Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SB 370/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 57/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005 wird aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 zurückgewiesen.
III. Der Beklagte erstattet 2/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1957 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 70 gemäß § 2 und § 69 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" im Sinne von § 146 SGB IX, außerdem die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".
Auf den Erstantrag vom 23.03.1998 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 21.04.1998 in Gestalt des Abhilfe-Bescheides vom 14.12.1999 den GdB für die Zeit ab 02.04.1998 mit 30 festgestellt. Berücksichtigt worden sind als Behinderungen: 1. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes bei seitlicher Abduktion und bei Außenrotation, diskrete Minderung des Feingefühls in den Fingern 2 bis 4 nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20). 2. Psychovegetative somatoforme Störung mit Schlafstörungen und hyperzirkulatorischer Dysregulation (Einzel-GdB 20).
Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 08.01.2000 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 17.05.2000 zurückgewiesen worden. Die weitere Behinderung "Sehminderung beidseits" wirke sich mit einem Einzel-GdB von 10 nicht GdB-erhöhend aus.
Dem Neufeststellungsantrag vom 02.03.2001 ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 26.06.2001 in Gestalt des Abhilfebescheides vom 16.10.2002 stattgegeben worden. Der GdB ist für die Zeit ab 06.03.2001 mit 40 bewertet worden. Berücksichtigt worden sind nunmehr folgende Gesundheitsstörungen: 1. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes bei seitlicher Abduktion und bei Außenrotation, diskrete Minderung des Feingefühls in den Fingern 2 bis 4 nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20). 2. Psychovegetative somatoforme Störung mit Schlafstörungen und hyperzirkulatorischer Dysregulation und multipler sekundärer Beschwerdesymptomatik (Einzel-GdB 20). 3. Sehminderung beidseits, unregelmäßige Gesichtsfeldausfälle (Einzel-GdB 20). 4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 10). 5. Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 10). 6. Rezidivierender Schwindel (Einzel-GdB 10). 7. Funktionelle Störung des Dickdarms (Colon irritabile), Hämorrhoiden (Einzel-GdB 10).
Dem weiteren hiergegen gerichteten Widerspruch vom 19.11.2001 ist mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 18.03.2002 wie folgt stattgegeben worden: Der GdB ist für die Zeit ab 06.03.2001 mit 70 bewertet worden. Maßgeblicher Grund hierfür ist gewesen, dass die Funktionsstörung "Sehminderung beidseits, unregelmäßige Gesichtsfeldausfälle" nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet worden ist. Zusätzlich sind "Knorpelschäden am Kniegelenk rechts" mit einem Einzel-GdB von 10 festgestellt worden. Im Übrigen ist der Widerspruch vom 19.11.2001 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 16.10.2001 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 24.04.2002 zurückgewiesen worden. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" lägen nicht vor.
Der Kläger hat mit Neufeststellungsantrag vom 07.07.2002 hervorgehoben, dass er entsprechend dem Votum der Regierung von Schwaben vom 25.06.2002 als Obergerichtsvollzieher wegen seiner rapide zunehmenden Sehschwäche dienstunfähig sei. Er dürfe kein Auto führen, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm erschwert, er könne Geldscheine nicht mehr richtig erkennen oder einen Taschenrechner bedienen. Auch schriftliche Arbeiten seien nicht mehr ausführbar.
Das Amt für Versorgung und Familienförderung A. hat mit (nicht streitgegenständlichem) Bescheid nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) vom 17.10.2002 den Antrag auf Zahlung von Blindengeld abgelehnt.
Der Antrag vom 07.07.2002 ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 ebenfalls abgelehnt worden. Der GdB betrage wie bisher 70. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B", "H" und "BL" lägen nicht vor. Vor allem erreiche die Sehbehinderung nicht das erforderliche Ausmaß.
Mit Widerspruch vom 11.11.2002 hat der Kläger auf die bei ihm diagnostizierte Retinopathia centralis serosa hingewiesen. Dr.R. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 03.04.2003 ausgeführt, dass bei der augenärztlichen Begutachtung im Rahmen des Blindengeldverfahrens ein korrigierter Visus des rechten Auges von 0,05 und des linken Auges von 0,2 ermittelt worden sei. Die Gesichtsfelduntersuchung mittels Goldmann-Perimetrie habe eine ausgeprägte konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung beidseits ergeben. Vom augenärztlichen Gutachter ist ausgeführt worden, dass der morphologische Befund der Makula nach augenärztlichen Erfahrungen einen so stark reduzierten Visus nicht erwarten lasse und die Einengung der Gesichtsfelder mit den Makulaveränderungen bei freier Netzhautperipherie nicht in Einklang zu bringen sei. - Die "seelische Behinderung", die bisher mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet sei, könne entsprechend dem neuropsychiatrischen Befundbericht vom 05.12.2002 (K. P.) mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet werden. Eine Heraufsetzung des Gesamt-GdB resultiere hieraus jedoch nicht.
