L 4 KR 496/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 322/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 496/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei der hier durchgeführten Therapie des Schlafapnoe-Syndroms handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Der Behandlung einer obstruktiven Schlafapnoe mit einer Unterkieferprotrusionsschiene liegt ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde.
2. Bislang liegt hierzu die erforderliche Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht vor.
3. Eine positive Empfehlung liegt insb. nicht in den Ausführungen des Unterausschusses „Ärztliche Behandlung“ des GBA in dem Bericht „Diagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen“ über die Beratungen von 1998-2004 zur Bewertung der Polygraphie und Polysomographie vor.
4. Auch ein Systemversagen ist nicht gegeben.
5. Das Schlafapnoe-Syndrom stellt weder eine Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1 a SGB V noch einen sog. Seltenheitsfall dar.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. Oktober 2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 7. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2017 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten für eine Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) in Höhe von 1.312,24 Euro streitig.

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einem Schlafapnoesyndrom. Die Klägerin beantragte am 09.09.2016 unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Praxis für zahnärztliche Schlafmedizin Dr. Karl H. und eines Kostenvoranschlages der Praxis vom 07.09.2016 bei der Beklagten eine UPS. Nach der ärztlichen Bescheinigung liege laut beiliegendem Befundbericht des HNO-Facharztes Dr. F. ein leichtgradiges Schlafapnoesyndrom vor. Da die Obstruktionen mit Abfall der Sauerstoffsättigung überwiegend rückenlageassoziiert seien, sei die Prognose für eine Behandlung mit der UPS gut. Die Behandlung sei medizinisch indiziert.

Mit Schreiben vom 12.09.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet werde und forderte aktuelle Befundberichte an. Nach Weiterleitung der Unterlagen an den MDK und erfolgter Stellungnahme werde über den Antrag entschieden.

Der MDK kam in seinem Hilfsmittelgutachten vom 06.10.2016 zum Ergebnis, eine Hilfsmittelversorgung mit dem im Kostenvoranschlag ausgewiesenen Produkt sei nicht erforderlich. Das Hilfsmittel sei nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Es stehe im Zusammenhang mit der Therapie eines Schlafapnoesyndroms. Standardtherapie sei die nCPAP-Therapie, bei leichteren Formen könne eine Indikation für eine orofaciale Gebissschiene bestehen. Die Wirksamkeit des empfohlenen Hilfsmittels könne erst nach Effektivitätskontrolle beurteilt werden. Vor einer definitiven Versorgung bei nicht gesichertem Therapieerfolg wäre daher zunächst die Anpassung einer thermolabilen bzw. provisorischen Schiene zu empfehlen gewesen.

Mit Bescheid vom 07.10.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin erhob Widerspruch. Die UPS sei aus ärztlicher Sicht das einzig medizinisch notwendige Hilfsmittel, um der Klägerin wirksam zu helfen. Die Rechtsprechung habe in vergleichbaren Fällen die Esmarch-Orthese anerkannt.

Die Klägerin legte zusätzliche Unterlagen vor. Aus einer ärztlichen Bescheinigung des Neurologen Dr. R. vom 18.11.2016 geht hervor, dass sie an rezidivierenden mittelgradigen depressiven Episoden, Panikattacken und Agoraphobie leidet und seit Jahren mit Antidepressiva behandelt wird. Wegen der psychischen Erkrankung sei medizinisch zu empfehlen, dass die Klägerin nicht mit einer Atemmaske behandelt werde. Aufgrund der allgemeinen medizinischen Erfahrung sei eindeutig davon auszugehen, dass der Erfolg einer solchen Behandlung wegen der psychischen Erkrankung erheblich gefährdet sei. Vorgelegt wurde weiter das Ergebnis einer Messung mit Protrusionsschiene in der Praxis Dr. F. sowie ein diesbezüglicher Arztbrief, nach dem subjektiv und objektiv eine Besserung eingetreten sei.

In einer Stellungnahme vom 15.12.2016 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass auch nach Vorlage der Messungen das beantragte Hilfsmittel nicht befürwortet werde. Ziel sei es vielmehr, Rückenlage zu vermeiden. Dies könne durch Einnähen eines Tennisballs in das Schlafanzugoberteil oder durch Tragen eines handelsüblichen Reiserucksacks erreicht werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln bestehe nur bei Vorliegen einer medizinischen Indikation. Zur Klärung der Frage, ob eine medizinische Indikation vorliege, sei der MDK eingeschaltet worden. Die Gutachter des MDK seien zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nicht vorlägen.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 02.03.2017 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Die bereits angeschaffte UPS werde sehr erfolgreich angewendet. Die Klägerin schlafe sehr gut, die Schlafapnoe sei nicht mehr vorhanden. Dieser Erfolg sei mit einer Zahnspange aus Sicht der Klägerin nicht zu erzielen. Im Übrigen hätten bereits mehrere Sozialgerichte die UPS als medizinisch notwendig anerkannt.

