L 2 U 362/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 71/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 362/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 06.08.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Bei dem 1944 geborenen Kläger ist als Folge einer lärmbelasteten Tätigkeit, die bis 31.12.1998 ausgeübt wurde, eine Lärmschwerhörigkeit mit Tinnitus als Berufskrankheit anerkannt. Streitig ist, ob die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für eine Verletztenrente ausreicht.

Erstmals im Jahre 1991 erfolgte eine Berufskrankheitenanzeige, in der u.a. von einem teilweisen Tinnitus rechts die Rede ist. Die Beklagte holte ein Gutachten des HNO-Arztes Prof. Dr.T. vom 25.02.1992 ein, das zu einer durch Lärmschwerhörigkeit bedingten MdE um 15 v.H. kam. Im audiologischen Befundbogen wurde ein zeitweiliges, mäßig belastendes Rauschen am rechten Ohr angegeben. Die Beklagte informierte den Kläger, dass die von dem Sachverständigen angesetzte MdE für die Gewährung einer Rente nicht ausreiche.

Nach einem Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten für ein Hörgerät holte die Beklagte ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.M. vom 16.05.1997 ein. Dort gab der Kläger an, keine Ohrgeräusche und keinen Schwindel zu haben. Der Gutachter schätzte die MdE auf 15 v.H. und die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 26.08.1997, mit dem die Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gewährung von Verletztenrente ab.

Bei einer weiteren Begutachtung durch Dr.M. am 19.07.1999 gab der Kläger an, seit etwa einem bis drei Jahren Ohrgeräusche zu haben. Der Sachverständige stellte eine weitere Hörminderung im Tieftonbereich fest, die er für nicht lärmbedingt hielt. Der Tinnitus könne durch hypertone Regulationsschwierigkeiten hinzugekommen sein. Er schätzte die MdE insgesamt auf 20 v.H. und nach Abzug eines nicht berufsbedingten Anteils auf 15 v.H. für die Folgen der Berufskrankheit. Prof.Dr.T. hatte gegen eine solche Abgrenzung Einwendungen, so dass die Beklagte den Sachverständigen Dr.H. mit einem Gutachten vom 17.04.2000 hörte. Dort gab der Kläger an, seit 1990 beidseits ständig störende Ohrgeräusche zu haben. Der Sachverständige hielt den gesamten Hörschaden für lärmbedingt, desgleichen den Tinnitus. Dem schlossen sich alle später gehörten Sachverständigen an. Das Sprachaudiogramm erwies sich jedoch als günstiger als zuvor, die MdE schätzte der Sachverständige auf 10 v.H., unter Berücksichtigung des Tinnitus auf 15 v.H. In einer Stellungnahme wies Prof.Dr.T. darauf hin, dass die sprachaudiometrisch bewertete Hörschädigung mit 10 bis 15 v.H. zu bewerten sei, der Tinnitus aber keine Erhöhung auf über 15 v.H. rechtfertige. Er wies, insoweit in Übereinstimmung mit Dr.H. , ferner darauf hin, dass Angabeungenauigkeiten vorliegen müssten, die sich in einer Diskrepanz zwischen Ton- und Sprachaudiogramm äußerten sowie in dem nunmehr günstiger gemessenen Hörvermögen.

Mit Bescheid vom 11.08.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab und wies den anschließenden Widerspruch mit Bescheid vom 07.02.2001 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. begehrt.

Der vom Sozialgericht als Sachverständiger gehörte HNO-Arzt Prof.Dr.W. ist in seinem Gutachten vom 16.08.2002 davon ausgegangen, dass der Kläger weiter lärmbelastet tätig sei, hat die MdE aus einem Mittel von Ton- und Sprachaudiogramm (30 und 20 %) errechnet und ist unter Berücksichtigung des Tinnitus auf eine MdE um 30 v.H. gekommen. Auf Hinweise der Beklagten, dass die Tätigkeit zum 31.12.1998 aufgegeben worden sei und für die Ermittlung der MdE das Königsteiner Merkblatt maßgeblich sei, hat der Sachverständige ein Mittel aus den Tonaudiogrammen im Jahre 1997 gebildet. Prof.Dr.T. hat hierzu ausgeführt, dass nach dem Königsteiner Merkblatt grundsätzlich das Sprachaudiogramm maßgeblich sei, eine Ausnahme hiervon nicht vorliege, die Befunde des Dr.H. als dem Ende der lärmbelasteten Tätigkeit am nächsten maßgeblich seien und die MdE mit 15 v.H. einzuschätzen sei.

