L 9 AL 445/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 195/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 445/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2002 wird zurück- gewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten. Die Klägerin hat der Beigeladenen deren notwendige Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Abzweigung eines Anspruchs der Beigeladenen auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) im Zeitraum 04.01. 2002 mit 30.09.2004 streitig.

I.

Die Beklagte gewährte der Beigeladenen zuletzt durch Bescheid vom 28.01.2002 Alhi ab 01.01.2002 in Höhe von Euro 99,75 wöchentlich (Bemessensentgelt (BE) Euro 220,40; Leistungssatz 57 v.H.; Leistungsgruppe B/1). Am 17.01.2002 hatte die Beigeladene erklärt, sie übe derzeit eine Nebentätigkeit nicht aus.

Auf den Antrag der 1989 geborenen minderjährigen Klägerin, Tochter der Beigeladenen aus deren erster Ehe, vom 04.01.2002, der auf einen titulierten Unterhaltsanspruch gestützt war, dem die Beigeladene seit Jahren unstreitig nicht nachgekommen ist (Versäumnisurteil des Amtsgerichts U.-Familiengericht vom 17.08.1992, Az.: 4 F 507/92: "monatlicher Unterhalt ab 01.07.1992 in Höhe von DM 256,00 monatlich, fällig zum ersten eines jeden Monats"), versagte die Beklagte durch Bescheid vom 22.02.2002 die Abzweigung gem. § 48 SGB I, da die Beigeladene die gewährte Lohnersatzleistung zum Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts benötige. Die Voraussetzungen einer Auszahlung gem. § 48 SGB I seien nicht erfüllt. Der hiergegen eingelegte Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.03.2002). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Entscheidung über eine Abzweigung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, die alle Umstände des Einzelfalls zu beachten habe, insbesondere die Interessen der Beteiligten und deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Außerdem müsse eine wesentliche Verletzung der Unterhaltspflicht vorliegen. Die Ermessensentscheidung umfasse auch die Frage, in welcher Höhe die Leistung abzuzweigen sei. Der auszuzahlende Betrag dürfe einerseits den Unterhaltsanspruch der Berechtigten nicht übersteigen, andererseits müsse der Leistungsberechtigten für den eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Kinder ein angemessener Betrag verbleiben. Die Beigeladene beziehe laufende Alhi in Höhe von wöchentlich Euro 99,75, für das in ihrem Haushalt lebende weitere Kind werde Kindergeld in Höhe von Euro 154,00 sowie Unterhalt in Höhe von Euro 229,06 gezahlt, weitere Einkünfte und Bezüge seien nicht bekannt. Sie verfüge somit über Gesamteinkünfte von monatlich Euro 810,56, welche den notwendigen Eigenbedarf nach der "Düsseldorfer Tabelle" in Höhe von Euro 1.290,00 nicht übersteige (Personen mit einem Kind, die nicht erwerbstätig sind).

Am 14.06.2002 heiratete die Beigeladene erneut und nahm ihren Mädchennamen R. wieder an, der gleichzeitig auch der gemeinsame Ehename wurde.

Die Beklagte stellte durch Bescheid vom 16.12.2002 eine Sperrzeit für den Zeitraum 27.11.2002 mit 18.02.2003 fest. Nach den Angaben im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" zum Antrag auf Alhi verfügte der 1978 geborene Ehemann der Beigeladenen weder über Einkommen noch Vermögen. Er, der im Übrigen seit 1999 ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet war, war nach Angaben der Beigeladenen von November 2002 mit Juni 2003 und ab 10.12.2003 mit 10.02.2005 (14 Monate) inhaftiert.

Die Beigeladene wurde am 01.12.2003 aus dem Leistungsbezug abgemeldet, da sie als Selbständige einen Existenzgründungszuschuss erhielt.

Im Laufe des Berufungsverfahrens teilte Letztere mit, das Sorgerecht für die Klägerin sei ihr inzwischen durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 08.03.2005 übertragen worden, die Klägerin wohne bereits seit 13.01.2005 bei ihr.

II.

