Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AY 79/19 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 7/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Beschwerde einer Behörde gegen einen positiven Beschluss des Sozialgerichts in einstweiligen Rechtsschutz ist bei einer Änderung der Sachlage ab dem Zeitpunkt der Änderung zulässig, da in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Beschluss vom 25.06.2018, L 8 SO 49/18.
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 23. Januar 2020 aufgehoben, soweit der Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen ab dem 15. Januar 2020 verpflichtet worden ist, und der Antrag des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz insoweit abgelehnt.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners verworfen.
III. Der Antragsgegner hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner (Ag) wendet sich mit der Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts Landshut (SG) vom 23.01.2020, wonach er dem Antragsteller (ASt) von Januar bis Juni 2020 vorläufig Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung bewilligen muss.
Der ASt, nach eigener Angabe 1997 geboren und Staatsangehöriger Eritreas, kam im Oktober 2019 aus der Schweiz ins Bundesgebiet und beantragte Asyl. Er wurde in einer Ankereinrichtung im Bereich des Ag untergebracht und ihm wurde eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt mit räumlicher Beschränkung des Aufenthalts auf das Gebiet des Ag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) richtete am 29.10.2019 an die Schweiz ein Übernahmeersuchen zur Durchführung des Asylverfahrens, dem die Schweiz am 30.10.2019 zustimmte. Das BAMF lehnte mit Bescheid vom 31.10.2019 den Asylantrag des ASt als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht bestünden, und drohte die Abschiebung in die Schweiz an. Der Asylantrag sei unzulässig, da die Schweiz aufgrund des dort bereits abgelehnten Asylantrages zuständig sei. In der Schweiz drohe dem ASt auch keine individuell-konkrete Gefahr. Seit 15.01.2020 befindet sich der ASt im Kirchenasyl in K-Stadt; dies war dem Ag seit dem 16.01.2020 bekannt.
Der Ag gab an den ASt einen Gutschein zur Anschaffung von Winterbekleidung aus und bewilligte dem ASt mit Bescheid vom 28.10.2019 Geld- und Sachleistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 28.10. bis 31.10.2019. Im Zuge der Ablehnung des Asylantrages hörte der Ag den ASt zur Beschränkung der Leistungen ab 2020 an und bewilligte dem ASt schließlich mit Bescheid vom 16.12.2019 ab 01.01.2020 Leistungen nur noch eingeschränkt - befristet bis 30.06.2020 - als Sachleistungen für Unterkunft und Heizung, Ernährung sowie Gesundheits- und Körperpflege. Für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF als unzulässig abgelehnt und für die eine Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat angeordnet worden sei, sei eine Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG zwingende Folge. Hiergegen legte der ASt Widerspruch ein, über den, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden ist.
Am 18.12.2019 hat der ASt beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er habe Anspruch auf Grundleistungen nach "Regelbedarfsstufe 1". Die Regelung des § 1a Abs. 7 AsylbLG sei evident verfassungswidrig, denn es müsse einheitlich - auch für Ausländer - die physische und soziokulturelle Existenz gewährt werden. Die diesen Anspruch fundierende Menschenwürde sei unverfügbar und gehe selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der Gesetzgeber könne zwar die staatlichen Mittel nur nachrangig gewähren und sie an Mitwirkungspflichten binden. Es dürfe aber nicht repressiv Fehlverhalten geahndet werden. Migrationspolitische Erwägungen könnten von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards rechtfertigen. Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel. Es gehe dem Gesetzgeber offenkundig allein um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens des Betroffen im Einzelfall, das abschreckende Wirkung auf andere entfalten und die Betroffenen zur freiwilligen Ausreise drängen soll. Eine Reaktionsmöglichkeit der Betroffenen sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber wolle auf diesem Weg unerwünschte Sekundärmigration eindämmen. Außerdem liege der Leistungsminderung keine hinreichend verlässliche Prognose zugrunde. Auch die starre Sanktionsdauer von sechs Monaten sei nicht verfassungsgemäß. Zudem betrage die Leistungshöhe nur ca. 40 bis 50% der sonst zustehenden Leistungen. Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG nicht vor, denn dieser sei teleologisch dahin einzuschränken, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sein müsse. Er habe sich jedoch nicht pflichtwidrig verhalten. Weder habe er sich pflichtwidrig nach Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Asylantragsteller hätten auch im Fall der Weiterwanderung Anspruch auf eine Prüfung und Entscheidung ihres Asylgesuchs. Ferner werde das Existenzminimum evident unterschritten, wenn Leistungsberechtigte, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht seien, geringere Leistungen erhielten. Ihr Bedarf weiche nicht signifikant von dem alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter ab. Der Gesetzgeber habe schon nicht den Versuch unternommen, die Abweichung in einem inhaltlich transparenten Verfahren zu belegen. Tatsächlich profitierten Personen, die gemeinsam untergebracht seien, nicht von Einspareffekten, die denen von Paarhaushalten vergleichbar seien, weil sie nicht gemeinsam wirtschafteten.
