L 9 AL 236/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 254/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 236/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die für die Feststellungen des fiktiven Arbeitsentgelts (gem. § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III) erforderliche Bestimmung des primären Zielberufs der Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit bestimmt sich in erster Linie nach der erworbenen beruflichen Qualifikation. Diese wiederum manifestiert sich vor allem im formellen Ausbildungsabschluss des/der Arbeitslosen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. November 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung höheren Arbeitslosengelds. Der im Jahr 1963 geborene Kläger war beziehungsweise ist bei der Firma C. im Werk A. als Maschinist beschäftigt. Die C. ist einer der größten deutschen Hersteller von Tondachziegeln.

Im Juli 2014 wurde der Kläger bei der Arbeit Zeuge eines tödlichen Unfalls. Von da an war er arbeitsunfähig. Vom 06.09.2014 bis 12.05.2016 bezog er von der zuständigen Berufsgenossenschaft Verletztengeld. Die Einstellung des Verletztengelds zum 12.05.2016 begründete die Berufsgenossenschaft damit, der Kläger sei gesundheitlich nunmehr wieder in der Lage, eine zumutbare zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Am 12.05.2016 meldete sich der Kläger bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos zum 13.05.2016 und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Des Weiteren beantragte er am 12.05.2016 eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch. Die Berufsgenossenschaft bewilligte dem Kläger eine Verletztenrente ab 13.05.2016 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20%; der monatliche Zahlbetrag wurde im Bewilligungsbescheid vom 07.06.2016 auf 418,65 EUR festgesetzt. Als Folge des Versicherungsfalls erkannte die Berufsgenossenschaft eine abklingende posttraumatische Belastungsstörung an. Nicht anerkannt wurde dagegen die Gesundheitsstörung einer mittelgradigen depressiven Episode.

Die Beklagte ging davon aus, der Kläger könne nur noch unter 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Mit Bescheid vom 06.07.2016 bewilligte sie auf der Grundlage von § 145 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosengeld mit einer Anspruchsdauer von 450 Tagen bei einem Anspruchsbeginn am 13.05.2016. Der tägliche Leistungsbetrag belief sich auf 30,75 EUR.

Am 14.07.2016 legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Bewilligungsbescheid vom 06.07.2016 Widerspruch ein. Der Widerspruch beziehe sich, so wurde angegeben, insbesondere auf die Höhe des täglichen Leistungsbetrags. Eine Begründung lieferte der Prozessbevollmächtigte nicht. Trotzdem trat die Beklagte in Ermittlungen ein. Sie teilte dem Prozessbevollmächtigten schriftlich mit, im Fall des Klägers habe die Leistungshöhe nach § 152 SGB III ermittelt werden müssen, da der Kläger ab dem 06.09.2014 nur noch Verletztengeld bezogen habe. Sie, die Beklagte, wolle jedoch die Qualifikationsgruppe prüfen. Daher möge mitgeteilt werden, ob der Kläger über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge. Mit Schreiben vom 05.09.2016 antwortete der Prozessbevollmächtigte, der Kläger könne keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Jedoch verfüge er über erhebliche Berufserfahrung, die mit der Qualifikation einer Berufsausbildung vergleichbar sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 als unbegründet zurück. Sie schrieb in der Begründung, die Einstufung des Klägers in Qualifikationsgruppe 4 sei nicht zu beanstanden. Maßgebend für die Einstufung in die Qualifikationsgruppen sei, für welche Tätigkeit die Eingliederung des Klägers in den Arbeitsmarkt die größte Chance eröffne. Ohne Berücksichtigung seiner geminderten Leistungsfähigkeit würde der Kläger in erster Linie für eine Vermittlung in Tätigkeiten in Betracht kommen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung erforderten. Eine Vermittlung in Tätigkeiten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung erforderten, sei dagegen nicht möglich. Unstreitig verfüge der Kläger nicht über eine solche Ausbildung. Ein allein durch Berufserfahrung und Weiterbildungen erworbenes Qualifikationsniveau sei regelmäßig nicht geeignet, die Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf das Segment des Arbeitsmarkts zu erstrecken, für das ihm das formale Qualifikationsniveau fehle.

