L 13 R 900/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 4359/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 900/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 412/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Anrechnung von Beitrags und Beschäftigungszeiten, die nach der Vertreibung (hier in Form der Umsiedlung) im Herkunftsgebiet zurückgelegt worden sind, auf die allgemeine Wartzeit kommt nicht in Betracht (vgl. Urteil des BSG vom 17. Oktober 2006, Az.: B 5 RJ 41/05 R, in juris).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 SGB X, ob der Klägerin Witwenrente gemäß § 46 SGB VI zusteht.

Die 1942 in T., Ukraine, geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, ehelichte 1979 in Kasachstan den 1932 geborenen S. D. (Versicherter). Der Versicherte, russischer Staatsangehöriger, hat keine Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Er hielt sich nie im Bundesgebiet auf und verstarb 1984 im heutigen Kasachstan. Eine Anerkennung als Vertriebener oder Spätaussiedler liegt nicht vor.

Die Klägerin war vom 18. Juli 1987 bis zur Scheidung am 29. Juli 1997 erneut verheiratet. Sie zog am 25. Dezember 1998 aus der Ukraine in das Bundesgebiet zu. Aus einem Schreiben des Landratsamts A-Stadt vom 28. Januar 1999 geht hervor, dass die Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG für die Klägerin nicht in Betracht komme, da sie die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens nach dem 31. Dezember 1992 verlassen und ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen habe.

Mit Antrag vom 4. Januar 1999 begehrte die Klägerin Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten von der Beklagten. Sie trug vor, sie und ihre Eltern seien in Deutschland während des Kriegs wie Volksdeutsche umgesiedelt worden. Hier hätten sie die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Nach dem Krieg sei sie mit ihren Eltern in die UdSSR zurückgekehrt. Sobald sie im Jahr 1996 den deutschen Staatsangehörigkeitsausweis erhalten habe, sei sie ohne Aufnahmebescheid nach Deutschland ausgewandert. Deshalb hätte sie keine Spätaussiedlerbescheinigung. Geltend gemacht wurden vom Versicherten in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegte Versicherungszeiten vom 5. August 1951 bis 6. Februar 1984. Die Fragen, ob der Versicherte vertriebener Verfolgter sei und dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehöre sowie ob er Angehöriger des Judentums sei und früher dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe, wurden verneint.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 29. April 1999 ab. Die vom Versicherten in der ehemaligen UdSSR zurückgelegten und hier geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, da das Fremdrentengesetz (FRG) keine Anwendung finde. Der Versicherte sei weder als Vertriebener noch als Spätaussiedler anerkannt (§ 1 Bst. a FRG). Da lediglich Nachkriegszeiten geltend gemacht würden, könne eine Schlechterstellung infolge der Kriegsauswirkungen im Sinne des § 1 Bst. b FRG nicht vorliegen. Die Voraussetzungen der §§ 1 Bst. c, d FRG, § 20 WGSVG seien offensichtlich nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen des § 17a FRG seien nach den Angaben im Rentenantrag nicht erfüllt. Damit sei die allgemeine Wartezeit bei 0 anrechenbaren Kalendermonaten nicht erfüllt.

Mit Antrag vom 7. März 2006 begehrte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 29. April 1999 gemäß § 44 SGB X. Die Klägerin sei Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG. Die Beklagte werde gebeten, bei der zuständigen Vertriebenenbehörde den Antrag gemäß § 100 Abs. 2 BVFG auf Feststellung des Vertriebenenstatus zu stellen.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2006 forderte die Beklagte beim Landratsamt A-Stadt einen Nachweis über die Zugehörigkeit der Klägerin zum Personenkreis der §§ 1 bis 4 BVFG an. Das Landratsamt A-Stadt gab die Angelegenheit an das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständigkeitshalber ab.

Die Klägerin legte eine (nicht beglaubigte) Bescheinigung gemäß § 100 BVFG der Regierung von Schwaben vom 17. Juli 2006 vor, wonach sie Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG sei. Eine Anerkennung als Spätaussiedlerin erfolgte nicht.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 19. Oktober 2006 den Überprüfungsantrag in Bezug auf den Bescheid vom 29. April 1999 ab. Zwar zähle die Klägerin als Umsiedlerin grundsätzlich zu dem in § 1 Bst. a FRG genannten Personenkreis. Die Anwendung des FRG sei aber auf Sachverhalte bzw. Zeiten bis zum Vertreibungszeitpunkt beschränkt. Es könnten nur vor der Umsiedlung in der Sowjetunion zurückgelegte Zeiten anerkannt werden, nicht aber Zeiten nach der Rückkehr. Nach den Angaben der Klägerin sei sie während des 2. Weltkriegs aus der Ukraine zunächst in das Deutsche Reich umgesiedelt und anschließend wieder in die Sowjetunion zurückgeführt worden. Eine Anerkennung von Zeiten nach dem Fremdrentengesetz wäre somit gemäß § 1 Bst. e, a FRG lediglich bis zum Zeitpunkt der Umsiedlung in den Jahren bis 1945 möglich. Der Versicherte habe am 8. Februar 1946 das 14. Lebensjahr vollendet. Vor Vollendung des 14. Lebensjahres käme die Anerkennung von Ersatzzeiten nach § 250 SGB VI nicht in Betracht. Bis zum 4. August 1951 seien vom verstorbenen Versicherten