Mit der am 03.04.2002 zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage begehrte die seinerzeit durch ihren Vater gesetzlich vertretene Klägerin, es möge der Sozialhilfebedarf ermittelt und überschüssiges Einkommen bis Euro 130,89 zu Händen ihres Vaters ausgezahlt werden. Die Beigeladene verfüge über verschleiertes Einkommen aus Haushaltsführung im Rahmen einer nichtehelichen, ab 14.06. 2002 ehelichen, Lebensgemeinschaft. Sie sei seit 1992 ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachgekommen. Ihr Bedarf könne lediglich auf den Regelsatz eines Haushaltsvorstands in Bayern zzgl. 20 % = Euro 340,80 monatlich veranschlagt werden. Ihr Einkommen übersteige den sozialhilferechtlichen Eigenbedarf, zumal der entsprechende Bedarf des bei ihr wohnenden Sohnes M. voll durch den Unterhalt und das Kindergeld abgedeckt werde. Ihr Vater beziehe eine Erwerbsunfähigkeitsrente, welche für den gemeinsamen Unterhalt nicht ausreiche.

Demgegenüber verwies die Beklagte unter anderem darauf, dass der Eigenbedarf der Beigeladenen sowie ihres weiteren Sohnes den Alhi-Satz übersteige. Auf den Widerspruchsbescheid wurde Bezug genommen. Auch nach der erneuten Verehelichung der Beigeladenen betrage der Alhi-Satz unverändert Euro 99,75 wöchentlich.

Aufgrund mündlicher Verhandlung wies das SG Augsburg die Klage durch Urteil vom 21.11.2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, der notwendige Selbstbehalt bei Nichterwerbstätigen nach der "Düsseldorfer Tabelle" belaufe sich auf Euro 730,00. Die bezogene Alhi in Höhe von Euro 432,00 monatlich liege weit darunter, auch nach der Eheschließung habe sich die finanzielle Situation im laufenden Jahr nicht verbessert. Das Urteil wurde dem Vater und seinerzeitigen gesetzlichen Vertreter der Klägerin am 10.12.2002 zugestellt.

III.

Mit der am 12.12.2002 über das Ausgangsgericht eingelegten Berufung wird im Wesentlichen eingewandt, die Beklagte habe kein Ermessen ausgeübt. Zwar könne grundsätzlich auf die "Düsseldorfer Tabelle" abgestellt werden, jedoch sei immer eine konkrete Einzelfallprüfung erforderlich. Die Tabelle enthalte z.B. Mietkosten, die bei der Beigeladenen nicht angefallen seien, da sie in einer Notunterkunft wohne. Nach der Aufnahme einer selbständigen Beschäftigung wurde insoweit vorgetragen, dass das Erwerbseinkommen der Beigeladenen nunmehr zum Einkommen hinzuzurechnen sei. Sie erhalte Euro 600,00 für die Ich-AG. Insoweit werde auf Umsatzentwicklungen im ersten, zweiten und dritten Quartal 2004 Bezug genommen.

