L 4 P 38/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 29/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 P 38/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Anspruch auf Leistungen der Verhinderungspflege setzt einen vorübergehenden Ausfall der Pflegeperson voraus.
2. Verhinderungspflege liegt nicht vor, wenn die Pflege neu organisiert wird, um die bisherigen Pflegepersonen dauerhaft zu entlasten.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.05.2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen. IV. Der Streitwert wird auf 3.666,- Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI in Form von Verhinderungspflege für das Kalenderjahr 2016 streitig. Bei den Klägern handelt es sich um die Erben der 1923 geborenen und am 25.03.2017 verstorbenen Versicherten A ... Sie war die Mutter der Kläger.

I.

Die Versicherte war bei der Beklagten pflegeversichert. Seit 2010 bezog sie Leistungen der Pflegeversicherung in der Pflegestufe I. Aufgrund eines Höherstufungsantrags vom 23.09.2015 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 16.10.2015 Leistungen der Pflegestufe II ab 01.09.2015. Gleichzeitig wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, zusätzliche Entlastungs- und Betreuungsleistungen für qualitätsgesicherte Angebote (z.B. Tagespflege, Kurzzeitpflege oder anerkannte Dienstleistungen durch ambulante Pflege- oder Betreuungsdienste) in Anspruch zu nehmen. Im Berufungsverfahren L 4 P 14/18, das der Senat ebenfalls durch Urteil vom 30.01.2020 entschieden hat, streiten die Beteiligten über einen Anspruch auf Leistungen der Pflegestufe III.

Nachdem die Versicherte bis dahin ausschließlich von Verwandten und Bekannten gepflegt worden war, wurde mit Vertrag vom 29.09.2015 zwischen der Versicherten (vertreten durch I. und A.) und der Firma D.H. (vertreten durch die R. Betreuungsagentur) ein Dienstleistungsvertrag mit dem Inhalt geschlossen, dass sich vom 04.10.2015 bis 02.10.2017 eine Pflegekraft zu einem Honorar von 61,50 Euro pro Tag um die hauswirtschaftlichen und pflegerischen Bedürfnisse der Versicherten kümmere. In Anlage 1 zum Vertrag vom 29.09.2015 wurde der Leistungsumfang im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, im Bereich der Ausübung alltäglicher Aktivitäten, der Körperpflege, der Ernährung sowie der Mobilität festgelegt.

Mit Bescheid vom 15.04.2016 bewilligte die Beklagte für das Jahr 2015 einem Betrag von 1.612,- Euro für Verhinderungspflege, 806,- Euro als Anteil aus der Kurzzeitpflege sowie zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Höhe von 1.248,- Euro.

II.

Mit Schreiben vom 19.12.2016 stellte die Versicherte bei der Beklagten erneut Antrag auf Verhinderungspflege und legte 18 Rechnungen der Firma D.H. für das Jahr 2016 vor. Eine Kopie des Vertrags sei bereits mit der Antragstellung vom 09.04.2016 für das Jahr 2015 vorgelegt worden. Aus diesem ergebe sich, dass dadurch die Verhinderungspflege für fünfeinhalb Stunden täglich und insbesondere der nächtliche Pflegebedarf sichergestellt worden sei.

Mit Bescheid vom 22.12.2016 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten der Ersatzpflege ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, aus den vorgelegten Rechnungen gehe hervor, dass die Pflegekraft durchgehend vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2016 bei der Versicherten tätig gewesen sei. Eine Verhinderungspflege im Sinne des § 39 SGB XI liege nicht vor. Die Verhinderung einer Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen sei nicht erkennbar, vielmehr seien die Pflegekräfte aus Polen als Hauptpflegeperson anzusehen.

