L 5 R 675/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 1630/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 675/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1952 im vormaligen Jugoslawien geborene Klägerin ist Angehörige des Staates Bosnien und Herzegowina und hat ihren Wohnsitz in B ... Sie ist ohne Berufsausbildung und war in Deutschland von 1973 bis Mai 1995 versicherungspflichtig beschäftigt. In der Heimat bestehen keine Versicherungszeiten.

Einen ersten Rentenantrag vom 27.11.1995 lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 26.11.1997 - bestätigt durch ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 29.01.1998 - ab, weil die Klägerin mehrfachen Aufforderungen zur Untersuchung in Deutschland ohne sachlichen Grund nicht nachgekommen sei und damit gegen ihre Mitwirkungspflichten verstossen habe. Entscheidungsgrundlage waren jeweils prüfärztliche Stellungnahmen des Dr.D. (19.11.1997/19.01.1998), welcher ein Fernbleiben von der Untersuchung ohne Entschuldigung sowie nicht bestehende Reiseunfähigkeit zumindest mit einer Begleitperson festgestellt hatte. Dieser war zu seiner Entscheidung auf Grund ärztlicher Befund- und Behandlungsberichte aus der Heimat der Klägerin einschließlich dem Gutachen der Ärztekommission B. vom 24.06.1996, sowie insbesondere eines neurologisch/psychiatrisches Attestes des Dr.M. vom 12.06.1997, welche im Wesentlichen psychische Störungen sowie Erkrankungen der Wirbelsäule beinhaltet hatten, gekommen.

Einen weiteren Überprüfungsantrag zum Ablehnungsbescheid vom 29.01.1998 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 05.02.1999 mit der Begründung ab, die vorhandenen sowie erneut übermittelten ärztlichen Unterlagen seien für eine Beurteilung der rentenrechtlichen Leistungsfähigkeit nicht ausreichend, so dass eine Begutachtung in Deutschland notwendig sei, welcher sich die Klägerin jedoch ohne hinreichenden Grund verweigert habe. Im anschließenden Widerspruchsverfahren erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 23.03.1999, die Beklagte möge eine Ladung zur Untersuchung in R. übersenden bei "Berücksichtigung der derzeitigen Situation". Mit Schreiben vom 05.05.1999 erklärte sich die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides bereit, sobald die erforderliche Untersuchung in Deutschland erfolgt sei; damit sei das Widerspruchsverfahren erledigt.

In der Folgezeit kam die von Dr.D. weiterhin für erforderlich gehaltene Untersuchung in Deutschland nicht zu Stande, obgleich die Beklagte mit Schreiben vom 02.08.2001 sowie vom 12.12.2001 erneut auf deren Erforderlichkeit und auf die Möglichkeit, bei fehlender Wirkung die Gewährung von Leistungen abzulehnen, hingewiesen hatte. Unter dem 16.01.2002 erklärte die Klägerin ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung. Sofern diese in Deutschland durchgeführt werden müsse, entstünde aber eine Disproportion zwischen der begehrten Rente einerseits und einer zu erwartenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes andererseits. Sie berufe sich auf das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen und könne wegen ihres gesundheitlichen Zustandes nicht zur ärztlichen Untersuchung nach Deutschland reisen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2002/ Widerspruchsbescheid vom 06.06.2002 den (am 30.11.1998 eingegangenen) Überprüfungsantrag vom 19.11.1998 sowie den Widerspruch vom 19.02.1999 ab mit der Begründung, die Klägerin habe gegen ihre gesetzlichen Mitwirkungspflichten verstossen. Sie sei zu einer medizinisch erforderlichen Untersuchung in Deutschland nicht erschienen, ohne hierfür ausreichende sachliche Gründe geltend machen zu können.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat sich die Klägerin unter Berufung auf das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen bereit erklärt, sämtliche Untersuchungen in ihrer Heimat durchzuführen zu lassen. In einem vom SG eingeholten psychiatrischen Gutachten der Dr.M. (27.05.2003) nach Aktenlage hat diese diagnostiziert: - Agoraphobie mit Panikattacken und - depressives Syndrom.