Die Klägerin hat weiter eine ärztliche Stellungnahme der Neurologin Dr. M. vom 09.03.2017 vorgelegt. Danach sei die von der Klägerin geschilderte erhöhte Tagesmüdigkeit behoben, wie auch in der aktuellen Polygraphie nachgewiesen. Dies sei unter der vorherigen Zahnspange nicht der Fall gewesen. Eine weitere Diagnostik oder Therapie sei nicht erforderlich.

Das SG hat den Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 01.08.2017 nach persönlicher Untersuchung der Klägerin kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Notwendigkeit des beantragten Hilfsmittels nicht beurteilt werden könne, da eine absolut unzureichende Diagnostik vorliege. Bisher seien lediglich Polygraphien mit und ohne UPS durchgeführt worden, die nur als Screening-Methode dienten. Es bestehe lediglich der Verdacht auf ein Schlafapnoesyndrom. Um eine Beurteilung vornehmen zu können, sei eine Polysomnographie erforderlich.

Das SG hat Herrn Dr. S., Schlafmedizinisches Zentrum am Klinikum I. in M-Stadt, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Gutachter kommt nach Durchführung einer polysomnographischen Untersuchung (zwei Schlaflabornächte, einmal mit und einmal ohne UPS) in dem Gutachten vom 05.01.2018 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit Tragen der UPS unter einem leichten Schlafapnoesyndrom, ohne Tragen der UPS an einem mittelgradigen Schlafapnoesyndrom leide. Es seien deutliche Unterschiede insbesondere der schlafbezogenen Atmungsparameter zu objektivieren. Der Apnoe-Hypopnoe-Index sei mit UPS bei 9,7/h, ohne UPS bei 18,7/h gelegen. Es sei zu weniger Aufweckreaktionen (11 pro Stunde anstatt 14 pro Stunde) und zu weniger respiratorischen Arousals (Aufwachreaktionen aufgrund behinderter Atmung; 9 mit UPS, 33 ohne UPS) gekommen. In Anbetracht der kardiovaskulären Folgeerkrankungen eines Schlafapnoesyndroms werde zur Therapie mit der UPS geraten. Obstruktive Schlafapnoen könnten auch mit anderen Therapieverfahren behandelt werden, z.B. mit Rückenlage-Verhinderungswesten oder sehr häufig mit einer CPAP-Maskenbehandlung, die die Klägerin nach eigenen Angaben nicht vertragen habe.

Die Beklagte hat auf Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 05.07.2016 (L 1 KR420/14) und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.06.2017 (L 1 KR 467/15) verwiesen. Der Einsatz der UPS unterliege der Sperrwirkung des in § 135 Abs.1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt. Weder Leitlinien noch Konsensempfehlungen medizinischer Fachgesellschaften bestimmten den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten. Trotz der Empfehlung in dem Gutachten von Dr. S. sei ein Anspruch nicht gegeben. Im Übrigen habe der Gutachter festgestellt, dass andere Therapieverfahren zur Verfügung stünden.

Der Sachverständige Dr. S. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.06.2018 ausgeführt, es sei dringend eine Behandlung des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms der Klägerin empfohlen. Da die Klägerin eine CPAP-Maskentherapie nicht toleriere, werde aus schlafmedizinischer Sicht die UPS empfohlen. Deren Nutzen sei polysomnographisch eindeutig nachgewiesen.

Die Klägerin hat eine Rechnung vom 02.11.2016 von Dr. H. mit einem Rechnungsbetrag von insgesamt 1.312,24 Euro vorgelegt.

Das SG hat mit Urteil vom 02.10.2018 den Bescheid vom 07.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Kosten in Höhe von 1.312,24 Euro entsprechend der Rechnung vom 02.11.2016 für die UPS zu erstatten. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Kostenerstattung für das beantragte Hilfsmittel gem. §§ 13 Abs.3 Satz 1 Alt. 2, 33 Abs.1, 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB V.

Nach § 13 Abs.3 Satz 1 SGB V seien, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig gewesen sei. Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe grundsätzlich im Rahmen des § 13 Abs.3 S.1 SGB V nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorlägen, d.h., dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehöre, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hätten.