Hiergegen wurde mit Schreiben vom 27.12.2016 Widerspruch erhoben. Es wurde ausgeführt, dass § 39 SGB XI die Ablehnung nicht stütze. Die Beklagte habe am 15.04.2016 bereits entsprechende Leistungen übernommen. Die umfangreiche Pflege der Versicherten seit dem 04.10.2014 könne ohne Fremdhilfe nicht geleistet werden, zumal Frau D. infolge einer Chemotherapie im zweiten Halbjahr 2016 ausgefallen sei. Die Pflegekasse profitiere von der gewählten Pflegeorganisation.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert sei, übernehme die Pflegekasse gemäß § 39 SGB XI die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr. Voraussetzung sei, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt habe. Für die Prüfung sei zunächst maßgeblich, wer mit der Pflege betraut sei. Laut dem Gutachten des MDK vom 08.10.2015 werde die Pflege von folgenden Pflegepersonen durchgeführt: 1. Frau D., 2. Herr A., 3. Herr A., 4. Frau I. A., 5. wechselnde osteuropäische Pflegekräfte der Firma D.H ... Laut Angaben im Gutachten übernähmen Frau D. sowie Herr A. zusammen mit der Ehefrau jeweils zweimal wöchentlich die Pflege der Versicherten. Der Bruder stelle die hauswirtschaftliche Versorgung des Gartens sicher. Zudem sei eine polnische Pflegekraft 24 Stunden vor Ort, um die Pflege durchzuführen. Eine Erstattung der Kosten für eine Ersatzpflege könne nur in den Fällen erfolgen, in denen Ersatzpflege auch notwendig sei. Ausweislich des Vertrags sei die Pflege bereits seit dem 14.10.2015 fortlaufend durch eine polnische Pflegekraft pro Tag für 61,50 Euro erbracht worden. Die Ersatzpflege sei daher nicht anlässlich der Erkrankung von Frau D. und des damit verbundenen Wegfalls der durch sie erbrachten Pflegeleistung beauftragt worden. Die Kosten wären unabhängig von der Verhinderung der Pflegeperson entstanden. Darüber hinaus sei trotz der beantragten stundenweisen Verhinderungspflege die polnische Pflegekraft ganztägig über einen Zeitraum von insgesamt 35 Wochen beschäftigt gewesen. Die Leistungen der Verhinderungspflege könnten jedoch längstens für sechs Wochen erbracht werden. Die Gewährung von Verhinderungspflege im Vorjahr mit Bescheid vom 15.04.2016 sei daher zu Unrecht erfolgt.

Am 20.03.2017 hat die Versicherte Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Der Sachverhalt betreffe das Kalenderjahr 2016; die Beklagte habe jedoch § 39 SGB XI in seiner bis 31.12.2014 geltenden Fassung angewendet. Allein deswegen sei die Entscheidung aufzuheben. Der Pflegebedarf der Versicherten habe sich im Laufe der Zeit stark erhöht und die bisherigen Pflegepersonen (die Kläger und die Ehefrau des Klägers zu 1.) hätten aufgrund ihres eigenen Alters und der seit Jahren bestehenden Belastung durch die Pflege den gesteigerten Hilfebedarf nicht mehr allein leisten können. Es sei daher der Dienstleistungsvertrag geschlossen worden. Im Gutachten des MDK vom 15.12.2015 seien die vier pflegenden Angehörigen genannt. Die Versicherte sei bis Oktober 2015 nur von Angehörigen und Bekannten gepflegt worden. Die Hilfskraft aus Polen sei nicht die Hauptpflegekraft. Die Versicherte werde seit Jahren von vier Angehörigen betreut, die von der polnischen Hilfskraft unterstützt bzw. entlastet würden. § 39 SGB XI setze für die Verhinderungspflege nur voraus, dass die Pflegepersonen mindestens sechs Monate vor Eintritt der Verhinderung in der häuslichen Umgebung gepflegt hätten. Dieser Zeitraum sei unstrittig erfüllt. Der Pflegehinderungsgrund sei völlig unerheblich. Der abgeschlossene Vertrag laute über wöchentlich 38,5 Stunden. Es gebe keinen Vertrag über die 24-Stunden-Pflege. Es sei unerheblich, wann der Vertrag für die polnische Hilfskraft geschlossen worden sei. Tatsache sei, dass die Angehörigen bereits vor der Erkrankung von Frau D. eine Entlastung benötigt hätten. Außerdem sei die jeweilige polnische Pflegekraft nicht ganztägig über einen Zeitraum von 35 Wochen beschäftigt. Der Dienstvertrag sehe eine 38,5 Stunden-Woche vor und gelte für das gesamte Jahr 2016.