Am 15.09.2016 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben lassen. Dieser hat geschrieben, er halte eine Einstufung in Qualifikationsgruppe 3 für geboten. Die Beklagte selbst gehe davon aus, dass das formale Qualifikationsniveau nicht ausnahmslos maßgebend sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.11.2016 als unbegründet abgewiesen. Die Einstufung des Klägers in Qualifikationsgruppe 4 im Rahmen der so genannten fiktiven Bemessung hat es als zutreffend erachtet. In welche der Qualifikationsgruppen der Arbeitslose einzustufen sei, so das Sozialgericht in seiner Begründung, bestimme sich in erster Linie nach der Beschäftigung, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen - unter Berücksichtigung des in Betracht kommenden Arbeitsangebots - zu erstrecken habe (erster Prüfungsschritt). Sei die Beschäftigung im Sinn von § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III festgestellt worden, sei sie einer der vier Qualifikationsgruppen zuzuordnen (zweiter Prüfungsschritt, vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 04.07.2012 - B 11 AL 21/11 R). Nach der Rechtsprechung des BSG komme es für die Zuordnung zu der jeweiligen Qualifikationsgruppe grundsätzlich darauf an, ob der Arbeitslose tatsächlich über den für die angestrebte Beschäftigung erforderlichen förmlichen Berufsabschluss verfüge. Die Qualifikationsgruppen des § 152 Abs. 2 Satz 1 SGB III seien ihrer Grundstruktur nach so angelegt, dass einem bestimmten Ausbildungsniveau des Betroffenen ein bestimmtes Entgelt zugeordnet sei. Zwar müsse eine in der Vergangenheit erworbene berufliche Qualifikation nicht immer allein maßgeblich dafür sein, auf welche künftigen Beschäftigungen die Agentur für Arbeit ihre Vermittlungsbemühungen zu erstrecken habe; dennoch werde in der Regel die Feststellung der in Betracht kommenden Beschäftigung in hohem Maß von dem förmlichen Berufsabschluss bestimmt. Ein allein durch Berufserfahrung erworbenes Qualifikationsniveau sei regelmäßig nicht geeignet, die Arbeitsverwaltung zu veranlassen, ihre Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie auf das Segment des Arbeitsmarkts zu erstrecken, für das dem Arbeitslosen - trotz Berufserfahrung - das formale Qualifikationsniveau fehle; insoweit hat das Sozialgericht auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.05.2009 - L 10 AL 378/07 verwiesen. Sei der Berufsabschluss überholt und stelle dieser kein realistisches arbeitsmarktnahes Zuordnungsmerkmal dar, kämen gemäß § 35 Abs. 2 SGB III als weitere Kriterien in Betracht: Lebensalter, beruflicher Werdegang, Leistungsfähigkeit, Eignung und Neigung, persönliche Lebensumstände, Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts (BSG, Urteil vom 05.09.2006, B 7a AL 66/05 R). Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit spiele zunächst keine ausschlaggebende Rolle. Denn der Gesetzgeber habe offensichtlich den förmlichen Abschluss über eine berufliche Qualifikation als Ausgangspunkt für die fiktive Bemessung zugrunde legen und die Agentur für Arbeit von umfangreichen Ermittlungen befreien wollen. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben, so das Sozialgericht weiter, komme für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts des Klägers keine höhere als Qualifikationsgruppe 4 in Betracht. Der Kläger könne keine berufliche Ausbildung nachweisen. Auch im Übrigen sei die Leistungsberechnung der Beklagten korrekt: Das Bemessungsentgelt betrage 58,10 EUR (fiktives Arbeitsentgelt), das Leistungsentgelt 45,90 EUR und der tägliche Leistungsbetrag errechne sich aus der Anwendung des erhöhten Leistungssatzes mit 30,75 EUR.