Vorliegend ergebe sich ein Primäranspruch auf Sachleistung aus §§ 27 Abs.1 Nr. 3, 33 Abs.1 SGB V. Die Kammer sei aufgrund des schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachtens überzeugt, dass die UPS im vorliegenden Fall der Klägerin medizinisch notwendig sei. Dr. S. habe vorliegend sehr überzeugend aufgrund einer aufwendig durchgeführten polysomnographischen Untersuchung ausgeführt, dass die Klägerin an einem leicht- bis mittelgradigen Schlafapnoesyndrom leide. Durch das Tragen der UPS könnten nächtliche Atemaussetzer deutlich verringert, sogar halbiert werden. Konkret führe die Anwendung des Hilfsmittels zu weniger Aufweckreaktionen (11 pro Stunde anstatt 14 pro Stunde) und zu weniger respiratorischen Arousals (Aufwachreaktionen aufgrund behinderter Atmung, 9 mit UPS, 33 ohne UPS). Diese Ergebnisse erachte die Kammer als ausreichend, um eine medizinische Erforderlichkeit anzunehmen. In Anbetracht der kardiovaskulären Folgeerkrankungen werde eine Therapie mit der UPS durch Dr. S. empfohlen. Es gebe zwar weitere Therapieformen eines Schlafapnoesyndroms, jedoch seien diese nicht gleich geeignet den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Das Tragen der UPS werde insoweit dringend angeraten. Insbesondere die nCPAP-Maskentherapie komme für die Klägerin nicht in Betracht. Dies folge aus der ärztlichen Stellungnahme des Dr. R. vom 18.11.2016. Der Klägerin sei aufgrund einer rezidivierenden mittelgradigen Episode, Panikattacken und Agoraphobie das Tragen einer nCPAP-Maske nicht möglich. Vor diesem Hintergrund sehe die Kammer eine medizinische Erforderlichkeit als ausreichend erwiesen an.

Dem Anspruch der Klägerin stehe nicht der Umstand entgegen, dass die UPS im Hilfsmittelverzeichnis seit Januar 2006 nicht mehr gelistet sei. Insoweit folge die Kammer den nachvollziehbaren und überzeugenden rechtskräftigen Entscheidungen des SG Kiel vom 11.04.2013 (Az. S 10 KR 349/10) und SG Düsseldorf, vom 26.02.2015 (S 8 KR 779/13). Insbesondere hätten die dort aufgeführten Umstände, dass die einschlägige S3-Leitlinie "Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen" bei Patienten mit leichter oder mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe die UPS als eine Therapieoption mit dem hohen Evidenzgrad "A" aufführe (vgl. Seite 19 der Kurzfassung der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung & Schlafmedizin - DGSM - zu "Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen" i.V.m. der Langfassung, S. 5), überzeugt; sowie der weitere zutreffende Hinweis, dass auch der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) offensichtlich nicht von der Erforderlichkeit einer positiven Empfehlung gem. § 135 SGB V ausgehe (Zusammenfassender Bericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA über die Beratungen von 1998 - 2004 zur Bewertung der Polygraphie und Polysomnographie im Rahmen der Differenzialdiagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen gem. § 135 Abs.1 SGB V, vom 27.01.2006, S. 23). Darüber hinaus erachte der GBA die UPS offensichtlich nicht nur als wirksames Mittel, sondern im Verhältnis zur nCPAP-Therapie als eine vorrangige Behandlungsmethode: "Reichen diese Maßnahmen (u.a. UPS; die Verfasserin) nicht aus und besteht weiterhin eine behandlungsbedürftige Schlafapnoe, hat sich der Einsatz der so genannten nCPAP-Therapie bewährt (Zusammenfassender Bericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung"; a.a.O. S. 23).

Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in der Entscheidung vom 28.09.2006, B 3 KR 28/05 R ausgeführt, dass eine Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode durch den GBA nach § 135 SGB V nicht herbeizuführen sei, wenn ein Hersteller ein neues Hilfsmittel auf den Markt bringe, das nicht der Anwendung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode diene, sondern im Rahmen einer eingeführten, anerkannten Behandlungsmethode zum Einsatz kommen solle. Nichts anderes könne gelten, wenn die Anwendung des Hilfsmittels in der Vergangenheit bereits anerkannt gewesen sei, sowie dies vorliegend ausweislich der bis 2006 geltenden Hilfsmittelliste der Fall gewesen sei. Hinzu komme, dass - wie bereits ausgeführt - jedenfalls seit 2009 erhebliche Evidenzen und eine entsprechende S3-Leitlinie existierten (vgl. SG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2015, S 8 KR 779/13). Unberücksichtigt müsse demgegenüber bleiben, dass der GBA im Mai 2018 ein Beratungsverfahren in Bezug auf die UPS eingeleitet habe. Hintergrund sei, dass im Rahmen der Kostenerstattung auf den Sachstand zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung im November 2016 abzustellen sei.

