L 3 RJ 76/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 (12) RJ 185/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RJ 76/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 144/02 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.08.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Berücksichtigung einer Beitragszeit polnischen Rechts von März 1936 bis September 1939 im Rahmen des bislang auf der Grundlage freiwillig entrichteter Beiträge bezogenen Altersruhegeldes der Beklagten. Umstritten ist hierbei insbesondere, ob die bei ihm in eigener Person nicht erfüllten Voraussetzungen von § 20 WGSVG von seiner Ehefrau abgeleitet werden können (§ 150 Abs. 3 BEG). Bei der Ehefrau des Klägers hat die BfA die Voraussetzungen von § 17a FRG, nicht jedoch die von § 20 WGSVG als erfüllt angesehen.

Der am ...1921 in U ... (Galizien, bis 1918 österreichisch) geborene Kläger hielt sich bis zum Einsetzen der deutschen Verfolgung in seinem Heimatgebiet 1940 im russisch besetzten Lemberg auf, von wo aus er wie auch seine dann im August 1944 geheiratete Ehefrau nach Sibirien deportiert wurde. Nach Kriegsende gelangten die Eheleute im Jahr 1946 über Polen nach Deutschland. 1949 wanderten die Eheleute nach Israel aus und nahmen die israelische Staatsangehörigkeit an.

In Israel hat der Kläger von 1954 bis 1980 sozialversicherungspflichtig gearbeitet.

Auf seinen Antrag vom 08.07.1980 ließ die Beklagte den Kläger zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zu und bewilligte ihm nach deren Durchführung Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 01.01.1982 sowie Altersruhegeld ab dem 01.03.1986 (Bescheide vom 07.03.1991, 31.03.1993). Hierbei berücksichtigte die Beklagte alleine die sich aus freiwilliger Beitragszahlung in Verbindung mit den israelischen Versicherungszeiten ergebenden Ansprüche des Klägers. Die Berücksichtigung polnischer Zeiten sei nicht möglich, da der Kläger selbst die Voraussetzung einer Zugehörigkeit zum dSK im Rahmen von § 17a FRG, 20 WGSVG nicht erfülle. Dies nahm der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung auch nicht an, jedoch, dass die Erfüllung dieser Voraussetzungen von seiner Ehefrau abzuleiten seien. Bei dieser seien die Voraussetzungen sowohl von § 17a FRG wie auch von § 20 WGSVG erfüllt.

Hierzu ermittelte die Beklagte bei der BfA als der für die Ehefrau des Klägers kontoführenden Stelle.

Dort war der im Januar 1992 gestellte Antrag auf Altersruhegeld unter Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge sowie Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten von August 1934 bis September 1939 zunächst abgelehnt worden (Bescheide der BfA von 27.04.1994, 09.01.1985, Urteil SG Berlin vom 13.09.1985 in S 6 An 653/85, Zurückverweisung durch Urteil des LSG Berlin mit Urteil vom 01.07.1986, L 2 An 29/86). Im anschließenden Gerichtsverfahren S 16 An 653/85 - SG Berlin - ermittelte das Gericht insbesondere durch Vernehmung dreier Zeugen zum Sprachgebrauch der Klägerin in der Zeit vor der Auswanderung. Zu den Aussagen der vernommenen Zeugen F ..., S ... und L ... wird auf Bl. 126 f. der Verwaltungsakte (VA) der Ehefrau des Klägers Bezug genommen. In diesem Verfahren weigerte die Klägerin sich, an einer vorgesehenen Sprachprüfung in Israel teilzunehmen und nahm ihre Klage zurück.

Im Dezember 1990 beantragte die Ehefrau des Klägers erneut die Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten nach §§ 17a FRG, 20 WGSVG und erklärte sich nunmehr bereit, an einer Sprachprüfung teilzunehmen. Diese wurde dann auch im November 1992 in Israel durchgeführt. Auf das Prüfungsprotokoll, Bl. 258 f. der VA der Ehefrau des Klägers, wird Bezug genommen.

Hierauf sah die BfA die Voraussetzung von § 17a FRG, jedoch nicht die von § 20 WGSVG bei der Ehefrau des Klägers als erfüllt an und bewilligte ihr Altersruhegeld nunmehr auch unter Berücksichtigung von Zeiten polnischen Rechts nach § 17a FRG (Bescheid vom 01.12.1993, Bl. 302 a.a.O.).

Mit Bescheid vom 10.09.1996 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Die Berücksichtigung von Zeiten polnischen Rechts scheitere an der fehlenden dSK-Zugehörigkeit des Klägers.

