Antrag wurde zunächst an die Beigeladene zur Überprüfung der Zuständigkeit weitergeleitet. Nachdem letztere mit Schreiben vom 03.07.1992 zu einem negativen Ergebnis gekommen war, holte die Beklagte ein Gutachten nach Aktenlage vom 20.07.1992 ein, welches bestätigte, dass der erlernte Beruf der Kinderpflegerin nicht mehr ausgeübt werden konnte, zumal mit einer weiteren Verschlimmerung der Beschwerden im Stütz- und Bewegungsapparat zu rechnen war. Eine berufliche Neuorientierung erschien aus ärztlicher Sicht angezeigt. Für die von der Klägerin benannten Tätigkeiten einer Heilpädagogin, Beraterin im erzieherischen Bereich wie Familienberaterin oder sonstige soziale Berufe hielt die Dipl.-Psychologin G. die Eignung nicht für gegeben. Die Klägerin lehnte eine am 04.05.1993 vorgeschlagene Umschulung im kaufmännischen Bereich ab.

Durch Bescheid vom 30.03.1993 gewährte die Beigeladene ihr wegen eines halb- bis unter vollschichtig erhaltenen Leistungsvermögens im erlernten Beruf ab 01.04.1993 bis 31.03.1996 BU-Rente auf Zeit. Durch weiteren Bescheid vom 26.04.1996 wurde rückwirkend ab 01.12.1994 der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit anerkannt und zunächst bis 30.11.1996 EU-Rente auf Zeit gewährt, die in der Folgezeit bis einschließlich November 2005 verlängert wurde.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.11.1993 die von der Klägerin begehrte Umschulungsmaßnahme im erzieherischen/sozialen Bereich ab, bejahte jedoch generell in den Gründen das Vorliegen der Voraussetzungen einer beruflichen Rehabilitation. Im gerichtlichen Vorverfahren ergänzte die Beklagte ihre ablehnende Begründung durch Folgebescheid vom 05.01.1994 dahingehend, dass neben den Zugangsvoraussetzungen auch die erforderliche psychologische Eignung für die angestrebten Umschulungsmaßnahmen im sozialen/erzieherischen Bereich fehlen würden. Gleichzeitig schlug sie die Durchführung einer Berufsfindungsmaßnahme im kaufmännischen Bereich vor und wies den Rechtsbehelf im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.03.1994).

II.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) Landshut holte von Amts wegen ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 30.08.1996 ein, das bei "einem Zustand nach Polyomyelitis mit Rest- und Spätfolgen, einem Zustand nach Verlängerungsosteotomie des rechten Beins und Arthrodese des rechten Sprunggelenks, wirbelsäulenabhängigen Beschwerden, allergischer Diathese" feststellte, dass die Klägerin in ihrem Beruf als Kinderpflegerin nicht mehr tätig sein konnte, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation erschienen allerdings in Anbetracht der deutlich reduzierten psychologischen Belastbarkeit nicht erfolgversprechend. Eine Umschulung zur Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, psychologischen Beraterin etc. erschien nicht sinnvoll, zumal nicht zu erwarten sei, dass sie hierdurch auf Dauer beruflich eingegliedert bleiben würde. Im Hinblick auf die bestehenden erheblichen qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen und unter Berücksichtigung der Neigungen und Interessen der Klägerin vermochte der Sachverständige keine weiteren beruflichen Tätigkeiten zu erkennen, die noch in Betracht kommen könnten.

Aufgrund mündlicher Verhandlung wies das SG die Klage durch Urteil vom 15.10.1996 im Wesentlichen mit der Begründung ab, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei gegenwärtig wegen der vorliegenden Erwerbsunfähigkeit der Klägerin kein Raum für die Gewährung beruflicher Reha-Maßnahmen. Ferner seien die Erfolgsaussichten für deren dauerhafte berufliche Wiedereingliederung aufgrund der vorliegenden Umstände des Falles nicht gegeben. Die Entscheidung wurde den Klägerbevollmächtigten am 30.10.1996 zugestellt.

III.