Auf Anfrage des SG hat der Ag mitgeteilt (Schreiben vom 20.01.2020), bei sog. Dublin-Fällen sei derzeit keine freiwillige Ausreise in den zuständigen Mitgliedsstaat möglich, auch nicht in die Schweiz. Eine freiwillige Ausreise in das Herkunftsland sei sehr wohl möglich. Der ASt sei sehr wohl unerlaubt aus der Schweiz eingereist, auch wenn das Fehlverhalten keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe. Zudem halte sich ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unerlaubt in Deutschland auf, wenn ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt oder diese abgelaufen sei und die Abschiebung nicht ausgesetzt sei.
Das SG hat mit Beschluss vom 23.01.2020 den Ag verpflichtet, dem ASt vorläufig Leistungen nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 zu gewähren. Der Leistungsanspruch könne derzeit nicht eingeschränkt werden, denn es sei eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 7 AsylbLG geboten. Sanktioniert werden könne nur ein pflichtwidriges Verhalten. Jedoch gehe aus dem Bescheid vom 16.12.2019 schon nicht hervor, welches konkrete Verhalten des ASt erreicht werden solle. Zudem könne die unterlassene freiwillige Rückkehr in das eigentlich für das Asylverfahren zuständige Land nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, da die Rückkehr derzeit nicht rechtmäßig durchführbar wäre. Auch die Rückkehr nach Eritrea könne ohne vorherige Durchführung eines Asylverfahrens in der Schweiz nicht verlangt werden. Hinsichtlich der nur dem Grunde nach erfolgenden Verpflichtung des Ag sei davon auszugehen, dass - als Ergebnis einer Folgenabwägung - der ASt Anspruch auf Leistungen in Höhe der "Regelbedarfsstufe 1" habe., nachdem ein gemeinsames Wirtschaften, wie es für die Stufe 2 erforderlich sei, nicht wahrscheinlich erscheine.
Dagegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG lägen vor. Demnach habe zwingend eine Anspruchseinschränkung zu erfolgen. Der Auslegung des SG stehe der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Allerdings liege auch ein pflichtwidriges Verhalten des ASt vor. Überdies seien die Voraussetzungen für Leistungen nach der Bedarfsstufe 1 nicht gegeben. Die gemeinsame Nutzung von Wohnraum ermögliche Synergieeffekte.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Ag ist zum Teil bereits unzulässig; soweit sie zulässig ist, führt sie zur Aufhebung des Beschlusses des SG und zur Ablehnung des Antrags des ASt auf einstweiligen Rechtsschutz.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unzulässig, soweit der Beschluss des SG die Zeit vom 01.01. bis 14.01.2020 betrifft. Die Beschwerde ist zwar statthaft. Insbesondere ist die Beschwerde nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Ag wendet sich insgesamt gegen die Verpflichtung durch den Beschluss des SG, nicht allein in Bezug auf die Frage, ob die Leistungen nach § 3a AsylbLG nach Stufe 1 oder 2 (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AsylbLG) zu gewähren sind. Allein das daraus gegenüber der Bewilligung mit Bescheid vom 16.12.2019 resultierende Mehr als Leistungen in Form des notwendigen persönlichen Bedarfs gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG beläuft sich auf monatlich 153 EUR (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Abs. 4 AsylbLG für die Zeit ab 01.01.2020 vom 01.10.2019) und somit insgesamt auf 918 EUR. Jedoch fehlt der Beschwerde des Ag für den Zeitraum bis einschließlich 14.01.2020 das Rechtsschutzbedürfnis. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden (vgl. nur Beschluss vom 17.09.2018 - L 8 AY 13/18 B ER - juris, m.w.N.), dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Zeit bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren nicht mehr vorliegt, soweit die Behörde die Leistung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bereits erbracht hat bzw. dazu verpflichtet war. Soweit ein Leistungsträger aufgrund der vorläufigen Verpflichtung durch das Sozialgericht leistet bzw. zur Leistung verpflichtet ist, sind seine Beschwer und damit auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde entfallen. Er ist insoweit auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ein rechtlicher oder tatsächlicher Vorteil ergibt sich durch die Aufhebung der Regelungsanordnung für den Träger nicht, da der Rückzahlungsanspruch erst mit der rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens entsteht. Jedenfalls für den Zeitraum ab Bekanntgabe der Entscheidung des Senats ist für den Fall der Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zu - wie hier - laufenden Zahlungen aber ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, da bei einer Abänderung oder Aufhebung der Regelungsanordnung für die Zeit ab Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung niedrigere bzw. keine Leistungen mehr zu erbringen wären (vgl. Beschluss des Senats vom 25.06.2018 - L 8 SO 49/18 B ER, Rdnr. 30, juris). Erst ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung sei ein Rechtsschutzbedürfnis wieder anzunehmen.
Hieran hält der Senat als Grundsatz auch weiterhin fest, modifiziert dies aber dahin, dass eine Ausnahme - mit der Folge, dass ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen ist - gegeben sein kann, wenn im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmenden Prüfung erkennbar wird, dass eine zukünftige Hauptsacheentscheidung der getroffenen Regelungsanordnung aller Voraussicht nach wegen einer Änderung der Sachlage nicht entsprechen wird. Dann wäre es nicht angemessen, die zur einstweiligen Leistung verpflichtete Behörde auf die Klärung in der Hauptsache zu verweisen und ihr die Schwierigkeiten beim zu erwartenden Ausgleich der erbrachten Leistungen aufzubürden, die sich regelmäßig aus dem Zeitablauf ergeben werden. Einen solchen Fall sieht der Senat vorliegend als gegeben an, da ein der einstweiligen Anordnung entsprechender Anspruch des ASt in der Hauptsache nicht zu erwarten ist (dazu im Einzelnen unten).
Soweit demnach die Beschwerde zulässig ist (Zeitraum vom 15.01.2020 bis 30.06.2020), hat sie auch Erfolg. Die Verpflichtung des Ag zu (nicht bereits bewilligten) Leistungen an den ASt in der Zeit vom 15.01.2020 bis 30.06.2020 kann keinen Bestand haben.
Das Begehren des ASt - er strebt eine Erweiterung seiner Rechtsposition an - richtet sich nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt und der dem Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens entspricht - sowie eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - voraus. Die Angaben hierzu müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO), wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 Abs. 1 ZPO) möglich ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X), verbleibende Zweifel sind unschädlich (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand: 04.12.2019, § 86b Rn. 415).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 42). Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter, summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein, was auch in Bezug auf Ermessensentscheidungen des Gerichts gilt (vgl. Karl in jurisPK-SGG, Stand: 11.10.2018, § 176 Rn. 10 und 11).