Mit der Klage zum Sozialgericht hat der Kläger angenommen, die Voraussetzungen von §§ 17a FRG, 20 WGSVG seien bei ihm selbst als erfüllt anzusehen, weil sie bei seiner Ehefrau vorlägen.

Nach Durchführung weiterer Ermittlungen zu im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemachten Versicherungszeiten deutschen Rechts nach dem Kriege hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 10.08.2001 abgewiesen: Polnische Beitragszeiten seien beim Kläger nicht zu berücksichtigen, da er die Voraussetzungen der §§ 17a FRG und 20 WGSVG deswegen nicht erfülle, weil er auch nach eigenem Vortrag dem dSK nicht angehört habe. Eine Ableitung der bei seiner Ehefrau anerkannten Voraussetzungen von § 17a FRG zu sei nen Gunsten sei nicht möglich, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nach ihrem Wortlaut sowie ihrem erkennbaren Sinn und Zweck sowie dem Willen des Gesetzgebers in der Person des Anspruchstellers erfüllt sein müssten. Die Ableitung der Voraussetzungen von § 20 WGSVG vom Ehegatten sei zwar grundsätzlich möglich, dem Kläger jedoch nicht hilfreich, weil seine Ehefrau selbst diese Voraussetzungen nicht erfülle, wie die BfA zutreffend festgestellt habe. Bereits die Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers zum dSK im für § 17a FRG maßgeblichen Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung sei zweifelhaft. Deren Verbindung zur deutschen Sprache habe im Wesentlichen über die bereits 1926 verstorbene Mutter bestanden. Selbst wenn man daher unter Zurückstellung großer Bedenken für den Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung noch eine gewisse Verbindung zum dSK annehmen könnte, dürfte dies für den Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete im Jahre 1946 als dem für § 20 WGSVG maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr der Fall sein.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte Berufung des Klägers, mit der er die Berücksichtigung polnischer Beitragszeiten unter Ableitung der Voraussetzungen von § 20 WGSVG von seiner Ehefrau begehrt. Diese erfülle die Voraussetzungen der genannten Vorschrift, insbesondere sei sie nach dem Beweisergebnis in ihrem Rentenverfahren als auch im Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete 1946 dSK-angehörig anzusehen.

Nach seinem erkennbaren Interesse beantragt der Kläger,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.08.2001 abzuändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 03.09.1986, 07.03.1991 und 31.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.09.1996 zu verurteilen, sein Altersruhegeld unter weiterer Berücksichtigung ponischer Beitragszeiten von März 1936 bis September 1939 als Schneider in U ... neu zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für richtig.

Zu Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verwaltungsakten seiner Ehefrau bei der BfA Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Berücksichtigung der von Kläger im Berufungsverfahren alleine noch geltend gemachten Beitragszeit polnischen Rechts zutreffend mit der Begründung abgelehnt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen einer Zugehörigkeit zum dSK in §§ 17a FRG, 20 WGSVG weder selbst noch ableitbar von seiner Ehefrau. Da der Kläger eine eigene Zugehörigkeit zum dSK nicht geltend macht, kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen bei seiner Ehefrau jeweils vorliegen und von dieser zu Gunsten des Klägers ableitbar sind.

Die Ableitung von Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere der Zugehörigkeit zum dSK im Rahmen der Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten nach § 17a FRG ist nicht möglich. Eine solche Ableitung widerspräche dem erklärten Willen des Gesetzgebers. So heißt es in der amtlichen Begründung des berichtenden Ausschusses (BT-Drs. 11/5530, 65) auszugsweise: " ... Die Regelung soll nur für Personen gelten, die bei Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen durch den Nationalsozialismus das 16. Lebensjahr vollendet hatten. Sie sollen nicht für Ehegatten und Nachkommen die ser Personen gelten, die selbst nicht die Voraussetzung dieser Regelung erfüllen.". Der so erklärte Wille des Gesetzgebers spiegelt sich in dem einer erweiternden Auslegung nicht zugänglichen klaren Wortlaut von § 17a FRG, der die neu zu gewährenden Ansprüche zum einen Personen zuweist, die selbst dem dSK angehört haben, das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und ihr Vertreibungsgebiet verlassen haben (a) sowie zum anderen deren Hinterbliebenen (b). Die Erwähnung eines eigenen Anspruches der Hinterbliebenen der in Buchstabe a) genannten Personen gibt allerdings nur einen schwachen, angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers aber auch entbehrlichen Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen von § 17a FRG in jeweils eigener Person des Anspruchstellers erfüllt sein müssen. Denn diese Regelung wäre sinnvoll und wirkte sich entgegen der Meinung des Sozialgerichts zu Gunsten hinterbliebener Ehegatten potentiell auch dann aus, wenn diese die Voraussetzun gen von § 17a FRG über den jeweils verstorbenen Ehegatten erfüllen könnten. Desssen Rentenansprüche können, beispielsweise wegen umfangreicherer Beitragszeiten und umfangreicherer Nachentrichtung über denen der Hinterbliebenen liegen bzw. zu den Ansprüchen der Hinterbliebenen hinzutreten.

Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des Sozialgerichts, wonach § 17a FRG ein Verlassen des Vertreibungsgebietes wegen der Zugehörigkeit zum dSK regelmäßig nicht voraussetzt. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu § 20 WGSVG, der sich hinsichtlich der Zugehörigkeit zum dSK darin niederschlägt, dass die dSK-Zugehörigkeit nur bis zum Zeitpunkt bestanden haben muss, "in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat" (§ 17a FRG) und nicht bis zum "Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebiets" (§ 20 WGSVG).

Dagegen ist die Ableitung von Anspruchsvoraussetzungen im Rahmen von § 20 WGSVG dem rechtlichen Ansatz nach möglich; die Ableitung zu Gunsten des Klägers scheitert jedoch daran, dass seine Ehefrau im Beurteilungszeitpunkt von § 20 WGSVG im Jahr 1946 selbst dem dSK nicht zugehörig war:

Die Anrechnung der vom Kläger behaupteten Versicherungszeiten richtet sich nach §§ 15, 16 FRG, was eine Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis des § 1 FRG voraussetzt. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht unmittelbar, da er weder anerkannter Vertriebener im Sinne von § 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge - Bundesvertriebenengesetz (BVFG) noch deutscher oder heimatloser Ausländer noch Hinterbliebener einer zu diesem Kreis gehörenden Person ist.

Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WGSVG stehen allerdings bei der Anwendung des FRG den anerkannten Vertriebenen im Sinne des BVFG vertriebene Verfolgte gleich, die lediglich deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. Soweit es dabei auf die deutsche Volkszugehörigkeit ankommt, genügt es, dass sie im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben (§ 20 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit 19 Abs. 2 Buchst. a 2. Halbsatz WGSVG).

Soweit der Grund für das Verlassen des Vertreibungsgebietes von Bedeutung ist (Verfolgungszusammenhang), wird die Zugehörigkeit zum dSK als wesentliche Ursache vermutet ( § 20 Abs. 1 WGSVG in der Fassung des Art. 21 Nr. 4 Buchst. c Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl. I, S. 2261).

Der Kläger, der das Vertreibungsgebiet zusammen mit seiner Ehefrau 1946 verlassen hat, profitiert selbst nicht unmittelbar von dieser Vermutungsregel, da er selbst dem dSK nach eigenem Vortrag nicht zugehörig ist.

Eine Gleichstellung der dSK-zugehörigen vertriebenen Verfolgten erscheint jedoch über § 150 Abs. 3 BEG (Bundesentschädigungsgesetz in der Fassung des Art. I Nr. 87 des Gesetzes vom 14.09.1965, BGBl. I, 1315 m.W.v. 01.10.1953) als möglich. Nach § 150 Abs. 1 BEG hat der Verfolgte aus Vertreibungsgebieten, der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat, Anspruch auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit, für Schaden an Freiheit, für Schaden durch Zahlung von Sonderabgaben und für Schaden im beruflichen Fortkommen. Dieser Anspruch besteht nach § 150 Abs. 2 BEG, wenn der Verfolgte die im § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes (Vertreibungsgebiete) genannten Gebiete bei Inkrafttreten dieses Gesetzes endgültig verlassen hat. Nach § 150 Abs. 3 BEG gelten die Absätze 1 und 2 sinngemäß für den Ehegatten des Verfolgten, soweit die Ehe vor dem Verlassen der in Abs. 2 genannten Gebiete geschlossen worden ist. Die Ehe des Klägers wurde im Jahr 1944 und damit 2 Jahre vor dem Jahr geschlossen, in dem die Eheleute S ... das Vertreibungsgebiet verlassen haben. Dieser Zeitpunkt wiederum liegt vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BEG-Schlussgesetzes am 01.10.1953 (Winkelmeyer, BEG, Anm. 2 zu § 150 BEG m.w.N.).