Mit Urteil vom 04.05.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Verhinderungspflege scheitere bereits an der Notwendigkeit einer Ersatzpflege. Laut den eingeholten Gutachten habe bei der Versicherten ein täglicher Hilfebedarf von 196 Minuten für die Grundpflege und 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung (MDK-Gutachten vom 15.12.2015) bzw. von 137 Minuten für die Grundpflege und 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung (Pflegesachverständigengutachten Herr Müller) bestanden. Dieser festgestellte notwendige Hilfebedarf könne unproblematisch mit dem zeitlichen Rahmen der angestellten polnischen Pflegekraft von 51/2 Stunden täglich abgedeckt werden. Eine darüber hinausgehende Pflege sei nicht mehr notwendig und damit gesetzlich berücksichtigungsfähig im Sinne des § 39 SGB XI. Die angestellte Pflegekraft sei auch nicht angestellt worden, um im zweiten Halbjahr 2016 die Angehörige Frau D. zu entlasten, sondern sei - laut Formulierung in der Klageschrift vom 19.03.2017 - bereits vor deren Erkrankung eingestellt worden, da die Angehörigen eine Entlastung benötigt hätten. Insofern bestehe auch kein zeitlicher Zusammenhang der Einstellung der polnischen Pflegekraft mit dem Ausfall einer anderen nicht professionellen Pflegekraft.

Auch aus den zu Unrecht übernommenen Kosten durch die Beklagte im Jahr 2015 lasse sich kein Anspruch auf Übernahme derselben Kosten im Jahr 2016 ableiten, da kein Rechtsanspruch auf Fortführung einer rechtswidrigen Leistung bestehe.

Am 29.05.2018 haben die Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das SG habe unzutreffende Feststellungen zum Umfang des Pflegebedarfs getroffen; dieser sei Gegenstand des Berufungsverfahrens L 4 P 14/18 und stehe nicht rechtskräftig fest.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.05.2018 sowie den Bescheid vom 22.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft Leistungen der Verhinderungspflege unter Berücksichtigung des Budgets aus den Mitteln der Kurzzeitpflege sowie der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen für das Kalenderjahr 2016 im Umfang von insgesamt 3.666,- Euro zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts - insbesondere den umfangreichen klägerischen Vortrag - wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der Kläger entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen waren und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Fall des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).

Streitgegenstand sind Leistungen der Verhinderungspflege. Die Kläger begehren Leistungen im selben Umfang, wie sie die Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2016 für das Kalenderjahr 2015 bewilligt hat: 1.612,- Euro Verhinderungspflege, 806,- Euro Budget Kurzzeitpflege, 1.248,- Euro zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen (§ 45b SGB XI), insgesamt also 3.666,- Euro.

Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie ohne Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zulässig, aber nicht begründet.

1. Ein Anspruch auf Zahlung von 1.612,- Euro nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB XI kommt nicht in Betracht. Gleiches gilt für den in § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB XI genannten Betrag vom 806,- Euro aus nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Kurzzeitpflege. Diese Leistung kann nämlich nur ergänzend zu dem in § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB XI genannten Betrag gezahlt werden ("kann ... erhöht werden"), sie setzt das Bestehen eines solchen Anspruchs voraus.

Maßstab für die Prüfung durch den Senat ist die im Kalenderjahr 2016 geltende Rechtslage. Ob die Beklagte im Verwaltungsverfahren eine falsche Fassung des § 39 SGB XI zitiert hat, spielt für das Ergebnis der gerichtlichen Prüfung keine Rolle.

§ 39 SGB XI lautete vom 01.01.2016 bis 31.12.2016 wie folgt:

§ 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

(1) Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr; § 34 Absatz 2 Satz 1 gilt nicht. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Die Aufwendungen der Pflegekasse können sich im Kalenderjahr auf bis zu 1 612 Euro belaufen, wenn die Ersatzpflege durch andere Pflegepersonen sichergestellt wird als solche, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben.

(2) Der Leistungsbetrag nach Absatz 1 Satz 3 kann um bis zu 806 Euro aus noch nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Kurzzeitpflege nach § 42 Absatz 2 Satz 2 auf insgesamt bis zu 2 418 Euro im Kalenderjahr erhöht werden. Der für die Verhinderungspflege in Anspruch genommene Erhöhungsbetrag wird auf den Leistungsbetrag für eine Kurzzeitpflege nach § 42 Absatz 2 Satz 2 angerechnet.

(3) Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse regelmäßig den Betrag des Pflegegeldes nach § 37 Absatz 1 Satz 3 für bis zu sechs Wochen nicht überschreiten. Wird die Ersatzpflege von den in Satz 1 genannten Personen erwerbsmäßig ausgeübt, können sich die Aufwendungen der Pflegekasse abweichend von Satz 1 auf den Leistungsbetrag nach Absatz 1 Satz 3 belaufen; Absatz 2 findet Anwendung. Bei Bezug der Leistung in Höhe des Pflegegeldes für eine Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, können von der Pflegekasse auf Nachweis notwendige Aufwendungen, die der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Ersatzpflege entstanden sind, übernommen werden. Die Aufwendungen der Pflegekasse nach den Sätzen 1 und 3 dürfen zusammen den Leistungsbetrag nach Absatz 1 Satz 3 nicht übersteigen; Absatz 2 findet Anwendung.

Vorliegend fehlt es bereits an einer Verhinderung von Pflegepersonen. Der Anspruch auf Verhinderungspflege bietet dem Pflegebedürftigen im Vergleich zum Pflegegeld zusätzliche Leistungen, denen nach der Vorstellung des Gesetzgebers bei einem vorübergehenden Ausfall der Pflegeperson eine Überbrückungsfunktion zukommt (BSG, Urteil vom 20.04.2016, B 3 P 4/14 R, Rn. 13 m.w.N.). Der vorliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass durch den Vertrag mit der Firma D.H. vom 29.09.2015, der - vorbehaltlich einer Kündigung - eine Laufzeit vom 04.10.2015 bis 02.10.2017 haben sollte, dauerhaft eine neue Pflegestruktur geschaffen wurde, weil die bis dahin allein pflegenden Angehörigen im Hinblick auf den ab September 2015 erhöhten Pflegeaufwand einer dauerhaften Entlastung bedurften. In diesem Sinne hat auch das LSG Baden-Württemberg in einem ähnlich gelagerten Verfahren entschieden (Urteil vom 12.04.2019, L 4 P 1878/18, Rn. 26).

Ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankäme, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass Personen, die Leistungen für Verhinderungspflege erhalten, für denselben Zeitraum grundsätzlich kein Pflegegeld beanspruchen können (BSG, a.a.O., Rn. 23).

2. Auch ein Anspruch auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen (§ 45b SGB XI a.F.) für das Kalenderjahr 2016 besteht nicht.

Diese Norm lautete 2016 wie folgt:

§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

(1) Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, können je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Kosten hierfür werden ersetzt, höchstens jedoch 104 Euro monatlich (Grundbetrag) oder 208 Euro monatlich (erhöhter Betrag). Die Höhe des jeweiligen Anspruchs nach Satz 2 wird von der Pflegekasse auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Einzelfall festgelegt und dem Versicherten mitgeteilt. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen beschließt unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V., der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene und der maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen auf Bundesebene Richtlinien über einheitliche Maßstäbe zur Bewertung des Hilfebedarfs auf Grund der Schädigungen und Fähigkeitsstörungen in den in § 45a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 aufgeführten Bereichen für die Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Bemessung der jeweiligen Höhe des Betreuungs- und Entlastungsbetrages; § 17 Abs. 2 gilt entsprechend. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen der Betreuung oder Entlastung. Er dient der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen 1. der Tages- oder Nachtpflege, 2. der Kurzzeitpflege, 3. der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung oder Angebote der hauswirtschaftlichen Versorgung und nicht um Leistungen der Grundpflege handelt, oder 4. der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote, die nach § 45c gefördert oder förderungsfähig sind. Die Erstattung der Aufwendungen erfolgt auch, wenn für die Finanzierung der in Satz 6 genannten Betreuungs- und Entlastungsleistungen Mittel der Verhinderungspflege gemäß § 39 eingesetzt werden.

(1a) Pflegebedürftige, die nicht die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, können ebenfalls zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach Absatz 1 in Anspruch nehmen. Die Kosten hierfür werden bis zu einem Betrag in Höhe von 104 Euro monatlich ersetzt.

(Absatz 2,3,4)

Diese Leistung ist zwar nicht von einem Anspruch nach § 39 SGB XI abhängig. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen von § 45b Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB XI a.F. vorliegen. Insbesondere ist keiner der in § 45b Abs. 1 Satz 6 SGB XI a.F. genannten Fälle gegeben: Leistungen der Tages- oder Nachtpflege sind nach § 41 SGB XI solche, die in teilstationären Einrichtungen erbracht werden. So liegt es hier gerade nicht. Auch (vollstationäre) Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI hat die Versicherte nicht in Anspruch genommen. Die polnische Firma " D.H." stellt keinen zugelassenen Pflegedienst im Sinne von § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 SGB XI a.F. dar. Auch ein niedrigschwelliges Betreuungs- und Entlastungsangebot im Sinne von § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 4 SGB XI hat die Versicherte nicht in Anspruch genommen.

Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Versicherte bereits mit Bescheid vom 16.10.2015 auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von zusätzlichen Entlastungs- und Betreuungsleistungen hingewiesen wurde. Denn dabei handelt es sich nicht um eine in ihrem Umfang über das gesetzlich Zulässige hinausgehende Bewilligung oder Zusicherung, sondern lediglich um einen Hinweis auf die Rechtslage. Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 16.10.2015 "qualitätsgesicherte Angebote" genannt und dann beispielhaft auf die Tatbestände des § 45b Abs. 1 Satz 6 Nr. 1, 2 und 3 SGB XI a.F. hingewiesen, die vorliegend gerade nicht erfüllt sind (s.o.). Zu keiner Zeit hat die Beklagte erklärt, dass sie darauf verzichten werde, eingereichte Belege zu prüfen.

3. Die Kläger können die streitgegenständlichen Ansprüche nicht auf den Umstand stützen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 15.04.2016 entsprechende Leistungen für das Kalenderjahr 2015 gewährt hat. Insbesondere können sich die Kläger nicht auf eine Selbstbindung der Verwaltung berufen.

Eine Selbstbindung aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis kann nur im Rahmen eines der Verwaltung eingeräumten Beurteilungsspielraums oder Ermessens eintreten. Im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorgaben kann keine Selbstbindung der Verwaltung entstehen; einen aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" gibt es nicht (BSG, Urteil vom 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, Rn. 28 m.w.N.).

Vorliegend hat die Beklagte, soweit sie Leistungen der streitgegenständlichen Art für das Kalenderjahr 2015 bewilligt hat, gegen zwingende gesetzliche Vorgaben verstoßen (s.o.). Damit scheidet ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kläger sind nicht Sonderrechtsnachfolger der Versicherten im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Es lag kein gemeinsamer Haushalt vor, denn die Versicherte lebte allein. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger von der Versicherten zur Zeit ihres Todes wesentlich unterhalten worden wären, liegen nicht vor. Daher ist für die Kläger als Erben zwar das erstinstanzliche Verfahren nach § 183 Satz 2 SGG gerichtskostenfrei, weil die Klage bereits vor dem Tod der Versicherten erhoben wurde. Dies gilt jedoch nicht mehr für das Berufungsverfahren.

Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 GKG.
Rechtskraft
Aus
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