Mit der am 26.11.1996 über das Ausgangsgericht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter. Die Beklagte nahm nach Anhörung der Klägerin durch Bescheid vom 04.06.1997 die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation dem Grunde nach (Bescheide vom 09.11.1993) wegen eingetretener wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zurück. Dieser Verwaltungsakt wurde nach seiner Rechtsbehelfsbelehrung Gegenstand des Gerichtsverfahrens.

Durch Beschluss vom 04.10.2000 wurde die Bundesanstalt für Angestellte (BfA) beigeladen.

Der Senat hat zunächst auf Antrag der Klägerin ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. S. vom 17.10.2002 auf neurologischem Gebiet eingeholt. Die von diesem festgestellten Gesundheitsstörungen: "Zustand nach Polyomyelitis, Postpolyosyndrom, axonale Polyneuropathie, Zustand nach Arthrodese und Verlängerungsosteotomie rechts, chronische Lumbalgien, multiple Allergien" ließen die Ausübung des erlernten Berufs einer Kinderpflegerin nicht mehr zu. Körperliche Tätigkeiten könnten nicht mehr durchgeführt werden, da die Klägerin aufgrund der Behinderung im Bereich des rechten Beins nicht in der Lage sei, die erforderliche Kraft aufzuwenden. Akkord komme nicht in Betracht, ebenso wenig Arbeiten im Bücken. Dieses Leistungsbild bestehe seit mindestens 1992, eine Besserung sei nicht zu erwarten. Aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen seien die Aussichten der Klägerin auf berufliche Eingliederung sehr schlecht, so dass besondere Hilfen für die berufliche Integration erforderlich seien. Aus neurologischer Sicht werde die Umschulung zur Heilpraktikerin und Psychotherapeutin für sinnvoll gehalten, denn diese Berufsgruppen stellten in idealer Weise Betätigungsfelder für Patienten mit chronischen Vorderhornerkrankungen dar. Eine zusätzliche Begutachtung sei nicht erforderlich.

Die Beklagte sah durch das vorgenannte Gutachten weder die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide noch das erstinstanzielle Urteil erschüttert. Sie verwies insoweit auf eine Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes (ÄD), auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird. Beispielsweise wird dort dargelegt, dass Prof. S. keinerlei Dokumentation der zum Begutachtungszeitpunkt aktuell vorliegenden Beschwerden der Klägerin aufweise. Dessen Beurteilung und Beantwortung der Zielfragen sei weder schlüssig noch nachvollziehbar. Das Gutachten erschüttere insbesondere die früheren Feststellungen zur fehlenden Rehabilitationsfähigkeit nicht. Insgesamt erscheint es dem ÄD nicht vorstellbar, dass die Klägerin zum seinerzeitigen Zeitpunkt eine berufliche Reha-Maßnahme erfolgreich hätte bewältigen können.