Ein durch § 150 Abs. 3 BEG über die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen durch seine Ehefrau abgeleitete Entschädigungsanspruch steht dem Kläger gleichwohl nicht zu, weil seine Ehefrau zum Zeitpunkt des gemeinsamen Verlassens des Vertreibungsgebietes im Jahr 1946 selbst als dem dSK nicht zugehörig anzusehen ist. Der Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete als Prüfungszeitpunkt für die Feststellung auch einer abgeleiteten Zugehörigkeit zum dSK ergibt sich zum einen daraus, dass § 20 WGSVG als insoweit § 150 BEG ausfüllende Vorschrift auf diesen Zeitpunkt abstellt, zum anderen daraus, dass die über § 150 Abs. 3 BEG vermittelte Vermutung, dass die eigene Vertreibung mit der dSK-Zugehörigkeit des schicksalsverbundenen Ehegatten zusammenhängt, nur dann sinnvoll ist, wenn dieser selbst auch zum Zeitpunkt der Vertreibung dem dSK zuzurechnen war.

Die Ehefrau des Klägers war jedoch im Jahre 1946 dem dSK in der Auslegung dieses Begriffes durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (u.a. BSG SozR 3, 5070, § 20 Nr. 7, BSG 13 RJ 45/91 vom 08.10.1992, BSG 4 RA 82/90 vom 27.11.1991) nicht (mehr) angehörig.

Ob die Klägerin, wie es die BfA angenommen hat, im Zeitpunkt der deutschen Besetzung ihres Heimatgebietes dem dSK angehörig war (§ 17a FRG), ist bereits äußerst zweifelhaft. Insbesondere unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses in dem Verfahren S 16 An 653/85, SG Berlin und der vergleichsweise schlechten Bewertung ihrer eigenen Sprachprüfung im November 1992 beim Finanzministerium in Israel spricht mehr dagegen als dafür, ist also nicht im Sinne von § 4 FRG glaubhaft gemacht, dass die Klägerin noch bei der deutschen Besetzung U ... dem dSK angehörte. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die dSK-Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers, so sie denn je bestand, in erster Linie durch ihre deutschsprachige Mutter vermittelt war und nach deren Tod und langjährigem Aufenthalt in einer überwiegend jiddisch- und polnischsprechenden, später dann russischsprechenden Umgebung geschwunden ist.

Die Aussagen der im Auftrage des Sozialgerichts Berlin in Israel vernommenen Zeugen F ... und S ... sprechen deutlich gegen eine dSK-Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers. So gab der Zeuge F ... an, die Ehefrau des Klägers habe Jiddisch und Polnisch beherrscht. Ob sie Deutsch beherrscht habe, sei ihm unbekannt. Sie habe täglich im privaten Umgang wie auch in der von ihr betriebenen Kinderpflege Jiddisch gesprochen. Der Ehemann habe gleich falls Jiddisch gesprochen. Der Zeuge S ... gab an, die Klägerin habe Jiddisch beherrscht und Polnisch, daneben auch die insbesondere von ihrer Mutter herrührende deutsche Sprache. Mit der Mutter habe die Klägerin Deutsch gesprochen.

Der Zeuge S ... hat allerdings auch ausgesagt, der Kläger habe Deutsch sehr gut beherrscht, was dieser nicht einmal selbst behauptet hat. Alleine die Zeugin L ... gab an, sich an ausgeprägte Deutschkenntnisse der Ehefrau des Klägers erinnern zu können. So habe die Ehefrau des Klägers bei der Arbeit in einem großen Konfektionsgeschäft in U ... Polnisch, Jiddisch und Deutsch gesprochen, die polnische Volksschule mit Polnisch als Unterrichtssprache und Deutsch als zweiter Sprache, die jüdische Mädchenschule mit Jiddisch als Unterrichtssprache und Hebräisch als Kultursprache. Die Ehefrau des Klägers habe Deutsch gelernt und sei in der ganzen Stadt als begabtes Mädchen bekannt gewesen. Auch diese Aussage stützt die Annahme einer dSK-Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers nicht. Denn sie lässt weder erkennen, ob Deutsch eine von der Ehefrau des Klägers muttersprachlich beherrschte Sprache war, noch, ob sie dominierende Sprache des persönlichen Umfeldes im mehrsprachigen Herkunftsgebiet sein konnte. Auch die eigene Sprachprüfung der Ehefrau des Klägers beim israelischen Finanzministerium im November des Jahres 1992 ist nach der Formulierung des Prüfers schwach ausgefallen, wenn er ihre Sprachbeherrschung als "fließend, mit slawischem Einschlag","zwar kein einwandfreies Deutsch, doch mit den Grundelementen der Sprache vertraut" charakterisiert mit der Formulierung "Ich bin der Ansicht, dass es auf Grund ihrer heutigen Deutschkenntnisse durchaus glaubhaft erscheint, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt der Verfolgung dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat.". Damit hat der Prüfer eine nach allgemeinem Sprachgebrauch wie auch dem regelmäßig vorhandene Kenntnisse hervorheben den Sprachgebrauch der israelischen Prüfer eine allenfalls bedingt positive Bewertung abgegeben.