Am 21.11.2016 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Berufung einlegen lassen. Dieser weist darauf hin, der Kläger sei seit über zwanzig Jahren im selben Betrieb beschäftigt gewesen, dies im Rahmen derselben Tätigkeit. Er verfüge über erhebliche Berufserfahrung, die durchaus der Qualifikation einer abgeschlossenen Berufsausbildung vergleichbar sei. Das Sozialgericht hätte vor diesem Hintergrund eine Auskunft bei der Arbeitgeberin, eventuell auch ein Sachverständigengutachten, einholen müssen. Der Prozessbevollmächtigte moniert, das Sozialgericht habe sich in der Begründung zu viel mit abstrakten Darlegungen und zu wenig mit dem konkreten Fall des Klägers befasst. Es fehle eine nähere Begründung, warum beim Kläger Qualifikationsgruppe 4 maßgeblich sein solle. Der Kläger habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Maschinenführer eine erhöhte Verantwortung getragen, insbesondere erfordere diese Tätigkeit auch die ständige Beschäftigung mit neuer Technik. Heutzutage werde für die Tätigkeit des Klägers eine Person mit abgeschlossener Berufsausbildung eingestellt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.11.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 06.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2016 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld mindestens unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 3 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Am 13.12.2019 hat der Senat einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen dessen Verlauf und Inhalten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Mit Schreiben vom 23.12.2019 hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, der Senat beabsichtige eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), und dazu rechtliches Gehör gewährt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat sein Einverständnis mit einer Entscheidung "ohne weitere Verhandlung" erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen, sind als Streitstoff in das Verfahren eingeführt worden und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Zurecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Ergebnis des Rechtsstreits erscheint klar und der Kläger hatte ausreichend Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen; das hat er auch getan, insbesondere im Erörterungstermin über seinen Prozessbevollmächtigten. Zudem hat das Sozialgericht durch Urteil entschieden; es liegt also kein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG vor (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Entscheidung hat bereits vor dem angekündigten Termin 27.01.2020 ergehen können, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich bereits mit Schriftsatz vom 08.01.2020 erkennbar abschließend geäußert hatte.

Die Berufung ist unbegründet. Der Senat lässt offen, ob überhaupt die Voraussetzungen dem Grunde nach für die Gewährung von Arbeitslosengeld vorlagen. Insoweit bestehen erhebliche Zweifel, ob der Kläger beschäftigungslos war. Denn das Arbeitsverhältnis zur C. dauerte auch noch nach Auslaufen des Verletztengelds fort; in der Arbeitsbescheinigung der Arbeitgeberin ist von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht die Rede. Zudem hat die Firma am 14.07.2016 per E-Mail bei der Beklagten nachgefragt, wieso diese von einem Anspruch des Klägers gegen sie auf Urlaubsabgeltung, Arbeitsentgelt oder Abfindung ausgehe. In der Arbeitsbescheinigung hat die C. die Frage, ob der Kläger unwiderruflich freigestellt worden sei, verneint. Allem Anschein nach bestanden Direktionsrecht und Verfügungsbefugnis der Arbeitgeberin also ohne Einschränkung fort.

Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn jedenfalls hat die Beklagte die Höhe des Arbeitslosengelds zutreffend gemäß § 152 SGB III berechnet und den Kläger dabei korrekt in die Qualifikationsgruppe 4 eingestuft. Auch im Übrigen ist die Ermittlung der Leistungshöhe nicht zu beanstanden.

In der Tat hat die Leistungshöhe auf der Grundlage von § 152 SGB III fiktiv errechnet werden müssen. Insoweit wird vollumfänglich auf die Begründung des Sozialgerichts verwiesen und von einer eigenen Begründung abgesehen (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Dazu besteht zwischen den Parteien auch keinerlei Dissens. Und zurecht hat die Beklagte in diesem Rahmen für den Kläger Qualifikationsgruppe 4 angewandt. Das Sozialgericht hat die abstrakten rechtlichen Vorgaben vollständig und richtig dargestellt; weitere Ausführungen dazu wären unnötige Wiederholung.

Die konkrete Anwendung dieser allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen auf den vorliegenden Fall bestätigt voll und ganz das von der Beklagten gefundene Ergebnis. Denn die bestmögliche Vermittlung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 03.12.2009 - B 11 AL 42/08 R, Rn. 15 des juris-Dokuments), welche die Beklagte für den Kläger hat versuchen können und dürfen, war die in eine ungelernte Tätigkeit. Wie das Sozialgericht richtig dargestellt hat, bestimmt sich der primäre Zielberuf der Vermittlung in erster Linie nach der erworbenen beruflichen Qualifikation, die sich wiederum vor allem in einem formellen Ausbildungsabschluss manifestiert.