Der Senat hat schießlich von Amts wegen Frau Dr. S. beauftragt, ein nervenfachärztliches Gutachten vom 22.09.2003 nebst testpsychologischem Zusatzgutachten zu erstellen. Die Neurologin und Psychiaterin kam hierzu sowie in den ergänzenden Stellungnahmen vom 05.08.2004 und 25.11.2004 bei einem "Zustand nach Polyomyelitis, einem Postpolyosyndrom sowie einer paranoiden Persönlichkeitsstörung" zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ab 1992 und auch zum Untersuchungszeitpunkt täglich maximal vier Stunden unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses tätig sein konnte/kann, wobei allenfalls leichte Arbeiten, vor allem im Sitzen, jedoch auch im Wechsel mit Stehen und Gehen, in geschlossenen Räumen, ohne schweres Heben und Tragen, ohne Bücken und ohne Zeitdruck oder Akkord möglich waren/sind. Nicht geleistet werden konnten/könnten Arbeiten, die durch erhöhte Anforderungen an die psychische Belastbarkeit gekennzeichnet seien. Auf Nachtarbeit sollte verzichtet werden, andererseits sei auf einen behindertengerechten Arbeitsplatz sowie auf eventuelle zusätzliche Ruhepausen zu achten. Bei dem derzeit vorliegenden Beschwerdebild sei von einem Dauerzustand auszugehen, die gesundheitlichen Einschränkungen könnten in absehbarer Zeit nicht behoben werden. Die Klägerin sei nicht in der Lage (gewesen), ihren erlernten und ausgeübten Beruf als Kinderpflegerin weiter auszuüben. Ihre Aussichten, infolge der Gesundheitsstörungen beruflich eingegliedert zu werden, seien in der Vergangenheit wesentlich gemindert gewesen, sie erschienen auch in der jetzigen Situation weiterhin wesentlich gemindert, was durch das testpsychologische Zusatzgutachten des klinischen Psychologen S. unterstrichen werde. Trotz einer gewissen Besserung des Gesundheitszustands in den letzten sieben Jahren sei nicht davon auszugehen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine berufliche Rehabilitation erhalten, verbessert, hergestellt oder wiederhergestellt werden könnte. Es bestehe insgesamt eine deutliche Einschränkung bzw. Minderleistung in Richtung körperliche, psychische und konzentrative Belastbarkeit, was eine erfolgreiche Durchführung einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme eher unwahrscheinlich werden lasse. Eine Umschulung insbesondere zur Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, psychologischen Beraterin oder in andere soziale Berufe werde nicht für sinnvoll gehalten, es sei auch nicht zu erwarten, dass die Klägerin hierdurch auf Dauer beruflich eingegliedert bleibe.

Der Dipl.-Psychologe S. diagnostizierte in seinem vom Senat vorsorglich genehmigten psychodiagnostischen Zusatzgutachten vom 10.09.2003, bei einem knapp durchschnittlichen allgemeinen Intelligenzniveau, das über die meisten Teilbereiche hinweg ziemlich gleichmäßig verlaufe, erscheine das begriffliche Abstraktionsvermögen überdurchschnittlich ausgeprägt, dagegen erziele die Klägerin in der wahrnehmungsgemäßen Differenzierungsleistung nur ein unterdurchschnittliches Resultat. Deutlich gemindert erscheine die konzentrative Belastbarkeit unter kurzzeitiger Anspannung, hier arbeite die Klägerin mit einer viel zu hohen Fehlerquote und mit einer zu geringen Mengenleistung, so dass sich insgesamt eine eher geringe und störanfällige Konzentrationsleistung ergebe. Im projektiven Verfahren zeige sich relativ deutlich, das sie zwar einfachen Alltagsanforderungen noch gewachsen sei, aber komplexere Aufgabenstellungen oder emotionale Belastungssituationen nicht angemessen bewältigen könne. Sie reagiere dann leicht stör- und irritierbar sowie affektiv labil. Insgesamt erscheine ihre allgemeine Belastbarkeit deutlich gemindert und eingeschränkt, was durch die Verhaltensbeobachtung während der psychologischen Untersuchung bestätigt werde. Aufgrund der vorgenannten Einschränkungen bzw. Minderleistungen in Richtung körperliche, psychische und konzentrative Belastbarkeit erscheine die Durchführung einer Umschulungsmaßnahme für die Klägerin nicht empfehlenswert, allenfalls sollte sie neben ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente eine stundenweise Tätigkeit ausüben, eine Arbeit, die ihr Freude bereite, ihren Interessen entspreche und bei der sie sich nicht übermäßig belastet, gestresst und überfordert fühle.

Diese Einschätzungen bestätigte Frau Dr.S. aufgrund wiederholter Einwendungen der Klägerin ausdrücklich in ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 05.08. und 25.11.2004. Auf die Einzelheiten wird verwiesen.

