Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 RJ 106/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RJ 210/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. September 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung.
Der am ...1911 in Ternava/CSR geborene jüdische Kläger, der seit 1934 als heute israelischer Staatsangehöriger in Palästina/Israel lebt, beantragte im August 1996, ihm unter Anerkennung von Fremdrentenzeiten gemäß § 17 a Fremdrentengesetz (FRG) und nach Zulassung zur Nachentrichtung nach dem Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) Rente zu gewähren. Dazu gab er in dem Antragsvordruck vom 28.11.1996 an, daß er nach dem Besuch der Volksschule sowie der Rabbiner-Schule von Ende 1929 bis September 1934 als Weber im Textilunternehmen L L & Söhne in R (Sudetenland) beschäftigt gewesen sei und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet habe. Er gehöre dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an.
Die Zeugen ...aus Natania/Israel und ... aus Tel Aviv bekundeten in Erklärungen aus dem Jahre 1936, daß der Kläger ab Ende 1929 bis zur Auswanderung im September 1934 als Weber bei der Firma ... in ... gearbeitet habe. Er habe damals deutsch gesprochen.
Durch Bescheid vom 16.01.1997 lehnte die Beklagte den Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur deutschen Rentenversicherung und auf Zahlung eines Altersruhegeldes nach dem Zusatzabkommen zum DISVA vom 17.12.1973 ab, weil der Kläger keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Er erfülle nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 92). Denn er habe sein Herkunftsgebiet bereits 1934 zu einem Zeitpunkt verlassen, als sich der nationalsozialistische Einflußbereich noch nicht darauf erstreckt habe. Für die sudetendeutschen Gebiete sei dies der 10.10.1938 gewesen. Außerdem stehe sein Verlassen der Heimat nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der bevorstehenden nationalsozialistischen Verfolgung.
Mit dem am 05.02.1997 eingelegten Widerspruch wandte der Kläger ein, daß § 17 a FRG keinen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebiets und einem Verfolgungsdruck verlange. Auch nach den Sondermerkblättern und den Arbeitsanweisungen der Versicherungsträger genüge es, wenn sich der nationalsozialistische Einflußbereich überhaupt auf das Herkunftsgebiet der betroffenen Personen erstreckt habe. Unabhängig davon sei er allerdings verfolgungsbedingt ausgewandert.
Durch Bescheid vom 01.07.1997 wies der Widerspruchsausschuß der Beklagten den Widerspruch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Zwar reiche es für die Anwendung des § 17 a FRG aus, wenn der Antragsteller aus berechtigter Furcht vor künftigen nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgewandert oder in ein anderes Vertreibungsgebiet geflüchtet sei, so daß noch keine objektive Bedrohung bestanden haben müsse. Die Furcht vor der Verfolgung müsse aber eine in bestimmten Vorgängen und Verhältnissen ausreichende Grundlage in dem Sinne gehabt haben, daß der Betroffene zu einer Personengruppe gehöre, die sich im Zuge der Eroberungspolitik des Dritten Reiches bedroht fühlen durfte, weil mit dessen Übergreifen zu rechnen war. Zur Zeit seiner Auswanderung im Jahre 1934 habe für den Kläger noch keine berechtigte Furcht vor künftiger NS-Verfolgung bestanden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen am 11.07.1997 Klage erhoben. Er sei in R schon sehr früh antisemitischen Äußerungen der dortigen Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Sogar in der Straßenbahn habe ihm der Bahnfahrer damit gedroht, daß Hitler auf dem Weg nach R sei, und dann würden die Juden vernichtet. Bereits Ende 1933/Anfang 1934 habe es an der Grenze zwischen dem Sudetengebiet und Deutschland von Uniformen mit Hakenkreuzen gewimmelt. Aus Hitlers "Mein Kampf" und aus Zeitungsmeldungen habe er gewußt, daß allen Juden Lebensgefahr drohe.
Mit Schreiben vom 30.03.1999 teilte die Beklagte mit, daß sie die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK anerkenne. Im Falle der Bejahung der Voraussetzungen des § 17 a FRG könnte bei ihm eine glaubhaft gemachte Zeit von Ende 1929 bis Anfang 1934 gemäß § 15 FRG berücksichtigt werden.
