L 12 KA 35/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KA 230/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 35/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Klageänderung nach § 99 SGG in der Berufungsinstanz setzt neben Einwilligung oder Sachdienlichkeit die Zulässigkeit der Berufung voraus.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 10.07.2019, S 28 KA 230/18, wird als unzulässig verworfen.

II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses für das Quartal 2/2000 aufgrund einer Einzelfallprüfung in Höhe von 485,26 Euro. Der Kläger nahm bis Ende November 2002 als Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Die Beigeladene zu 2. stellte am 29.3.2001 für das Quartal 2/2000 einen Antrag auf Überprüfung der vertragsärztlichen Verordnungsweise nach § 21 der damals gültigen Prüfungsvereinbarung (Arzneimittel) bzgl. der Patienten DJ61 und HJ64 wegen der Verordnungen von Bio Oss. Der Prüfungsausschuss setzte mit Bescheid vom 13.8.2001 einen Regress in Höhe von 949,07 DM fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Bescheid vom 7.3.2002). Auf die daraufhin erhobene Klage (S 38 KA 1242/02, nach Ruhen fortgeführt unter dem Az. S 38 KA 114/12) hob das Sozialgericht München (SG) den Bescheid vom 7.3.2002 mit Urteil vom 16.10.2013 auf und verurteilte den Beklagten zur Neuverbescheidung. Das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig (Az. L 12 KA 202/13). Die hiergegen erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (Az. B 6 KA 41/15 B) hat das Bundessozialgericht verworfen (Beschluss vom 29.7.2015).

Der Beklagte wies sodann nach erneuter Prüfung den Widerspruch des Klägers gegen den Prüfbescheid vom 13.8.2001 zurück (Bescheid vom 14.2.2018) und setzte einen Regress in Höhe von 485,26 Euro fest. In dem streitgegenständlichen Quartal lägen weder Behandlungsausweise für die zu überprüfenden Patienten DJ61 und HJ64 noch entsprechende Dokumentationen vor. Daher könne eine Überprüfung der Verordnungen nicht stattfinden, so dass die Verordnungen zu regressieren seien.

Auf die hiergegen vom Kläger erhobene Klage hob das SG mit Gerichtsbescheid vom 10.7.2019 antragsgemäß den Bescheid des Beklagten vom 14.2.2018 auf. Der Beklagte habe übersehen, dass die streitgegenständlichen Verordnungen von Bio Oss (Patient DJ61 vom 24.5.2000 sowie Patient HJ64 vom 11.4.2000) bereits Gegenstand des Verfahrens S 28 KA 229/18 seien. In der diesem Verfahren zugrundeliegenden Entscheidung habe der Beklagte die Verordnung bezüglich des Patienten DJ61 vom 24.5.2000 bereits regressiert, die Verordnung bezüglich des Patienten HJ64 vom 11.4.2000 hingegen als nachvollziehbar und nicht zu beanstanden gewertet. Der streitgegenständliche Regress sei daher wegen Doppelregressierung (Patient DJ61) sowie wegen widersprüchlichen Verhaltens des Beklagten (Patient HJ64) aufzuheben. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger mit einem beim Bayer. Landessozialgericht am 16.7.2019 eingegangenen Schreiben Berufung eingelegt. Eine Begründung erfolgte nicht.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 19.7.2019 und 21.8.2019 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sei. Es bestehe schon kein Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel, da das SG dem Klageantrag des Klägers voll entsprochen und den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben habe. Zudem wäre eine Berufung auch nicht statthaft, da bei einer streitigen Summe von 485,26 Euro die Berufungssumme von 750,00 Euro nicht erreicht sei und eine Berufung vom SG auch nicht zugelassen wurde. Eine Reaktion des Klägers auf diese Schreiben ist nicht erfolgt.

Mit Beschluss vom 13.09.2019 hat der Senat den Antrag des Klägers auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren abgelehnt.

Mit einem am 11.2.2020 beim BayLSG eingegangenen Schreiben hat der Kläger die Gesamtsituation aus seiner Sicht dargestellt und ausgeführt, er habe die Berufung aus grundsätzlichen Rechtsgründen eingelegt.