Dementsprechend ist der Widerspruch vom 11.11.2002 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 22.05.2003 zurückgewiesen worden.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren ist nach Beiziehung aktueller Befundberichte mit Beweisanordnung des Sozialgerichts Augsburg vom 11.11.2003 Dr.H. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Dieser hat mit nervenärztlich-sozialmedizinischem Gutachten vom 03.12.2003 den Gesamt-GdB mit 100 bewertet. Die "hochgradige Sehminderung beidseits bei unregelmäßigen Gesichtsfeldausfällen" ist fachfremd mit einem Einzel-GdB von 70 berücksichtigt worden. Für die "chronifizierte mittelgradige depressive Störung" hat Dr.H. einen Einzel-GdB von 40 angesetzt. Das "chronische Cervical- und Lumbalsyndrom mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen" ist mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigt worden. Für die weiteren fünf Beschwerdekomplexe ist ein Einzel-GdB von 20 sowie viermal ein Einzel-GdB von 10 vergeben worden.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.02.2004 hat der Beklagte am 11.02.2004 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, den GdB mit Wirkung ab 11.07.2002 mit 80 festzustellen, nicht jedoch etwaige Merkzeichen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 04.03.2004 darauf hingewiesen, dass bei einem Augenleiden mit einem Einzel-GdB von 70 auch die Merkzeichen "G", "B" und "RF" zuzuerkennen seien.
Der nach § 109 Abs.1 SGG benannte Sachverständige Prof. Dr.K. hat mit Gutachten vom 08.07.2004 ausgeführt, dass die Sehminderung nach Aktenlage einen Einzel-GdB von 50 betrage. Die augenärztliche Untersuchung vom 01.07.2004 habe jedoch eine deutliche Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben des Klägers und den erhobenen Untersuchungsergebnissen gezeigt. Die mangelhafte Mitarbeit des Klägers zur Erhebung objektiver Untersuchungsergebnisse lasse an eine Aggravation denken. Der GdB betrage auf augenärztlichem Fachgebiet damit 30.
Der Augenarzt Dr.L. hat mit Befundbericht vom 12.10.2004 einen Zustand nach rezidivierender Retinitis centralis serosa mit Makulanarben beschrieben. Der Visus ist cc rechts mit 1/35 und links mit 0,125 erhoben worden. Das Universitätsklinikum T. hat nach ambulanter Behandlung vom 26.01.2005 den nämlichen Befund bestätigt.
Der Beklagte hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 04.03.2005 ausgeführt, dass die Angaben des Klägers bei der Prüfung des Sehvermögens (Sehschärfe, Gesichtsfeld) gutachterlich nicht valide seien. Der Arzbrief vom 12.10.2004 enthalte neben der Sehschärfenprüfung keine weiteren Befunde. In der Universitätsaugenklinik T. sei am 26.01.2005 eine Gefäßneubildung am rechten Auge als Ursache der angegebenen schlechten Sehschärfe angiographisch ausgeschlossen worden. Morphologisch hätten sich an beiden Augen keine typischen Veränderungen wie bei RCS gefunden. Zusammenfassend gäbe es keine plausible Erklärung für die vom Kläger in T. angegebenen schlechten Sehschärfenwerte.
Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 - S 15 SB 370/03 - abgewiesen. Hinsichtich des Augenleidens könne die überzeugend begründete Annahme einer Aggravation nicht ausgeräumt werden. Dementsprechend seien auch die beantragten Merkzeichen "G" und "B" nach § 146 Absätze 1 und 2 SGB IX nicht feststellbar.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 11.05.2005 ging am 13.05.2005 im Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. - Nach Anhörung vom 05.07.2005 erließ der Beklagte den ebenfalls streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens wurde: Die Bescheide vom 18.03.2002 und vom 04.11.2002 sind rechtswidrig, soweit ein GdB von 70 anstatt zutreffend von 50 festgestellt wurde. Eine Rücknahme dieser Bescheide ist nicht mehr möglich. Der GdB von 70 bleibt daher unverändert festgestellt. Treten in der Zukunft wesentliche Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen ein, die für die Feststellung des GdB maßgeblich sind, so kann der GdB erst dann erhöht werden, wenn er bei richtiger Bewertung über 70 liegt. - Hierbei legte der Beklagte einen Einzel-GdB von 30 für das Augenleiden zugrunde.
Von Seiten des Senats wurden die Schwerbehinderten-Akten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Auf Anfrage des Senats vom 22.06.2005 teilte der Beklagte mit Schriftsatz vom 19.09.2005 mit, dass das Vergleichsangebot vom 11.02.2004 nicht erneuert werde. Mit den Beteiligten wurde schriftlich die Problematik erörtert, dass im Rahmen der Untersuchung bei Prof. Dr.K. vom 01.07.2004 ein Stromausfall in der Klinik mit möglichen Auswirkungen auf die technischen Geräte eingetreten ist.
Prof.Dr.K. bekräftigte mit augenfachärztlicher Stellungnahme vom 19.12.2005 seinen dringenden Verdacht auf Aggravation, räumte jedoch ein, dass der GdB auf augenärztlichem Gebiet in Berücksichtigung der Weit- und Stabsichtigkeit (Hyperopie bzw. Astigmatismus) 40 betrage.