Das Beweisergebnis sprach daher schon in Bezug auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflussbereiches auf das Heimatgebiet der Eheleute S ... mehr gegen als für eine dSK-Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers. Für den Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete 1946 ist eine dSK-Zugehörigkeit der Ehefrau des Klägers vollends ausgeschlossen: Eine wie immer geartete Verbindung der Ehefrau des Klägers zu deutscher Sprache und Kultur konnte, da es in ihrem übrigen Leben in einer mehrsprachig dominant jiddisch-polnisch sprachigen Umgebung, in ihrer nicht dominant deutschsprachigen Pflegefamilie sowie in ihrem von allen Sprachen des Herkunftsgebietes beeinflussten Berufsleben und im Zusammenleben mit dem nicht muttersprachlich Deutsch sprechenden Kläger keine geeigne ten Anknüpfungen gab, notwendig nur über die früh im Jahr 1926 verstorbene Mutter vermittelt worden sein. Bei deren Tod war die Ehefrau des Klägers erst 11 Jahre alt und bis zu dem für § 17a FRG und den Wohnort der Klägerin maßgeblichen Zeitpunkt (1. September 1941, Einführung der deutschen Zivilverwaltung durch Errichtung von Reichskommissariaten, Verbandskommentar 3.3 zu § 17a FRG) vergingen weitere 15 Jahre, bis zu dem für § 20 WGSVG maßgeblichen Zeitpunkt des Jahres 1946 (Verlassen der Vertreibungsgebiete) 20 Jahre, in denen nach dem ermittelten Sachverhalt die einer deutschsprachigen Prägung der Klägerin zuwiderlaufenden vorgenannten Faktoren vorherrschten. Bereits bei rein faktischer Betrachtung erscheint es daher als nahezu ausgeschlossen, dass die Klägerin sich eine - zum Zwecke der Darstellung einmal unterstellte - dSK-Zugehörigkeit im Jahre 1926 so lange erhalten konnte.

Auch im rechtlichen Ansatz ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Übergangszeit für die endgültige Abwendung vom dSK möglicherweise bereits für den Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme, sicher aber für den Zeitpunkt des Verlassens der Vertreibungsgebiete anzunehmen, dass die dSK-Zugehörigkeit nicht erhalten blieb. Nach dieser Rechtsprechung wird eine maximal 20 Jahre währende Übergangszeit angenommen (BSG 4 RA 82/90 vom 27.11.1991), deren starre Obergrenze vielleicht sogar mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Einzelfalles entfallen kann (offengelassen in BSG, Urt. v. 08.10.1992 - 13 RJ 45/91 -). Die Dauer der Übergangszeit währt jedoch nie länger als die Dauer der Zugehörigkeit zum dSK selbst (BSG, SozR 3-5070,§ 20 Nr. 2 unter Fortführung von BSG SozR 3-5070, § 20 Nr.1).

Selbst wenn man daher dahingestellt lässt, ob die gesamte Lebenszeit eines 11-jährigen Kindes bereits als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Sprach- und Kulturkreis angesehen werden kann, war nach dieser Rechtsprechung, der sich der Senat ausdrücklich an schließt, die ab dem Tode der Mutter im Jahre 1926 zu berechnende Übergangszeit spätestens 11 Jahre später und damit jedenfalls im Jahre 1946 als Prüfungszeitpunkt von § 20 WGSVG abgelaufen.

Eine dem Kläger dienliche Ableitung der dSK-Zugehörigkeit von seiner Ehefrau scheidet daher aus, so dass auf die Erfüllung der weiteren Voraussetzungen von § 20 WGSVG nicht mehr ankommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Gründe im Sinne von § 160 SGG hierfür nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved