L 17 U 209/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 218/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 209/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.03.2004 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Schultereckgelenkssprengung als Folge des Arbeitsunfalles vom 14.06.1999 streitig.

Der 1984 geborene Kläger erlitt am 14.06.1999 einen Arbeitsunfall (Schulunfall). Bei einer Rangelei in der J.-Realschule H. versetzte ihm der Mitschüler A. L. von vorne einen Schlag gegen die rechte Schulter, ohne dass er stürzte oder an die Wand anstieß. Der Kläger war am 27.05.1999 wegen der Folgen eines am 28.06.1997 erlittenen privaten Unfalles an der rechten Schulter operiert worden. Er trug zum Zeitpunkt der Rangelei noch den rechten Arm in einer Schlinge. Einige Tage später bei der Krankengymnastik bemerkte er eine anormale Stellung an der rechten Schulter. Prof.Dr.Z. stellte bei ihm eine deutliche Keloidbildung im Narbenbereich über der rechten Clavicula bei Zustand nach Plattenosteosynthese einer Pseudarthrose sowie einen deutlichen Hochstand der Clavicula rechts fest (Bericht vom 05.08.1999). Am 24.06.1999 wurde er erneut operiert (Revision des rechten Schultereckgelenkes und der rechten Clavicula mit Reposition des Schultereckgelenkes, Bandplastik und Transfixation mittels eines Kirschnerdrahtes). Eine weitere Operation (06.07.1999) erfolgte wegen Wundrevision an der rechten Schulter (Bericht vom 14.09.1999).

Der Beklagte holte einen Befundbericht von Prof.Dr.Z. vom 20.01.2000 ein. Anschließend erstellte Dr.B. am 25.05.2000 ein chirurgisches Gutachten. Er ging bei dem Ereignis vom 14.06.1999 von einer Prellung des rechten Schultergelenkes aus. Unmittelbar nach dem Trauma seien weder Prellmarken, Hämatome, noch Funktionseinschränkungen bemerkt worden. Erst ein behandelnder Krankengymnast habe einige Tage später eine Auffälligkeit im rechten Schultergürtel beobachten können. Die schwerwiegende Verletzung des Schultergürtels, hier Zerreißung der Bänder am Schultereckgelenk, sei aber nicht auf die Schulterprellung zurückzuführen.

Nach Einholung einer Stellungnahme von dem beratenden Chirurgen Dr.B. vom 24.08.2000 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2000 die Entschädigung der Erkrankung des rechten Schultergelenkes ab, da diese nicht Folge eines Arbeitsunfalles sei. Das Ereignis vom 14.06.1999 stelle allenfalls eine belanglose Prellung des rechten Schultergelenkes dar. Es habe keine Schultereckgelenkssprengung mit Zerreißung von Bändern verursachen können. Die operative Versorgung der Schultereckgelenkssprengung Typ Tossy III am 24.06.1999 und die darauf folgende Behandlung seien ausschließlich auf die bereits vorbestehende Schädigung des rechten Schultereckgelenkes zurückzuführen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 03.07.2001).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und beantragt, bei ihm eine Schultereckgelenkssprengung Typ Tossy III der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalles vom 14.06.1999 anzuerkennen. Er hat vorgetragen, dass A. L. mit voller Wucht die Faust gegen seine rechte Schulter geschlagen habe.

Das SG hat ein Gutachten des Chirurgen Dr.K. vom 10.06.2002 (ohne Beiziehung von Röntgen-Aufnahmen) eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass der Schlag von vorne gegen die rechte Schulter vom Verletzungsmechanismus her in keinster Weise geeignet sei, eine entsprechende Verletzung des Schultereckgelenkes zu verursachen. Dies gelte auch unter dem Aspekt, dass die Bandverbindungen des Schultereckgelenkes rechts beim Kläger aufgrund der Vorerkrankung bereits deutlich gelockert gewesen seien. Bei der Verletzung am 14.06.1999 habe es sich um eine Schulterprellung gehandelt, die nach einigen Tagen folgenlos ausgeheilt sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) habe sich daraus nicht ergeben.

Auf Antrag des Klägers hat Prof.Dr.Z. am 02.11.2002/ 28.02.2003 ein orthopädisches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellt. Er hat das Ereignis vom 14.06.1999 als wesentlich mitursächlich für die Verschlimmerung der Gesundheitsschäden des Klägers angesehen. Der Impuls des Faustschlages sei ausreichend gewesen, die anlässlich der operativen Revision nachgewiesene Zerreißung der Kapsel und Bandstrukturen am rechten Acromioclaviculargelenk des Klägers hervorzurufen. Die MdE hierfür sei mit 10 vH einzuschätzen. Der Beklagte hat dem unter Vorlage von gutachtlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr.B. vom 30.01.2003 und 03.04.2003 widersprochen.

Mit Urteil vom 23.03.2004 hat das SG den Beklagten verurteilt, beim Kläger eine Schultereckgelenkssprengung Typ Tossy III der rechten Schulter als Folge des Arbeitsunfalles vom 14.06.1999 ohne Rentengewährung anzuerkennen. Angesichts der gravierenden Vorschäden habe der Faustschlag des Mitschülers eine rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache für die Schultereckgelenkssprengung dargestellt.

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Senat nach Beiziehung der einschlägigen Röntgenaufnahmen ein Gutachten des Orthopäden Prof.Dr.S. veranlasst. In dem Gutachten vom 15.12.2004 hat dieser durch das Ereignis vom 14.06.1999 nur eine Schulterprellung als verursacht angesehen. Diese sei aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Ursache oder wesentliche Mitursache der am 22.06.1999 dokumentierten Luxationsstellung im Schultereckgelenk.