Der Senat leitete den Klägerbevollmächtigten das Gutachten mit Schreiben vom 05.11.2003 zur Stellungnahme und mit dem Hinweis zu, dass eine weitere Begutachtung und Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nicht beabsichtigt sei. Mit Schriftsatz vom 22.02.2004 stellten die Bevollmächtigten "hilfsweise" den Antrag auf Einholung eines neuerlichen Gutachtens nach § 109 SGG, ohne allerdings einen Sachverständigen zu benennen. Im weiterem Schreiben vom 13.09.2004 beantragen sie, das Gutachten eines weiteren Sachverständigen einzuholen. Mit Schriftsatz vom 05.10.2004 wurde rein vorsorglich an dem bereits mit Schreiben vom 24.02.2004 gestellten Antrag festgehalten, ein Gutachten gemäß § 109 SGG einzuholen, wobei erstmals Dr. med. Dipl.- Psych. F. S. , R. als Sachverständiger benannt wurde.

Ein gegen Frau Dr. S. gerichtetes Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 13.09.2004 wurde durch Beschluss vom 17.11.2004 zurückgewiesen.

Der Senat hat neben den Streitakten des ersten Rechtszugs sowie den Reha-Akten der Beklagten die Rentenakten der Beigeladenen beigezogen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.1996 sowie die Bescheide vom 09.11.1993 und 05.01.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.03.1994 und den Bescheid vom 04.06.1997 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr eine berufliche Reha-Maßnahme in Form der Umschulung zur Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, psychologischen Beraterin oder in andere soziale Berufe unter Berücksichtigung ihrer Vorbildung zu gewähren, hilfsweise die Beigeladene zur Gewährung der Reha-Leistung zu verurteilen, hilfsweise ein weiteres Gutachten von Amts wegen nach § 106 SGG einzuholen, hilfsweise die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG von Dr. F. S ...

Der Antrag der Beklagten lautet, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.1996 zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.10.1996 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der Leistungs- und Reha-Akten der Beklagten, schließlich die Akten der Beigeladenen Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 14.04. 2005.

Entscheidungsgründe:

I.

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 SGG grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich im Wesentlichen als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Reha-Leistungen versagenden Bescheide der Beklagten bestätigt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die durch die Bescheide vom 09.11.1993 und 05.01.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.03.1994 versagte Umschulung zur Psychotherapeutin, Heilerziehungspflegerin, Familienberaterin oder Sozialpädagogin etc. im Rahmen der beruflichen Rehabilitation.

Zwar gehört die Klägerin grundsätzlich unstreitig zum Personenkreis der Behinderten im Sinne der §§ 97 Abs.1, 19 Abs.1 des wegen eines vor dem 01.01.1998 nicht zuerkannten Anspruchs anwendbaren Sozialgesetzbuchs III (SGB III), vgl. § 426 SGB III. Hierzu sind alle Personen zu rechnen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs.1 SGB IX nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, § 19 SGB III. Jedoch macht die Beklagte zutreffend geltend, dass sie berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben nur gewähren darf, wenn diese erforderlich sind, damit die Erwerbsfähigkeit körperlich, geistig oder seelisch Behinderter entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit erhalten, gebessert, hergestellt oder wiederhergestellt und die/der Behinderte hierdurch möglichst auf Dauer beruflich eingegliedert werden kann. Dabei sind Eignung, Neigung und bisherige Tätigkeit angemessen zu berücksichtigen.

Ob derartige Hilfen in Betracht kommen, ist zunächst davon abhängig, wie sich die vorliegende körperliche, geistige oder seelische Behinderung im konkreten Fall beruflich auswirkt. Es sind daher grundsätzlich Feststellungen zur beruflichen Situation erforderlich. Maßgeblich ist nicht ein bestimmter Mindestgrad der Behinderung (GdB) im Sinne des SGB IX, ob Leistungen zur beruflichen Rehabilitation in Betracht kommen, richtet sich vielmehr allein danach, ob die Behinderung die berufliche Situation so bedroht, dass Hilfen erforderlich sind, vgl. BSG SozR 4100 § 56 Nr.8.

