L 19 R 459/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 R 454/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 459/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.05.2019 (nicht: 12.05.2016) wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Die 1960 geborene Klägerin erlernte von September 1976 bis August 1979 den Beruf einer Krankenschwester und qualifizierte sich später zur Stationsleitung weiter. Zuletzt war sie versicherungspflichtig als Krankenschwester im Kreiskrankenhaus W. in A-Stadt beschäftigt.

Ab 27.09.2012 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 28.06.2013 wurde durch Dr. U. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage erstellt, in dem als Diagnosen aufgeführt waren:
1. Persistierendes Zervikobrachialsyndrom bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenprotrusionen C 3/C 4 und C 5/C 6.
2. Omalgien beidseits mit Zustand nach Operation der linken Schulter wegen Outlet Impingement Dezember 2012.
3. Zustand nach Karpaltunnelsyndrom-Operation links 8/2012, Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung.
Die Klägerin sei auf nicht absehbare Zeit weiter arbeitsunfähig und eine stationäre medizinische Rehabilitation solle baldmöglichst erfolgen.

Im Juli 2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der M-Klinik L-Stadt, die vom 15.08.2013 bis 12.09.2013 durchgeführt wurde. Im dortigen Entlassungsbericht vom 19.09.2013 sind als Diagnosen aufgeführt:
1. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren.
2. Leichte depressive Episode.
3. Schulterläsion (Zustand nach Schulteroperation links mit weiteren funktionellen Einschränkungen und Schmerzpersistenz).
4. Zervikobrachialsyndrom.
Die Klägerin sei für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeit überwiegend im Gehen, im Stehen und im Sitzen ohne Nachtschicht täglich sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Zu vermeiden seien Überkopfarbeiten, Arbeit mit gestreckten Händen, linksseitige Belastungen, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Verantwortung für Personen und Maschinen, häufig wechselnde Arbeitszeiten sowie Nässe, Kälte und Zugluft. Die letzte Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester in einer geriatrischen Reha-Einrichtung sei mit unter drei Stunden täglich anzunehmen.

Der Klägerin wurde im April 2014 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 zuerkannt, hauptsächlich wegen der somatoformen Schmerzstörung und depressiven Verstimmung. Ein späterer Neuantrag auf Erhöhung des GdB ist ohne Erfolg geblieben.

Am 08.10.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Parallel dazu wurde auf Veranlassung der Agentur für Arbeit B-Stadt am 18.12.2013 über die Klägerin durch M. F. ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, wonach insbesondere wegen Beschwerden im Bewegungsapparat für voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer ein Leistungsvermögen von täglich weniger als drei Stunden vorliegen würde.

Die Beklagte ließ ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten durch Dr. V. erstellen, der die Klägerin am 14.01.2014 untersuchte. In seinem Gutachten vom 15.01.2014 beschrieb er folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin:
1. Chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren.
2. Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung.
3. Depression.
4. Impingement-Syndrom und leichte Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke sowie Zustand nach OP linke Schulter (12/2012).
5. Halswirbelsäulen-Syndrom bei Bandscheibenprotrusionen.
6. Chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom.
7. Trochanterreizsyndrom beidseits.
Es sei eine Begutachtung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet notwendig. Bei der Klägerin bestünden seit etwa zwei Jahren nicht erklärbare Schmerzen und eine depressive Verstimmung. Die Behandlungsmöglichkeiten seien auszuschöpfen. Psychotherapie werde aktuell durchgeführt, wobei bisher sechs Sitzungen erfolgt seien. Die orthopädischen Leiden stünden nach den gutachterlichen Feststellungen nicht im Vordergrund. Aus rein orthopädischer Sicht sei ein Leistungsbild für mittelschwere körperliche Tätigkeiten anzunehmen und auch der Beruf der Krankenschwester könnte weiterhin durchgeführt werden.

Ohne weitere medizinische Begutachtungen entschied die Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2014. Sie nahm das Vorliegen von Berufsunfähigkeit bei der Klägerin an und bewilligte mit Bescheid vom 21.03.2014 ab dem 01.07.2013 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer, wobei sie den am 11.07.2013 gestellten Rehabilitationsantrag in einen Rentenantrag umdeutete und anmerkte, dass die Anspruchsvoraussetzungen ab dem 27.09.2012 erfüllt gewesen seien. Eine laufende Rentenzahlung erfolgte anfänglich wegen zu berücksichtigenden Einkommens nicht. Im Übrigen lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit einem auf den 02.04.2014 datierten Schreiben am 17.04.2014 per Telefax Widerspruch ein und verfolgte das Ziel einer Rente wegen voller Erwerbsminderung weiter.