Im Erörterungstermin am 13.12.2019 hat der Vorsitzende folgenden rechtlichen Hinweis erteilt und in die Sitzungsniederschrift aufgenommen: "Maßgebend für die Qualifikationsstufe ist, auf welche Arbeitsplätze die Agentur für Arbeit in erster Linie vermitteln muss. Insoweit kommt es ganz maßgeblich auf den formellen beruflichen Abschluss an. Es ist zwar richtig, dass es nicht generell ausgeschlossen ist, jemanden, der sich durch Berufstätigkeit quasi eine höhere Qualifikation angeeignet hat, auch über dem formalen Bildungsabschluss zu vermitteln. Jedes Ansinnen in diese Richtung erscheint aber im Fall des Klägers unangebracht. Denn der Kläger litt zum maßgeblichen Zeitpunkt an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer mittelgradigen Depression. Eine Vermittlung in einen Facharbeiterberuf erscheint angesichts dessen illusorisch. Ich empfehle, die Berufung zurückzunehmen."

Im gerichtlichen Schreiben vom 23.12.2019 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der Vorsitzende wie folgt ausgeführt:

"Herr A. kann schlechterdings nicht erwarten, dass ihn die Agentur für Arbeit primär in einen Beruf vermittelt, für den er nicht die formelle Qualifikation besitzt, wenn er dazu noch recht schwer psychisch krank ist. Die Depressionen des Klägers schließen es von vornherein aus, ihn primär als Facharbeiter - das wäre ja Qualifikationsstufe 3 - zu vermitteln. Die Agentur für Arbeit würde sogar ihre Vermittlungspflichten verletzen, würde sie eine Person wie Herrn A. derart krass der Gefahr der Überforderung aussetzen. Insoweit spielt keinerlei Rolle, was Herr A. bei seinem letzten Arbeitgeber tatsächlich gemacht hat. Eine Anfrage beim Arbeitgeber, wie von Ihnen gewünscht, wird es daher nicht geben."

Mit diesen rechtlichen Hinweisen, die sich der Senat ohne jede Einschränkung zu eigen macht, ist das Wesentliche gesagt. Der Kläger war für eine Tätigkeit, für die der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung Voraussetzung ist, nicht vermittelbar; eine derartige Vermittlungstätigkeit hätte keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt. Vielmehr hätte die Beklagte grob ihre Pflichten aus § 35 Abs. 2 SGB III verletzt, hätte sie eine entsprechende Vermittlung versucht und damit den Kläger der massiven Gefahr einer Überforderung ausgesetzt.

Nicht nachvollzogen werden kann, aus welchem Grund der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz dessen offenbar gravierender psychischer Leistungseinschränkung unverdrossen reklamiert, die Vermittlung habe primär in eine Tätigkeit erfolgen müssen, für die dieser nicht den formalen Ausbildungsabschluss aufweise. Das verwundert vor allem deswegen, weil der Prozessbevollmächtigte im Erörterungstermin zu den entsprechenden Vorhalten des Senats vollständig geschwiegen hat - nach dem Eindruck des Vorsitzenden deswegen, weil ihm kein Gegenargument zur Verfügung gestanden hat. Dennoch hat er auf den nochmaligen schriftlichen Hinweis des Gerichts vom 23.12.2019 ohne jede Begründung - offenbar noch immer ohne Gegenargument - lapidar geäußert, er halte an der Berufung fest. Hier scheint das "Durchfechten" des Streits Selbstzweck zu sein.