keine Beitragszeiten zurückgelegt worden. Damit sei nach wie vor die Wartezeit für eine Hinterbliebenenrente nicht erfüllt.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde nicht näher begründet. Die Ausgleichsverwaltung teilte auf telefonische Anfrage der Beklagten mit, es bedürfe keiner erneuten Anfrage, da alle rechtserheblichen Umstände bereits bei Ausstellung der vorliegenden Bescheinigung durch die Regierung von Schwaben berücksichtigt worden seien. Die Klägerin könne keine Aussiedlerin nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG sein, da sie erst nach dem 31. Dezember 1992 zugezogen sei. Daraufhin wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2007 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und vorgetragen, sie sei im Oktober 1944 von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat vertrieben und in den W. umgesiedelt worden. Der W. liege außerhalb des Reichsgebiets in den Grenzen von 1937. Sie sei zunächst in das Lager S. gekommen und sei anschließend in L. gemeinsam mit ihren Eltern in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden. Auf der Flucht in Richtung Westen sei die Familie bis nach S. gelangt. Dort sei sie von den russischen Truppen gefangen genommen und in die ehemalige Sowjetunion verschleppt worden. Die Klägerin habe daher zu keinem Zeitpunkt einen vollendeten Vertreibungstatbestand zurückgelegt.

Der Sachverhalt im vorliegenden Verfahren entspreche nicht dem der Entscheidung des BSG vom 17. Oktober 2006, da die Klägerin anerkannte Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG sei. Die Bescheinigung der Regierung von Schwaben enthalte auch die Bestätigung, dass sich die Klägerin bis zum 25. Dezember 1998 (Tag des Zuzugs) im Vertreibungszustand befunden habe. Die Zeiten, die die Klägerin außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bis zur Beendigung ihres Vertreibungszustandes und der ständigen Aufnahme im Bundesgebiet geleistet habe, müssten den Zeiten gleichgestellt werden, die sie in der Bundesrepublik Deutschland geleistet habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 8. Januar 1999 - 1 B 85.98) komme es für die Entstehung des Status im Sinne der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach dem BVFG nicht alleine auf die Entstehung der Vertreibung durch Verlust des Wohnsitzes aufgrund eines Vertreibungstatbestandes an, sondern auch darauf, dass der Vertriebene, der sich aufgrund der Vertreibung im Zustand der Vertreibung befinde, diesen Vertreibungszustand durch Aufnahme im Bundesgebiet beendet habe bzw. der Vertreibungszustand auf andere Weise beendet worden sei. Die Klägerin sei als deutsche Staatsangehörige nach Russland während des Vertreibungszustandes verschleppt worden, da die Verschleppung vor Inkrafttreten des Grundgesetzes geschehen sei. Durch die Verschleppung sei eine weitere Vertreibung entstanden, die erst durch ihre Rückkehr (Heimkehrer im Sinne des Heimkehrergesetzes) am 25. Dezember 1998 beendet worden sei.