Die Agentur für Arbeit teilte der Beklagten unter dem 10.06.2014 durch ihre Ärztin M. F. mit, dass sie nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen der Beklagten zum Ergebnis komme, dass bei der Klägerin unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitseinschränkungen ein vollschichtiges Leistungsbild für leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus bestehe, wobei überdurchschnittlicher Stress oder Zeitdruck, Akkord- oder Fließbandarbeit, Nachtschichten und Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparates zu vermeiden seien.

Die Klägerin berief sich zur Begründung des Widerspruches auf Atteste des Allgemeinmediziners Dr. C. vom 22.05.2014 und vom 24.06.2014 sowie des Dipl.-Psych. N. vom 08.05.2014. Dr. C. gab an, es bestehe eine ständige Behandlung seit dem Jahr 2000 und die Beschwerden seien in den letzten 4 Monaten schlimmer geworden. Es liege Arbeitsunfähigkeit und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % vor; ständig müssten Pausen eingelegt werden und die Belastung liege unter drei Stunden [täglich]. Dipl.-Psych. N. gab an, die ambulante Psychotherapie laufe seit acht Einzelsitzungen und werde fortgesetzt. Wegen Bewegungseinschränkungen in den Händen liege Arbeitsunfähigkeit vor und es sei maximal eine Stunde Arbeit im Büro möglich. Die Klägerin wies zusätzlich auf eine Yersinieninfektion und das Vorliegen eines Tinnitus hin.

Nachdem die Klägerin eine gutachterliche Untersuchung beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie W.-G. N. abgelehnt hatte, wurde sie am 25.11.2014 vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. untersucht. In seinem Gutachten führte er aus, gegenwärtig seien bei der Klägerin die Kriterien einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Agoraphobie ohne Angaben einer Panikstörung erfüllt; darüber hinaus bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom vor dem Hintergrund einer aktuell diagnostizierten Polyarthritis. Eine psychiatrisch-nervenärztliche Vorstellung zur Optimierung einer antidepressiven und ggf. auch schmerzdistanzierenden Pharmakotherapie sei bislang nicht erfolgt. Die bisherigen therapeutischen Maßnahmen zur Behandlung der Affektstörung sowie der Agoraphobie beschränkten sich auf ambulante Psychotherapie, die allerdings bereits erste Erfolge zeitige. Ein Psychopharmakon habe wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden müssen. Es würden ein Antidepressivum und ein Schlafmittel eingenommen. Die Klägerin könne täglich sechs Stunden und mehr bis zu mittelschwere Arbeiten zeitweise im Stehen, im Gehen und im Sitzen unter Beachtung von Einschränkungen des Sehvermögens ausüben. Auch die letzte Tätigkeit als Krankenschwester sei möglich. Es werde die Einholung eines rheumatologischen Gutachtens empfohlen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2015 den Widerspruch zurück. Das zusätzlich eingeholte neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. K. habe keine weitere Einschränkung des festgestellten Leistungsvermögens ergeben. Bei einer mindestens sechs Stunden täglichen Einsatzfähigkeit komme es auch nicht auf die jeweilige Arbeitsmarktlage an.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 27.04.2015 am 28.04.2015 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass ihre Gesundheitsstörungen nicht umfassend erfasst worden seien. Hinzuweisen sei auf einen aktuellen Bericht der Fachärztin für Psychiatrie G. E. vom 18.05.2015.