Demgegenüber verweist die Beklagte darauf, dass der Ehemann der Beigeladenen seit Jahren kein Einkommen erziele und dass der Selbstbehalt nach der "Düsseldorfer Tabelle" deutlich höher liege als der Alhi-Satz. Das für das nichteheliche Kind der Beigeladenen gewährte Kindergeld zähle nicht zu deren unterhaltsrechtlichem Einkommen, wie die Leitlinien der Tabelle ergäben, desgleichen nicht der gewährte Barunterhalt. Dies sei anders als bei Bedarfsgemeinschaften nach dem Recht der Sozialhilfe. Darüber hinaus komme eine Abzweigung bereits ohne Anrechnung von Nebeneinkommen nicht in Frage. Wenn Nebeneinkommen anfalle, würde es auf die Alhi angerechnet, so dass diese noch niedriger sei, eine Abzweigung mithin erst recht nicht rechtfertige. Im Übrigen sei streitig, ob bei Erlass des angefochtenen Bescheids (Versagung der Abzweigung) ein Anspruch auf die Abzweigung bestanden habe. Soweit später eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten sei, habe diese keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, da derart unvorhersehbare Ereignisse nicht einbezogen werden könnten. Ab dem Eintritt dieser Ereignisse hätte die Klägerin vielmehr erneut einen Antrag auf Abzweigung stellen müssen. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass eine konkrete Verpflichtung zum Unterhalt im Rahmen des § 48 SGB I nur angenommen werden könne, wenn die Klägerin unterhaltsbedürftig und die Beigeladene unterhaltsfähig sei. Dies sei angesichts der bis 30.11.2003 gewährten Alhi in Höhe von Euro 432,25 bzw. Euro 421,63 monatlich nicht der Fall. Darüber hinaus habe die Beklagte der Beigeladenen durch Bescheid vom 14.11.2003 ab 01.12.2003 einen monatlichen Existenzgründungszuschuss in Höhe von Euro 600,00 gewährt. Demgegenüber betrage deren Selbstbehalt nach der "Düsseldorfer Tabelle" im Fall der Nichterwerbstätigkeit Euro 730,00, im Fall der Erwerbstätigkeit Euro 840,00. Die Lohnersatzleistung liege also deutlich unter diesem notwendigen Selbstbehalt, welcher ihr auch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Unterhaltstitels zu belassen sei. Die Beklagte hält außerdem weiter daran fest, dass die Verhältnisse zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich seien.

Die Beigeladene trägt vor, seit Dezember 2003 selbständig zu sein und Euro 600,00 im Rahmen einer Ich-AG für die Existenzgründung eines Schreibbüros zu erhalten. Ein Umsatz sei bislang nicht erzielt worden. Im Übrigen sei eine Abzweigung nicht möglich. Außerdem liege keine Notlage des Vaters der Klägerin vor, der mit einer EU-Rente in Höhe von Euro 876,66 monatlich und einem erzielten Kindergeld in Höhe von Euro 154,00 bereits ohne Hinzuverdienst Euro 1.030,66 zur Verfügung habe. Nach Abzug der Miete in Höhe von Euro 363,61 verbleibe für den Lebensunterhalt ein Betrag in Höhe von Euro 667,00. Das Sorgerecht sei im Übrigen durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 08.03.2005 auf sie, die Beigeladene, übertragen worden. Die Klägerin lebe seit 13.01.2005 bei ihr.

Der Senat hat neben den Leistungsakten der Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen und eine Auskunft des Landkreises N. eingeholt. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2002 sowie des Bescheides der Beklagten vom 22.02. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03. 2002 die Beklagte zu verurteilen, ab Antragstellung der Klägerin am 04.01.2002 den titulierten Unterhaltsanspruch des Amtsgerichts U. vom 17.08.1992 in Höhe von Euro 130,89 fortlaufend bis zum 30.09.2004 an die Klägerin auszuzahlen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für diesen Zeitraum neu zu verbescheiden.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2002 zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.11.2002 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 03.08.2005.

Entscheidungsgründe:

Die mangels einer Beschränkung gem. § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Das SG hat auf die zutreffend erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit Recht die Verwaltungsentscheidung der Beklagten bestätigt.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 22.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.03. 2002, mit dem die Abzweigung eines angemessenen Teils der Alhi der Beigeladenen in Höhe des titulierten Unterhaltsbetrags an die Klägerin versagt worden ist, die mit Ablauf des 06.06.2004 handlungsfähig i.S. des § 36 Abs.1 SGB I und damit auch prozessfähig i.S. des § 71 Abs.2 SGG geworden ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind aufgrund der vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich, wie dies bei einer isolierten Anfechtungsklage üblicherweise anzunehmen ist. Vielmehr ist der gesamte Abzweigungszeitraum Streitgegenstand. Allerdings hat sich der klägerische Antrag auf Abzweigung vom 04.01.2002 ausdrücklich auf die laufende Leistung von Arbeitslosengeld (Alg), Alhi und Unterhaltsgeld (Uhg) bezogen. Wie von der Beklagten zutreffend vorgetragen, hat der Bezug von Alhi jedoch bereits am 30.11.2003 geendet. Ab 01.12.2003 ist demgegenüber ein Existenzgründungszuschuss gewährt worden. Insoweit kommt eine Abzweigung bereits mangels Antrags nicht in Betracht.

Laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, können in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder der Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn diese ihnen gegenüber ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, § 48 Abs.1 Satz 1 SGB I. Die laufende Geldleistung Alhi, die die Beigeladene ab 04.01.2002 bis 30.11.2003 von der Beklagten bezogen hat, war als Lohnersatzleistung zweifellos zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt. Unstrittig ist die Beigeladene auch ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber ihrer Tochter (Klägerin) zumindest im obigen Zeitraum nicht nachgekommen. Ihre Unterhaltsverpflichtung ist aufgrund des vorliegenden Versäumnisurteils vom 17.08.1992 ab 01.07.1992 in Höhe von DM 256,00 monatlich bestimmt und gleichzeitig begrenzt (vgl. BSG SozR 1200 § 48 Nr.3, vom 07.10.2004, B 11 AL 13/04 R). Dieser Verpflichtung ist die Beigeladene nach dem Sachverhalt jedenfalls bis zur Aufnahme der Klägerin in ihren Haushalt im Jahr 2005 nicht nachgekommen.

Ungeschriebene weitere Tatbestandsvoraussetzung für eine Abzweigung ist daneben zunächst die Bedürftigkeit des abzweigungsbegünstigten Angehörigen. Diese liegt vor, wenn die unterhaltsberechtigte Angehörige außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten, vgl. Seewald in Kassler Kommentar, § 48 SGB I, also ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend vor allem aus ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten kann. Regelmäßig ist Bedürftigkeit dann anzunehmen, wenn die Angehörige Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhält oder einen solchen Anspruch hierauf hat. Dem Sachverhalt zufolge hat der Vater der Klägerin im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Sozialhilfe für sich und die Klägerin erfolgreich durchzusetzen vermocht. Insoweit wird auf die Auskunft des Landkreises N. vom 22.07.2005 vollinhaltlich Bezug genommen. Angesichts der gerichtsbekannten finanziellen Verhältnisse im Haushalt ihres Vaters konnte der notwendige Lebensunterhalt der Klägerin offensichtlich auch nicht ausreichend bestritten werden.

Sodann ist für eine Abzweigung erforderlich, dass die Beigeladene als Sozialleistungsberechtigte leistungsfähig ist, also über Mittel verfügt, die über das hinausgehen, was sie für ihren eigenen Lebensbedarf benötigt, vgl. Seewald, a.a.O., RdNr.11. Für die Ermittlung ihres Bedarfs sind an sich ihre Einzelbedürfnisse maßgebend, gleichwohl sind Pauschalierungen üblich und zulässig, wobei allerdings die Pfändungstabelle des § 850c ZPO zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit nicht geeignet ist, vgl. BSGE 57.59 (65). Eine weitere Grenze der Leistungsfähigkeit gilt nach BGB für Eltern gegenüber ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern wegen ihrer insoweit erhöhten Unterhaltspflicht, § 1603 Abs.2 BGB. Steht den Eltern allerdings auch nicht mehr als das Minimum des eigenen Unterhalts zur Verfügung, entfällt die Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit, vgl. BGH NJW 1984.1614.

Die Ermittlung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, denn der Gesetzgeber hat insoweit keine spezifischen sozialrechtlichen Unterhaltsregelungen getroffen. Die im Sozialrecht verwandten Begriffe wie Unterhaltspflicht und -berechtigung sind somit dem BGB zu entnehmen, vgl. BSGE 57.59 (61).

