L 3 RJ 135/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 9 (14) RJ 175/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RJ 135/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.05.1998 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.04.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.08.1994 sowie des Bescheides vom 30.08.1996 verurteilt, dem Kläger Altersruhegeld unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 06.07.1995 anerkannten Zeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen und ihn zur Nachentrichtung zuzulassen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Leistungen der deutschen Arbeiterrentenversicherung unter Berücksichtigung von in der ehemaligen CSSR zurückgelegten Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) hinsichtlich seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK).

Der am ...1920 in V ... (R ...) in der ehemaligen CSSR geborene Kläger lebte dort bis 1926 und anschließend bis 1940 in S ... (S .../S ...). Seit 1965 lebt er in Israel und hat dessen Staatsangehörigkeit angenommen.

Am 23.01.1990 beantragte der Kläger Leistungen der deutschen Rentenversicherung unter Zulassung zur Nachentrichtung. Hierzu gab er eine von der Beklagten später vorbehaltlich seiner Zugehörigkeit zum dSK anerkannte versicherungspflichtige Tätigkeit als Kraftfahrer in der CSSR vom 23.10.1947 bis zum 23.11.1955 an sowie eine Zeit der verfolgungsbedingten Arbeitslosigkeit von 1944 bis Mai 1945, in der er unter falschem Namen des K ... F ... gelebt habe.

Er gab weiter an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis bei deutscher und slowakischer Muttersprache angehört zu haben. Sein persönlicher Sprachgebrauch im Herkunftsgebiet habe die deutsche und slowakische Sprache umfaßt, Slowakisch und Ungarisch als allgemeine Umgangssprachen im Herkunftsgebiet. Im persönlichen Bereich habe er Deutsch, im Beruf Slowakisch, kein Jiddisch und beim Verlassen des Herkunftsgebietes überwiegend Slowakisch gesprochen. Von 1926 bis 1931 habe er die Volksschule, in der Folgezeit ebenfalls in S ... das Gymnasium, von 1935 bis 1938 sodann in P ... (B ..., P ...) die Handelsschule besucht. Sein Vater sei Viehhändler deutscher Muttersprache und Jude gewesen. Er habe sich im Herkunftsgebiet der deutschen Sprache im persönlichen Bereich und im Beruf des Deutschen, Slowakischen und des Ungarischen bedient, die Mutter im persönlichen Bereich des Deutschen, im Beruf und in der Umgebung des Deutschen und des Slowakischen. Seine 1955 geheiratete Frau habe sich im persönlichen Bereich der deutschen und slowakischen Sprache, im Beruf und in der Umgebung der slowakischen Sprache bedient.

Die Beklagte holte eine Auskunft der Heimatauskunftstelle Slowakei ein, nach der in der Zeit von 1930 bis 1938 von 3586 Einwohnern in S ... 164 Deutsche waren. Es habe vier ungarische und eine slowakische Volksschule gegeben; der Charakter des Ortes wurde von der Heimatauskunftstelle als ungarisch bezeichnet. Bei den 164 Deutschen habe es sich fast ausschließlich um Personen nicht mosaischen Glaubensbekenntnisses gehandelt, die nach S ... aus beruflichen Gründen zugezogen gewesen seien oder am Volkszählungsstichtag nur vorübergehend dort gewohnt hätten.

Die Beklagte zog die Akte des Klägers aus dem Entschädigungsverfahren bei, in der dem Kläger mit Bescheid vom 18.04.1967 wegen eines Verfolgungsschicksales in den Jahren 1941 bis 1943 und 1944 bis 1948 eine Entschädigung zuerkannt worden war. Die Beklagte ließ weiter eine Sprachprüfung des Klägers in Israel durchführen. Dort gab der Kläger zu seinem Vater an, er sei deutscher Muttersprache und Drucker und Setzer von Beruf gewesen. Zusätzlich habe er sich des Slowakischen und des Ungarischen bedient und im Beruf Slowakisch, Ungarisch und Deutsch gesprochen. Die Mutter sei ebenfalls deutscher Muttersprache gewesen und habe daneben das Ungarische beherrscht. Im Elternhaus sei Deutsch, Ungarisch und Slowakisch gesprochen worden. An deutscher Lektüre im Elternhaus habe es Märchen, Jugendliteratur, Romane, den "Grenzboten" und Illustrierte gegeben. Als Unterrichtssprache seines Schulbesuches gab der Kläger durchgehend Slowakisch an, daneben für die Zeit des Besuchs der Handelsakademie von 1934 bis 1937 Deutsch als Fach. Seine Ehefrau in erster Ehe habe Ungarisch und Deutsch gesprochen, die Ehefrau in zweiter Ehe Slowakisch, Ungarisch und Deutsch. Die Umgangssprache in der ersten Ehe sei Deutsch und Ungarisch gewesen, in der zweiten Slowakisch und Deutsch. Muttersprache und Schulbildung der Kinder seien Slowakisch. An deutscher Lektüre und Bildungsgut gab er Märchen, Jugendliteratur, Romane an. Im Elternhaus habe es den "Grenzboten" und Illustrierte gegeben.

Der Prüfer gab seinen Eindruck vom Prüfungsergebnis so wieder: "Der Antragsteller spricht fließend Deutsch wie eine Muttersprache, er liest mit Verständnis, erklärte sich jedoch außerstande zu sein, eine Schriftprobe zu erstellen, denn obwohl er Deutsch als Fach in der Handelsschule erlernt habe, habe er in seinem weiteren Leben die Schrift nie benutzt." Zusammenfassend gab der Prüfer seine Meinung wieder, der Kläger habe zum Zeitpunkt der Auswanderung im Jahre 1965 dem deutschen Sprach- und Kulturkreis überwiegend angehört.

Der Kläger trug weiter vor, in seinem Elternhaus sei lediglich dann Slowakisch gesprochen worden, wenn Freunde und Bekannte mit dieser Hauptsprache zu Besuch gewesen seien, sonst sei allein Deutsch gesprochen worden. Er könne im übrigen in deutscher Sprache schreiben, dies habe er in der Schulzeit auf der Handelsakademie gelernt. Später habe er beim Schreiben die deutsche und auch die ungarische Sprache benutzt und stehe bis heute im Schriftwechsel mit dem Sohn seines Bruders, der in Frankfurt lebe. Darauf fertigte der Kläger in Israel deutschsprachige Schriftproben. Mit Bescheid vom 27.04.1994 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers wegen fehlender Glaubhaftmachung einer Zugehörigkeit zum dSK ab und wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 18.08.1994 zurück.

Im Klageverfahren hat sich der Kläger darauf gestützt, die Zugehörigkeit zum dSK für den Zeitpunkt des Beginns der nationalsozialistisch veranlaßten deutschen Einflußnahme im Herkunftsgebiet glaubhaft gemacht zu haben. Dies sei nach dem guten Ergebnis der Sprachprüfung gelungen.

Die Beklagte hat Beitragszeiten des Klägers von Juni 1940 bis April 1965 und Ersatzzeiten von Juni 1941 bis Januar 1945 anerkannt, der Kläger dies angenommen.

Das Sozialgericht hat weiter Rentenakten der Schwester E ... S ... des Klägers einschließlich der dort bereits beigezogenen Vorgänge betreffend deren Ehemann J ... S ... beigezogen und ausgewertet. Bei einer 1992 durchgeführten Sprachprüfung hatte die 1925 geborene Schwester E ... des Klägers angegeben, Vater und Mutter seien deutscher Muttersprache gewesen, der Vater habe zusätzlich Ungarisch und Slowakisch, die Mutter Ungarisch gebraucht. Der Vater sei Drucker und Setzer sowie Viehhändler gewesen und habe im Beruf Deutsch, Ungarisch und Slowakisch gesprochen. Im Elternhaus sei Deutsch, daneben Ungarisch mit den Eltern, Geschwistern und Verwandten gesprochen worden. Sie habe von 1931 bis 1940 eine Volksschule mit ungarischer und slowakischer Unterrichtssprache und Deutsch als Fach besucht. Ihr Ehemann J ... S ... sei deutscher Muttersprache und spreche zusätzlich Ungarisch. Bis zur Verfolgung habe sie Deutsch, daneben Ungarisch mit Freunden und Nachbarn gesprochen. In der Ehe sei Deutsch gesprochen worden. Der Prüfer gelangte zu dem Eindruck, Frau S ... spreche fließend Deutsch, lese es mühelos mit Verständnis, könne sich an deutsche Märchen, Lieder und Rätsel erinnern, an deutschsprachige Musik und Filme und lese auch heute noch "Das Beste", die "Frau im Spiegel" sowie die "Schweizer Illustrierte". Die Schwester des Klägers wohne heute in Israel in einem deutschsprachigen Siedlungsgebiet und spreche Deutsch einwandfrei als Muttersprache, lese es fließend und fertige Schriftproben mühelos. Der Antrag der Schwester des Klägers wurde fehlender Glaubhaftmachung versicherungspflichtiger Zeiten abgelehnt.

Bei der im September 1992 durchgeführten Sprachprüfung des Schwagers J ... S ... des Klägers hatte dieser angegeben, aus einer deutsch/ungarischsprachigen Familie zu stammen und im Elternhaus mit den Eltern, der Großmutter und dem Bruder Deutsch, mit Verwandten gelegentlich Ungarisch gesprochen zu haben. An deutschsprachiger Lektüre habe es Goethe, Schiller, Keller, Stephan Zweig, Thomas Mann, die allgemeine jüdische Zeitung sowie den "Grenzboten" gegeben. Er habe eine ungarischsprachige Volksschule und ein ungarischsprachiges Gymnasium besucht. Seine Ehefrau, die Schwester des Klägers, sei deutscher Muttersprache und gebrauche zusätzlich das Ungarische. Sie habe eine ungarischsprachige Schulbildung. Der Prüfer gab beim Schwager des Klägers seinen Eindruck wieder, dieser spreche Deutsch einwandfrei als Muttersprache, lese Deutsch fließend mit Verständnis, könne aber nicht schreiben, denn er habe nie Deutsch schreiben gelernt. Zusammenfassend hege er keine Zweifel, daß der Antragsteller zur Zeit der Auswanderung nach Israel 1949 dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe und ihm auch heute verbunden geblieben sei.

Der Schwager des Klägers J ... S ... gab eine Erklärung vom 06.06.1996 zum Verfahren des Klägers ab unter anderem des Inhalts, daß er mit dem Kläger weder verwandt noch verschwägert sei.

Noch im Verlaufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht hat die Beklagte mit Bescheid vom 30.08.1996 den Antrag des Klägers vom 03.07.1996 auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Deutsch-Israelischen Zusatzabkommen zum Sozialversicherungsabkommen abgelehnt wegen fehlender Erfüllung der Voraussetzung von § 17 a FRG.

Mit Urteil vom 05.05.1998 hat das Sozialgericht die Klage wegen fehlender Glaubhaftmachung einer Zugehörigkeit des Klägers zum dSK abgewiesen. Das Sozialgericht hat dies mit dem Inhalt der Auskunft der Heimatauskunftstelle, der Eigenangabe des Klägers zur ungarischen und slowakischen Umgangssprache neben der deutschen Sprache und der Bedeutung der slowakischen Unterrichtssprache in der Ausbildung des Klägers begründet. An der Glaubhaftigkeit der Aussage des J ... S ... bestünden Zweifel, da dieser seine Verwandtschaft mit dem Kläger geleugnet habe.

Gegen diese am 19.06.1998 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 26.06.1998 eingegangene Berufung des Klägers, mit der er insbesondere die Relevanz der vom Sozialgericht zugrundegelegten statistischen Angaben für den Einzelfall in Frage stellt.