Der nach § 109 Abs.1 SGG genannte und beauftragte augenfachärztliche Sachverständige Prof.Dr.B. kam mit Gutachten vom 28.11.2006 zu dem Ergebnis, dass der Befund seit 2002 stabil erscheine; der GdB werde auf 60 geschätzt. Das Merkzeichen "RF" stehe zu.
Die Medizinaldirektorin P. machte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 05.01.2007 darauf aufmerksam, dass auch Prof.Dr.B. bei verschiedenen Tests auf Aggravationstendenzen verwiesen habe. Aufgrund der VEP-Untersuchungen liege die Vermutung nahe, dass die Sehschärfe auf dem rechten Auge tatsächlich deutlich besser sei als bei der Begutachtung angegeben. Am linken Auge habe sich die zentrale Netzhaut in der Bildgebung völlig regelrecht dargestellt, sodass hier von einer vollständigen Ausheilung der Retinitis centralis serosa auszugehen sei. Dementsprechend sei ein höherer Einzel-GdB als 30 für die Sehminderung nicht zu begründen. Die vorliegenden Behinderungen seien entsprechend dem unverändert gültigen versorgungsärztlichen Gutachten vom 25.10.2004 mit einem Gesamt-GdB von 70 (ohne Merkzeichen) zu bewerten.
Die Bevollmächtigten des Klägers führten mit Schriftsatz vom 08.02.2007 aus, dass insgesamt drei augenärztliche Fachgutachten mit einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 30, 40 und 60 vorlägen. Der vom Beklagten angesetzte Einzel-GdB von 30 sei angesichts dieser Gutachtenslage nicht nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung der von Dr.H. im Gutachten vom 03.12.2003 vorgeschlagenen Erhöhung der Einzel-GdB-Werte für die depressive Störung auf 40 sowie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule auf 30 betrage der Gesamt-GdB mindestens 80 (= Vergleichsangebot des Beklagten vom 11.02.2004).
In der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2007 stellt die Bevollmächtigte des Klägers folgende Anträge: 1. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 wird aufgehoben.
2. Der Bescheid des Beklagten vom 04.11.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2003 sowie der Bescheid vom 20.07.2005 werden abgeändert bzw. aufgehoben.
3. Der Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger einen höheren GdB als 70 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G" und "RF" festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 20.07.2005 abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Schwerbehinderten- und Zivil-blindenpflegegeld-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und teilweise begründet.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 - S 15 SB 370/03 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 22.05.2003 ist im Ergebnis zutreffend ergangen. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist, ist jedoch aufzuheben.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt. Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl. Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialge-richtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu "Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994 S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. - Die "Anhaltspunte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. - Hinsichtlich der richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der "Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049, 3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen "Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw. nunmehr die "Anhaltspunkte 2004 und 2005".
Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Hiervon ausgehend ist auf Rz.26.4 der "Anhaltspunkte" hinzuweisen. Die Sehbehinderung umfasst alle Störungen des Sehvermögens. Für die Beurteilung ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe (Prüfung mit Gläsern) maßgebend; daneben sind unter anderem Ausfälle des Gesichtsfeldes und des Blickfeldes zu berücksichtigen. Die Sehschärfe ist grundsätzlich den Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) entsprechend nach DIN 58220 zu prüfen, Abweichungen hiervon sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Die übrigen Partialfunktionen des Sehvermögens sind nur mit Geräten und Methoden zu prüfen, die den Richtlinien der DOG entsprechend eine gutachtenrelevante einwandfreie Beurteilung erlauben. Hinsichtlich der Gesichtsfeldbestimmung bedeutet dies, dass nur Ergebnisse der manuell-kinetischen Perimetrie entsprechend der Marke Goldmann III/4 verwertet werden dürfen. Bei der Beurteilung von Störungen des Sehvermögens ist darauf zu achten, dass der morphologische Befund die Sehstörungen erklärt.
Die Kernproblematik dieses Rechtsstreits besteht darin, welcher GdB für die Sehminderung beidseits anzusetzen ist. Nachdem Prof.Dr.B. mit augenärztlichem Gutachten vom 28.11.2006 zunächst einen Verdacht auf Aggravation beschrieben hat, haben die elektrophysiologischen und damit objektiven Untersuchungsbefunde eine gute Korrelation zu dem von dem Kläger angegebenen Sehschärfentest gezeigt. Lediglich das Visus-VEP am linken Auge lässt eine tatsächlich geringfügig bessere Sehschärfe vermuten als vom Kläger angegeben. Der Beklagte hat diese Problematik mit versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 05.01.2007 vertieft und ergänzt, dass bei der Pupillenperimetrie keine Auslöschung der Antwort auf Lichtreize in den Bereichen festgestellt werden konnte, wo der Kläger in der Goldmann-Perimetrie absolute Gesichtsfeldausfälle angegeben hatte. Dies bedeutet, dass der Kläger auch bei dieser Begutachtung nicht adäquat mitgearbeitet hat. - Diese Ausführungen sind nach Auffassung des erkennenden Senats in sich schlüssig mit der Folge, dass ein GdB von 60 für die Funktionsstörung der Augen nicht als nachgewiesen angesehen werden kann.
Die sich im Folgenden stellende Frage, ob die bestehende Sehminderung beidseits mit einem Einzel-GdB von 30 oder 40 zu berücksichtigen ist, ist entsprechend der augenfachärztlichen Stellungnahme von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 dahingehend zu entscheiden, dass der höhere Einzel-GdB von 40 angemessen ist. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige hat sein früheres Votum im Gutachten vom 08.06.2004 auch in Berücksichtigung der unzureichenden Mitwirkung des Klägers zu dessen Gunsten korrigiert und den vorgeschlagenen Einzel-GdB von 30 auf 40 angehoben. Dies beinhaltet, dass Prof.Dr.K. trotz der aktenkundigen Aggravationtendenzen des Klägers davon überzeugt ist, dass dieser an einer erheblichen Sehschärfenminderung beidseits leidet, die letztendlich gravierender ist als der Verlust eines Auges. In Übereinstimmung mit dem Votum von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 ist daher von einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 40 auszugehen.
Im Übrigen hat der Beklagte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.10.2004 die weiteren Funktionsstörungen und -behinderungen zutreffend zusammengefasst: 1. Chronifizierte depressive Störung (Einzel-GdB 40). 2. Sehminderung beidseits (Einzel-GdB 40, nicht 30). 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20). 4. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes und Verminderung des Feingefühls in den Fingern nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20) 5. Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 10). 6. Rezidivierender Schwindel (Einzel-GdB 10). 7. Funktionelle Störung des Dickdarms (Colon irritabile), Hämorrhoiden (Einzel-GdB 10). 8. Knorpelschäden am Kniegelenk rechts (Einzel-GdB 10).
Hinsichtlich der Behinderung Nr.3 "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen" ist anzumerken, dass entgegen dem Votum von Dr.H. mit Gutachten vom 03.12.2003 diesbezüglich nicht ein Einzel-GdB von 30 angemessen ist, sondern nur ein Einzel-GdB von 20. Denn es besteht ein chronisches Cervical- und Lumbalsyndrom mit Funktionseinschränkung, auch im MRT nachgewiesenem Diskusprolaps LW5/SW1 sowie einem lang anhaltenden Beschwerdebild nach einer HWS-Distorsion im Rahmen eines Auffahrunfalles. Es liegt jedoch keine gravierende radikuläre Symptomatik vor. Dieses Beschwerdebild ist weniger gewichtig als Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die entsprechend Rz.26.18 der "Anhaltspunkte" einen GdB von 30 bis 40 bedingen würden.
Zusammenfassend bestehen somit acht Beschwerdekomplexe mit Einzel-GdB-Werten von 2 x 40, 2 x 20 und 4 x 10. Dies bedingt gemäß Rz.19 Abs.3 und 4 der "Anhaltspunkte" einen Gesamt-GdB von 70. Denn bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB-Grad bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Nachdem der Gesamt-GdB mit 70 festzustellen ist, erweist sich der nachträglich ergangene Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist, als unzutreffend. Er ist daher aufzuheben, da ein Fall von § 48 Abs.3 SGB X nicht vorliegt.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht liegen nicht vor. Dem Kläger steht das Merkzeichen "RF" nicht zu. Entsprechend Rz.33 Abs.2a der "Anhaltspunkte" sind diese gesundheitlichen Voraussetzungen nach landesrechtlichen Vorschriften und ergänzender Rechtsprechung immer erfüllt bei Blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung. In Übereinstimmung mit dem Votum von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 ist wie bereits dargelegt jedoch von einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 40 auszugehen.
Weiterhin besteht bei dem Kläger keine schwere Hörschädigung. Er gehört auch nicht zu dem Kreis behinderter Menschen mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Rz.33 Abs.2b und c der "Anhaltspunkte").
In Konsequenz scheidet auch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" im Sinne von § 146 Abs.1 und 2 SGB IX in Hinblick auf Rz.30 Abs.2 und 32 Abs.3 der "Anhaltspunkte" aus. Die Störung der Orientierungsfähigkeit ist bei dem Kläger nicht so gravierend, als dass deswegen die Merkzeichen "G" und "B" zuzuerkennen sind. Im Übrigen liegen keine gravierenden Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf die Fortbewegungsfähigkeit auf orthopädischem oder internistischem Fachgebiet vor. Denn die Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule betreffen vor allem den HWS- und Lumbalbereich. Die Knorpelschäden am Kniegelenk rechts sind mit einem Einzel-GdB von 10 relativ gering ausgeprägt.
Nach alledem ist lediglich der Klage gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005 stattzugeben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 im Übrigen zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Aufhebung des sog. "Einfrierungs-Bescheides" vom 20.07.2005 im Sinne von § 48 Abs.3 SGB X bedingt für den Kläger einen gewissen Vorteil im Hinblick auf eine etwaige künftige weitere Leidensverschlimmerung.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 zurückgewiesen.
III. Der Beklagte erstattet 2/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1957 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 70 gemäß § 2 und § 69 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" im Sinne von § 146 SGB IX, außerdem die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".