Die Bestimmung des Selbstbehalts der Unterhaltsverpflichteten im obigen Sinne erfolgt im Anwendungsbereich des § 48 SGB I in Anlehnung an die familiengerichtliche Praxis unter Heranziehung geeigneter schematisierter Werte. Die Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteile vom 29. August 2002, B 11 AL 95/01 R = SozR 3-1200 § 48 Nr.4 m.w.N. und vom 07.10.2004, B 11 AL 13/04 R, billigt insoweit die Praxis der Beklagten, die sogenannte "Düsseldorfer Tabelle" als allgemein geeigneten Maßstab für die Berechnung des Selbstbehalts in den alten Bundesländern zugrunde zu legen. Dieser notwendige Selbstbehalt betrug für den streitbefangenen Zeitraum ab Januar 2002 nach obiger Tabelle, Stand 01.01.2002, bzw. 01.07.2003, wegen der nicht vorliegenden Erwerbstätigkeit monatlich Euro 730,00. Hierin sind bis zu Euro 360,00 für die Unterkunft einschließlich umlagefähiger Nebenkosten und Heizung enthalten. Der Selbstbehalt kann nach den Anmerkungen zum Kindesunterhalt angemessen erhöht werden, wenn dieser Betrag im Einzelfall erheblich überschritten wird und dies nicht vermeidbar ist, vgl. Nr.5 der Anmerkungen.

Da die Beigeladene nach der herrschenden familienrechtlichen Auffassung und familiengerichtlichen Praxis gehalten ist, alle verfügbaren Mittel gleichmäßig für den Unterhalt ihrer Kinder zu verwenden, vgl. BSG Urteil vom 13.05.1987, SozR 1200 § 48 Nr.11, muss für den gesamten hier streitigen Zeitraum der in der "Düsseldorfer Tabelle" ausgewiesene notwendige Selbstbehalt geprüft werden.

Die Entscheidung des Leistungsträgers, ob eine Abzweigung vorgenommen wird, steht in dessen Ermessen und ist damit von den Gerichten nur auf Ermessensfehler hin zu überprüfen. Hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Höhe liegt ein Begriff vor, der nach Inhalt und Umfang weitgehend ungewiß ist und für den Einzelfall der Ausfüllung bedarf. Der Verwaltung ist insoweit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, jedoch hindert dies nicht die gerichtliche Überprüfung, ob die Verwaltung den ihr zustehenden Spielraum bei der Begrenzung und Auslegung des Begriffs eingehalten hat, vgl. BSGE 27.286 (287), BSG SozR 4100 § 36 Nr.7. Der Begriff des Angemessenen bestimmt im Rahmen des § 48 Abs.1 Satz 1 SGB I nicht nur den Inhalt, sondern auch den Umfang der Rechtsfolge einer Ermessensentscheidung und umfasst zumindest eine Bandbreite normgerechter Entscheidungen. Infolge dessen muss bei deren Ausgestaltung der zur Leistung berechtigten, aber normativ nicht abschließend verpflichteten Verwaltung auch ein Beurteilungsspielraum eröffnet sein.

Es entspricht dem Gesetzeszweck, der mit dem Verfahren nach § 48 Abs.1 SGB I verfolgt wird (sofortige Feststellung der Leistung und Soforthilfe für die Unterhaltsberechtigten) eher, und dies steht zudem im Einklang mit den entsprechenden Grundsätzen des § 112 AFG, wenn die Beklagte die Höhe des jeweiligen Auszahlungsbetrags nach pauschalierenden Maßstäben errechnet. Insoweit steht ihr ein Beurteilungsspielraum zu, der ihr mehrere Möglichkeiten eröffnet, vgl. BSGE 55.245 (248). Ein entsprechender Spielraum verbleibt für die Verwaltung sowohl für die Festsetzung des dem unterhaltsverpflichteten Leistungsempfänger mindestens verbleibenden Betrags (Selbstbehalt) als auch für die Berechnungsweise des an die Unterhaltsberechtigte zu zahlenden Betrages. Damit besteht ein Beurteilungsspielraum, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde liegt, ob die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten worden sind und ob Subsumtionserwägungen in der Begründung verdeutlicht sind, so dass eine zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar wird, ob allgemeine oder besondere Wertmaßstäbe verletzt sind oder sachfremde Erwägungen angestellt wurden, ob Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 54 Rz 27 m.w.N.