Im Interesse einer vollständigen Begründung weist der Senat auf eine Rechtsprechung hin, die das Problem berührt, inwieweit krankheitsbedingte Einschränkungen der Vermittelbarkeit bei der Festlegung der Qualifikationsgruppe zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt werden dürfen. Das Sozialgericht Karlsruhe hat im Urteil vom 15.02.2016 - S 5 AL 2222/15 unter Berufung auf Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2014 - L 3 AL 705/13, Rn. 26 des juris-Dokuments) ausgeführt, grundsätzlich könnten gesundheitliche Einschränkungen auch für die Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe nach § 152 Abs. 2 SGB III von Bedeutung sein. Denn es wäre sinnlos, erstreckte die Agentur für Arbeit ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung, die den Arbeitslosen mittlerweile gesundheitlich überfordere (Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2016 - S 5 AL 2222/15, Rn. 26 des juris-Dokuments). Das allerdings, so das Sozialgericht Karlsruhe, sei anders, wenn Arbeitslosengeld auf der Grundlage des § 145 SGB III geleistet werde (Sozialgericht Karlsruhe, a.a.O., Rn. 27 des juris-Dokuments).

An dieser Stelle bedarf es keiner Festlegung, ob und inwieweit man sich der Rechtsprechung des Sozialgerichts Karlsruhe anschließen kann. Auf jeden Fall stellt sich die Frage, ob Krankheiten bei der Feststellung des primären Zielberufs eventuell außer Betracht bleiben müssen, von vornherein nur in dem Kontext, dass die Einstufung in eine niedrigere Qualifikationsgruppe, als sie dem formalen Ausbildungsabschluss entspräche, erwogen wird. Hier geht es jedoch im Gegenteil darum, dass der Prozessbevollmächtigte systemwidrig eine höhere Qualifikationsgruppe fordert. Insoweit wäre es trotz § 145 SGB III abwegig zu verlangen, der Kläger müsse als gesund fingiert werden.

Allein schon deshalb hat es sich für den Senat erübrigt, bei der Arbeitgeberin Erkundigungen zur beruflichen Tätigkeit des Klägers einzuholen. Selbst wenn diese den Erwerb beruflicher Erfahrungen bestätigt hätte, die einem formalen Ausbildungsabschlusses entsprächen, stünde die schwere psychische Beeinträchtigung des Klägers der primären Vermittlung in einen Ausbildungsberuf entgegen. Zum Zeitpunkt der (vermeintlichen) Anspruchsentstehung litt der Kläger immer noch an einer posttraumatischen Belastungsstörung und befand sich zudem in einer mittelgradigen depressiven Episode. Zu diesem Zeitpunkt war er offenbar sogar noch weit davon entfernt, seine vertraute Tätigkeit bei der C. verrichten zu können. Wie sollte er dann mit einer anspruchsvolleren neuen Arbeit zurechtkommen?

Nur ergänzend und als "nicht tragende" Erwägung macht der Senat darauf aufmerksam, dass auch dann, wenn der Kläger psychisch voll belastbar gewesen wäre, der Amtsermittlungsgrundsatz nicht unbedingt eine Anfrage bei der Arbeitgeberin geboten hätte. Denn der Prozessbevollmächtigte selbst hat es versäumt, durch hinreichend substantiierten Vortrag diesen Ermittlungsschritt in irgendeiner Weise nahezulegen. Fakt ist, dass der Kläger lediglich in einer Ziegelei gearbeitet hat. In Bezug auf die Herstellung von Tonziegeln assoziiert man die dafür notwendigen Maschinen nicht mit digitalem Hightech, sondern eher mit gröberen und einfacheren Apparaten. Unverständlicher Weise hat der Prozessbevollmächtigte an keiner Stelle seines Vortrags auch nur angedeutet, mit welchen Maschinen der Kläger konkret umgegangen ist. So könnte es sich ja auch nur um einen Gabelstapler oder einen einfachen Ladekran gehandelt haben; der ungenügende Vortrag des Prozessbevollmächtigten öffnet jeder Spekulation Tür und Tor. Nur wenn dieser selbst den Gerichten nähere konkrete Anhaltspunkte vermittelt hätte, der Kläger könnte tatsächlich anspruchsvollere und "ausbildungs- und fortbildungsintensivere" Maschinen bedient haben, hätte aus Sicht der Gerichte überhaupt erst Anlass entstehen können, eine Arbeitgeberanfrage zu veranlassen. Der Prozessbevollmächtigte hat diese Vorleistung in keiner Weise erbracht. So gesehen verlangt er gleichsam, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sollten "ins Blaue hinein" ermitteln.