Mit Urteil vom 06.08.2003 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich auf die Gutachten gestützt, denen die Entscheidung der Beklagten entsprach.

Mit seiner Berufung beantragt der Kläger, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 06.08.2003 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 11.08.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2001 zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten Berufskrankheit und des Tinnitus Rente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein Gutachten des HNO-Arztes Dr.H. vom 21.06.2004 eingeholt, der die MdE unter Berücksichtigung des Tinnitus auf 15 v.H. schätzt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der HNO-Arzt Dr.W. als Sachverständiger mit Gutachten vom 10.12.2004 gehört worden. Der Sachverständige geht auf die unterschiedlichen, nicht immer stimmigen Messergebnisse ein, weil die zahlenmäßig relativ geringen Unterschiede in den audiometrischen Untersuchungen für die Beurteilung des Hörverlustes und damit der MdE von wesentlicher Bedeutung für die Frage seien, ob die MdE den Schwellenwert von 20 erreiche. Es seien immer Schwankungen durch unterschiedliche Konzentrationsfähigkeit, unterschiedliche äußere Bedingungen und unterschiedliche Untersucher möglich und zu berücksichtigen. Es erscheine die Annahme gerechtfertigt, dass die unterschiedlichen tonaudiometrischen Ergebnisse durch unterschiedliche Konzentrationsfähigkeit an den einzelnen Untersuchungstagen bedingt gewesen seien. Der Sachverständige schließt sich den Bewertungen der Vorgutachter mit Ausnahme des Prof.Dr.W. an. Bei dem seiner Ansicht nach deutlich belastenden Tinnitus sei eine MdE um 10 v.H. ab dem Ausscheiden aus dem Berufsleben gerechtfertigt. Das Gutachten Dr.M. vom 16.05.1997 ergebe eine MdE um 15 v.H., da ein Tinnitus nicht geklagt sei. Das Gutachten vom 19.07.1999 ergebe nach dem Sprachaudiogramm eine MdE um 20 v.H., mit dem Tinnitus 25 v.H., jedoch hätten spätere Messungen bessere Ergebnisse gezeigt. Die Messung bei Dr.H. am 17.04.2000 ergebe eine MdE um 10 bis 15 v.H. Für die Beurteilung eines lärmbedingten Schadens müsse man annehmen, dass bei mehrmaliger Untersuchung das relativ beste Ergebnis am ehesten den organischen Schaden widerspiegele. Bei einer MdE um 10 bis 15 v.H. und für den Tinnitus um 10 v.H. bestehe letztlich ein Ermessensspielraum des Gutachters bzw. des Gerichts. Da der Tinnitus sich jetzt als sehr belastend herausgestellt habe, sei eine Gesamt-MdE um 20 v.H. gerechtfertigt. Die nunmehr festgestellten Verschlechterungen des Hörvermögens fielen in den Zeitraum nach der Lärmbelastung und seien deshalb eindeutig nicht mehr dieser zuzuordnen.

Prof.Dr.T. weist für die Beklagte hierzu wiederum auf die unterschiedlichen Messergebnisse sowohl sprach- als auch tonaudiometrisch hin, die sich bei den einzelnen Gutachtern nicht parallel änderten und spricht erneut von einem Angabeproblem. Der gemessene Tinnitus sei audiometrisch nicht möglich, es würden Töne als tinnitusverdeckt angegeben, die wenige Minuten vorher nicht wahrgenommen worden seien. Ihm erschienen unter Berücksichtigung der Angabeungenauigkeiten 15 v.H. für die MdE-Bewertung ausreichend.

In einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme schließt sich Dr.H. dieser Einschätzung an. Die Diskrepanz zwischen Besserung des Tonaudiogramms und Verschlechterung des Sprachaudiogramms dürfe nicht zu einer Erhöhung der MdE führen. Seine eigene Einschätzung stütze sich nicht auf die von ihm erhobenen Messbefunde, weil ein im Jahre 2004 gewonnenes Sprachaudiogramm nicht den Werten am Ende der Lärmtätigkeit entspreche und nur der Lärmschaden beurteilt werden dürfe. Ohne Berichtigung des Tinnitus sei die Lärmschwerhörigkeit mit 10 bis 15 v.H. zu bewerten.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat wegen der Folgen der Berufskrankheit keinen Anspruch auf Verletztenrente. Die hieraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit erreicht nicht wenigstens 20 v.H.