Auch sei die Entscheidung des BSG falsch und beruhe auf einer Verkennung der historischen Tatsachen. Das BSG habe verkannt, dass das FRG alle Nachteile, die einer Person dadurch entstanden sein, dass sie Vertriebene sei, ausgleichen wollte, solange diese noch nicht endgültig in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert sei. Aus den Vorschriften des Heimkehrergesetzes sowie des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ergebe sich, dass der Gesetzgeber nicht nur die Zeiten eines Vertriebenen nach dem FRG berücksichtigten wollte, die vor der Entstehung des Vertriebenenstatus relevant seien, sondern alle Versicherungszeiten eines Vertriebenen, die im Zusammenhang mit der Vertreibung bis zum Abschluss des Vertreibungszustandes und der Heimkehr außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geleistet worden seien. Es widerspreche dem Sinn und Zweck des FRG, dass auf die Wiedergutmachung des Sonderopfers, das die Vertriebenen erbringen mussten, abziele, wenn gerade die rentenversicherungsrelevanten Beitragszeiten nicht berücksichtigt würden, die während des Vertreibungszustandes außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geleistet worden seien. Die Vorwegvertriebenen des § 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 BVFG hätten bereits vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen aufgrund nationalsozialistischer Vertreibungsmaßnahmen ihre Heimat verloren. Die Vertreibung durch die Nationalsozialisten stelle den Vertreibungstatbestand in Form der Umsiedlung dar. Solange diese Vertriebenen nicht in ihre Heimat zurückgekehrt seien, befänden sie sich im Vertreibungszustand bis zu ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland. Jedenfalls begründeten die Zeiten der Klägerin, die sie außerhalb der Bundesrepublik Deutschland als Heimkehrerin geleistet habe, Ansprüche, die sich aus ihrem Heimkehrertatbestand ergeben. Gleiches gelte für die Zeiten, die sie als so genannte unechte Kriegsgefangene bis zu ihrer Heimschaffung außerhalb des Bundesgebietes als deutsche Staatsangehörige erbracht habe. Die Klägerin habe Beitragszeiten im Sinne des § 15 FRG zurückgelegt. Sie habe in das gesetzliche Rentenversicherungssystem der damaligen UdSSR, wo sie zwangsweise bis zu ihrer Befreiung leben musste, Beiträge entrichtet. Ihr sei es aufgrund der nationalsozialistischen Vertreibungsmaßnahmen verwehrt gewesen, sich in Deutschland niederzulassen und sich dort abzusichern. Die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geleisteten Zeiten des Vertriebenen seien prinzipiell den Zeiten im Deutschland gleichzustellen, es sei denn, der Vertriebene habe bereits Aufnahme im Bundesgebiet im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gefunden und habe nach seiner Aufnahme Zeiten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland im vertragslosen Ausland geleistet. Die Klägerin habe die Vertreibung mit der Umsiedlung durch die Nationalsozialisten begonnen und sei zunächst in den Bereich des deutschen Reiches gelangt. Im Bereich des deutschen Reiches habe sie bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes keine Aufnahme finden können, so dass sie sich nach wie vor im Zustand der Vertreibung befunden habe. Die Klägerin sei dann gegen ihren Willen und den ihrer Eltern aus dem damaligen sowjetischen Besatzungsgebiet wieder in ein ausländisches Gebiet verschleppt worden. Sie sei nicht in ihre Heimat gekommen, sondern sei mit ihren zur Zwangsarbeit verurteilten Eltern nach Sibirien verschleppt und dort aller ihrer Rechte beraubt worden. Es widerspreche Art. 3 GG, wenn man die Auslandsbeitragszeiten der Klägerin deshalb nicht anerkenne, weil sie verschleppt worden sei und deshalb als deutsche Staatsangehörige außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zwangsweise leben musste. Die Benachteiligung der Klägerin bestehe gegenüber Vertriebenen, die es zum Beispiel durch Flucht oder Zufall geschafft hätten, früher in das Bundesgebiet einzureisen. Wäre die Klägerin nicht aufgrund der nationalsozialistischen Vertreibungsmaßnahmen vertrieben worden, wäre sie auch nicht von den Russen nach Sibirien verschleppt worden. Die Klägerin sei keine Spätaussiedlerin, sondern Kriegsgefangene und Verschleppte. Die Ersatzzeiten der Vertreibung sowie der Kriegsgefangenschaft und die sich aus dem Heimkehrerstatus ergebenden anzuerkennenden Ersatzzeiten seien jedenfalls anzuerkennen und führten dazu, dass ihr eine Rente zustehe.

Es sei § 90 BVFG in der Fassung vor dem 1. Januar 1993 anzuwenden (§ 100 BVFG). Die Klägerin habe ihren Wohnsitz bereits vor dem 1. Januar 1993 im Bundesgebiet gehabt. Die Wiedereinreise der Klägerin als deutsche Staatsangehörige in die Bundesrepublik Deutschland, nachdem sie mit ihren Eltern verschleppt worden sei, sei insoweit irrelevant. Der Stichtag des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG sei auf die Klägerin nicht anzuwenden. Eines Aufnahmebescheides habe es ebenfalls nicht bedurft. Der Vertreibungszustand sei erst mit der Aufnahme im Bundesgebiet beendet. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin Ansprüche und Anwartschaften, die sie bei nicht mehr vorhandenen oder nicht erreichbaren Trägern der deutschen Sozialversicherung oder bei nicht-deutschen Trägern der Sozialversicherung erworben habe, unter Zugrundelegung der bundesrechtlichen Vorschriften über Sozialversicherung bei Trägern der Sozialversicherung im Geltungsbereich des Gesetzes geltend machen könne. Dabei gebe es keinen Unterschied zwischen Anwartschaften, die ein Vertriebener innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland erworben habe, solange er sich im Zustand der Vertreibung befinde und nicht als solche Aufnahme gefunden und den Schutz des Grundgesetzes erlangt habe. Auf Entscheidungen des BSG vom 24. Februar 1966 (Az. 12 RJ 28/63) und vom 17. November 1987 (Az. ARJ 73/86) wurde hingewiesen.