Auf den Erstantrag vom 23.03.1998 hat der Beklagte mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 21.04.1998 in Gestalt des Abhilfe-Bescheides vom 14.12.1999 den GdB für die Zeit ab 02.04.1998 mit 30 festgestellt. Berücksichtigt worden sind als Behinderungen: 1. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes bei seitlicher Abduktion und bei Außenrotation, diskrete Minderung des Feingefühls in den Fingern 2 bis 4 nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20). 2. Psychovegetative somatoforme Störung mit Schlafstörungen und hyperzirkulatorischer Dysregulation (Einzel-GdB 20).
Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 08.01.2000 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 17.05.2000 zurückgewiesen worden. Die weitere Behinderung "Sehminderung beidseits" wirke sich mit einem Einzel-GdB von 10 nicht GdB-erhöhend aus.
Dem Neufeststellungsantrag vom 02.03.2001 ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 26.06.2001 in Gestalt des Abhilfebescheides vom 16.10.2002 stattgegeben worden. Der GdB ist für die Zeit ab 06.03.2001 mit 40 bewertet worden. Berücksichtigt worden sind nunmehr folgende Gesundheitsstörungen: 1. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes bei seitlicher Abduktion und bei Außenrotation, diskrete Minderung des Feingefühls in den Fingern 2 bis 4 nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20). 2. Psychovegetative somatoforme Störung mit Schlafstörungen und hyperzirkulatorischer Dysregulation und multipler sekundärer Beschwerdesymptomatik (Einzel-GdB 20). 3. Sehminderung beidseits, unregelmäßige Gesichtsfeldausfälle (Einzel-GdB 20). 4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 10). 5. Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 10). 6. Rezidivierender Schwindel (Einzel-GdB 10). 7. Funktionelle Störung des Dickdarms (Colon irritabile), Hämorrhoiden (Einzel-GdB 10).
Dem weiteren hiergegen gerichteten Widerspruch vom 19.11.2001 ist mit Teilabhilfe-Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 18.03.2002 wie folgt stattgegeben worden: Der GdB ist für die Zeit ab 06.03.2001 mit 70 bewertet worden. Maßgeblicher Grund hierfür ist gewesen, dass die Funktionsstörung "Sehminderung beidseits, unregelmäßige Gesichtsfeldausfälle" nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet worden ist. Zusätzlich sind "Knorpelschäden am Kniegelenk rechts" mit einem Einzel-GdB von 10 festgestellt worden. Im Übrigen ist der Widerspruch vom 19.11.2001 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 16.10.2001 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 24.04.2002 zurückgewiesen worden. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" lägen nicht vor.
Der Kläger hat mit Neufeststellungsantrag vom 07.07.2002 hervorgehoben, dass er entsprechend dem Votum der Regierung von Schwaben vom 25.06.2002 als Obergerichtsvollzieher wegen seiner rapide zunehmenden Sehschwäche dienstunfähig sei. Er dürfe kein Auto führen, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel sei ihm erschwert, er könne Geldscheine nicht mehr richtig erkennen oder einen Taschenrechner bedienen. Auch schriftliche Arbeiten seien nicht mehr ausführbar.
Das Amt für Versorgung und Familienförderung A. hat mit (nicht streitgegenständlichem) Bescheid nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) vom 17.10.2002 den Antrag auf Zahlung von Blindengeld abgelehnt.
Der Antrag vom 07.07.2002 ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 ebenfalls abgelehnt worden. Der GdB betrage wie bisher 70. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B", "H" und "BL" lägen nicht vor. Vor allem erreiche die Sehbehinderung nicht das erforderliche Ausmaß.
Mit Widerspruch vom 11.11.2002 hat der Kläger auf die bei ihm diagnostizierte Retinopathia centralis serosa hingewiesen. Dr.R. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 03.04.2003 ausgeführt, dass bei der augenärztlichen Begutachtung im Rahmen des Blindengeldverfahrens ein korrigierter Visus des rechten Auges von 0,05 und des linken Auges von 0,2 ermittelt worden sei. Die Gesichtsfelduntersuchung mittels Goldmann-Perimetrie habe eine ausgeprägte konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung beidseits ergeben. Vom augenärztlichen Gutachter ist ausgeführt worden, dass der morphologische Befund der Makula nach augenärztlichen Erfahrungen einen so stark reduzierten Visus nicht erwarten lasse und die Einengung der Gesichtsfelder mit den Makulaveränderungen bei freier Netzhautperipherie nicht in Einklang zu bringen sei. - Die "seelische Behinderung", die bisher mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet sei, könne entsprechend dem neuropsychiatrischen Befundbericht vom 05.12.2002 (K. P.) mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet werden. Eine Heraufsetzung des Gesamt-GdB resultiere hieraus jedoch nicht.