Das Sozialgericht hat Befundberichte beim Dipl.-Psych. N. am 14.10.2015, beim Rheumatologen M. T. am 14.10.2015, bei Dr. C. vom Medizinischen Versorgungszentrum C-Stadt am 20.10.2015, bei der Psychiaterin G. E. am 22.10.2015, beim Neurochirurgen Dr. Dr. B. am 23.10.2015 sowie beim Allgemeinmediziner und Schmerztherapeuten E. S. am 26.10.2015 eingeholt. Ferner hat es Unterlagen von der AOK Bayern, Direktion B-Stadt, sowie vom D. (ZBFS), , beigezogen. Der Orthopäde Dr. M. hat mitgeteilt, dass die Klägerin seit 2014 bei ihm nicht mehr behandelt worden sei. Die Psychiaterin G. E. hat angegeben, dass die Klägerin dort nur kurzzeitig in Behandlung gewesen sei und eine pharmakologische Behandlung zunächst wegen Nebenwirkungen von der Patientin abgesetzt worden sei und eine Umstellung auf ein anderes Medikament nicht mehr habe überprüft werden können.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten durch die Neurologin und Psychiaterin Dr. W. erstellen lassen, die die Klägerin am 16.01.2016 untersucht hat. In ihrem Gutachten vom 01.03.2016 hat sie folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin beschrieben:
1. Somatoforme Schmerzstörung.
2. Leichte depressive Episode.
3. Zustand nach Karpaltunnel-Operation 8/2012.
4. Degeneratives Wirbelsäulensyndrom, aktuell ohne radikuläre Symptomatik und ohne Hinweis auf Myelonkompression.
Die bei der Klägerin vorhandenen Symptome würden die Diagnose einer Agoraphobie nicht tragen. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Arbeiten im Umfang von täglich mindestens sechs Stunden verrichten. Vermieden werden sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Wechselschicht, Nachtschicht, Arbeit an laufenden Maschinen und Lärm und weiter auch Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken oder Überkopfarbeiten, Zwangshaltungen und häufiges Steigen. Sozialmedizinisch sei gegenüber den Gutachten des Dr. V. und des Dr. K. keine Änderung eingetreten.

Die Klägerin hat sich im Folgenden auf ein bei ihr vom Universitätsklinikum H-Stadt festgestelltes Fibromyalgiesyndrom berufen, für das nur eingeschränkte Therapiemöglichkeiten bestehen würden. Sie hat zunächst geltend gemacht, dass ein Gutachten durch einen Facharzt, der sich auf ein chronisches Schmerzsyndrom bzw. Fibromyalgiesyndrom spezialisiert habe, erforderlich sei. In der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2016 hat die Klägerin vorgebracht, dass sie noch ein internistisches Gutachten für erforderlich halte.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10.05.2016 - in der schriftlichen Ausfertigung unrichtig mit 12.05.2016 bezeichnet - die Klage abgewiesen. Es hat eine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als belegt angesehen. Die Untersuchungen des Universitätsklinikums H-Stadt hätten keine weiteren Gesundheitsstörungen festgestellt, die nicht bereits zuvor - zumindest als Verdachtsdiagnose - angenommen gewesen seien und sozialmedizinisch gewürdigt worden wären.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Schreiben vom 06.07.2016 am 07.07.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Klägerin hat vorgebracht, dass bei ihr Schmerzen im Schulter- und Rückenbereich bestehen würden, die kaum erträglich seien; zudem sei die Feinmotorik beider Hände stark eingeschränkt. Dies schränke die Klägerin selbst bei Alltagstätigkeiten erheblich ein. Hinzu kämen Schmerzen am rechten Fuß, die die Gehfähigkeit einschränken würden.

Der Senat hat am 23.11.2016 einen Befundbericht vom Medizinischen Versorgungszentrum C-Stadt erhalten. Der behandelnde Dipl.-Psych. N. hat mit Attest vom 22.11.2016 ausgeführt, dass eine stationäre Schmerztherapie aus seiner Sicht wenig sinnvoll sei, da die Klägerin medikamentös austherapiert sei und außerdem eine stationäre Schmerztherapie teuer sei. Dagegen hat der Nervenarzt Dr. C. am 17.01.2017 zu einer stationären Schmerztherapie geraten.

Vom 26.04.2017 bis 23.05.2017 ist die Klägerin stationär in der S-Klinik Bad S., Psychosomatische Klinik, behandelt worden. Die Klinik hat berichtet, die Klägerin habe das stationäre Setting als entlastend und stabilisierend erlebt. Es sei wichtig, begleitende psychiatrische Mitbehandlung und laufende ambulante Psychotherapie vorzunehmen.

Der Senat hat einen weiteren Befundbericht vom Medizinischen Versorgungszentrum C-Stadt am 04.08.2017 eingeholt.