Die Klägerin sei nicht nur Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 FRG, sondern auch Aussiedlerin im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG. Schließlich sei sie auch Fernheimatvertriebene i.S.d. § 2 BVFG, Heimkehrerin im Sinne des § 1 Heimkehrergesetzes und unechte Kriegsgefangene im Sinne des Kriegsgefangenentschädigungsgesetzes.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2011 abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 29. April 1999 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X. Der Klägerin stehe mangels Erfüllung der allgemeinen Wartezeit keine Witwenrente zu. Der Versicherte gehöre nicht zu den Berechtigten im Sinne des § 1 FRG. Etwas anderes gelte auch nicht deswegen, weil die Klägerin selbst als Vertriebene gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG zum Kreis der Berechtigten nach § 1 BSt. a FRG gehöre. Bei der Anrechnung von Beitragszeiten nach §§ 14,15 FRG seien diejenigen Beitragszeiten unberücksichtigt zu lassen, die vom Versicherten erst nach der Vertreibung der Hinterbliebenen zurückgelegt worden seien. Maßgeblicher Vertreibungstatbestand sei die Umsiedlung der Klägerin in den W. im Oktober 1944. Dadurch sei der Vertriebenenstatus der Klägerin als Umsiedlerin begründet worden. Ein anderer Vertreibungstatbestand sei nicht nachgewiesen bzw. bescheinigt. Es bestehe eine Bindung an die Feststellungen der Vertriebenenbehörde. Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Feststellung lägen nicht vor. Insbesondere sei die nach der Umsiedlung der Klägerin erfolgte Verschleppung durch russische Truppen kein neuer Vertreibungstatbestand im Sinne des § 1 BVFG. Zeiten der Umsiedlung endeten mit der Begründung eines neuen Wohnsitzes an dem zugewiesenen Ort, im Falle der Klägerin also im Oktober 1944. Vor diesem Zeitpunkt habe der Versicherte jedoch keine Beitragszeiten zurückgelegt.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, es sei klärungsbedürftig, ob Personen, die als deutsche Staatsangehörige Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 BVFG geworden und ins Ausland verschleppt worden seien, rentenberechtigt seien. Klärungsbedürftig sei auch, ob der Vertreibungsvorgang, der sich nicht aus dem Umsiedlungsvorgang ergebe, beendigt sei oder nicht. Im Falle von Heimkehrern könne nicht davon ausgegangen werden, dass das fremde Gebiet, in welches sie verschleppt worden seien, das Herkunftsgebiet sei. Der Vertreibungsvorgang sei erst mit der Heimkehr beendet. Dass die Eheschließung während der Vertreibung stattgefunden habe, könne nicht dazu führen, die Klägerin von der Witwenrente auszuschließen. Dies würde gegen Art. 3 GG verstoßen, denn es sei kein Grund dafür ersichtlich, die Witwenrenten der Klägerin, die das gleiche Schicksal wie alle anderen Verfolgten des Nationalsozialismus, die gleichzeitig deutsche Staatsangehörige seien, erlitten hätten, schlechter zu behandeln.

Auch liege kein dauernder Aufenthalt an dem der Klägerin zugewiesenen Ort vor. Denn dieser sei aufgrund von nationalsozialistischen Regelungen gegen den Willen der Klägerin getroffen worden. Nationalsozialistische Rechtsvorschriften dürften keine Geltung als Recht beanspruchen. Verfolgte, die in der Zeit vor dem Ende der Nazidiktatur von dieser vertrieben und verfolgt worden seien, könnten nicht als Aufgenommene angesehen werden, solange sie nicht selbst darüber entscheiden könnten, wo sie sich aufhalten. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. November 2003, Az. 1C 35.0 2). Danach hätten Personen, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes sich vorübergehend im deutschen Reich aufgehalten haben, keine Aufnahme im Sinne des Art. 116 Abs. 1 oder 2 GG gefunden. Die Auffassung des Sozialgerichts, der Vertreibungsvorgang sei abgeschlossen, sei mit fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit und des Rechts nicht in Einklang zu bringen. Sie fuße auf nationalsozialistischen Vorschriften und behandle diese Vorschriften als Recht. Diese Vorschriften würden gegen Grundsätze der Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Ihnen werde daher die Eigenschaft als Recht abgesprochen. Die Klägerin habe neben der Vertriebeneneigenschaft als Umsiedlerin durch die Flucht aus dem W. in Richtung B., wo sie noch nicht integriert und von den Russen festgenommen und verschleppt worden sei, mehrere Vertreibungstatbestände verwirklicht. Der Vertreibungsvorgang sei beendet, wenn der Flüchtling oder Vertriebene in einem anderen Staat in zumutbarer Weise und endgültig in das allgemeine Leben eingegliedert worden sei. Dies sei bei der Klägerin erst mit der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland der Fall. Die durch die Umsiedlung begonnene Vertreibung sei nicht durch die Zuweisung eines Ortes durch die Nationalsozialisten, sondern erst durch die Rückkehr aus der Gefangenschaft und der Verschleppung beendet. Der Ausschluss der Klägerin von den ihr zustehenden Leistungen nach dem FRG verstoße gegen Art. 3 GG. Es verhelfe auch nationalsozialistischen Unrechtsvorschriften, den die Geltung als Recht abgesprochen werden könne, zur Anwendung. Nationalsozialistische und kommunistische Willkürentscheidungen dürfe nicht zur Geltung verholfen werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Juni 2011 sowie des Bescheids der Beklagten vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2007 zu verurteilen, der Klägerin unter Rücknahme des Bescheids vom 29. April 1999 Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2007 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gemäß § 44 Abs. 1 SGB X auf Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 29. April 1999, da die Beklagte hiermit die Gewährung einer Witwenrente zutreffenderweise abgelehnt hat.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist gemäß § 44 Abs. 1 SGB X der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Die Beklagte hat bei Erlass des Ablehnungsbescheides vom 29. April 1999 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist, so dass deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Witwen, die wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist und sie das 45. Lebensjahr vollendet haben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 SGB VI in der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 29. April 1999 maßgeblichen Fassung vom 18. Dezember 1989.