Die Klägerin sei in ihren psychischen und geistigen Funktionen eingeschränkt, gleichwohl aber fähig, insbesondere in Begleitung und gegebenenfals unter Gabe eines angstlösenden Medikamentes nach Deutschland zu reisen. Die Intensität der Erkrankung könne alleine aufgrund der Aktenlage nicht beurteilt werden. Eine Untersuchung in der Heimat sei nicht ebenso gut geeignet, den gesundheitlichen Zustand abzuklären, wie eine Untersuchung in Deutschland. Die Ausführungen, die Klägerin erlebe Deutschland als feindselige Umgebung und könne deshalb nicht zur Untersuchung anreisen, sei nicht überzeugend; immerhin habe sie ca. 23 Jahre lang in Deutschland gearbeitet.

Auf Hinweisschreiben des SG vom 26.05.2003, die Sachaufklärung müsse mit diesem Gutachten als abgeschlossen angesehen werden, falls die Klägerin sich nicht bis 31.07.2003 zur ärztlichen Untersuchung in Deutschland bereit erkläre, hat die Klägerin erwidert, sie wolle nicht durch ein angstlösendes Medikamente in einen Rauschzustand versetzt werden und sehe eine Untersuchung in der Heimat als vorteilhafter an.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe die Leistungsgewährung wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin versagen dürfen. Diese habe die Sachverhaltsaufklärung erheblich erschwert bzw. unmöglich gemacht, ohne hierfür einen relevanten Grund besessen zu haben. Nach dem Gutachten der Dr.M. sei eine Untersuchung in Deutschland erforderlich, zumutbar und möglich gewesen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und sich auf das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen bezogen, wonach eine Untersuchung in der Heimat zielführender sei. Ein Schreiben des Senats an die behandelnden Ärzte und Kliniken der Klägerin ist unbeantwortet geblieben. Nach Terminierung der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ein Attest der Dr. L. übersandt, wonach die Klägerin in den letzten zehn Jahren psychisch behandelt worden sei. Die medizinische Dokumentation sei 1999 wegen eines NATO-Bombardements vernichtet worden. Wegen einer kürzlichen NATO-Bombardierung habe die Klägerin bis 2002 ihren Hof nicht verlassen; sie werde seit drei Jahren in der Psychiatrischen Ordination behandelt wegen Angstzuständen, verminderter Frustrationstoleranz, Depressionen, Anzeichen von Besessenheit sowie passiver Abhängigkeit. Der Zustand habe sich unter Medikation gebessert.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 20.11.2003 sowie des Bescheides vom 29.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2002 sowie der Bescheide vom 05.02.1999 und 29.01.1998 einschließlich des Bescheides vom 29.11.1997 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß Antrag vom 27.11.1995 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20.11.2003 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 02.08.2005 waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29.01.2002/Wider- spruchsbescheid vom 06.06.2002 hat die Beklagte über den Rentenantrag vom 27.11.1995 sowie den Überprüfungsantrag vom 19.11.1998 (insoweit mit dem Eingangsdatum 30.11.1998 bezeichnet) und den Widerspruch vom 19.02.1999 wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin abschlägig entschieden. Dadurch hat die Beklagte es abgelehnt, gemäß § 44 SGB X die ursprüngliche Ablehnungsentscheidung vom 29.01.1998 aufzuheben und der Klägerin eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Damit hat die Beklagte gleichzeitig entschieden, dass sie den Rentenanspruch der Klägerin unter Einbezug aller Überprüfungs- und Neufeststellunganträge in Bezug auf den ursprünglichen Antrag vom 27.11.1995 überprüft und abgelehnt hat.