Dementsprechend ist der Widerspruch vom 11.11.2002 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 22.05.2003 zurückgewiesen worden.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren ist nach Beiziehung aktueller Befundberichte mit Beweisanordnung des Sozialgerichts Augsburg vom 11.11.2003 Dr.H. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Dieser hat mit nervenärztlich-sozialmedizinischem Gutachten vom 03.12.2003 den Gesamt-GdB mit 100 bewertet. Die "hochgradige Sehminderung beidseits bei unregelmäßigen Gesichtsfeldausfällen" ist fachfremd mit einem Einzel-GdB von 70 berücksichtigt worden. Für die "chronifizierte mittelgradige depressive Störung" hat Dr.H. einen Einzel-GdB von 40 angesetzt. Das "chronische Cervical- und Lumbalsyndrom mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen" ist mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigt worden. Für die weiteren fünf Beschwerdekomplexe ist ein Einzel-GdB von 20 sowie viermal ein Einzel-GdB von 10 vergeben worden.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.02.2004 hat der Beklagte am 11.02.2004 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, den GdB mit Wirkung ab 11.07.2002 mit 80 festzustellen, nicht jedoch etwaige Merkzeichen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 04.03.2004 darauf hingewiesen, dass bei einem Augenleiden mit einem Einzel-GdB von 70 auch die Merkzeichen "G", "B" und "RF" zuzuerkennen seien.
Der nach § 109 Abs.1 SGG benannte Sachverständige Prof. Dr.K. hat mit Gutachten vom 08.07.2004 ausgeführt, dass die Sehminderung nach Aktenlage einen Einzel-GdB von 50 betrage. Die augenärztliche Untersuchung vom 01.07.2004 habe jedoch eine deutliche Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben des Klägers und den erhobenen Untersuchungsergebnissen gezeigt. Die mangelhafte Mitarbeit des Klägers zur Erhebung objektiver Untersuchungsergebnisse lasse an eine Aggravation denken. Der GdB betrage auf augenärztlichem Fachgebiet damit 30.
Der Augenarzt Dr.L. hat mit Befundbericht vom 12.10.2004 einen Zustand nach rezidivierender Retinitis centralis serosa mit Makulanarben beschrieben. Der Visus ist cc rechts mit 1/35 und links mit 0,125 erhoben worden. Das Universitätsklinikum T. hat nach ambulanter Behandlung vom 26.01.2005 den nämlichen Befund bestätigt.
Der Beklagte hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 04.03.2005 ausgeführt, dass die Angaben des Klägers bei der Prüfung des Sehvermögens (Sehschärfe, Gesichtsfeld) gutachterlich nicht valide seien. Der Arzbrief vom 12.10.2004 enthalte neben der Sehschärfenprüfung keine weiteren Befunde. In der Universitätsaugenklinik T. sei am 26.01.2005 eine Gefäßneubildung am rechten Auge als Ursache der angegebenen schlechten Sehschärfe angiographisch ausgeschlossen worden. Morphologisch hätten sich an beiden Augen keine typischen Veränderungen wie bei RCS gefunden. Zusammenfassend gäbe es keine plausible Erklärung für die vom Kläger in T. angegebenen schlechten Sehschärfenwerte.
Im Folgenden hat das Sozialgericht Augsburg die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 - S 15 SB 370/03 - abgewiesen. Hinsichtich des Augenleidens könne die überzeugend begründete Annahme einer Aggravation nicht ausgeräumt werden. Dementsprechend seien auch die beantragten Merkzeichen "G" und "B" nach § 146 Absätze 1 und 2 SGB IX nicht feststellbar.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 11.05.2005 ging am 13.05.2005 im Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. - Nach Anhörung vom 05.07.2005 erließ der Beklagte den ebenfalls streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens wurde: Die Bescheide vom 18.03.2002 und vom 04.11.2002 sind rechtswidrig, soweit ein GdB von 70 anstatt zutreffend von 50 festgestellt wurde. Eine Rücknahme dieser Bescheide ist nicht mehr möglich. Der GdB von 70 bleibt daher unverändert festgestellt. Treten in der Zukunft wesentliche Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen ein, die für die Feststellung des GdB maßgeblich sind, so kann der GdB erst dann erhöht werden, wenn er bei richtiger Bewertung über 70 liegt. - Hierbei legte der Beklagte einen Einzel-GdB von 30 für das Augenleiden zugrunde.
Von Seiten des Senats wurden die Schwerbehinderten-Akten und die erstinstanzlichen Unterlagen beigezogen. Auf Anfrage des Senats vom 22.06.2005 teilte der Beklagte mit Schriftsatz vom 19.09.2005 mit, dass das Vergleichsangebot vom 11.02.2004 nicht erneuert werde. Mit den Beteiligten wurde schriftlich die Problematik erörtert, dass im Rahmen der Untersuchung bei Prof. Dr.K. vom 01.07.2004 ein Stromausfall in der Klinik mit möglichen Auswirkungen auf die technischen Geräte eingetreten ist.
Prof.Dr.K. bekräftigte mit augenfachärztlicher Stellungnahme vom 19.12.2005 seinen dringenden Verdacht auf Aggravation, räumte jedoch ein, dass der GdB auf augenärztlichem Gebiet in Berücksichtigung der Weit- und Stabsichtigkeit (Hyperopie bzw. Astigmatismus) 40 betrage.