Der Kläger stellt den Antrag,
das Prüfungsverfahren, das Beschwerdeverfahren, das sozialgerichtliche Verfahren und das Berufungsverfahren für rechtsunzulässig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,
den Antrag des Klägers abzulehnen und die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die gerichtlichen Akten beider Instanzen mit den Az.: S 28 KA 230/18 und L 12 KA 35/19 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig.

Sie ist schon nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Dieser Betrag wird nicht erreicht. Nachdem der Kläger vollumfänglich Berufung eingelegt hat, ist für die Ermittlung des Beschwerdewertes auf den Gegenstandswert der Klage abzustellen, den das SG mit Beschluss vom 10.7.2019 auf 485,26 Euro festgesetzt hat. Die Berufung betrifft auch weder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr und das SG hat die Berufung auch nicht rechtswirksam zugelassen. Aus der dem Gerichtsbescheid angehängten Rechtsmittelbelehrung ist ersichtlich, dass eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid gesetzlich ausgeschlossen ist und auch nicht zugelassen wurde. Eine Auslegung oder Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, weil der Kläger ausdrücklich Berufung eingelegt hat und auch auf den mit Schreiben vom 21.8.2019 erfolgten Hinweis auf die Unstatthaftigkeit der Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme keine Reaktion erfolgte.

Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt neben der Statthaftigkeit zudem eine Beschwer (Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsmittelinstanz) des Rechtsmittelführers durch die angefochtene Entscheidung voraus. Auch für Rechtsmittel gilt der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf. Beim Kläger reicht die formelle Beschwer - d.h. die angefochtene Entscheidung bleibt hinter dem Antrag zurück, versagt also (teilweise) das Begehrte. Diese ist auch dann gegeben, wenn dem Hauptantrag oder einem vorrangig gestellten Hilfsantrag nicht stattgegeben worden und der Kläger nur mit seinem Hilfsantrag bzw. einem nachrangig gestellten Hilfsantrag durchgedrungen ist. Ob eine Beschwer vorliegt, ist ggf. durch Auslegung des Tenors anhand der Gründe zu bestimmen (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 143 SGG, RdNr. 15f.).

Vorliegend hat der Kläger beantragt, den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufzuheben. Nach dem insoweit eindeutigen Tenor des Gerichtsbescheides vom 10.7.2019 erfolgte eine vollständige Aufhebung des Bescheides, ohne dem Beklagten die Gelegenheit zur Neuverbescheidung zu eröffnen. Damit ist dem Klagebegehren des Klägers vollumfänglich stattgegeben worden, so dass es für ein Rechtsmittel bereits an der formellen Beschwer fehlt. Der Kläger hat auch keine Gründe vorgetragen, inwieweit der Gerichtsbescheid hinter dem von ihm gestellten Antrag zurückgeblieben ist. Für das Vorliegen einer formellen Beschwer ist es jedenfalls nicht ausreichend, dass eine bestimmte Begründung begehrt wird (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 54, Rn. 9).

Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz beantragt hat, das Prüfungsverfahren, das Beschwerdeverfahren, das sozialgerichtliche Verfahren und das Berufungsverfahren für rechtsunzulässig zu erklären, ist dies als Klageerweiterung in der Berufungsinstanz zu werten. Nach § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Gemäß § 153 Abs. 1 SGG iVm. § 99 SGG ist eine Klageänderung grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich. Der Beklagte hatte die Klageänderung abgelehnt. Die Klageänderung setzt jedoch neben Einwilligung oder Sachdienlichkeit zunächst die Zulässigkeit der Berufung voraus (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 99 SGG (Stand: 15.07.2017)). Da es vorliegend bereits an der Zulässigkeit der Berufung fehlt, kommt es auf die Frage, ob die Klageänderung sachdienlich war, nicht mehr an.

Ist die Berufung nicht statthaft oder aus anderen Gründen unzulässig, so ist sie als unzulässig zu verwerfen, § 158 Satz 1 SGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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