Es lägen auch die weiteren Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V vor. Insbesondere sei der Beschaffungsweg eingehalten worden, da der Kauf der UPS nach Ablehnung des Antrags erfolgt sei.

Die Beklagte hat am 02.11.2018 Berufung beim Bayerischen LSG eingelegt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte UPS, weil es an der gemäß § 135 Abs.1 S.1 Nr.1 SGB V erforderlichen positiven Empfehlung des GBA fehle. Der GBA habe mit Beschluss vom 17.05.2018 das Beratungsverfahren zur UPS bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe bei Erwachsenen eingeleitet und mit Beschluss vom 13.09.2018 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, eine Bewertung durchzuführen. Sofern ein Hilfsmittel - wie vorliegend - den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern solle und dabei im untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingesetzt werde, sei eine Empfehlung des GBA Voraussetzung für einen Anspruch auf das Hilfsmittel (BSG, Urteil vom 08.07.2015, B 3 KR 15/14 R). Dem stehe nicht entgegen, dass die UPS in der S3-Leitlinie "Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen" der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin bei obstruktiven Schlafapnoen als Therapieform erwähnt werde. Die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sei dem GBA zugewiesen. Leitlinien könnten keine Auswirkungen auf das Leistungsrecht der GKV haben. Auch aus der Tatsache, dass der GBA die UPS im zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" über Beratungen von 1998-2004 zur Bewertung der Polygraphie und Polysomnographie im Rahmen der Differenzialdiagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atemstörungen vom 27.01.2006 als Therapieform erwähnt habe, könne nicht geschlossen werden, dass der GBA ein Bewertungsverfahren für die UPS nicht für erforderlich halte.

Im Übrigen habe die Beklagte im vorliegenden Fall Zweifel an der Erforderlichkeit der UPS. Der Gutachter habe als alternative Therapie auch die Rückenlage-Verhinderungs-weste genannt. Auch diese Therapieform hätte im Schlaflabor erprobt werden müssen. Die Beklagte gebe zu bedenken, dass die Klägerin auch mit UPS unter einer leichtgradigen Schlafapnoe leide.

Die Klägerin hat nochmals darauf hingewiesen, dass der GBA in einem Schreiben vom 11.05.2017 ausgeführt habe, dass das Hilfsmittelverzeichnis keinen abschließenden Katalog darstelle. Das SG habe zu Recht auf die einschlägige S 3-Leitlinie und den Bericht des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" hingewiesen. Im Übrigen habe der erfahrene Gutachter Dr. S. zwar eine Rückenlageverhinderungsweste als alternative Therapie erwähnt, aber dennoch ohne eigene Testung im Schlaflabor weiterhin eine UPS zur Behandlung empfohlen. Weiter habe er eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass eine Testung mit CPAP-Maske nicht erfolge, weil die Klägerin diese Methode nicht toleriere. Es bleibe als einzige mögliche und erfolgreiche Behandlungsmethode die UPS.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München von 02.10.2018 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 07.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten für die UPS zu erstatten. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihr selbst beschafften UPS nicht zu.

1.) Ein Anspruch ergibt sich nicht aufgrund fingierter Genehmigung des Leistungsantrags gemäß § 13 Abs.3a SGB V. Zwar ist § 13 Abs.3a SGB V im Bereich der Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V für Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung i.S. von § 33 Abs.1 S.1 Var 1 SGB V eröffnet. Die Beklagte hat aber über den Antrag der Klägerin innerhalb der hier anzuwendenden Frist von fünf Wochen entschieden, nachdem sie die Klägerin innerhalb einer Frist von drei Wochen über die Hinzuziehung des MDK informiert hatte.