Der Versicherte hat nicht die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren gemäß § 50 SGB VI erfüllt. Auf die allgemeine Wartezeit sind gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten und mit Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 4 SGB VI) anzurechnen.

In der Bundesrepublik Deutschland hat der Versicherte keine Beitragszeiten oder Ersatzzeiten gemäß §§ 54, 55, 250 SGB VI zurückgelegt. Er hat zwar mehr als 5 Jahre mit Beitragszeiten in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegt. Diese können aber nicht gemäß §§ 14, 15, 16 FRG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB VI berücksichtigt werden, da das Fremdrentengesetz keine Anwendung findet.

Voraussetzung für die Feststellung von Versicherungszeiten nach dem FRG ist, dass der Betroffene zu dem vom FRG begünstigten Personenkreis gehört. Gemäß § 1 FRG findet das FRG Anwendung auf a) Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind,
b) Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG, wenn sie unabhängig von den Kriegsauswirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben, jedoch infolge der Kriegsauswirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können,

c) Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG, die nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht wurden,
d) heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (BGBl. I S. 269), auch wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben oder erwerben,
e) Hinterbliebene der in Buchstaben a bis d genannten Personen bezüglich der Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene.

§ 1 e) FRG findet keine Anwendung, da die Klägerin nicht Hinterbliebene eines der in § 1 a) bis d) genannten Personen ist. Der Versicherte selbst war weder anerkannter Vertriebener oder Aussiedler noch war er (früherer) deutscher Staatsangehöriger oder heimatloser Ausländer.

Aufgrund der Bescheinigung der Regierung von Schwaben vom 17. Juli 2006 steht zwar für den Senat fest, dass die Klägerin Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (Umsiedlerin) ist. Damit fällt die Klägerin grundsätzlich in den Anwendungsbereich des FRG. Denn § 1 a) FRG erfasst auch die Hinterbliebenen solcher Personen, die keine Vertriebenen sind, unter der Voraussetzung, dass die Hinterbliebenen selbst dem Personenkreis der Vertriebenen angehören, wobei es auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten (vor oder nach der Vertreibung des Hinterbliebenen) nicht ankommt (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 6. Dezember 1979, GS 1/79).

Eine Anrechnung der vom Versicherten zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten im Zeitraum 5. August 1951 bis 6. Februar 1984 auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren kommt dennoch nicht in Betracht, da diese nach dem maßgeblichen Vertreibungsvorgang der Umsiedlung zurückgelegt worden sind. Der Senat unterstellt dabei die von der Klägerin gemachten Angaben zu ihren Gunsten als zutreffend, dass sie im Oktober 1944 von den Nationalsozialisten aus T., Ukraine, in den W. umgesiedelt, nach Aufnahme in das Lager S. und anschließender Einbürgerung in L. auf der Flucht in Richtung Westen von den russischen Truppen gefangen genommen und in die ehemalige Sowjetunion verschleppt worden ist.

Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG ist auch Vertriebener, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger aufgrund der während des 2. Weltkriegs geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge oder während des gleichen Zeitraums aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist (Umsiedler). Der maßgebliche Umsiedlungsvorgang in diesem Sinne fand damit im Oktober 1944 statt. Er ist dabei bereits mit der Aufgabe des Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet verwirklicht (von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht B1, § 7 BVFG Anm. 2; BVerwG, Buchholz 412.3 § 7 BVFG Nr. 5 S. 3 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Umsiedlung nicht erst mit ihrer Ankunft im Bundesgebiet abgeschlossen. Die mit der Einreise ermöglichte Anerkennung als Vertriebener ist nur Voraussetzung für die Betreuungsberechtigung, vollendet aber nicht etwa im Sinne eines letzten Teilaktes den Vertreibungstatbestand der Umsiedlung (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05 R). Hierfür spricht neben dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG ("umgesiedelt worden ist") auch der Umstand, dass es für den Erwerb des Vertriebenenstatus nicht darauf ankommen kann, ob der Umsiedler, sei es in seinem neuen Siedlungsgebiet, sei es auf der Flucht nach Westen, den Rückführungsmaßnahmen der roten Armee zu seinem Glück entkommen konnte oder nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 3. November 1997, Az 24 B 94.2596, in juris).

Entgegen der Annahme der Klägerin ist auch nicht in der Bescheinigung der Regierung von Schwaben vom 17. Juli 2006 festgestellt worden, dass der Vertriebenenstatus der Klägerin als Umsiedlerin erst mit dem Zuzug in das Bundesgebiet am 25. Dezember 1998 vollendet worden ist. Ein derartiger Erklärungswert kann dieser Bescheinigung nicht entnommen werden. Hierin wird vielmehr nur festgestellt, dass die Klägerin Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG und im Bundesgebiet seit 25. Dezember 1998 (laut Anmeldebestätigung) ist. Liegt der Sachverhalt der vollendeten Umsiedlung mit der Aufgabe des Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet vor, ist der Status des Vertriebenen (hier der Umsiedlerin) entstanden. Die Ausstellung der Bescheinigung der Regierung von Schwaben vom 17. Juli 2006 hat nur noch deklaratorischen Charakter. Die Aufenthaltnahme im Bundesgebiet ist Voraussetzung für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen, nicht aber für die Entstehung des Status als Umsiedler. Daran hat sich nur etwas für Aussiedler, nicht jedoch für Umsiedler, durch das Inkrafttreten des neuen Aussiedleraufnahmegesetzes zum 1. Juli 1990 geändert, da insoweit nunmehr nicht nur ein Verlassen des Vertreibungsgebietes, sondern ein Verlassen "im Wege der Aufnahme" verlangt wird.

Obwohl in § 15 Abs. 1 FRG die in § 16 Abs. 1 FRG vorhandene Einschränkung fehlt, dass nur solche Zeiten im Bundesgebieten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden, ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. Oktober 2006, Az. B 5 RJ 21/05 R; BSGE 80, 186, 190; BSGE 49, 175, 189 f.), der sich der Senat anschließt, davon auszugehen, dass nach Systematik und Sinn und Zweck des Fremdrentenrechts diese Einschränkungen auch für die im Herkunftsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten gelten. Die Annahme der Klägerin, das FRG wolle alle Nachteile ausgleichen, die einer Person dadurch entstanden seien, dass sie Vertriebene sei, solange diese noch nicht endgültig in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert sei, trifft nicht zu. Wie das BSG ausgeführt hat, ist es Grundanliegen des Fremdrentenrechts, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Da derartige Nachteile alle Rentenversicherten gleich treffen, die außerhalb der Geltung von Sozialversicherungsabkommen und anderem internationalen Recht im Ausland beschäftigt waren, muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird. Infolgedessen wird in § 16 FRG ein Grundgedanke ausgedrückt, dass nicht jegliche Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet allein mit Rücksicht auf die Vertriebeneneigenschaft zu berücksichtigen sind, sondern nur diejenigen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden sind. War die Vertreibung also bereits abgeschlossen, können die nachfolgenden Zeiten nach den Vorschriften des FRG nicht mehr den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt werden (vgl. auch BSGE 41, 257).

Die von der Klägerin gegen diese Rechtsprechung des BSG erhobenen Einwendungen können den Senat nicht überzeugen. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass § 15 FRG nach seinem Wortlaut die Einschränkung auf Beitragszeiten, die bis zur Vertreibung zurückgelegt worden sind, nicht enthält. Das BSG hat aber eine zulässige und gebotene Auslegung dieser Bestimmung nach ihrem Sinn und Zweck vorgenommen, die einer Interpretation nach dem bloßen Wortlaut der Bestimmung den Vorzug zu geben ist. Denn bei einer am reinen Wortlaut orientierten Auslegung der §§ 15 und 16 FRG würde sich die Frage stellen, warum Beschäftigungszeiten gemäß § 16 FRG nur insoweit zu berücksichtigen sein sollen, als sie vor der Vertreibung zurückgelegt wurden, während dies für Beitragszeiten auch dann gelten soll, wenn sie nach der Vertreibung zurückgelegt wurden. Ein nachvollziehbarer Grund für eine derartige Differenzierung ist nicht ersichtlich. Eine am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung, vertreibungsbedingte Verluste von ausländischen Rentenanwartschaften zu entschädigen, führt hingegen sowohl für Beschäftigungszeiten als auch für Beitragszeiten zu einem sachgerechten Ergebnis. Soweit die Klägerin insoweit darauf abhebt, der Vertreibungszustand bestehe bis zur Rückkehr in das Bundesgebiet fort, trifft dies - wie oben dargelegt - nicht zu.

