L 11 B 452/05 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 SO 39/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 452/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 22.07.2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner (Ag) gemäß § 98 Abs 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) örtlich zuständig für die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe an die Antragstellerin (ASt) ist.

Die 1977 geborene ASt bezog seit dem 01.01.2004 vom Ag laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Mit Bescheid vom 24.08.2004 bewilligte ihr der Ag Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 ff BSHG ab dem 01.05.2004 bis auf weiteres unter Anrechnung der Eigenheimzulage, die die ASt für ihr Einfamilienhaus auf dem Anwesen R. , F. , in den Jahren 2003 bis 2010 in Höhe von jährlich 1.278,00 EUR, auszahlbar jeweils zum 15.03. eines Jahres, erhält. Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Niederbayern mit Widerspruchsbescheid vom 23.12.2004 zurück. Ihre Klage vom 07.01.2005 wies das Sozialgericht Landshut (SG) mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2005 ab. Ihre Berufung hatte keinen Erfolg (BayLSG vom 22.09.2005 - Az: L 11 SO 10/05).

Für die Zeit vom 01.01.2004 bis 31.12.2004 erhielt die ASt zudem monatliches Wohngeld (Lastenzuschuss) in Höhe von 94,00 EUR bzw. ab dem 01.10.2004 in Höhe von 113,00 EUR.

Mit Bescheid vom 17.12.2004 bewilligte der Ag der ASt für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 bis auf weiteres Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 27 ff SGB XII in Höhe von 354,55 EUR monatlich, wiederum unter Anrechnung der anteiligen Eigenheimzulage. Mit weiterem Bescheid vom 03.03.2005 änderte der Ag die monatliche Hilfeleistung an die ASt für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 bis auf weiteres auf 431,43 EUR ab. Am 04.03.2005 erfuhr der Ag in einem Telefonat mit der Gemeindeverwaltung F. , dass das Haus der ASt in R. nicht bewohnbar sei und die ASt vermutlich bei ihrem Lebensgefährten in P. , J.-Str., wohne. Bei einer Ortseinsicht in R. , F. , stellte der Ag am 15.03.2005 selbst fest, dass dieses Anwesen derzeit unbewohnt sei. Der Eingangsbereich (Zaun und Tore) sei von außen mit Sicherheitsschlössern abgesperrt. Der vor dem Haus liegende ca. einen halben Meter hohe spurenfreie Schneeberg lasse erkennen, dass in den letzten Wochen kein Zutritt zum Hausgrundstück bzw. zum Eingangsbereich erfolgt sei. Desweiteren sei der Briefkasten und die Türglocke am Eingangstor nicht beschriftet. Bei einem Hausbesuch in der J.-Str., P. , am selben Tage wurde der Vater des angeblichen Lebensgefährten der ASt angetroffen, der sich dahin äußerte, dass die ASt derzeit nicht da sei und auch nicht dauerhaft bei seinem Sohn wohne. Sie sei aber die Lebensgefährtin seines Sohnes.

Weitere Ermittlungen ergaben, dass auch die Müllabfuhr für das streitgegenständliche Anwesen R. bereits zum 31.10.2003 abgemeldet worden war.

Im Rahmen der Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gab die ASt unter dem 23.03.2005 an, sie weise den Vorwurf zurück, dass sie in P. lebe. Im Übrigen mache sie darauf aufmerksam, dass ein Hausbesuch vorher anzumelden sei.

Mit Bescheid vom 29.03.2005 stellte der Ag daraufhin die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 31.03.2005 ein, weil er für diese Hilfeleistung nach § 98 Abs 1 SGB XII nicht mehr örtlich zuständig sei.

Weitere Ermittlungen des Ag ergaben, dass der Stromlieferungsvertrag für das Anwesen R. , F. , von der ASt zum 23.10.2004 gekündigt worden ist und auch der Zähler am 23.10.2004 ausgebaut worden ist. Seither befindet sich kein neuer Stromzähler in diesem Anwesen. Auf Nachfragen in der Nachbarschaft erhielt der Ag Hinweise, dass die ASt nach einem Hausbrand im Jahre 2003 nach P. gezogen sei. Die Post werde noch in den am Gartenzaun angebrachten Briefkasten eingelegt. Sie befinde sich manchmal einige Tage darin. Der Briefkasten werde unregelmäßig geleert.

Den Widerspruch der ASt vom 11.04.2005 wies die Regierung von Niederbayern mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2005 zurück. Auf Grund der umfangreichen Ermittlungen des Ag könne von einem tatsächlichen Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII der ASt im Landkreis P. nicht ausgegangen werden.