Demnach ist für die Zeit ab 15.01.2020 kein Anordnungsanspruch gegeben, denn einem Anspruch des ASt auf die zugesprochenen Leistungen nach den §§ 3 und 3a AsylbLG steht § 11 Abs. 2 AsylbLG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden (Satz 1). Leistungsberechtigten darf in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie entgegen einer Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu dem Ort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben (Satz 2). Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 AsylbLG soll mittelbar der Durchsetzung asyl- bzw. aufenthaltsrechtlicher räumlicher Beschränkungen und Wohnsitzauflagen und damit der Vermeidung ungewollter Binnenwanderungen dienen. Dadurch, dass den Leistungsberechtigten nur unabweisbar gebotene Hilfe zu leisten ist, soll die Rückkehr der Leistungsberechtigten in den zugewiesenen Bereich befördert werden (Groth in jurisPK-SGB XII, Stand: 04.03.2020, § 11 AsylbLG Rn. 25). Vor diesem Hintergrund ist § 11 Abs. 2 AsylbLG trotz der nicht ganz eindeutigen Formulierung dahin zu verstehen, dass bei einem tatsächlichen Aufenthalt des betreffenden Ausländers außerhalb des Gebiets der räumlichen Beschränkung regelmäßig lediglich eine Reisebeihilfe, jedoch sonst - von keiner für die Durchführung des AsylbLG zuständigen Behörde - keine Leistungen im Umfang der §§ 2 bis 4 und 6 AsylbLG zu erbringen sind (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.10.2019 - L 8 AY 39/19 B ER - juris; Cantzler, AsylbLG, § 11 Rn. 30). Vorliegend ist der ASt asylrechtlich dem Ankerzentrum (besondere Aufnahmeeinrichtung i.S.d. § 5 Abs. 5 des Asylgesetzes - AsylG) im Bereich des Ag zugewiesen. In seiner Aufenthaltsgestattung vom 25.10.2019 ist sein Aufenthalt räumlich auf das Gebiet des Ag beschränkt worden (§ 56 AsylG). Der ASt hält sich jedoch seit 15.01.2020 im Kirchenasyl in K-Stadt auf, mithin außerhalb des Gebiets des Ag. Nachdem es dem ASt darauf ankommen wird, die bis 30.04.2020 laufende Rücküberstellungsfrist in die Schweiz verstreichen zu lassen, um ins nationale Asylverfahren in Deutschland zu fallen, ist davon auszugehen, dass der ASt mit dem Kirchenasyl in K-Stadt nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 10a Abs. 3 AsylbLG dort nehmen will. Vielmehr wird der Aufenthalt in K-Stadt nicht zukunftsoffen, sondern beschränkt auf die genannte Zeit gewählt worden sein. Damit liegt ein Fall des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG vor. Es ist auch weder etwas dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem ASt die Rückkehr in das Gebiet des Ag unmöglich oder unzumutbar wäre (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.) bzw. dass atypische Umstände vorliegen oder dass die Voraussetzungen für ein Verlassen des Bereichs des Aufenthaltsbereichs gegeben sind (z.B. §§ 57 f. AsylG). Das Kirchenasyl stellt kein anerkanntes Rechtsinstitut dar (vgl. Beschluss des Senats vom 11.11.2016 - L 8 AY 28/16 B ER; auch: OLG München, Urteil vom 03.05.2018 - 4 OLG 13 Ss 54/18 - alle nach juris). Somit kann es weder als Grundlage noch als Rechtfertigung für den Aufenthalt des ASt außerhalb des Gebiets des Ag dienen. Angesichts der nur faktischen Akzeptanz des Kirchenasyls im Sinn des Absehens von Zwangsmaßnahmen ist darin insbesondere keine stillschweigende Erlaubnis zum (vorübergehenden) Verlassen des Bereichs der räumlichen Beschränkung zu sehen. Auch begründet eine bevorstehende Abschiebung bzw. Überstellung keine Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung (vgl. Groth, a.a.O., Rn. 53).
Die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG mögliche Reisebeihilfe ist dem ASt schon deswegen nicht zuzusprechen, weil diese nicht begehrt ist. Es ist nicht erkennbar (§ 123 SGG), dass sich das Begehren des ASt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (hilfsweise) auf diese Leistung richtet. Dagegen spricht insbesondere, dass der Senat nicht davon ausgeht, dass der ASt das Kirchenasyl in Kürze verlassen und in den Bereich des Ag zurückkehren wird. Daher sieht der Senat auch von einer Beiladung (§ 75 SGG) des für die Leistungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zuständigen Trägers ab, denn eine Verpflichtung käme nicht infrage.
Nach alledem war wie tenoriert zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt einerseits, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz letztlich nur zu einem sehr geringen Teil (1/12) erfolgreich war und die hierzu führende Änderung der Lage (Inanspruchnahme von Kirchenasyl) durch den ASt herbeigeführt wurde. Andererseits war dem Ag seit dem 16.01.2020 das Kirchenasyl bekannt, ohne dass er das SG hierüber informiert hat, was aber durch den ASt ebenfalls nicht geschehen ist. Angesichts dieser Umstände erscheint eine Kostenerstattung i.H.v. einem Drittel für das gerichtliche Verfahren in beiden Instanzen angemessen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners verworfen.