Darüber hinaus ist auch die Annahme der Klägerin unzutreffend, das Urteil des BSG vom 17. Oktober 2006, Az. B 5 RJ 41/05 R, habe für sie keine Bedeutung, da in dem vom BSG entschiedenen Fall der Kläger nicht als Vertriebener anerkannt gewesen sei. Das BSG hat vielmehr in seiner Entscheidung ausdrücklich unterstellt, dass der dortige Kläger als Umsiedler aufgrund des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 100 Abs. 1 BVFG n.F. i.V.m. § 7 BVFG zum Personenkreis des § 1 Bst. a FRG zu rechnen sei. Einziger Unterschied zu dem hier zu entscheidenen Fall ist also, dass hier die Klägerin ihre Vertriebeneneigenschaft gemäß § 1 Bst. a) FRG aufgrund eigener Umsiedlung erworben hat, der Kläger in dem vom BSG entschiedenen Fall hingegen seine Vertriebeneneigenschaft von seinen Eltern abgeleitet hat, da er zum Zeitpunkt der Umsiedlung noch nicht geboren war. Eine für die Entscheidung der hier maßgeblichen Rechtsfragen relevanten Unterschied in diesen beiden Fallgestaltungen vermag der Senat nicht zu erkennen.

Zurückzuweisen ist auch der Vorwurf, mit dieser Auslegung würde nationalsozialistisches Unrecht perpetuiert werden. Auch für den Senat steht außer jeder Diskussion, dass die von den deutschen Dienststellen vorgenommenen Umsiedlungsmaßnahmen Unrecht darstellten. Der Gesetzgeber von BVFG und FRG hat aber diesem Unrecht hinreichend Rechnung dadurch getragen, dass er die bis zur Vertreibung - hier in Form der Umsiedlung - zurückgelegten Versicherungsbiografien aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entschädigt. Soweit nach der Umsiedlung ein weiterer Vertreibungstatbestand iSd § 1 FRG i.V.m. § 1, 4 BVFG eingetreten ist, besteht auch die Möglichkeit der Entschädigung der nach der Umsiedlung in den Herkunftsgebieten zurückgelegten Versicherungszeiten. Für den Senat ist damit der Vorwurf nicht haltbar, nationalsozialistischen Willkürentscheidungen würde durch diese Rechtsprechung zur Geltung verholfen.

In der Beschränkung der Anrechnung von Versicherungszeiten auf Zeiten, die bis zum maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt worden sind, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Grundanliegen des FRG ist es, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Die Begünstigung durch das FRG muss dabei - wie oben ausgeführt - auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird. Das FRG gleicht also nur den Verlust von bis zur Vertreibung erworbenen Rentenanwartschaften aus, nicht jedoch eventuelle Schwierigkeiten beim Neuaufbau einer Altersversorgung (vgl. BSG, a.a.O.; BSGE 80, 186, 190). Eine Schlechterstellung der Klägerin im Vergleich zu anderen Vertriebenen liegt nicht vor, da diese Grundsätze für alle Vertriebene gelten.

Aus dem Vertreibungstatbestand der Umsiedlung kann die Klägerin damit keine auf die allgemeine Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten des Versicherten ableiten.

Ein anderer Vertreibungstatbestand im Sinne des § 1 a-d FRG liegt nicht vor.

Die Verschleppung der Klägerin durch die sowjetische Streitkräfte auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion erfüllt keinen der in § 1 Bst. a FRG i.V.m. § 1, 4 BVFG genannten Vertreibungstatbestände.

Die Klägerin ist nicht als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BVFG anerkannt. Im Zuge der von der Beklagten angestoßenen Feststellung der Vertriebeneneigenschaft der Klägerin ergab sich nur, dass die Klägerin als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG anerkannt ist. Eine Anerkennung als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BVFG liegt hingegen nicht vor. Diese wäre aber Voraussetzung für eine Anerkennung des entsprechenden Status durch die Beklagte, da insoweit eine Bindung der Beklagten an Entscheidungen der Ausgleichsverwaltung besteht. Eine Anerkennung als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1 BVFG scheidet darüber hinaus bei einem Zuzug am 25. Dezember 1998 offenkundig aus; in Betracht käme hier allenfalls eine Anerkennung als Spätaussiedlerin. Eine Anerkennung gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BVFG käme nur in Betracht, wenn die Klägerin nach dem 30. Januar 1933 die in § 1 Abs. 1 BVFG genannten Gebiete verlassen und ihren Wohnsitz außerhalb des Deutschen Reichs genommen hätte, weil aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen gegen sie (oder ihre Eltern) verübt worden sind oder ihr (oder ihren Eltern) drohten. Dafür gibt der eigene Vortrag der Klägerin jedoch keinerlei Anhaltspunkte.