Der nach § 109 Abs.1 SGG genannte und beauftragte augenfachärztliche Sachverständige Prof.Dr.B. kam mit Gutachten vom 28.11.2006 zu dem Ergebnis, dass der Befund seit 2002 stabil erscheine; der GdB werde auf 60 geschätzt. Das Merkzeichen "RF" stehe zu.
Die Medizinaldirektorin P. machte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 05.01.2007 darauf aufmerksam, dass auch Prof.Dr.B. bei verschiedenen Tests auf Aggravationstendenzen verwiesen habe. Aufgrund der VEP-Untersuchungen liege die Vermutung nahe, dass die Sehschärfe auf dem rechten Auge tatsächlich deutlich besser sei als bei der Begutachtung angegeben. Am linken Auge habe sich die zentrale Netzhaut in der Bildgebung völlig regelrecht dargestellt, sodass hier von einer vollständigen Ausheilung der Retinitis centralis serosa auszugehen sei. Dementsprechend sei ein höherer Einzel-GdB als 30 für die Sehminderung nicht zu begründen. Die vorliegenden Behinderungen seien entsprechend dem unverändert gültigen versorgungsärztlichen Gutachten vom 25.10.2004 mit einem Gesamt-GdB von 70 (ohne Merkzeichen) zu bewerten.
Die Bevollmächtigten des Klägers führten mit Schriftsatz vom 08.02.2007 aus, dass insgesamt drei augenärztliche Fachgutachten mit einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 30, 40 und 60 vorlägen. Der vom Beklagten angesetzte Einzel-GdB von 30 sei angesichts dieser Gutachtenslage nicht nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung der von Dr.H. im Gutachten vom 03.12.2003 vorgeschlagenen Erhöhung der Einzel-GdB-Werte für die depressive Störung auf 40 sowie die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule auf 30 betrage der Gesamt-GdB mindestens 80 (= Vergleichsangebot des Beklagten vom 11.02.2004).
In der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2007 stellt die Bevollmächtigte des Klägers folgende Anträge: 1. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 wird aufgehoben.
2. Der Bescheid des Beklagten vom 04.11.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2003 sowie der Bescheid vom 20.07.2005 werden abgeändert bzw. aufgehoben.
3. Der Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger einen höheren GdB als 70 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G" und "RF" festzustellen.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 20.07.2005 abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Schwerbehinderten- und Zivil-blindenpflegegeld-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und teilweise begründet.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 - S 15 SB 370/03 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 04.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 22.05.2003 ist im Ergebnis zutreffend ergangen. Der Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist, ist jedoch aufzuheben.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt. Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl. Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialge-richtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu "Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994 S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. - Die "Anhaltspunte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. - Hinsichtlich der richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der "Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049, 3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen "Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw. nunmehr die "Anhaltspunkte 2004 und 2005".
Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Hiervon ausgehend ist auf Rz.26.4 der "Anhaltspunkte" hinzuweisen. Die Sehbehinderung umfasst alle Störungen des Sehvermögens. Für die Beurteilung ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe (Prüfung mit Gläsern) maßgebend; daneben sind unter anderem Ausfälle des Gesichtsfeldes und des Blickfeldes zu berücksichtigen. Die Sehschärfe ist grundsätzlich den Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) entsprechend nach DIN 58220 zu prüfen, Abweichungen hiervon sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Die übrigen Partialfunktionen des Sehvermögens sind nur mit Geräten und Methoden zu prüfen, die den Richtlinien der DOG entsprechend eine gutachtenrelevante einwandfreie Beurteilung erlauben. Hinsichtlich der Gesichtsfeldbestimmung bedeutet dies, dass nur Ergebnisse der manuell-kinetischen Perimetrie entsprechend der Marke Goldmann III/4 verwertet werden dürfen. Bei der Beurteilung von Störungen des Sehvermögens ist darauf zu achten, dass der morphologische Befund die Sehstörungen erklärt.
Die Kernproblematik dieses Rechtsstreits besteht darin, welcher GdB für die Sehminderung beidseits anzusetzen ist. Nachdem Prof.Dr.B. mit augenärztlichem Gutachten vom 28.11.2006 zunächst einen Verdacht auf Aggravation beschrieben hat, haben die elektrophysiologischen und damit objektiven Untersuchungsbefunde eine gute Korrelation zu dem von dem Kläger angegebenen Sehschärfentest gezeigt. Lediglich das Visus-VEP am linken Auge lässt eine tatsächlich geringfügig bessere Sehschärfe vermuten als vom Kläger angegeben. Der Beklagte hat diese Problematik mit versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 05.01.2007 vertieft und ergänzt, dass bei der Pupillenperimetrie keine Auslöschung der Antwort auf Lichtreize in den Bereichen festgestellt werden konnte, wo der Kläger in der Goldmann-Perimetrie absolute Gesichtsfeldausfälle angegeben hatte. Dies bedeutet, dass der Kläger auch bei dieser Begutachtung nicht adäquat mitgearbeitet hat. - Diese Ausführungen sind nach Auffassung des erkennenden Senats in sich schlüssig mit der Folge, dass ein GdB von 60 für die Funktionsstörung der Augen nicht als nachgewiesen angesehen werden kann.