III. Der Antragsgegner hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner (Ag) wendet sich mit der Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts Landshut (SG) vom 23.01.2020, wonach er dem Antragsteller (ASt) von Januar bis Juni 2020 vorläufig Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung bewilligen muss.
Der ASt, nach eigener Angabe 1997 geboren und Staatsangehöriger Eritreas, kam im Oktober 2019 aus der Schweiz ins Bundesgebiet und beantragte Asyl. Er wurde in einer Ankereinrichtung im Bereich des Ag untergebracht und ihm wurde eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt mit räumlicher Beschränkung des Aufenthalts auf das Gebiet des Ag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) richtete am 29.10.2019 an die Schweiz ein Übernahmeersuchen zur Durchführung des Asylverfahrens, dem die Schweiz am 30.10.2019 zustimmte. Das BAMF lehnte mit Bescheid vom 31.10.2019 den Asylantrag des ASt als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht bestünden, und drohte die Abschiebung in die Schweiz an. Der Asylantrag sei unzulässig, da die Schweiz aufgrund des dort bereits abgelehnten Asylantrages zuständig sei. In der Schweiz drohe dem ASt auch keine individuell-konkrete Gefahr. Seit 15.01.2020 befindet sich der ASt im Kirchenasyl in K-Stadt; dies war dem Ag seit dem 16.01.2020 bekannt.
Der Ag gab an den ASt einen Gutschein zur Anschaffung von Winterbekleidung aus und bewilligte dem ASt mit Bescheid vom 28.10.2019 Geld- und Sachleistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 28.10. bis 31.10.2019. Im Zuge der Ablehnung des Asylantrages hörte der Ag den ASt zur Beschränkung der Leistungen ab 2020 an und bewilligte dem ASt schließlich mit Bescheid vom 16.12.2019 ab 01.01.2020 Leistungen nur noch eingeschränkt - befristet bis 30.06.2020 - als Sachleistungen für Unterkunft und Heizung, Ernährung sowie Gesundheits- und Körperpflege. Für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF als unzulässig abgelehnt und für die eine Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat angeordnet worden sei, sei eine Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG zwingende Folge. Hiergegen legte der ASt Widerspruch ein, über den, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden ist.
Am 18.12.2019 hat der ASt beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er habe Anspruch auf Grundleistungen nach "Regelbedarfsstufe 1". Die Regelung des § 1a Abs. 7 AsylbLG sei evident verfassungswidrig, denn es müsse einheitlich - auch für Ausländer - die physische und soziokulturelle Existenz gewährt werden. Die diesen Anspruch fundierende Menschenwürde sei unverfügbar und gehe selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der Gesetzgeber könne zwar die staatlichen Mittel nur nachrangig gewähren und sie an Mitwirkungspflichten binden. Es dürfe aber nicht repressiv Fehlverhalten geahndet werden. Migrationspolitische Erwägungen könnten von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards rechtfertigen. Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel. Es gehe dem Gesetzgeber offenkundig allein um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens des Betroffen im Einzelfall, das abschreckende Wirkung auf andere entfalten und die Betroffenen zur freiwilligen Ausreise drängen soll. Eine Reaktionsmöglichkeit der Betroffenen sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber wolle auf diesem Weg unerwünschte Sekundärmigration eindämmen. Außerdem liege der Leistungsminderung keine hinreichend verlässliche Prognose zugrunde. Auch die starre Sanktionsdauer von sechs Monaten sei nicht verfassungsgemäß. Zudem betrage die Leistungshöhe nur ca. 40 bis 50% der sonst zustehenden Leistungen. Darüber hinaus lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG nicht vor, denn dieser sei teleologisch dahin einzuschränken, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sein müsse. Er habe sich jedoch nicht pflichtwidrig verhalten. Weder habe er sich pflichtwidrig nach Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Asylantragsteller hätten auch im Fall der Weiterwanderung Anspruch auf eine Prüfung und Entscheidung ihres Asylgesuchs. Ferner werde das Existenzminimum evident unterschritten, wenn Leistungsberechtigte, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht seien, geringere Leistungen erhielten. Ihr Bedarf weiche nicht signifikant von dem alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter ab. Der Gesetzgeber habe schon nicht den Versuch unternommen, die Abweichung in einem inhaltlich transparenten Verfahren zu belegen. Tatsächlich profitierten Personen, die gemeinsam untergebracht seien, nicht von Einspareffekten, die denen von Paarhaushalten vergleichbar seien, weil sie nicht gemeinsam wirtschafteten.