2.) Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten kommt daher allein § 13 Abs.3 S.1 SGB V in Betracht. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind da-durch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Die Voraussetzungen des § 13 Abs.3 S.1 SGB V sind nicht erfüllt sind.

a.) Eine unaufschiebbare Leistung i.S. von § 13 Abs.3 S.1 Alt.1 SGB V kommt offensichtlich nicht in Betracht. Das Vorliegen einer Notfallsituation ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b.) Auch die Voraussetzungen von § 13 Abs.3 S.1 Alt.2 SGB V sind nicht erfüllt. Zwar ist der Beschaffungsweg eingehalten. Ausweislich der vorgelegten Rechnung ist am 07.09.2016 eine Funktionsanalyse erfolgt und ein Befundbericht und Heil- und Kostenplan aufgestellt worden. Die Therapie begann am 12.10.2016 - also nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides - mit der Abformung des Kiefers.

Der Leistungsanspruch scheitert aber daran, dass der Klägerin ein Anspruch auf die von ihr begehrte Leistung nicht zusteht. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R). Ein Anspruch auf die begehrte UPS scheitert daran, dass es sich bei der zahnärztlichen Therapie der leichten bis mittelgradigen Schlafapnoe mit einer UPS um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode gemäß § 135 Abs.1 SGB V handelt, für die eine positive Bewertung des GBA bisher nicht vorliegt.

aa.) Der Anspruch auf Hilfsmittelversorgung richtet sich nach § 33 Abs.1 S.1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" grundsätzlich nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs.1 SGB V nicht bewilligen (BSG 10.03.2011, B 3 KR 9/10 R). Das begehrte Hilfsmittel muss nicht im sog. Hilfsmittelverzeichnis (siehe § 139 SGB V) gelistet sein; bei diesem Verzeichnis handelt es sich nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste.

bb.) Bei der von der Klägerin begehrten UPS handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V, das erforderlich ist, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Dies ist dann der Fall, soweit ein Hilfsmittel spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung (§ 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB V) eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Der spezifische Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setzt voraus, dass die Verwendung des begehrten Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen ist. Die Eigenschaft als Hilfsmittel bleibt bei sächlichen Mitteln auch dann erhalten, wenn sie Bestandteil einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode sind (vgl. BSG, Urteil vom 08.07.2015, B 3 KR 5/14 R).

Die Klägerin leidet an einer mittelgradigen obstruktiven Schlafapnoe, einer schlafbezogenen Atemstörung. Mit der zahnärztlichen Therapie mit einer UPS wird ein therapeutischer Erfolg in Bezug auf das Schlafapnoe-Syndrom angestrebt.

cc.) Sofern ein Hilfsmittel den Erfolg einer Krankenbehandlung i.S. von § 33 Abs.1 Satz 1 1.Alt. SGB V sichern soll und dabei in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode i.S. von § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V eingesetzt wird, ist Voraussetzung für einen Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs.1 Satz 1 1.Alt. SGB V weiter, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den GBA anerkannt worden ist (vgl. BSG, a.a.O.). Bei der zahnärztlichen Therapie einer mittelgradigen Schlafapnoe mit einer UPS handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs.1 SGB V.

Der Begriff der Behandlungsmethode beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl. BSG, a.a.O.). "Neu" im Sinne von § 135 Abs.1 SGB V ist eine Methode, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige zahnärztliche Leistung im Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen (BEMA) oder im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten ist. Es muss sich damit nicht um eine völlig neuartige ärztliche oder zahnärztliche Methode handeln.

Nach diesen Kriterien handelt es sich bei der vorliegend durchgeführten Therapie des Schlafapnoe-Syndroms um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 27.06.2017, L 1 KR 467/15 unter Hinweis auf Einschätzungen des GBA in den vom SG und vom LSG eingeholten Stellungnahmen sowie auf ein Sachverständigengutachten). Der Behandlung einer obstruktiven Schlafapnoe mit UPS liegt danach ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde. Durch eine UPS sollen die oberen Atemwege erweitert und stabilisiert werden, indem der Unterkiefer vorverlagert und dadurch die suprahyoidalen Gewebe mit dem Effekt einer Volumenvermehrung des Atemweges auf Höhe des Velums, Zungengrund und Epiglottis gespannt werden. Damit unterscheidet sich die UPS-Therapie von anderen Therapieformen, insbesondere der Behandlung mittels einer CPAP-Maske. Hierbei sollen die Atemwege durch eine Überdruckerzeugung offengehalten werden. Bei der bei der Klägerin durchgeführten Therapie handelt es sich im Übrigen gerade nicht um den Einsatz eines vorgefertigten Hilfsmittels. Ausweislich der vorgelegten zahnärztlichen Rechnung handelt es sich vielmehr um eine zahnärztliche Therapie mit Fertigung einer individuell angepassten Schiene. Diese zahnärztliche Therapie ist neu, die Leistung ist im BEMA nicht gelistet.