Nach § 56 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII ist Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente u.a., dass die Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalles um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Das trifft im vorliegenden Fall nach Überzeugung des Senats nicht zu.

Für die Bewertung der MdE aufgrund einer Lärmschwerhörigkeit ist das Königsteiner Merkblatt ein geeigneter Maßstab, wie sich aus allen Sachverständigengutachten ergibt, die einen nachvollziehbaren Bewertungsmaßstab anwenden (s. auch Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage S.435). Das Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.W. legt keinen nachvollziehbaren Bewertungsmaßstab offen und ist nach Ansicht aller anderen Sachverständigen für die MdE-Bildung nicht geeignet.

Es muss nach dem Ergebnis aller Sachverständigengutachten davon ausgegangen werden, dass die MdE maßgeblich ist, die zum Ende der Lärmexposition vorgelegen hat, und weitere Verschlechterungen nicht mehr lärmbedingt sein können. Dabei ist die gesamte Schwerhörigkeit zu diesem Zeitpunkt der anerkannten Berufskrankheit zuzuordnen. Von mehreren unterschiedlichen, für die Bewertung der MdE heranzuziehenden Sprachaudiogrammen ist im Zweifel das beste Ergebnis zugrunde zu legen, denn unterschiedliche Messergebnisse können nur auf Umstände zurückzuführen sein, die nicht auf Organschäden im Gehör beruhen und ein Versicherter kann keine günstigeren Angaben machen, als seinem Hörvermögen entspricht, wohl aber ungünstigere. Bezüglich des Tinnitus gehen alle Sachverständigen davon aus, dass jedenfalls zum Expositionsende ein solcher bestanden hat, der durch Lärm verursacht wurde. Dem entspricht auch die Anerkennung durch die Beklagte.

Wie sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten mit Ausnahme des Gutachtens des Prof.Dr.W. ergibt, bedingt das beste Sprachaudiogram nach Beendigung der Berufstätigkeit und damit der Lärmexposition eine MdE um 10 bis 15 v.H. Ein Tinnitus ist mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten, sofern er belastenden Charakter hat und führt grundsätzlich zu einer Addition von nicht mehr als 5 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin a.a.O. S.442). Damit würde im vorliegenden Fall eine MdE um 20 v.H. nicht erreicht, weil die Addition sonst mit 5 bis 10 v.H. vorgenommen würde. Dies entspricht der Einschätzung der Sachverständigen Dr.H. und Prof.Dr.T ... Gegen eine höhere Bewertung, wie sie Dr.W. vorgenommen hat, hat der Senat Bedenken. Der von diesem Sachverständigen als hoch belastend angesehene Wert ist erst im Jahre 2004 gemessen worden und damit erhebliche Zeit nach dem Ende der lärmbelasteten Tätigkeit. Gegen diese letzte Messung bestehen darüber hinaus erhebliche Bedenken, die von Prof. Dr.T. im Einzelnen dargelegt worden sind. Danach entspräche der Messwert allein den Angaben des Klägers und wäre objektiv nicht möglich. Hinzu kommt, dass beim Kläger durchgehend Angabeungenauigkeiten bestanden haben, auf die alle Sachverständigen hingewiesen haben. Das Gericht hat dies zu berücksichtigen und kann deshalb auf zwischenzeitlich verdeutlichte Beschwerdeangaben keine dem Kläger günstige Überzeugung stützen. In diesem Zusammenhang ist auf die zeitnahen Angaben des Klägers zum Tinnitus hinzuweisen: Während 1991 ein zeitweiser Tinnitus rechts angegeben wurde, wurden im Jahre 1997 Ohrgeräusche verneint, im Juli 1999 als seit etwa einem bis drei Jahren und im April 2000 seit 1990 beidseits ständig bestehend und störend angegeben. Die Erhöhung der MdE wegen des Tinnitus über das hierfür grundsätzlich geltende Maß hinaus ist deshalb im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, weil am Nachweis der eine solche Erhöhung rechtfertigenden Belastung erhebliche Zweifel verblieben sind.

Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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