Auf Anfrage des SG hat der Ag mitgeteilt (Schreiben vom 20.01.2020), bei sog. Dublin-Fällen sei derzeit keine freiwillige Ausreise in den zuständigen Mitgliedsstaat möglich, auch nicht in die Schweiz. Eine freiwillige Ausreise in das Herkunftsland sei sehr wohl möglich. Der ASt sei sehr wohl unerlaubt aus der Schweiz eingereist, auch wenn das Fehlverhalten keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe. Zudem halte sich ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unerlaubt in Deutschland auf, wenn ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt oder diese abgelaufen sei und die Abschiebung nicht ausgesetzt sei.
Das SG hat mit Beschluss vom 23.01.2020 den Ag verpflichtet, dem ASt vorläufig Leistungen nach den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 zu gewähren. Der Leistungsanspruch könne derzeit nicht eingeschränkt werden, denn es sei eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 7 AsylbLG geboten. Sanktioniert werden könne nur ein pflichtwidriges Verhalten. Jedoch gehe aus dem Bescheid vom 16.12.2019 schon nicht hervor, welches konkrete Verhalten des ASt erreicht werden solle. Zudem könne die unterlassene freiwillige Rückkehr in das eigentlich für das Asylverfahren zuständige Land nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, da die Rückkehr derzeit nicht rechtmäßig durchführbar wäre. Auch die Rückkehr nach Eritrea könne ohne vorherige Durchführung eines Asylverfahrens in der Schweiz nicht verlangt werden. Hinsichtlich der nur dem Grunde nach erfolgenden Verpflichtung des Ag sei davon auszugehen, dass - als Ergebnis einer Folgenabwägung - der ASt Anspruch auf Leistungen in Höhe der "Regelbedarfsstufe 1" habe., nachdem ein gemeinsames Wirtschaften, wie es für die Stufe 2 erforderlich sei, nicht wahrscheinlich erscheine.
Dagegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG lägen vor. Demnach habe zwingend eine Anspruchseinschränkung zu erfolgen. Der Auslegung des SG stehe der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Allerdings liege auch ein pflichtwidriges Verhalten des ASt vor. Überdies seien die Voraussetzungen für Leistungen nach der Bedarfsstufe 1 nicht gegeben. Die gemeinsame Nutzung von Wohnraum ermögliche Synergieeffekte.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Ag ist zum Teil bereits unzulässig; soweit sie zulässig ist, führt sie zur Aufhebung des Beschlusses des SG und zur Ablehnung des Antrags des ASt auf einstweiligen Rechtsschutz.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unzulässig, soweit der Beschluss des SG die Zeit vom 01.01. bis 14.01.2020 betrifft. Die Beschwerde ist zwar statthaft. Insbesondere ist die Beschwerde nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Ag wendet sich insgesamt gegen die Verpflichtung durch den Beschluss des SG, nicht allein in Bezug auf die Frage, ob die Leistungen nach § 3a AsylbLG nach Stufe 1 oder 2 (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AsylbLG) zu gewähren sind. Allein das daraus gegenüber der Bewilligung mit Bescheid vom 16.12.2019 resultierende Mehr als Leistungen in Form des notwendigen persönlichen Bedarfs gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG beläuft sich auf monatlich 153 EUR (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Abs. 4 AsylbLG für die Zeit ab 01.01.2020 vom 01.10.2019) und somit insgesamt auf 918 EUR. Jedoch fehlt der Beschwerde des Ag für den Zeitraum bis einschließlich 14.01.2020 das Rechtsschutzbedürfnis. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden (vgl. nur Beschluss vom 17.09.2018 - L 8 AY 13/18 B ER - juris, m.w.N.), dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Zeit bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren nicht mehr vorliegt, soweit die Behörde die Leistung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bereits erbracht hat bzw. dazu verpflichtet war. Soweit ein Leistungsträger aufgrund der vorläufigen Verpflichtung durch das Sozialgericht leistet bzw. zur Leistung verpflichtet ist, sind seine Beschwer und damit auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde entfallen. Er ist insoweit auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ein rechtlicher oder tatsächlicher Vorteil ergibt sich durch die Aufhebung der Regelungsanordnung für den Träger nicht, da der Rückzahlungsanspruch erst mit der rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens entsteht. Jedenfalls für den Zeitraum ab Bekanntgabe der Entscheidung des Senats ist für den Fall der Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zu - wie hier - laufenden Zahlungen aber ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, da bei einer Abänderung oder Aufhebung der Regelungsanordnung für die Zeit ab Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung niedrigere bzw. keine Leistungen mehr zu erbringen wären (vgl. Beschluss des Senats vom 25.06.2018 - L 8 SO 49/18 B ER, Rdnr. 30, juris). Erst ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung sei ein Rechtsschutzbedürfnis wieder anzunehmen.