Mit dieser Therapie steht die von der Klägerin begehrte UPS in untrennbarem Zusammenhang. Das methodische Konzept der Therapie beruht entscheidend auf dem Einsatz dieser Schiene. Die Methode lässt sich nicht von der Schiene trennen.

Die damit gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB V erforderliche Empfehlung in den Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 5 SGB V hat der GBA bislang nicht abgegeben. Ein diesbezügliches Bewertungsverfahren wird derzeit durchgeführt.

Aus der vom SG angeführten Tatsache, dass UPS bis zum Jahre 2006 im Hilfsmittelverzeichnis gelistet gewesen seien, folgt nichts anderes. Die damalige Listung von Esmarch-Orthesen unter den Systemen zur Schlafapnoe-Behandlung bei nachgewiesener Rückbildung der schlafbezogenen Atmungsstörungen im Hilfsmittelverzeichnis ersetzt nicht die nach § 135 Abs.1 SGB V erforderliche Empfehlung des GBA. Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung liegt eine positive Empfehlung nicht in den Ausführungen des Unterausschusses "Ärztliche Behandlung" des GBA in dem zusammenfassenden Bericht "Diagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen" über die Beratungen von 1998-2004 zur Bewertung der Polygraphie und Polysomnographie im Rahmen der Differenzialdiagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen gemäß § 135 Abs.1 SGB V vom 27.01.2006. Zwar heißt es in dem Bericht, dass durch eine UPS ("Esmarch-Orthese") bei manchen Patienten ebenfalls eine Besserung des Schnarchens und der Apnoen zu erzielen sei. Darin liegt jedoch keine positive Empfehlung im Sinne von § 135 Abs.1 SGB V. Es handelt sich vielmehr um zusätzliche Ausführungen im Rahmen eines Verfahrens zur Bewertung der Untersuchungsmethoden Polygraphie und Polysomnographie. Eine umfassende Prüfung und Bewertung der UPS-Therapie hat demgegenüber in dem genannten Bericht nicht stattgefunden. Auch der Hinweis des SG auf die Ausführungen zur UPS in der S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/ Schlafstörung, "Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen" führt zu keinem anderen Ergebnis. Leitlinien von Fachgesellschaften können eine positive Empfehlung des GBA nicht ersetzen.

dd.) Eine Ausnahme, bei der trotz fehlender GBA-Empfehlung eine Behandlung zu Lasten der GKV zu erbringen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 12.08.2009, B 3 KR 10/07 R), liegt nicht vor.

aaa.) Die Voraussetzungen von § 2 Abs.1a SGB V liegen nicht vor, weil die Klägerin weder an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung noch an einer vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, leidet.

bbb.) Das bei der Klägerin vorliegende Schlafapnoe-Syndrom stellt auch keinen sog. Seltenheitsfall dar, weil es in der Bevölkerung häufig vorkommt.

ccc) Schließlich liegt auch kein Systemversagen vor. Der GBA hat vielmehr mit Beschluss vom 17.05.2018 den Antrag der Patientenvertretung vom 20.03.2018 auf Überprüfung der UPS bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe bei Erwachsenen gemäß § 135 Abs.1 SGB V angenommen und den Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung eines Beratungsverfahrens beauftragt. Am 13.09.2018 wurde das IQWiG mit einer Nutzenbewertung beauftragt. Dieses hat am 15.10.2019 einen Vorbericht (vorläufige Nutzenbewertung) herausgegeben. Nach einem auf der Seite des GBA veröffentlichten Zeitplan ist für Mai 2021 eine Beschlussfassung des GBA vorgesehen.

c.) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten. Vertrauensschutz ist nur dann anzuerkennen, wenn ein Beteiligter insoweit einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat. Zwar hat die Beklagte die Kostenerstattung im Verwaltungsverfahren - gestützt auf die Gutachten des MDK - mit der Begründung abgelehnt, dass eine medizinische Indikation nach den Ausführungen des MDK nicht vorliege und hat erst nach Vorliegen des eine medizinische Indikation bejahenden Sachverständigengutachtens im Klageverfahren ausgeführt, es handle sich um eine neue Behandlungsmethode. Sie hat damit aber nicht einen Vertrauenstatbestand dahingehend gesetzt, dass bei Nachweis einer medizinischen Indikation eine Kostenerstattung erfolgen werde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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