Bei einer erneuten Sprachprüfung im Juli 1999 hat der Kläger zur Umgangssprache im Elternhaus den überwiegenden Gebrauch des Deutschen bei wenig gebrauchter ungarischer Sprache und nicht gebrauchtem Jiddisch angegeben. In der Schul- und Berufsausbildung sei Slowakisch verwendet worden, daneben Deutsch in der Zeit des Besuch der Handelsakademie von 1935 bis 1937 und während der Lehre als Automechaniker von 1937 bis 1940. Im Beruf habe er teilweise Deutsch, teilweise Ungarisch, teilweise Slowakisch und nicht Jiddisch gesprochen. Mit der ersten Ehefrau habe er teilweise Slowakisch, teilweise Deutsch, teilweise Ungarisch, mit der zweiten Ehefrau überwiegend Ungarisch, teilweise Ivrith gesprochen. Von den Kindern erster Ehe sei die 1946 geborene Tochter ungarischer Muttersprache, der 1948 geborene Sohn slowakischer Muttersprache, ebenso die 1961 geborene Tochter aus zweiter Ehe. Sein Prüfungsergebnis gab der Prüfer der Botschaft wie folgt wieder: "Der Kläger spricht heute noch fließend Deutsch mit relativ wenigen Fehlern und guter Aussprache. Auch sein Schriftdeutsch hat, verglichen mit dem vieler anderer Prüflinge, erstaunlich wenig Fehler. Die auf Tonband aufgenommenen Ausführungen des Klägers zum Gebrauch der deutschen Sprache in der Familie, mit Freunden, in der Schule und im Beruf sind überzeugend. Demnach hat der Kläger mit seinen Eltern überwiegend Deutsch gesprochen, mit den Geschwistern abwechselnd Deutsch und Ungarisch. Auf der Handelsschule hatte der Kläger auch Deutschunterricht. Vor allem nach dem Umzug seiner Familie nach Samorin und später nach Pressburg wurde auch in seiner Umgebung außerhalb der Familie zunehmend Deutsch gesprochen. Deutsche Bücher und Zeitschriften waren in der Familie vorhanden. Hiesigen Erachtens besteht kein Zweifel daran, daß der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt, wenn nicht sogar überwiegend, so doch zumindest auch dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte.

Unter Berücksichtigung dieses Beweisergebnisses hält der Kläger, der trotz ordnungsgemäßer Benachrichtigung im Termin zur mündlichen Verhandlung weder erschienen ist noch vertreten war, seine Zugehörigkeit zum dSK für glaubhaft gemacht und beantragt nach seinem erkennbaren Interesse,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.05.1998 und Aufhebung des Bescheides vom 27.04.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.08.1994 sowie des Bescheides vom 30.04.1996 die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersruhegeld unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 06.07.1995 anerkannten Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen und ihn zur Nachentrichtung zuzulassen.

Die Beklagte zweifelt weiterhin an der Glaubhaftmachung eines überwiegenden Gebrauches der deutschen Sprache als Voraussetzung für eine Zugehörigkeit des Klägers und dSK und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte die Streitsache in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da der Kläger mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 110, 126 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf war abzuändern und die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben, da diese rechtswidrig sind.

Der Anspruch des Klägers auf Leistungen der Beklagten und Zulassung zur Nachentrichtung besteht unter Berücksichtigung der von der Beklagten bereits anerkannten Beitrags- und Ersatzzeiten auf der Grundlage von §§ 1248 Abs. 5, 1250 RV0 (Reichsversicherungsordnung), 15, 16, 17a FRG (Fremdrentengesetz), 20 WGSVG (Gesetz zur Wiedergutmachung des nationalsozialistisch veranlaßten Unrechts).

Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach der RV0, da sein Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt worden ist und sich auf die Zeit vor dem 01. Januar 1992 bezieht (§ 300 Abs. 2 SGB VI). Der Anspruch auf Altersruhegeld setzt daher nach § 1248 Abs. 5 RV0 die Vollendung des 65. Lebensjahres und die Zurücklegung einer Wartezeit nach Abs. 7 Satz 3 der Vorschrift, also einer Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten, voraus. Der Kläger hatte bei seinem Antrag im Januar 1990 das 65. Lebensjahr vollendet. Auf der Grundlage der von der Beklagten vorbehaltlich seiner Zugehörigkeit zum dSK mit Schreiben vom 06.07.1995 anerkannten mehr als 60 Monate Beitrags- und Ersatzzeiten hatte er auch die erforderliche Wartezeit vorzuweisen.

Die außerhalb des Geltungsbereiches der RV0 zurückgelegten Beitrags- und Ersatzzeiten des Klägers sind nach §§ 15, 16 FRG zu berücksichtigen, obgleich der Kläger nicht zu dem gemäß § 1 FRG unmittelbar begünstigen Personenkreis der anerkannten Vertriebenen im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes gehört. Seine Zeiten finden aufgrund von § 20 WGSVG in der durch Art. 21 Nr. 4 des Rentenreformgesetzes 1992 rückwirkend zum 01. Februar 1971 in Kraft gesetzten Regelung Berücksichtigung im Rahmen des FRG. Denn nach § 20 Abs. 1 WGSVG stehen bei Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes vertriebene Verfolgte gleich, die lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. Für die Feststellung der hiernach erheblichen Tatsachen genügt es, dass diese glaubhaft gemacht worden sind (§§ 4 FRG, 3 WGSVG). Der Kläger ist anerkannter Verfolgter im Sinne von § 1 BEG und kann, da er im Jahre 1965 und damit vor dem Stichtag 01.07.1990 ausgewandert ist, Vertriebener sein (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesvertriebenengesetz). Die hiernach im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes weiter vorausgesetzte deutsche Volkszugehörigkeit wird aufgrund der Verweisung in § 20 Abs. 1 Satz 2 WGSVG auf die Vorschriften des FRG durch das Vorliegen der Voraussetzungen des am 01.07.1990 in Kraft getretenen und auch den Kläger begünstigenden § 17 a FRG ersetzt.

Nach § 17 a FRG sind die nach § 15 FRG grundsätzlich berücksichtigungsfähigen (hier: die von der Beklagten anerkannten) Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung auch bei Personen anzuerkennen, die die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen haben, wenn sie bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, das 16. Lebensjahr bereis vollendet hatten (Ziff. 2), sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten (Ziff. 3) und bis zum diesen Zeitpunkt dem dSK angehört haben (Ziff. 1).

Der Kläger hat seine bei Preßburg in der ehemaligen CSSR und damit in einem Vertreibungsgebiet nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes liegende Heimat im Jahre 1965 zwecks Auswanderung nach Israel verlassen.

Er war als im Jahre 1920 Gebürtiger vor dem Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflußbereichs auf sein Heimatgebiet am 14.03.1939 (Unabhängigkeitserklärung der Slowakei vom tschechischen Teilstaat) bereits 16 Jahre alt.

Der Kläger hat sich auch wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum im Sinne von § 17 a Ziff. 3 FRG bis zum genannten Zeitpunkt nicht zum deutschen Volkstum bekannt. Hierzu genügt es nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat bereits angeschlossen hat (L 3 RJ 105/97 vom 27.08.1999), entgegen dem mißverständlichen Wortlaut von § 17 a FRG aus, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausdehnung des nationalsozialistischen Einflußbereiches Jude im Sinne der NS-Ideologie war (BSG 4/1 RA 41/90 vom 19.12.1991). Diese Formulierung entspricht, wie es auch das BSG begründet hat, dem in der Bundestagsdrucksache 11/7553, S. 29 zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, der durch Schaffung von § 17 a FRG eine Gleichstellung der deutschen Juden mit deutschstämmigen Aussiedlern erreichen wollte.

Der Kläger erfüllt schließlich die noch streitige weitere Voraussetzung von § 17 a FRG, indem er es nach dem Maßstab von § 4 FRG glaubhaft gemacht hat, dass er zumindest bis März 1939 dem dSK angehört hat.

Die dSK-Zugehörigkeit mehrsprachiger Verfolgter wie des Klägers setzt nach der auch vom Senat zugrundegelegten Rechtsprechung des BSG qualitativ die Beherrschung der deutschen Sprache wie einer Muttersprache und quantitativ deren überwiegenden Gebrauch im persönlichen Bereich voraus (BSG B 13 RJ 81/98, 12/98, 102/99, jeweils vom 10.03.1999 und m.w.N.).