Hieran hält der Senat als Grundsatz auch weiterhin fest, modifiziert dies aber dahin, dass eine Ausnahme - mit der Folge, dass ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen ist - gegeben sein kann, wenn im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmenden Prüfung erkennbar wird, dass eine zukünftige Hauptsacheentscheidung der getroffenen Regelungsanordnung aller Voraussicht nach wegen einer Änderung der Sachlage nicht entsprechen wird. Dann wäre es nicht angemessen, die zur einstweiligen Leistung verpflichtete Behörde auf die Klärung in der Hauptsache zu verweisen und ihr die Schwierigkeiten beim zu erwartenden Ausgleich der erbrachten Leistungen aufzubürden, die sich regelmäßig aus dem Zeitablauf ergeben werden. Einen solchen Fall sieht der Senat vorliegend als gegeben an, da ein der einstweiligen Anordnung entsprechender Anspruch des ASt in der Hauptsache nicht zu erwarten ist (dazu im Einzelnen unten).
Soweit demnach die Beschwerde zulässig ist (Zeitraum vom 15.01.2020 bis 30.06.2020), hat sie auch Erfolg. Die Verpflichtung des Ag zu (nicht bereits bewilligten) Leistungen an den ASt in der Zeit vom 15.01.2020 bis 30.06.2020 kann keinen Bestand haben.
Das Begehren des ASt - er strebt eine Erweiterung seiner Rechtsposition an - richtet sich nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt und der dem Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens entspricht - sowie eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - voraus. Die Angaben hierzu müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO), wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 Abs. 1 ZPO) möglich ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X), verbleibende Zweifel sind unschädlich (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand: 04.12.2019, § 86b Rn. 415).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 42). Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter, summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein, was auch in Bezug auf Ermessensentscheidungen des Gerichts gilt (vgl. Karl in jurisPK-SGG, Stand: 11.10.2018, § 176 Rn. 10 und 11).