Vom 24.11.2017 bis 23.12.2017 hat sich die Klägerin zur stationären schmerztherapeutischen Behandlung im G. G-Stadt befunden. Nach dem Entlassungsbericht hat durch die Behandlung die Kopfschmerzsymptomatik etwas reduziert werden können. Die Klägerin sei zum Abschluss in gutem Allgemeinzustand und psychisch stabil, aber mit etwas niedergedrückter Stimmungslage gewesen. Die Rehabilitationsziele hätten nicht vollständig erreicht werden können bei ausgeprägter Chronifizierung und Komplexität des Leidens sowie bei seit Jahren bestehendem Zielkonflikt. Für die letzte Tätigkeit als Krankenschwester mit schwerer körperlicher Tätigkeit liege kein entsprechendes Leistungsbild vor. Bei dem vorliegenden Beschwerdebild bestehe eine hochgradige Einschränkung der Geh- und Stehbelastungsfähigkeit sowie Einschränkung der allgemeinen Beweglichkeit und Belastbarkeit. Für leichte körperliche Anforderungen in wechselnder Arbeitshaltung überwiegend im Sitzen, ohne Überkopftätigkeiten, ohne Wirbelsäulenzwangshaltung sowie ohne erhöhte Anforderung an die Feinmotorik der Hände sei eine quantitative Beurteilung von drei bis sechs Stunden anzunehmen. Die Klägerin fühle sich jedoch nicht mehr in der Lage, einer auch nur leichten beruflichen Tätigkeit mehr als drei Stunden täglich nachgehen zu können.

Die Klägerin hat ein Attest des Allgemeinmediziners D. J. vom 22.08.2018 eingereicht, wonach ihre Belastung bei unter drei Stunden anzusetzen sei. Sie sei durch die häufigen Schmerzen sehr zurückgezogen und sehr oft traurig.

Auf Veranlassung des Senats ist die Klägerin am 19.02.2018 durch den Neurologen und Psychiater Dr. F. untersucht worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.03.2018 den Krankheitsverlauf bei der Klägerin umfassend dargestellt. Die Klägerin habe nach ihren Angaben die psychologischen Gespräche wahrgenommen und sei regelmäßig beim Schmerztherapeuten in der Sprechstunde gewesen. Der Schmerzmittelkonsum sei reduziert worden, da er bei Fibromyalgie nicht dauerhaft helfe. Schmerzmittel würden jetzt nur noch bei Schmerzspitzen eingenommen. Die Klägerin hat angegeben, dass sie sich im häuslichen Umfeld wohl fühle und auch Kontakt zu den Nachbarn bestehe, das soziale Umfeld jedoch ansonsten klein sei. Sie schaffe es etwa nicht, die Enkelkinder bei sich schlafen zu lassen, und freue sich zwar, wenn diese kommen würden, jedoch auch wieder, wenn diese gehen würden. Der übliche Tagesablauf ist umfangreich geschildert worden: Die Klägerin müsse sich bei der Hausarbeit helfen lassen. Sie sei in erster Linie durch ihre Schmerzen daran gehindert mehr zu tun und das damit in Zusammenhang stehende Gerichtsverfahren sei sehr anstrengend, weil sie immer wieder von ihren Beschwerden sprechen müsse. Im Vordergrund der Psychopathologie stehe laut Gutachter das intensive Schmerzerleben, das seit 2008 vorliege und seinerzeit mit verschiedenen psychosozialen Stressoren zusammengehangen habe. Trotz der durchgeführten Reha-Maßnahmen und der ambulanten Behandlungen, die durchaus als adäquat und intensiv bezeichnet werden könnten, sei es nicht zu einer wesentlichen Besserung gekommen. Der neurologische Untersuchungsbefund habe sich im Wesentlichen gegenüber den Vorgutachten nicht verändert und insgesamt sei diagnostisch kein Dissens zu den Vorgutachten festzustellen. In sozialmedizinischer Hinsicht sei bei der Klägerin eine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden gegeben, wenn die leidensgerechten Arbeitsbedingungen eingehalten würden. Es müsse sich um leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen, teilweise im Stehen oder Gehen, in geschlossenen Räumen und in ruhigen stressarmen Arbeitsbedingungen handeln. Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung könnten nicht bewältigt werden. Dies betreffe beispielsweise Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Wechselschicht oder Nachtschicht, laufende Maschinen und Lärm. Nicht möglich seien auch Tätigkeiten mit einseitigen Bewegungsabläufen, mit Überkopfarbeit und häufigem Heben und Tragen von schweren Lasten, Bücken, Zwangshaltungen, häufigem Steigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und ausschließlich im Gehen oder im Stehen. Auszuschließen seien auch Tätigkeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen und Allergenen. Aufgrund des Karpaltunnelsyndroms beidseits sei die Gebrauchsfähigkeit beider Hände eingeschränkt. Die Klägerin sei in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m jeweils innerhalb eines Zeitaufwandes von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Es bestünden Ängste und Vermeidungsverhalten, so dass öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzt werden könnten, ein privater PKW könne auf Kurzstrecken benutzt werden. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien indiziert, um einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu finden.

Die Klägerseite hat vorgebracht, dass das Gutachten des Dr. F. im Widerspruch zur Auffassung des Hausarztes der Klägerin und zum Rehabericht des Schmerzzentrums G-Stadt vom 27.12.2017 stehe.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten beim Facharzt für Innere Medizin Prof. Dr. Dr. H. eingeholt. Dieser hat sich auf umfangreiche Ausführungen zum Fibromyalgiesyndrom berufen. Er hat die Klägerin am 07.08.2018 untersucht und in seinem Gutachten vom 21.09.2018 folgende Gesundheitsstörungen als vorliegend beschrieben:
1. Fibromyalgiesyndrom (Stadium 3 nach dem Mainzer Stadienmodell und der Schmerzchronifizierung nach Kohlmann Raspe).
2. Angst und Depression gemischt.
3. Adipositas.
4. Chronisch-degeneratives Halswirbelsäulen-/ Lendenwirbelsäulen-Syndrom.
5. Muskuläre Dysbalancen der statischen Muskulatur.
6. Impingement-Syndrom beidseits.
7. Schwerhörigkeit beidseits und Tinnitus.
Es würden im Vergleich zu den bisher eingeholten Gutachten keine noch nicht beachteten Befunde von erwerbsmindernder Bedeutung vorliegen. Das Fibromyalgiesyndrom, das eine mittelschwere Verlaufsform und mittelgradige Einschränkungen aufweise, sei bereits bekannt gewesen, jedoch noch nicht gutachterlich bewertet worden. Aufgrund der gestörten Schmerzverarbeitung bei einem Fibromyalgiesyndrom seien zusätzliche Testuntersuchungen zur Beurteilung der chronischen Schmerzen erforderlich gewesen. Dies führe auch zu einer Änderung der sozialmedizinischen Leistungsbewertung. Aufgrund der chronischen neuropathischen Schmerzen bestehe eine reduzierte psychophysische Belastbarkeit mit vorzeitiger Ermüdung und Erschöpfung und verminderter Ausdauerfähigkeit. Die Klägerin sei nur noch drei Stunden bis unter sechs Stunden täglich einsatzfähig. Ihr seien leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung überwiegend im Sitzen (ca. 60 %) und teilweise im Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen möglich. Es sollten keine Tätigkeiten unter Stress, Zeitdruck, im Akkord oder am Fließband ausgeübt werden und auch keine Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr. Auszuschließen seien auch gehäufte Wechselschicht, Nachtschicht, laufende Maschinen und Lärm, besondere Verantwortung und besondere Anforderung an die geistig-psychische Belastbarkeit. Besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems wie Heben und Tragen von Lasten über 5 kg oder Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit Verletzungsgefahr kämen nicht in Betracht. Aufgrund der verminderten Kraft beider Hände sollten Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die grobe Kraft vermieden werden. Vermieden werden sollten auch häufiges Knien, Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten. Die Tätigkeiten sollten vorzugsweise in warmen Räumen ausgeübt werden und ohne Einwirkung von Hitze, Staub, Dampf, Gas und Rauch erfolgen. Die Klägerin könne täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zurücklegen und sei gesundheitlich in der Lage öffentliche Verkehrsmittel oder einen privaten PKW zu benutzen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in einem Zeitraum von drei Jahren behoben werden könne.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. F. eingeholt, die dieser am 03.01.2019 abgegeben hat. Danach seien im Gutachten des Prof. Dr. Dr. H. in besonderem Umfang Selbstauskunftsbögen eingesetzt worden, die subjektive Einschätzungen der Klägerin wiedergeben würden und eine strukturierte Anamnese nicht ersetzen könnten. Die im Gutachten angenommenen neuropathischen Schmerzen würden eine vorrangige Schädigung von somatosensorischen Nervenstrukturen voraussetzen, die bei der Klägerin in keinem Fall gegeben seien und auch vom Gutachter nicht beschrieben würden. Auch entspreche die Schmerzcharakteristik nicht dem von der Klägerin beschriebenen Schmerz. Insofern sei die Schmerzdiagnose, wie sie von Prof. Dr. Dr. H. beschrieben werde, sehr für sich zu diskutieren. Die sozialmedizinische Beurteilung sei insbesondere im Hinblick auf das qualitative Leistungsvermögen nicht signifikant unterschiedlich. Es bestehe keine Diskrepanz in der Auffassung, dass die Leistungsfähigkeit bei Schmerzpatienten mit erheblichem Leidensdruck in funktioneller Hinsicht beeinträchtigt seien. Die Einschätzung, wonach in quantitativer Hinsicht ein Leistungsvermögen von drei Stunden bis unter sechs Stunden anzunehmen sei, stehe jedoch im Gegensatz zu den körperlichen Untersuchungsbefunden, bei denen weder neurologische noch orthopädische Einschränkungen hinsichtlich der Beweglichkeit der Wirbelsäule und der Gelenke festgestellt worden seien. Entgegen der Kritik des Prof. Dr. Dr. H. habe er in seinem Gutachten eine ausführliche Schmerzanamnese vorgenommen gehabt und sich mit diesem Thema umfangreich befasst und letztlich auch die Schmerzstörung als erste Diagnose gestellt im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung. Er komme nach wie vor zu dem Ergebnis, dass eine quantitative Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nicht zu begründen sei.

Auf weiteren Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat sich Prof. Dr. Dr. H. am 10.03.2019 geäußert. Aus den zwischenzeitlichen Schriftsätzen sei zu ersehen, dass die Medikamente Katadolon, Tavor und Novalgin unwirksam geworden seien und die Klägerin sich in ärztlicher Behandlung von Herrn Dr. A. begeben habe. Zwischenzeitlich sei nach Angaben der Bevollmächtigten der Klägerin eine Versorgung mit Cannabis bewilligt worden. Zusammenfassend könne der Unterzeichnete den Aussagen von Dr. F. im Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme nicht folgen. Wesentliche Abweichungen seien bereits im Gutachten beschrieben worden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.05.2016 (fälschlich 12.05.2016) und den Bescheid der Beklagten vom 21.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.05.2016 (unrichtig 12.05.2016) zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten und des ZBFS Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden; lediglich in der Ausfertigung wird ein unrichtiges Datum für den Urteilsspruch angegeben.

Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hat die Klägerin als Bezieherin einer teilweisen Erwerbsminderungsrente unproblematisch erfüllt (§ 43 Abs. 2 iVm Abs. 4 Nr. 1 2. Alt. SGB VI).

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Volle Erwerbsminderung mit einem derart eingeschränkten Einsatzvermögen liegt nach den Feststellungen sämtlicher im Verfahren gehörter Gutachter bei der Klägerin nicht vor. Der Senat sieht dies als eindeutig an. Die weitergehenden Äußerungen von behandelnden Ärzten und Therapeuten vermögen in keiner Weise zu überzeugen. Sie sind inhaltlich äußerst knapp gehalten, lassen nicht den angelegten Maßstab erkennen bzw. verwenden teilweise fälschlich den Beruf der Krankenschwester als Bezugspunkt, stellen kaum einen nachvollziehbaren Bezug zu den festgestellten Diagnosen dar und sind teilweise fachfremd ergangen, etwa wenn sich der Psychotherapeut zu Einschränkungen der Handfunktion äußert. Dass der Klägerin nunmehr Cannabisprodukte zur Medikation verabreicht werden, führt aktuell zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass der Senat aus der Aktenlage nicht erkennen kann, dass dieser als ultima ratio gedachte Behandlungsschritt bei der Klägerin bereits angezeigt wäre, ist eine dauerhafte Wirkung der Behandlung noch nicht zu beurteilen.

Der Senat ist weiter zur Überzeugung gelangt, dass bei der Klägerin auch keiner der von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmefälle nachgewiesen ist, bei denen über den Wortlaut des Gesetzes hinaus ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt wird.