Insoweit ist es nicht entscheidungserheblich, dass auf Reha-Leistungen im Sinne der §§ 56 ff. Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zur Zeit der Antragstellung ein Rechtsanspruch bestanden hat, der prozessual mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen war. Denn auch seit der Umgestaltung der allgemeinen Leistungen im Sinne des § 98 SGB III in Ermessensleistungen - besondere Leistungen im Sinne des § 102 SGB III kommen nach dem Sachverhalt nicht in Betracht - hat der Träger bei der sog. Eingangsprüfung der Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, §§ 3 Abs.5, 7 SGB III (betreffend das "Ob" der Leistung) das Vorliegen der einschlägigen Eingangsvoraussetzungen der Anspruchsnorm festzustellen, was einer uneingeschränkten gerichtlichen Prüfung unterliegt, § 54 Abs.2 Satz 1 SGG, vgl. BSG SozR 2200 § 1237a Nr.6.

So kann bei allgemeinen Leistungen der Eingliederung behinderter Menschen z.B. überprüft werden, ob die Förderung wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wieder herzustellen. Denn diese Voraussetzungen betreffen den Ermessensbereich nicht, vgl. Niesel, SGB III, 3. Auflage 2005, § 7 Rdnrn.11, 12.

Ausgehend vom erlernten Beruf einer Kinderpflegerin ist allen im Verwaltungs- wie gerichtlichen Verfahren in beiden Instanzen eingeholten Gutachten einmütig zu entnehmen, dass die Klägerin ab Beginn der 90-er Jahre wegen der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage war, diese Tätigkeit vollschichtig auszuüben. Aufgrund des durch die gerichtlich bestellte Neurologin und Psychiaterin Dr. S. überzeugend dargelegten Leistungsvermögens kann die Klägerin derzeit ebenso wie 1992 maximal vier Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitslebens allenfalls leichte Arbeiten im Sitzen, jedoch auch im Wechsel mit Stehen und Gehen, in geschlossenen Räumen, ohne schweres Heben und Tragen, ohne Bücken und ohne Zeitdruck oder Akkord ausführen. Auch scheiden Arbeiten aus, die durch eine erhöhte Anforderung an die psychische Belastbarkeit gekennzeichnet sind. Die Aussichten auf eine berufliche Eingliederung erscheinen danach auch heute noch wesentlich gemindert, wie das testpsychologische Zusatzgutachten des klinischen Psychologen S. vom 10.09.2003 im Einzelnen belegt. Auf dessen Ausführungen wird Bezug genommen.

Trotz einer Besserung vor allem der physischen Beschwerden der Klägerin hält die Sachverständige aufgrund der insgesamt sehr deutlichen Einschränkungen bzw. Minderleistungen in Richtung körperlicher, psychischer und konzentrativer Belastbarkeit bereits die erfolgreiche Durchführung einer angestrebten Rehabilitationsmaßnahme überzeugend für unwahrscheinlich, gleich welches Umschulungsgebiet dies betreffen würde. Angesichts einer fehlenden Ausbildung in einem der angestrebten Berufsbereiche (Heilpraktikerin, Psychotherapeutin, psychologische Beraterin oder andere soziale Beruf) stellt sie eine Eignung der Klägerin in Frage und bezieht dieses auch auf eine dauerhafte berufliche Eingliederungsmöglichkeit. Insoweit steht insbesondere die beschriebene Persönlichkeitsstörung der Klägerin im Sinne einer ICD 10 F 60.0 entgegen, die zwangsläufig zu Konflikten im sozialen Miteinander führen würde. Frau Dr. S. hat diese in ihrem Gutachten vom 22.09.2003 zunächst vorsichtig umschrieben, dies auf Nachfrage in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 25.11.2004 aber bestimmt "mit der den meisten Psychiatern eigenen vorsichtigen Wortwahl" begründet. Sie hat insoweit überzeugend festgestellt, dass bei der Klägerin eine spezifische paranoide Persönlichkeitsstörung gemäß ICD 10 F 60.0 vorliegt, die sich unter Berücksichtigung des Längsschnitts schon sehr früh manifestiert und immer wieder zu Konflikten geführt hat. Sie hält insgesamt an der Einschätzung fest, dass die Eignung der Klägerin weder für eine Reha-Maßnahme noch für eine spätere Eingliederung in den Arbeitsmarkt vorliegt.