Dies gilt gleichermaßen für den behaupteten Status einer Aussiedlerin iSd § 1 Abs.2 Nr. 3 BVFG. Diese Norm ist auf die Klägerin in der ab 2. Januar 1993 bis 23. Mai 2007 (Fassung vom 2. Juni 1993) gültigen Fassung (n.F.) anzuwenden. Maßgebend ist die im Zeitpunkt des Zuzugs der Klägerin in das Bundesgebiet geltende Fassung des BVFG. Zuzugszeitpunkt war nach den eigenen Angaben der Klägerin und der Bescheinigung der Regierung von Schwaben vom 17. Juli 2006 der 25. Dezember 1998. Die Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin, diese habe ihren Wohnsitz bereits vor dem 1. Januar 1993 im Bundesgebiet gehabt, ist damit nicht nachvollziehbar.

Nach der Übergangsregelung des § 100 Abs. 1 BVFG n.F. finden die vor dem 1. Januar 1993 geltenden Vorschriften des BVFG für Personen im Sinne der §§ 1 - 3 BVFG nur nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 Anwendung. Abs. 2 betrifft die Ausstellung von Vertriebenenausweisen, Abs. 3 den Datenschutz, Abs. 4 und 5 Spätaussiedler mit einer Übernahmegenehmigung vor dem 1. Juli 1990 oder einem Aufnahmebescheid vor dem
1. Januar 1993, Abs. 6 Aussiedler mit ständigem Aufenthalt im Beitrittsgebiet vor dem
1. Juli 1991 sowie Abs. 7 und 8 die Anwendung des § 90 a BVFG. Für eine Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG in einer Fassung vor der Fassung vom 2. Juni 1993 verbleibt damit kein Raum.

Die Klägerin ist keine Aussiedlerin gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG n.F. Nach dieser Bestimmung ist Vertriebener auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem
1. Juli 1990 oder danach im Wege des Aufnahmeverfahrens vor dem 1. Januar 1993 die ehemalige Sowjetunion verlassen hat oder verlässt, es sei denn, dass er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31. März 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in diesen Gebieten begründet hat (Aussiedler). Die Klägerin ist also allein schon deshalb nicht Aussiedlerin im Sinne dieser Bestimmung, da sie die ehemalige Sowjetunion nicht vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat.

Die Klägerin ist aber auch nicht Spätaussiedlerin im Sinne des § 1 FRG iVm § 4 Abs. 1, 2 BVFG n.F ... Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Klägerin keinen Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft vorgelegt hat. Der Nachweis der Spätaussiedlereigenschaft wäre durch eine von der Klägerin selbst zu beantragende Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes zu erbringen (§ 15 BVFG; BSG, Urteil vom 26. Januar 2003, Az. B 13 RJ 39/98 R). Darüber hinaus ist sie nach Auffassung des Senats auch unzweifelhaft nicht Spätaussiedlerin im Sinne des § 4 Abs. 1, 2 BVFG n.F., da sie die Republiken der ehemaligen Sowjetunion zwar nach dem 31. Dezember 1992 verlassen hat, dies jedoch nach den Feststellungen des Landratsamts A-Stadt, die in Übereinstimmung mit ihren eigenen Angaben stehen, nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens.

Die anderen Alternativen des § 1 FRG sind offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin nicht infolge der Kriegsauswirkungen daran gehindert, den früher für sie zuständigen Versicherungsträger in der Ukraine in Anspruch zu nehmen (vgl. § 1 Bst. b FRG). Auch wurde die Klägerin nicht nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht, sondern ihre Eltern. Hinterbliebene haben insoweit ggf. nur Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung (vgl. § 1 Bst. c und e FRG). Schließlich ist die Klägerin auch nicht heimatlose Ausländerin im Sinne des § 1 Bst. d FRG. Ob die Klägerin Heimkehrerin im Sinne des Heimkehrergesetzes, Heimatvertriebene iSd § 2 BVFG oder "unechte Kriegsgefangene" im Sinne des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ist, kann dahinstehen, da diese Personengruppen - soweit nicht daneben die Voraussetzungen des § 1 FRG erfüllt sind - nicht in den Katalog des § 1 FRG fallen. Soweit die Klägerin geltend macht, Verschleppte im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 4 SGB VI zu sein, verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2006 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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