Dabei scheidet eine auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bezogene Rentengewährung aus Sicht des Senates bis zur Durchführung der stationären Schmerztherapien in Bad S. und G-Stadt - also für die Zeit bis November 2017 - bereits deshalb aus, weil eine dauerhafte Einschränkung noch nicht belegt gewesen war. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats werden psychische Erkrankungen - also die Schmerz- bzw. Somatisierungsstörung - erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zit. nach juris; BayLSG Urteil vom 08.05.2019 - L 19 R 376/17 - mwN, zit. nach juris). Von Gutachtern und Behandlern war im Fall der Klägerin seinerzeit wiederholt auf noch ungenutzte Behandlungsoptionen hingewiesen worden; einige Gegenstimmen - insbesondere des behandelnden Psychotherapeuten - vermochten nicht zu überzeugen, wobei sie auch noch unfachliche Argumente wie Behandlungskosten miteinbezogen haben.

Die stationären schmerztherapeutischen Behandlungen haben zwar zu einer gewissen Besserung geführt, jedoch die Schmerzempfindungen der Klägerin nicht vollständig oder wesentlich eingeschränkt. Gleichwohl lässt sich daraus jedenfalls nicht ableiten, dass schon vor diesen Behandlungen eine dauerhafte Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgewiesen gewesen wäre, weil die Behandlungen weder vollständig erfolglos gewesen sind, noch die eingeschränkte Besserung von vornherein so festgestanden hätte.

Nach den Feststellungen des Dr. F. und des Prof. Dr. Dr. H. ist mittlerweile die Behandlung als leitliniengerecht und ausgeschöpft anzusehen, so dass deren aktuelle sozialmedizinische Feststellungen als Grundlage für eine rechtliche Bewertung dienen können.

Der Senat sah eine Rentengewährung wegen fehlender Wegefähigkeit, d.h. wegen des Fehlens der Möglichkeit der Klägerin einen ihr an sich gesundheitlich zumutbaren Arbeitsplatz tatsächlich erreichen zu können, nicht als belegt an. Dabei wird die Wegefähigkeit nach der Rechtsprechung (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand September 2016, § 43 SGB VI Rn. 42 mwN zur Rechtsprechung) nicht konkret, sondern abstrakt bestimmt als Fähigkeit viermal täglich eine Strecke von mehr als 500m zu Fuß in jeweils bis zu 20 Minuten zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel zur Hauptverkehrszeit benutzen zu können, ersatzweise über ein Fahrzeug zu verfügen und mit diesem zur Arbeit gelangen zu können. Dabei sehen die Ärzte bei der Klägerin keine so weitgehenden Einschränkungen der Gehfähigkeit, dass aus diesem Teil der Voraussetzungen das Fehlen der Wegefähigkeit zu begründen wäre. Die Klägerin ist außerdem täglich mehrmals mit ihrem Hund größere Strecken unterwegs, auch wenn sie dies als beschwerlich schildert. Dagegen hat Dr. F. erhebliche Bedenken hinsichtlich der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zur Hauptverkehrszeit. Diese Auffassung wird vom Gutachter Prof. Dr. Dr. H. nicht übernommen. Nachdem die Klägerin auch noch einen PKW benutzt, wenn auch nur für Kurzstrecken, sieht der Senat keinen hinreichenden Nachweis für das Fehlen der Wegefähigkeit.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach der Rechtsprechung in Ausnahmefällen auch, wenn geeignete Arbeitsplätze unabhängig von der Arbeitsmarktlage überhaupt nicht existieren. Die Voraussetzungen für einen derartigen sog. Katalogfall sind bei der Klägerin jedoch ebenfalls nicht erfüllt. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn 37 mwN).