Zur Glaubhaftmachung einer muttersprachlichen Beherrschung der deutschen Sprache zum Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflußbereiches bedarf es, da auch die Beklagte dies beim Kläger mittlerweile annimmt, lediglich des Hinweises, dass nach dem vergleichweise sehr guten Ergebnis beider Sprachprüfungen unter Berücksichtigung der weiter vorliegenden Informationen zum späteren Leben des Klägers mehr für als gegen die Annahme spricht, dass er bereits 1939 über eine qualitativ der Beherrschung seiner Muttersprache gleichkommende Beherrschung der deutschen Sprache verfügte. Insbesondere hatte er bis zu diesem Zeitpunkt auf der von ihm besuchten Handelsschule auch Deutsch zu schreiben gelernt und erfüllt damit die nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BSG regelmäßig zu stellende Anforderung, dass die Zurechnung zum dSK bei mehrsprachig Aufgewachsenen regelmäßig (auch) voraussetzt, dass die deutsche Schriftsprache beherrscht wird, wenn dies in anderen Sprachen der Fall ist.

Es ist auch glaubhaft gemacht, dass der Kläger die deutsche Muttersprache in seinem persönlichen Bereich bis 1939 überwiegend verwendet hat. Denn dies ist bei Gesamtschau der im Verfahrensverlauf gewonnenen Erkenntnisse - auch unter Berücksichtigung des qualitativen Ergebnisses der Sprachprüfungen - überwiegend wahrscheinlich (§ 4 Abs. 1 FRG).

Der Kläger stammt aus einem seinerzeit mehrsprachigen Gebiet, in dem die Bedeutung der deutschen Sprache zwar seit nunmehr 100 Jahren rückläufig, gleichwohl 1939 noch groß war. Der Heimatort S. des Klägers liegt etwa 20 km von P. entfernt, das wiederum nur etwa 60 km entfernt von W. liegt. P. (B .../P ...), am Rande des geschlossenen bayerisch-österreichischen Siedlungsgebietes gelegen, hatte vor 100 Jahren noch einen deutsch-österreichischen Charakter. Zwei Drittel der Bevölkerung, etwa 30.000 der 50.000 Einwohner zählenden Stadt im Wiener Umfeld sprachen seinerzeit Deutsch als Muttersprache. Nur ein Sechstel sprach damals Slowakisch oder Tschechisch und ein anderes Sechstel hatte Ungarisch als Muttersprache. Nach der verstärkten Hinwendung Österreichs zum Balkan wanderten zwar viele Slowaken, Tschechen und Ungarn zu und die Bedeutung der deutschen Sprache nahm ab. Doch konnten vor gut einem halben Jahrhundert in der mittlerweile auf 125.000 Menschen gewachsenen Stadt noch rund 30.000 Menschen gezählt werden, die Deutsch als ihre Muttersprache angaben. Bis 1945 war P. der größte Siedlungsraum der deutschsprachigen Minderheit in der Slowakei, wobei in den Städten deutlich mehr Slowaken und Ungarn ihren Wohnsitz nahmen, in den Dörfern der deutschen Sprachinseln jedoch mehr Bauern lebten, die Deutsch sprachen, als solche, die daheim Ungarisch oder Slowakisch gelernt hatten (Schulz-Vobach, "Die Deutschen im 0sten" 1990, S. 170).

Zwar war nach der von der Beklagten eingeholten Auskunft der Heimatauskunftsstelle S ... (S .../S ...) Ungarisch geprägt und die jüdische Bevölkerung hatte sich, soweit sie nicht ein Eigenleben führte, weitestgehend dem ungarischen Sprach- und Kulturkreis angeschlossen. Diese statistische Erkenntnis indiziert zwar bei im übrigen offener Beweislage, hindert jedoch keine Glaubhaftmachung andersgearteter Verhältnisse im Einzelfall.