Ein weiterer "nicht tragender" Aspekt: Die Annahme des Prozessbevollmächtigten, der Kläger habe durch seinen langjährigen Umgang mit Maschinen, die zum Ziegeleiinventar gehören, Berufserfahrungen erworben, die einem formellen Berufsabschluss gleichkämen, mutet prima vista lebensfremd an. Es mag sein, dass der Kläger mit seiner Maschinistentätigkeit in einem schmalen Segment Spezialkenntnisse erworben hat. Das aber indiziert allenfalls einen Anlernberuf, nicht aber die Qualität einer dreijährigen Berufsausbildung. Der Prozessbevollmächtigte vergisst, dass sich Ausbildungsberufe gerade auch durch die Breite der erworbenen Kenntnisse auszeichnen. Daran dürfte es beim Kläger fehlen. Bezeichnender Weise unterstreicht der Prozessbevollmächtigte stets nur eine besondere "Verantwortung" und "Konzentration". Dass diese Anforderungen nicht geeignet sind, eine Gleichwertigkeit mit einem Ausbildungsberuf auch nur im Ansatz zu erzeugen, liegt auf der Hand.

Dem im letzten Absatz der Berufungsschrift formulierten Beweisantrag musste der Senat nicht entsprechen. Einiges spricht dafür, dass es sich um keinen Beweisantrag im rechtlichen Sinn handelt, weil das Beweisthema nicht hinreichend klar formuliert ist. Jedenfalls hat es der Prozessbevollmächtigte versäumt, den Beweisantrag am Ende des Berufungsverfahrens nochmals geltend zu machen. Dazu hätte eine rechtliche Obliegenheit bestanden, hätte er daran festhalten wollen. Im Erörterungstermin hat der Vorsitzende mehrfach geäußert, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werde keine Arbeitgeberauskunft eingeholt. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte im Termin sinngemäß erwidert, er hielte eine Anfrage sehr wohl für eine gute Sache; den Beweisantrag erneuert hat er dagegen nicht. Im gerichtlichen Schreiben vom 23.12.2019 ist dem Prozessbevollmächtigten dann definitiv mitgeteilt worden, dass es zu keiner Arbeitgeberanfrage kommen werde. Hätte dieser an dem Beweisantrag festhalten wollen, hätte dies unbedingt im Schriftsatz vom 08.01.2020 geltend gemacht werden müssen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/ders. Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage 2017, § 160 Rn. 18c). Der Prozessbevollmächtigte hat indes nur geschrieben, die Berufung bleibe aufrechterhalten und mit einer Entscheidung ohne weitere Verhandlung bestehe Einverständnis.

Ganz unabhängig davon wäre der Beweisantrag wegen Wahrunterstellung abzulehnen. Legt man das vom Prozessbevollmächtigten (unklar) formulierte Beweisthema im Interesse des Klägers dahin aus, es gehe um die Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers bei der C. im Lauf der Jahre das Niveau eines Ausbildungsberufs erreicht habe, dann kann dies unterstellt werden, ohne dass es auf das Ergebnis von Einfluss wäre. Denn jedenfalls war die Vermittlung in eine solche höherwertige Tätigkeit aufgrund der massiven psychischen Beeinträchtigung des Klägers ausgeschlossen. Die Berufungsschrift ist eindeutig so formuliert, dass nicht auch der defizitäre Gesundheitszustand im Beweisthema hat Berücksichtigung finden sollen - wobei die C. diesbezüglich ohnehin nicht in der Lage wäre, den Sachverhalt zu erhellen (untaugliches Beweismittel).

Die Ermittlung der Leistungshöhe durch die Beklagte begegnet auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit verweist der Senat auf die Begründung des Sozialgerichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Fortführung des Rechtsstreits erfüllt nach Ansicht des Senats den Tatbestand der missbräuchlichen Prozessführung im Sinn von § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Von der Erhebung von Verschuldenskosten ist dennoch abgesehen worden, weil dies die Erledigung des ohnehin alten Falls noch weiter verzögert hätte.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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