Prof. Dr.Z. hat dem mit Stellungnahme vom 19.08.2005 widersprochen. Der Faustschlag gegen die rechte Schulter habe die Acromioclavicularsprengung ausgelöst. Er stelle eine wesentliche Teilursache des jetzigen Zustandes dar. Dr.B. hat als Beratungsarzt des Beklagten mit Stellungnahme vom 10.10.2005 den Vorgang lediglich als unwesentliche Gelegenheitsursache bei erheblichem Vorschaden angesehen.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 23.03.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 11.10.2000 idF des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2001 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 23.03.2004 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger hat am 14.06.1999 einen Arbeitsunfall (Schulunfall) erlitten. Die Schultereckgelenkssprengung Typ Tossy III der rechten Schulter geht ursächlich auf diesen Arbeitsunfall zurück (§§ 2 Abs 1 Nr 8a, 8 Abs 1 Satz 1, 56 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - SGB VII). Eine MdE rentenberechtigenden Grades liegt nicht vor. Das Urteil des SG Nürnberg vom 23.03.2004 ist nicht zu beanstanden.

Streitig ist, ob die Schultereckgelenksprengung rechts durch den Arbeitsunfall vom 14.06.1999 verursacht worden ist. § 8 Abs 1 SGB VII verlangt hierfür einen Unfall, den ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Dazu ist erforderlich, dass das unfallbringende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer Zusammenhang) und dass der Unfall mit der Tätigkeit in rechtlich wesentlichen Zusammenhang steht (haftungsbegründende Kausalität) und ein Gesundheitsschaden verursacht wird (haftungsausfüllende Kausalität; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung 5.Aufl, § 8 Anm 4).

Nach den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr.Z. ist durch den Schulunfall vom 14.06.1999 beim Kläger eine Luxation des rechten Acromioclaviculargelenkes verursacht worden. Ausschlaggebend hierfür war der Schlag des Mitschülers gegen die rechte Schulter, zweieinhalb Wochen nach der operativen Stabilisierung einer zwei Jahre alten Claviculapseudarthrose rechts mittels Plattenosteosynthese nach mehrfachen Claviculafrakturen. Dieses Trauma war geeignet, die Acromioclaviculargelenksluxation hervorzurufen. Es handelte sich nicht um eine schleichende Dislokation nur zehn Tage nach der Reposition der Claviculapseudarthrose.

Die Sprengung der Bandstrukturen bei einem gesunden Acromioclaviculargelenk erfordert insbesondere bei einem Jugendlichen eine große, meist von der Seite einwirkende Kraft (Schönberger u.a., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.600). Beim Kläger ist davon auszugehen, dass die Bandstrukturen des Acromioclaviculargelenkes durch die jahrelang im Wesentlichen fehlende mechanische Belastung aufgrund der Claviculapseudarthrose einen Teil ihrer mechanischen Festigkeit eingebüßt haben. Strukturen, die keiner mechanischen Belastung unterliegen, werden grundsätzlich vom Körper zunehmend abgebaut. Dem entspricht auch der intraoperative Befund anlässlich der Rekonstruktion der Clavicula mit Stabilisierung der Pseudarthrose im Mai 1999. Damals wurde das Schultereckgelenk inspiziert und weiche Band- und Kapselverhältnisse gefunden und beschrieben. Der Kläger schilderte auch, dass nach dem Schulunfall anfangs starke Schmerzen vorhanden gewesen seien, die aber mit der Zeit nachließen. Dies stellt nach den Feststellungen des Prof.Dr.Z. einen geradezu typischen Verlauf für die komplette Sprengung des lateralen Claviculabandapparates dar.

Aufgrund der Schwächung der Kapselbandstrukturen führte daher der Boxangriff des Mitschülers, der für sich alleine bei einem nicht vorgeschädigten Acromioclaviculargelenk keine Luxationstendenz hervorgerufen hätte, bei der gegebenen Situation zu einer frischen Ruptur des Kapselbandapparates mit entsprechenden Schmerzen.

Gegen die Vorstellung des Dr.B. von einer schleichenden Luxation spricht, dass im Rahmen der operativen Versorgung am 24.06.1999 auch eine wesentliche Verschiebung der lateralen Clavicula nach oben und hinten um 1,5 cm gefunden werden konnte. Dies ist durch eine schleichende Luxation nicht erklärbar, wohl aber durch einen von vorne kommenden Boxhieb. Die im weiteren Verlauf erfolgte Verknöcherung des Schultereckgelenks ist ein weiterer Beweis für ein adäquates Trauma, da eine schleichende Bandlockerung aufgrund mechanischer Überlastung oder Fehlbelastung nie zu einer knöchernen Überbauung eines Gelenks innerhalb kurzer Zeit führt. Jedenfalls hat der Boxangriff zumindest zu einer Verschlimmerung der vorbestehenden Problematik an der rechten Schulter des Klägers geführt.

Die Tatsache, dass im Operationsbericht vom 24.06.1999, also genau zehn Tage nach dem Ereignis, Einblutungen nicht explizit beschrieben sind, spricht nicht gegen das Vorliegen einer frischen Verletzung. Nach zehn Tagen ist ein Hämatom bereits im Abklingen begriffen. Wäre am 27.05.1999 bereits ein Vorschaden am Schultereckgelenk vorhanden gewesen dahingehend, dass die wichtige acromioclaviculare Bandverbindung nicht mehr existent und die coracoclaviculare Bandverbindung schon ausgeleiert gewesen wäre, hätte sich bereits zu diesem Zeitpunkt ein Hochstand der lateralen Clavicula zeigen müssen. Dies war aber nachweislich nicht der Fall.

Nach alledem war das Urteil des SG Nürnberg nicht zu beanstanden. Die Berufung des Beklagten war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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