Demgegenüber vermochte das vom Senat auf Antrag der Klägerin von dem Arzt ihres Vertrauens, Prof. Dr. S. , gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachtachten vom 17.10.2002 weder das vom SG von Amts wegen eingeholte Gutachten von Dr.W. vom 30.08.1996 (Neurologe und Psychiater) zu erschüttern, noch schlüssig wesentliche neue Gesichtspunkte aufzuzeigen. Wie der ÄD der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 14.04.2003 im Einzelnen ausführt, beantwortet Prof. Dr. S. die entscheidenden Zielfragen nach den wegen geminderter Eingliederungschancen erforderlichen besonderen Hilfen einerseits, der Erhaltung, Verbesserung oder (Wieder-)Herstellung der Leistungsfähigkeit der Klägerin andererseits und schließlich einer Eingliederung möglichst auf Dauer durch die Umschulung nämlich nicht schlüssig. Er setzt sich darüber hinaus nicht mit dem aktuellen Beschwerdebild auseinander, beschränkt sich ausdrücklich auf den neurologischen Bereich und behandelt schließlich die Rehabilitationsfähigkeit im Wesentlichen in allgemeiner Form.

Der Senat sieht sich nach allem außer Stande, sich dem von Prof. Dr. S. erstatteten Gutachten anzuschließen, er folgt vielmehr den überzeugenden, in sich widerspruchsfreien und schlüssigen Darlegungen der von Amts wegen gehörten Neurologin und Psychiaterin Dr. S. , die die Beurteilung der sowohl im Verwaltungsverfahren als auch in erster Instanz gehörten Sachverständigen wesentlich erweitert haben, welche ihre Gutachten im Einklang mit der herrschenden medizinischen Lehrmeinung erstattet und den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt haben. Eine weitere Sachaufklärung im medizinischen Bereich hat sich dem Senat nach allem nicht aufgedrängt. Es bestand insbesondere keine Veranlassung zu einer weiteren Beweiserhebung gemäß § 109 SGG. Soweit die Klägerin die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG begehrt, ist dieser Antrag nicht innerhalb einer angemessenen Frist gestellt worden. Der Senat hat nämlich bereits bei der Zuleitung des Gutachtens vom 22.09.2003 insbesondere darauf hingewiesen, das eine weitere Begutachtung nicht für erforderlich gehalten werde. Spätestens mit Schreiben vom 06.11.2003 hat er darüber hinaus klargestellt, dass eine weitere Begutachtung von Amts wegen nicht beabsichtigt sei.

Der erstmals mit Schriftsatz vom 24.02.2004 "hilfsweise" gestellte Antrag nach § 109 SGG hat demgegenüber noch keinen bestimmten Arzt bezeichnet, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 109 Anm.10a, die nach weiteren nahezu acht Monaten erfolgte Benennung des Sachverständigen im Schriftsatz vom 05.10.2004 ist jedenfalls nicht in angemessener Frist erfolgt. Sie heilt die bis dahin nicht ordnungsgemäß erfolgte Antragstellung nicht. Im Übrigen ist im Berufungsverfahren ein Antrag nach § 109 SGG jedenfalls auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet durch die Einholung des Gutachtens von Prof.Dr.S. bereits verbraucht.

Mit Ausnahme des Bescheids vom 04.06.1997, der deshalb aufzuheben war, weil der Ausgangsbescheid im Verfügungssatz keine Entscheidung über Reha dem Grunde nach enthalten hat, sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten ebenso wenig zu beanstanden wie das Urteil des SG, so dass die Berufung der Klägerin zurückzuweisen war.

Auch kam eine Verurteilung der Beigeladenen nicht in Betracht. Denn ungeachtet des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ist nach dem oben erörterten Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls die Eignung der Klägerin ebenso wenig gegeben wie eine Wiedereingliederungsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt.

II.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang konnte die Beklagte nicht zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet werden, die der Klägerin zu deren Rechtsverfolgung in beiden Instanzen entstanden sind.

III.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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