Hiergegen erhob die ASt mit Schriftsatz vom 31.05.2005 Klage.

Sie beantragte beim SG zudem sinngemäß, den Ag durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihr über den 01.04.2005 hinaus Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu bewilligen.

Der Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.

Seine umfangreichen Ermittlungen hätten ergeben, dass die ASt sich nach dem Wohnhausbrand nicht mehr in ihrem Haus in F. , R. , aufhalte.

Mit Beschluss vom 22.07.2005 lehnte das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Anlässlich der Untersuchung bei dem Sachverständigen des Rentenversicherungsträgers Dr.S. am 22.11.2004 habe die ASt angegeben, dass sie mit ihrem Partner in dessen neuem Haus lebe. Bei der Untersuchung durch die gerichtliche Sachverständige Dr.B. im Mai 2005 habe diese im Anwesen R. festgestellt, dass das Haus nahezu unbewohnbar sei. Zu der Tatsache, dass sich in dem Haus noch nicht einmal ein Bett befinde, habe die ASt angegeben, dass sie auf einem Stuhl nächtige. Die gegenteilige Äußerung des Lebensgefährten der ASt im Schreiben vom 06.04.2005 sei nicht verwertbar, weil das Schreiben nicht unterschrieben worden sei. Die ASt habe sich wegen der beantragten Hilfeleistungen deshalb an die Stadt P. zu wenden.

Hiergegen erhob die ASt ihre beim Bayer. Landessozialgericht am 22.08.2005 eingegangene Beschwerde, der sie eine unterschriebene Erklärung ihres angeblichen Lebensgefährten beilegte.

Sie weist zudem darauf hin, dass die Stadt P. mit Bescheid vom 02.06.2005 ihren Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt deshalb abgelehnt hat, weil sie - die ASt - angegeben hatte, in R. , F. zu leben. Einen Kanal- und Wasseranschluss für das Anwesen gebe es seit 50 Jahren nicht. Es bestehe dort eine sogenannte Sickergrube. Das Nichtvorhandensein eines Namenschildes am Briefkasten sei kein Indiz für ein unbewohntes Gebäude. Im Übrigen stellten die Angaben des Ag reine Vermutungen dar. Die Behauptung, in dem Haus befinde sich kein Bett, sei nur teilweise richtig. Es befinde sich ein brandgeschädigtes, verrußtes Bett, weshalb sie wechselseitig auf einer intakten Couch und bei niedrigen Temperaturen auf einem großen, bequemen Stuhl mit Polsterauflage nächtige. Der Grund, warum das Haus in diesem komfortlosen Zustand seit dem Brand gehalten werde, sei, dass nach einem Brandereignis das Schadensbild bis zur Abwicklung durch die Brandversicherung nicht grundlegend verändert werden dürfe.

Sie beantragt im Beschwerdeverfahren sinngemäß, den Ag unter Abänderung des Beschlusses des SG vom 22.07.2005 im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen der Sozialhilfe für den Zeitraum ab dem 01.04.2005 zu bewilligen.

Der Ag beantragt, die Bescherde zurückzuweisen.

Die ASt habe am 26.08.2005 erneut Hilfeleistungen beantragt. Am 08.09.2005 sei ein Hausbesuch in R. durchgeführt worden. Hier sei die ASt angetroffen worden, habe aber erst den Schlüssel für das abgesperrte Haus suchen müssen. Bei der Besichtigung des Hauses sei festgestellt worden, dass seit dem Brand am 14.12.2003 keinerlei Aufräumarbeiten stattgefunden hätten und das Haus offensichtlich nicht bewohnbar sei. Die ASt habe angegeben, trotzdem hier zu wohnen und sich ihr Essen auf einem Holzofen zuzubereiten. Der Ag stellte daraufhin fest, dass der Holzofen nicht an einen Kamin angeschlossen sei, woraufhin die ASt ausfallend geworden sei und dem Mitarbeiter des Ag gedroht habe, ein Messer zu holen. Am 13.09.2005 habe eine neue Außendienstfahrt stattgefunden. Auch hier habe das Haus einen unbewohnten bzw. nicht bewohnbaren Eindruck gemacht. Der Zugang zum Haus sei von einem Holztor mit Vorhängeschloss versperrt gewesen. Das beim Brand im Jahre 2003 teilweise zerstörte Dach sei noch immer nicht repariert worden. Auch am 14.09.2005 sei die ASt nicht in R. , F. , angetroffen worden. Weitere Ermittlungen hätten ergeben, dass seit der Abmeldung zum 31.10.2003 keine Mülltonne mehr angemeldet worden sei, dass sich dort seit dem 23.10.2004 kein Stromzähler mehr befinde und eine Stromlieferung bis heute nicht erfolge, dass aber eine Postkastenentleerung ca. zwei Mal wöchentlich festgestellt werden könne. Bei weiteren Außendienstfahrten am 14.11.2005 und am 22.11.2005 konnte die ASt wiederum nicht angetroffen werden. Die Fenster seien durch Rollläden verschlossen gewesen, die Tür zum Wohnhaus mit einer Sperrholzplatte versperrt und mit einem Vorhängeschloss gesichert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der ASt ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der ASt Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII über den 01.04.2005 hinaus zu bewilligen.

Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der Ag für die hier geltend gemachten Leistungen nicht passivlegitimiert ist. Der Senat ist auf Grund der Ergebnisse der ausführlichen Ermittlungen des Ag und auf Grund der Feststellungen, die das SG getroffen hat, davon überzeugt, dass sich die Ag nicht im Sinne des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII im Zuständigkeitsbereich des Ag tatsächlich aufhält.

Gemäß § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII ist für die Bewilligung von Sozialhilfe der Leistungsträger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Für einen tatsächlichen Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift ist es zwar nicht erforderlich, dass sich der Hilfebedürftige ständig, für längere Zeit oder auch nur regelmäßig dort aufhält. Ein tatsächlicher Aufenthalt kann durch eine vorübergehende Anwesenheit bereits erfüllt sein, wobei es gleichgültig ist, ob sich die um Hilfe nachfragende Person beim Einwohneramt gemeldet oder ein Obdach begründet hat. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffes des tatsächlichen Aufenthaltes ist der Grundsatz, dass der sozialhilferechtliche Bedarf dort gedeckt werden soll, wo er entsteht. Bei einer nur kurzfristigen Ortsabwesenheit hatte das Bundesverwaltungsgericht deshalb in seiner bisherigen Rechtsprechung die örtliche Zuständigkeit des bisherigen Sozialhilfeträgers fortbestehen lassen (vgl. dazu: Bundesverwaltungsgericht NVwZ 2000, 572 = FEVS 51, 146; vgl. zu alledem auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1.Auflage 2005, § 98 RdNr 6 mwN).

Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt, jedenfalls hat die ASt es versäumt, im Eilverfahren glaubhaft zu machen, dass sie sich tatsächlich im Zuständigkeitsbereich des Ag aufhält. Den Ermittlungen des Ag folgend kann nicht davon ausgegangen werden, dass die ASt in dem Anwesen R. , F. , wohnt. Der ASt steht dort weder Wasser, Strom noch Heizung zur Verfügung. Seit dem Wohnhausbrand im Jahre 2003 sind keinerlei Veränderungen am Haus bzw. am Mobiliar vorgenommen worden. Die Ausführungen der ASt hierzu, der Schadensfall müsse durch die Brandversicherung erst abgewickelt werden, sind unbehelflich. Aber auch aus den Ausführungen des Lebensgefährten der ASt kann nicht auf einen tatsächlichen Aufenthalt der ASt im Zuständigkeitsbereich des Ag geschlossen werden. Der Lebensgefährte der ASt macht allein geltend, die ASt wohne nicht bei ihm und es bestehe insbesondere keine eheähnliche Lebensgemeinschaft. Die Erklärung des Lebensgefährten der ASt zielt allein darauf hin, nicht am Unterhalt der ASt finanziell beteiligt zu werden. Aussagen über ihren tatsächlichen Aufenthalt trifft er nicht.

So ist unter Berücksichtigung von Hinweisen aus der Nachbarschaft, die übereinstimmend darauf hindeuten, dass die ASt seit dem Wohnhausbrand im Jahre 2003 sich nicht mehr in R. aufhält, zumindest im hier anhängigen Eilverfahren davon auszugehen, dass die ASt nur etwa zwei Mal in der Woche dort hinkommt, um den Briefkasten zu leeren. Das allein begründet aber nicht ihren tatsächlichen Aufenthalt im Sinne des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII, weil für die ASt damit im Zuständigkeitsbereich des Ag kein sozialhilferechtlicher Bedarf entsteht, der vom Ag zu decken wäre.

Darüber hinausgehend findet sich auch keine andere Vorschrift, aus der die Zuständigkeit des Ag für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum hergeleitet werden könnte.

Darauf, dass es der ASt zudem für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2005 bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichtes an einem Anordnungsgrund fehlt, kommt es hier nach alledem nicht mehr an.

Die Beschwerde hat insgesamt keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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