Die Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist aus Sicht des Senates dabei insofern tangiert, dass zwar kaum eines der genannten Arbeitsfelder als grundsätzlich ungeeignet anzuführen wäre, jedoch überall erhebliche Anforderungen an die Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu beachten sind. Aber selbst wenn man das als Vorliegen von ernstlichen Zweifeln einordnen wollte, so stellen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen sich nicht als schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit und auch nicht als Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen dar. Zwar geht der Senat mit dem Gutachter Dr. F. davon aus, dass die Klägerin nur leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus mit überwiegend sitzendem Anteil verrichten kann. Konkretisiert wird dies durch den Ausschluss von einseitigen Bewegungsabläufen, Überkopfarbeit, häufigem Heben und Tragen von schweren Lasten, Bücken, Zwangshaltungen, häufigem Steigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Tätigkeiten ausschließlich im Gehen oder im Stehen, ohne dass dies weitere wesentliche Einschränkungen mit sich bringen würde. Zudem wird eine ruhige, stressarme Arbeit gefordert, womit Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Wechselschicht oder Nachtschicht, laufende Maschinen und Lärm ausgeschlossen sind. Auszuschließen sind auch Tätigkeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen und Allergenen. Bedeutsam ist ferner, dass in Folge des Karpaltunnelsyndroms beidseits die Gebrauchsfähigkeit beider Hände eingeschränkt ist. Hinzu kommt, dass auch die zusätzlichen von Prof. Dr. Dr. H. genannten Einschränkungen durchaus plausibel sind. Dies betrifft Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr, besondere Verantwortung und besondere Anforderung an die geistig-psychische Belastbarkeit, unfallgefährdete Tätigkeiten, häufiges Knien und das Ausgesetztsein gegenüber Dämpfen, Rauch, Gas und Stäuben. Nach den ärztlichen Darlegungen handelt es sich aber jeweils um überschaubare Einschränkungen, die mit einzelnen nicht allzu weitgehenden Vorgaben an die Arbeitsbedingungen verbunden sind. Prof. Dr. Dr. H. geht teilweise auch davon aus, dass die genannten Belastungen vorzugsweise zu vermeiden seien. Die Einschränkung der Handfunktionen betrifft insbesondere den Einsatz grober Kraft. Die Summierung dieser Einschränkungen stellt sich dem Senat nicht als Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen dar; die Einschränkungen können weitgehend bereits mit der Begrenzung auf eine körperlich leichte, überwiegend sitzende und stressarme Tätigkeit in geschlossenen Räumen berücksichtigt werden.

Der Senat kommt abschließend auch zum Ergebnis, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 SGB VI für das Vorliegen von teilweiser Erwerbsminderung nicht erfüllt sind. Zwar hat die Klägerin bereits einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weil für sie noch die Übergangsvorschrift des § 240 SGB VI - Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - gilt und sie dessen Voraussetzungen erfüllt, so dass es für die unmittelbare Anwendung des § 43 Abs. 1 SGB VI kein rechtliches Interesse mehr gibt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Beschl. v. 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschl. v. 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) kommt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung allerdings auch schon dann in Betracht, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) nachgewiesen worden ist, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt wird und der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand April 2010, § 43 SGB VI Rn. 30 mwN). Unabhängig von der Diskussion darüber, ob diese Rechtsprechung auch aktuell noch zur Anwendung zu bringen ist, scheitert ein derartiger Rentenanspruch daran, dass bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats keine teilweise Erwerbsminderung im Rechtssinne vorliegt.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine solche zeitliche Einschränkung auf einen täglichen Arbeitsumfang von 3 bis unter 6 Stunden wird vom Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H. und wohl auch von der Schmerzklinik G-Stadt angenommen - auch wenn letztere dem Wortlaut nach auch noch eine Tätigkeit von 6 Stunden als Obergrenze benennt. Die Annahme, dass allein mit der Diagnose der Fibromyalgie eine derartige Einschränkung nachgewiesen sei, lässt sich nicht halten. Wie viele Erkrankungen hat auch die Fibromyalgie ein breites Spektrum an Auftretensformen und damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen. Der Senat sieht mit den Hinweisen des Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.01.2019 aus den Untersuchungsergebnissen des Prof. Dr. Dr. H. keinen hinreichend objektivierten Nachweis einer zeitlichen Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf weniger als 6 Stunden täglich bei ansonsten geeigneten beruflichen Tätigkeiten. Es verbleiben hier deutliche Restzweifel an einem derartig eingeschränkten Leistungsbild, nachdem die erfassten gesundheitlichen Störungen und die daraus resultierenden Einschränkungen in den Gutachten des Dr. F. und des Prof. Dr. Dr. H. ansonsten durchaus große Übereinstimmungen zeigen.

Die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch der Klägerin auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht als belegt ansehen, sind somit im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG D-Stadt vom 10.05.2016 - unrichtig als 12.05.2016 bezeichnet - ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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