Nach den für verlässlich gehaltenen Eigenangaben des Klägers und seiner Gewährspersonen sowie den aus den beigezogenen Verfahrensakten der Schwester E ... S ... und ihres Ehemannes J ... S ... zu gewinnenden Informationen ist es überwiegend wahrscheinlich, dass gerade in der Familie des Klägers Deutsch das vorherrschende sprachliche Element war. Die Deutschkenntnisse aller drei Genannten wurden von den Prüfern als gut beurteilt, ihre Angaben zum Sachverhalt im übrigen sprechen gleichfalls für einen überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache im Elternhaus. Diese Angaben sind auch glaubhaft. Die Angaben des Klägers zum familiären und häuslichen Sprachgebrauch gegenüber der Beklagten im Antragsverfahren bei der ersten Sprachprüfung vor dem israelischen Finanzministerium, im Gerichtsverfahren und schließlich bei der zweiten Sprachprüfung sind konsistent, untereinander sowie im Verhältnis der im jeweiligen Verfahrensstadium parallel gemachten Angaben des Klägers und seiner Gewährspersonen zueinander widerspruchsfrei und in keinem Einzelpunkt von der Beklagten widerlegt.

Die immer wieder und teilweise auch erfolgreich bezweifelte Angabe mehrsprachiger Juden, zwar Deutsch gesprochen, das Jiddische jedoch nicht beherrscht zu haben, ist hier bis zur letzten Befragung des Klägers in Israel bestätigt worden. Der Kläger und seine Gewährspersonen haben sich auch nicht die Blöße gegeben, den Gebrauch weiterer Sprachen, nämlich des Ungarischen und des Slowakischen im Elternhaus und familiären Umfeld zu leugnen, wie es dem Senat aus zahlreichen Vergleichsfällen vertraut ist. Dies stärkt seine Glaubwürdigkeit. Auch die Angaben der E ... S ... und des J ... S ... zu einem Vorherrschen des deutschen Elementes in der Familie des Klägers hält der Senat für grundsätzlich verläßlich, da wiederum mit den Angaben des Klägers trotz zeitlichen und räumlichen Abstandes bruchfrei stimmig und in sich widerspruchsfrei.

Das Zustandekommen der offensichtlichen Unwahrheit in der schriftlichen Erklärung des Schwagers J ... S ... des Klägers, er sei mit diesem weder verwandt noch verschwägert, ist nicht mehr aufzuklären. Diese Unwahrheit spräche, so sie in der erkennbaren Absicht geäußert worden wäre, eine Lüge durch Verleugnung einer Verwandtschaft des Auskunftgebers mit dem Kläger "glaubhafter" zu machen, sicherlich als Indiz gegen die Verlässlichkeit der Erklärung insgesamt, wie es auch das Sozialgericht gesehen hat. Die Erklärung des J ... S ... vom 06.06.1996 fügt sich jedoch widerspruchsfrei in einen auch im übrigen homogenen Sachvortrag des Klägers selbst und seiner Schwester E ..., so dass der Senat der erkennbaren Unwahrheit keine entscheidende Bedeutung beimißt.

Desweiteren im Sinne einer zur Glaubhaftmachung führenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit belegt ist, dass der Kläger auch außerhalb des vom Gebrauch der deutschen Sprache dominierten Elternhauses, namentlich mit Freunden und im Berufsleben in erheblichem, zeitweise überwiegendem Umfang Deutsch gesprochen hat. So hat der Kläger, indem er seine vorher schon gemachten schriftlichen Angaben wiederholt hat, im Rahmen des Prüfungsgespräches mit dem Prüfer der Botschaft am 13.07.1999 im Rahmen einer längeren, sich zu mehreren Themen verhaltenen Aussage ohne vorherige Denkpause und nach dem beim Abhören der Aufzeichnung gewonnenen unmittelbaren Eindruck des Senats spontan und daher verläßlicher als bei einer abgewogenen schriftlichen Erklärung angegeben, mit etwa der Hälfte der Freunde, mit denen er Fußball spielte, Deutsch gesprochen zu haben. Deutsch sei auch die vorherrschende Sprache in der Lehre bei seinem Lehrherrn K ... gewesen.