Demnach ist für die Zeit ab 15.01.2020 kein Anordnungsanspruch gegeben, denn einem Anspruch des ASt auf die zugesprochenen Leistungen nach den §§ 3 und 3a AsylbLG steht § 11 Abs. 2 AsylbLG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden (Satz 1). Leistungsberechtigten darf in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie entgegen einer Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu dem Ort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben (Satz 2). Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 AsylbLG soll mittelbar der Durchsetzung asyl- bzw. aufenthaltsrechtlicher räumlicher Beschränkungen und Wohnsitzauflagen und damit der Vermeidung ungewollter Binnenwanderungen dienen. Dadurch, dass den Leistungsberechtigten nur unabweisbar gebotene Hilfe zu leisten ist, soll die Rückkehr der Leistungsberechtigten in den zugewiesenen Bereich befördert werden (Groth in jurisPK-SGB XII, Stand: 04.03.2020, § 11 AsylbLG Rn. 25). Vor diesem Hintergrund ist § 11 Abs. 2 AsylbLG trotz der nicht ganz eindeutigen Formulierung dahin zu verstehen, dass bei einem tatsächlichen Aufenthalt des betreffenden Ausländers außerhalb des Gebiets der räumlichen Beschränkung regelmäßig lediglich eine Reisebeihilfe, jedoch sonst - von keiner für die Durchführung des AsylbLG zuständigen Behörde - keine Leistungen im Umfang der §§ 2 bis 4 und 6 AsylbLG zu erbringen sind (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.10.2019 - L 8 AY 39/19 B ER - juris; Cantzler, AsylbLG, § 11 Rn. 30). Vorliegend ist der ASt asylrechtlich dem Ankerzentrum (besondere Aufnahmeeinrichtung i.S.d. § 5 Abs. 5 des Asylgesetzes - AsylG) im Bereich des Ag zugewiesen. In seiner Aufenthaltsgestattung vom 25.10.2019 ist sein Aufenthalt räumlich auf das Gebiet des Ag beschränkt worden (§ 56 AsylG). Der ASt hält sich jedoch seit 15.01.2020 im Kirchenasyl in K-Stadt auf, mithin außerhalb des Gebiets des Ag. Nachdem es dem ASt darauf ankommen wird, die bis 30.04.2020 laufende Rücküberstellungsfrist in die Schweiz verstreichen zu lassen, um ins nationale Asylverfahren in Deutschland zu fallen, ist davon auszugehen, dass der ASt mit dem Kirchenasyl in K-Stadt nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 10a Abs. 3 AsylbLG dort nehmen will. Vielmehr wird der Aufenthalt in K-Stadt nicht zukunftsoffen, sondern beschränkt auf die genannte Zeit gewählt worden sein. Damit liegt ein Fall des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG vor. Es ist auch weder etwas dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem ASt die Rückkehr in das Gebiet des Ag unmöglich oder unzumutbar wäre (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.) bzw. dass atypische Umstände vorliegen oder dass die Voraussetzungen für ein Verlassen des Bereichs des Aufenthaltsbereichs gegeben sind (z.B. §§ 57 f. AsylG). Das Kirchenasyl stellt kein anerkanntes Rechtsinstitut dar (vgl. Beschluss des Senats vom 11.11.2016 - L 8 AY 28/16 B ER; auch: OLG München, Urteil vom 03.05.2018 - 4 OLG 13 Ss 54/18 - alle nach juris). Somit kann es weder als Grundlage noch als Rechtfertigung für den Aufenthalt des ASt außerhalb des Gebiets des Ag dienen. Angesichts der nur faktischen Akzeptanz des Kirchenasyls im Sinn des Absehens von Zwangsmaßnahmen ist darin insbesondere keine stillschweigende Erlaubnis zum (vorübergehenden) Verlassen des Bereichs der räumlichen Beschränkung zu sehen. Auch begründet eine bevorstehende Abschiebung bzw. Überstellung keine Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung (vgl. Groth, a.a.O., Rn. 53).
Die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG mögliche Reisebeihilfe ist dem ASt schon deswegen nicht zuzusprechen, weil diese nicht begehrt ist. Es ist nicht erkennbar (§ 123 SGG), dass sich das Begehren des ASt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (hilfsweise) auf diese Leistung richtet. Dagegen spricht insbesondere, dass der Senat nicht davon ausgeht, dass der ASt das Kirchenasyl in Kürze verlassen und in den Bereich des Ag zurückkehren wird. Daher sieht der Senat auch von einer Beiladung (§ 75 SGG) des für die Leistungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG zuständigen Trägers ab, denn eine Verpflichtung käme nicht infrage.
Nach alledem war wie tenoriert zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt einerseits, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz letztlich nur zu einem sehr geringen Teil (1/12) erfolgreich war und die hierzu führende Änderung der Lage (Inanspruchnahme von Kirchenasyl) durch den ASt herbeigeführt wurde. Andererseits war dem Ag seit dem 16.01.2020 das Kirchenasyl bekannt, ohne dass er das SG hierüber informiert hat, was aber durch den ASt ebenfalls nicht geschehen ist. Angesichts dieser Umstände erscheint eine Kostenerstattung i.H.v. einem Drittel für das gerichtliche Verfahren in beiden Instanzen angemessen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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