Dabei sind Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere die Leistungsfähigkeit der Alhi-Empfängerin (Beigeladene) und deren weitere Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen. Der Prüfungspflicht kann die Beklagte auch relativ einfach dadurch genügen, dass sie den verbleibenden täglichen Leistungssatz mit der Zahl der Kalendertage eines Monats multipliziert und auf diese Weise feststellen kann, ob der Leistungsberechtigten der von ihr selbst zugrundegelegte Selbstbehalt auch verbleibt. Mit der Berufung auf die pauschalierende "Düsseldorfer Tabelle" weicht die Beklagte weder von den eigenen generellen Maßstäben ab (Art.3 Abs.1 GG), noch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung von den Mindestsätzen, die in der maßgeblichen familienrechtlichen Literatur und familiengerichtlichen Rechtsprechung allgemein akzeptiert und zu Grunde gelegt werden, vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 08.10.2003, L 6 AL 480/02.

Zur Überzeugung des Senats ist die Versagung der Anordnung der Auszahlung eines angemessenen Teils der laufenden Alhi (Abzweigung) bereits wegen des Fehlens der Rechtsvoraussetzung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen gerechtfertigt.

Darüber hinaus hat die Beklagte - ohne dass es nach der Auffassung des Senats noch darauf ankäme - im Ausgangsbescheid incl. des Wiederspruchsbescheids hinreichend deutliche Ausführungen hinsichtlich der Ausübung des Ermessenes gemacht und die wesentlichen hier maßgeblichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Die Sätze der "Düsseldorfer Tabelle" sind mit den BSG auch für die alten Bundesländer ein durchaus geeigneter pauschalierender Maßstab, vgl. Urteil vom 29.08.2002, B 11 AL 95/01 R, SozR 3-1200 § 48 Nr.4. Im Gegensatz zur konkreten Erwerbsberechnung unter sozialhilferechtlich Gesichtspunkten wird allerdings der Unterhalt für ihren weiteren Sohn M. sowie das auf ihn entfallende Kindergeld nicht bei den Einkünften der Beigeladenen berücksichtigt.

Die Beklagte hat nach dem Sachverhalt im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Möglichkeit geprüft, der Beigeladenen bewilligte Leistungen in angemessener Höhe an die Klägerin abzuführen. Sie hatte dabei grundsätzlich die Wahl zwischen mehreren Verhaltensweisen und konnte selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abzweigung der an sich möglichen Abzweigung absehen. Entscheidet sich das Arbeitsamt für eine Abzweigung, bestimmt es grundsätzlich auch, welcher Betrag ausgezahlt wird. Auch insoweit hat die Verwaltung, begrenzt durch das Unterhaltsrecht, vgl. BSG Urteil vom 13.05.1987, 7 RAr 13/86 Ermessen auszuüben. Dabei hat sich die Ermessensentscheidung auch auf den Zeitpunkt des Beginns einer Abzweigung zu erstrecken, vgl. BSG vom 29.08.2002, B 11 AL 95/01 R m.w.N. Insbesondere hat die Beklagte die Opfergrenze beachtet, aus der sich eine Beschränkung der Abzweigungsentscheidung ergibt.

Während des streitgegenständlichen Zeitraums, der längestens bis zum Ablauf des Alhi-Bezugs per 30.11.2003 dauert, hat die Beigeladene nach Aktenlage während des Leistungsbezugs keine weiteren Einkünfte erzielt als die oben angeführten Lohnersatzleistungen. Ein theoretischer Unterhaltsanspruch aus Haushaltsführung gegen ihren Ehemann erscheint dem Senat angesichts dessen wiederholter Inhaftierung und Mittellosigkeit nicht realistisch. Im Übrigen wäre nach Aktenlage selbst bei Einbeziehung des Zeitraums ab 01.12.2003 der nach obigen Ausführungen maßgebliche Selbstbehalt der Beigeladenen nicht überschritten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang konnte die Beklagte, welche für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen verpflichtet werden, die der Klägerin, der auch die notwendigen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen waren, zu deren Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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