Diese Entscheidung ist zu Recht ergangen. Die Beklagte hat im Bescheid vom 29.01.1998 die Bewilligung der begehrten Rente zu Recht abgelehnt und sich dabei zutreffend auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch I - SGB I - gestützt. Dieser begründet die Möglichkeit, einen Rentenanspruch wegen fehlender Mitwirkung bei der erforderlichen Sachverhaltsaufkärung abzulehnen. Die in der Folgezeit ergangenen Überprüfungsentscheidungen sind zu Recht ergangen, denn die Klägerin hat ohne sachlichen Grund seit der Erstantragstellung die erforderliche Mitwirkung bei der Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes verweigert. Das gleiche gilt, soweit die Beklagte die von der Klägerin seit 27.11.1995 geäußerten Begehren als Anträge auf Rentengewährung gewertet hat.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X.

Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I - nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, § 66 Abs.1 SGB I. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist, § 66 Abs.3 SGB I.

Ein Rentenanspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften des Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden alten Fassung (a.F) und soweit ein Rentenanspruch (erstmals) für Zeiten ab dem 01.01.2001 in Betracht käme, nach der ab 01.01.2001 geltenden neuen Fassung (n.F.)., § 300 SGB VI.

Nach § 43 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig sind 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Nach § 44 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie unter den im Übrigen gleichen Voraussetzungen wie § 43 SGB VI erwerbsunfähig sind.

Nach § 240 SGB VI n.F. haben Versicherte, die wie die Klägerin vor dem 02.01.1961 geboren sind, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser sowie voller Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des neuen Rechts (§ 43 SGB VI n.F.) setzt eine gegenüber der Berufsunfähigkeit noch weiter herabgesetzte Erwerbsfähigkeit voraus.

Ausgangspunkt bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit sowie der ganzen oder teilweisen Erwerbsminderung ist das gesundheitliche Leistungsvermögen des Versicherten. Dieses ist im Falle der Klägerin herabgesetzt, wie sich aus den medizinischen Dokumenten, die in der Heimat der Klägerin erstellt worden sind, unzweifelhaft ergibt. Ob diese Erkrankungen ihre Leistungsfähigkeit jedoch soweit herabgesetzt haben, dass sie berufs-, erwerbsunfähig oder erwerbsgemindert wäre, lässt sich anhand der Dokumentation nicht zweifelsfrei feststellen. Insoweit folgt der Senat dem überzeugenden Gutachten der Dr.M. , welches das SG eingeholt hat. Diese führt insbesondere aus, dass eine Diskrepanz besteht zwischen dem von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitszustand, den durchgeführten Behandlungen, dem Fehlen insbesondere einer stationären Behandlung und dem nicht exakt feststellbaren Leidensdruck der Klägerin. Diese Fragen abzuklären erforderte nach den insoweit ebenfalls überzeugenden Feststellungen der Dr.M. eine Untersuchung der Klägerin in Deutschland.

Die Teilnahme an einer Untersuchung in Deutschland wäre der Klägerin auch zumutbar gewesen; insoweit schließt sich der Senat ebenfalls dem Gutachten der Dr.M. an. Sie hat ausgeführt, dass nach den medizinischen Unterlagen die Reisefähigkeit der Klägerin nicht soweit herabgesetzt sei, dass sie - eventuell mit Begleitperson und nach zumutbarer angstlösender Behandlung - nicht nach Deutschland reisen könne. Die Gabe von angstlösenden Medikamenten wäre ebenfalls zumutbar; die von der Klägerin angegebenen Rauschzustände sind bei nur angstlösender Medikation nicht zu befürchten

Die Klägerin wurde auch von der Beklagten - ebenso wie durch das SG - unzweifelhaft darauf hingewiesen, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen hat, eine Untersuchung in Deutschland unerlässlich ist und dass im Falle einer unberechtigten Verweigerung der Untersuchung in Deutschland allein deshalb die Rente versagt werden kann. Gleichwohl hat sich die Klägerin einer Untersuchung in Deutschland verweigert. Die Beklagte war damit berechtigt, die Leistungsgewährung gemäß § 66 SGB I bis zur Nachholung der fehlenden Mitwirkung zu verweigern. Die streitgegenständlichen Entscheidungen sind deshalb aus Rechtsgründen ebensowenig zu beanstanden wie der Gerichtsbescheid des SG Landshut vom 20.11.2003. Der Berufung musste deshalb in vollem Umfange der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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