Die sich im Folgenden stellende Frage, ob die bestehende Sehminderung beidseits mit einem Einzel-GdB von 30 oder 40 zu berücksichtigen ist, ist entsprechend der augenfachärztlichen Stellungnahme von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 dahingehend zu entscheiden, dass der höhere Einzel-GdB von 40 angemessen ist. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige hat sein früheres Votum im Gutachten vom 08.06.2004 auch in Berücksichtigung der unzureichenden Mitwirkung des Klägers zu dessen Gunsten korrigiert und den vorgeschlagenen Einzel-GdB von 30 auf 40 angehoben. Dies beinhaltet, dass Prof.Dr.K. trotz der aktenkundigen Aggravationtendenzen des Klägers davon überzeugt ist, dass dieser an einer erheblichen Sehschärfenminderung beidseits leidet, die letztendlich gravierender ist als der Verlust eines Auges. In Übereinstimmung mit dem Votum von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 ist daher von einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 40 auszugehen.
Im Übrigen hat der Beklagte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.10.2004 die weiteren Funktionsstörungen und -behinderungen zutreffend zusammengefasst: 1. Chronifizierte depressive Störung (Einzel-GdB 40). 2. Sehminderung beidseits (Einzel-GdB 40, nicht 30). 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20). 4. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes links mit Kraftminderung des linken Armes und Verminderung des Feingefühls in den Fingern nach Irritation des Plexus brachialis (Einzel-GdB 20) 5. Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 10). 6. Rezidivierender Schwindel (Einzel-GdB 10). 7. Funktionelle Störung des Dickdarms (Colon irritabile), Hämorrhoiden (Einzel-GdB 10). 8. Knorpelschäden am Kniegelenk rechts (Einzel-GdB 10).
Hinsichtlich der Behinderung Nr.3 "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen" ist anzumerken, dass entgegen dem Votum von Dr.H. mit Gutachten vom 03.12.2003 diesbezüglich nicht ein Einzel-GdB von 30 angemessen ist, sondern nur ein Einzel-GdB von 20. Denn es besteht ein chronisches Cervical- und Lumbalsyndrom mit Funktionseinschränkung, auch im MRT nachgewiesenem Diskusprolaps LW5/SW1 sowie einem lang anhaltenden Beschwerdebild nach einer HWS-Distorsion im Rahmen eines Auffahrunfalles. Es liegt jedoch keine gravierende radikuläre Symptomatik vor. Dieses Beschwerdebild ist weniger gewichtig als Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die entsprechend Rz.26.18 der "Anhaltspunkte" einen GdB von 30 bis 40 bedingen würden.
Zusammenfassend bestehen somit acht Beschwerdekomplexe mit Einzel-GdB-Werten von 2 x 40, 2 x 20 und 4 x 10. Dies bedingt gemäß Rz.19 Abs.3 und 4 der "Anhaltspunkte" einen Gesamt-GdB von 70. Denn bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB-Grad bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Nachdem der Gesamt-GdB mit 70 festzustellen ist, erweist sich der nachträglich ergangene Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist, als unzutreffend. Er ist daher aufzuheben, da ein Fall von § 48 Abs.3 SGB X nicht vorliegt.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht liegen nicht vor. Dem Kläger steht das Merkzeichen "RF" nicht zu. Entsprechend Rz.33 Abs.2a der "Anhaltspunkte" sind diese gesundheitlichen Voraussetzungen nach landesrechtlichen Vorschriften und ergänzender Rechtsprechung immer erfüllt bei Blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung. In Übereinstimmung mit dem Votum von Prof.Dr.K. vom 19.12.2005 ist wie bereits dargelegt jedoch von einem diesbezüglichen Einzel-GdB von 40 auszugehen.
Weiterhin besteht bei dem Kläger keine schwere Hörschädigung. Er gehört auch nicht zu dem Kreis behinderter Menschen mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Rz.33 Abs.2b und c der "Anhaltspunkte").
In Konsequenz scheidet auch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" im Sinne von § 146 Abs.1 und 2 SGB IX in Hinblick auf Rz.30 Abs.2 und 32 Abs.3 der "Anhaltspunkte" aus. Die Störung der Orientierungsfähigkeit ist bei dem Kläger nicht so gravierend, als dass deswegen die Merkzeichen "G" und "B" zuzuerkennen sind. Im Übrigen liegen keine gravierenden Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf die Fortbewegungsfähigkeit auf orthopädischem oder internistischem Fachgebiet vor. Denn die Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule betreffen vor allem den HWS- und Lumbalbereich. Die Knorpelschäden am Kniegelenk rechts sind mit einem Einzel-GdB von 10 relativ gering ausgeprägt.
Nach alledem ist lediglich der Klage gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. vom 20.07.2005 stattzugeben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.04.2005 im Übrigen zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Aufhebung des sog. "Einfrierungs-Bescheides" vom 20.07.2005 im Sinne von § 48 Abs.3 SGB X bedingt für den Kläger einen gewissen Vorteil im Hinblick auf eine etwaige künftige weitere Leidensverschlimmerung.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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