Die bereits nach dem vorstehend Erörterten gewonnenen Überzeugung, dass der Kläger seine Zugehörigkeit zum dSK im Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Herrschaftsbereiches auf sein Herkunftsgebiet glaubhaft gemacht hat, wird durch das sprachlich-qualitative Ergebnis der zweiten Sprachprüfung bestärkt. Einen Hinweis gibt bereits das Ergebnis des schriftlichen Teiles der Prüfung, wonach der Kläger auch bei seiner nur knappen schriftsprachigen Schulausbildung auf der Handesschule und auf dem vom Senat für allgemeinkundig gehaltenen Hintergrund, dass der Gebrauch der Schriftsprache zumindest zur damaligen Zeit in den Berufen des Klägers (Automechaniker/Klempner) eine geringe Rolle gespielt hat, noch verständlich schreiben kann. Zudem ergibt ein Vergleich der nunmehr gefertigten mit der bei der ersten Sprachprüfung entstandenen Schreibprobe, dass dem Kläger bei der Würdigung ihres Ergebnisses auch sein schlechter Gesundheitszustand als Folge des vom Sprachprüfer im Prüfungsprotokoll festgehaltenen Schlaganfalles zugute zu halten ist.

Dagegen sprechen Qualität und Verlauf des mündlichen Teiles der Sprachprüfung, wie sie als Tonbandaufzeichnung protokolliert und durch Abspielen in der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2000 zu deren Gegenstand gemacht worden sind, eindeutig für eine Zugehörigkeit des Klägers zum dSK.

Nach dem aus dieser Anhörung gewonnenen und vom Vertreter der Beklagten auch geteilten unmittelbaren Eindruck des Senates, der in ständiger Übung auch verfügbare Tonbandaufzeichnungen auswertet, besitzt der Kläger gute, unter weiterer Berücksichtigung seines Bildungshintergrundes, seines beruflichen Werdeganges, der lange währenden Entwöhnung im täglichen Gebrauch der deutschen Sprache und seines schlechten Gesundheitszustandes im Vergleich zu Antragstellern mit ähnlicher Herkunft und ähnlichen Vorbedingungen im übrigen sogar bemerkenswerte sprachliche Fertigkeiten.

Der Kläger antwortete nicht nur auf isoliert gestellte Fragen mit der Formulierung der Fragestellungen korrespondierenden Worten. Er wich vielmehr und nach offensichtlicher Lockerung im Verlauf des Prüfungsgesprächs zusehends auf Synonyme aus und variierte dabei auch inhaltlich die angeschnittenen Themen. Hierzu bedarf es einer im engeren Sinne des Wortes aktiven Beherrschung des verwendeten Vokabulars. Der Sprachgebrauch des Klägers vermittelte darüber hinaus in Anbetracht seiner Herkunft, seines einzuschätzendes Bildungshintergrundes und der übrigen bekannt gewordenen Umstände den Eindruck eines relativ großen noch verfügbaren Wortschatzes, wie er im Alter des Klägers regelmäßig nur dann erhalten bleiben dürfte, wenn der Sprachbeherrschung eine langjährige und das Alltagsleben insgesamt abdeckende Sprachübung zugrundegelegen hat. Hieraus ist, da andere, wie z.B. berufliche Anlässe zum Erwerb oder Gebrauch der deutschen Sprache nicht bekannt geworden sind, im Sinne einer Verstärkung der Glaubhaftmachung einer Zugehörigkeit zum dSK auch zu folgern, dass der Kläger sich im privaten Umfeld seines Herkunftsgebietes zumindest überwiegend der deutschen Sprache bedient hat.

Da der Kläger hiernach sämtliche Voraussetzungen von § 17 a FRG glaubhaft gemacht hat, steht ihm auch das von der Beklagten mit weiterem Bescheid vom 30.08.1996 versagte Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Gesetz zum Zusatzabkommen vom 12. Februar 1995 zum Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit vom 15. März 1996 (BGBl. 1996 II, S. 298) zu, dessen über § 16 a FRG hinausgehende weitere Voraussetzungen gleichfalls erfüllt sind. Beim Kläger sind aufgrund der Anwendung von § 17 a FRG erstmals Beitragszeiten bzw. Beschäftigungszeiten nach dem FRG zu berücksichtigen (Art. 1a), und der Kläger hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 01.07.1990 in Israel begründet (Art. 1 f).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision nach § 160 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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