Der Kläger hat sich mit diesen Versicherungszeiten einverstanden erklärt.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.01.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1997 zu verurteilen, ihn zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung zuzulassen nach dem Zusatzabkommen zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel über die Soziale Sicherheit und ihm Altersruhegeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat weiterhin die Ansicht vertreten, daß der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG erfülle, weil er sein Heimatgebiet ohne zeitlichen Zusammenhang mit der drohenden NS-Verfolgung verlassen habe.
Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der den Bruder des Klägers, I. F.,betreffenden Entschädigungsakten des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg die Klage mit Urteil vom 08.09.1999 abgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten ausländischen Versicherungszeiten könnten nicht nach dem Fremdrentengesetz anerkannt werden, weil er nicht zum berechtigten Personenkreis des § 1 FRG gehöre. Außerdem habe er keinen Anspruch auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA. Denn da er sein Vertreibungsgebiet bereits zu einem Zeitpunkt verlassen habe, zu dem sich der nationalsozialistische Einfluß noch nicht auf sein Heimatgebiet erstreckt habe, erfülle er nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG. Die Beklagte habe den Beginn des nationalsozialistischen Einflußbereichhes auf das Sudetenland zu Recht mit dem 10. Oktober 1938 angenommen. Der Kläger sei aber schon im September 1934 nach Palästina ausgewandert, so daß kein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Auswanderung und dem Beginn der Verfolgung bestanden habe.
Nach § 17 a FRG sollten die aus den osteuropäischen Gebieten stammenden deutschsprachigen Juden rentenrechtlich so gestellt werden wie die deutschstämmigen Aussiedler (vgl. Bundestags-Drucks. 11/5530, S. 29). Wie bei diesen müsse ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebiets und dem Beginn einer drohenden Verfolgung bestanden haben, für die der deutsche Staat verantwortlich gewesen sei. Im Jahre 1934 hätten jedoch noch keine nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen auf das Sudetenland vorgelegen, das noch Bestandteil der CSR gewesen sei. Die vom Kläger geklagten antijüdischen Handlungen seien vielmehr zu einer Zeit erfolgt, zu der sich der Macht- und Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches noch nicht auf dieses Gebiet erstreckt gehabt habe. Jedenfalls sei der Kläger zur Zeit seiner Auswanderung nicht unmittelbar durch deutsche Verfolgungsmaßnahmen bedroht gewesen.
Dieses ihm am 16.10.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit der am 18.10.1999 eingegangenen Berufung angefochten. Zur Begründung wiederholt er seinen bisherigen Vortrag. Daß er sein Heimatland bereits vor Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung verlassen habe, stehe einem Anspruch gemäß § 17 a FRG nicht entgegen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn seine Auswanderung überhaupt keinen Zusammenhang mit der deutschen NS-Regierung und ihrer Judenpolitik gehabt hätte. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Denn gerade im Sudetenland hätten die deutschnationalen und antijüdischen Kräfte mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 einen Aufschwung erhalten, der sich schikanös auf das Leben der Juden im Sudetenland ausgewirkt habe. Deswegen sei seine Flucht nach Palästina wesentlich durch die nationalsozialistische Machtübernahme motiviert gewesen. Es habe für ihn keinen anderen Grund für die Ausreise gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. September 1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 1997 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung von glaubhaft gemachten Fremdrentenzeiten von Ende 1929 bis Anfang 1934 und nach Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu gewähren,
hilfsweise, ein Sachverständigengutachten zu erstellen zu den Auswirkungen der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf die jüdische Bevölkerung im Sudentenland ab Machtergreifung im Januar 1933, und zwar durch Einholung eines Gutachtens von einem Fachmann des Sudetendeutschen Archivs, Hochstraße 8 in 81669 München.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten, der beigezogenen Entschädigungsaken über ... und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht keine Rente aus der deutschen Rentenversicherung zu.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres richtet sich nach § 35 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung. Danach muß unter anderem geprüft werden, ob er die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt hat (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Da die geltend gemachten Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Rentenversicherungsträger zurückgelegt wurden, ist ihre Anrechenbarkeit nach §§ 15, 16 FRG zu beurteilen. Hier könnte § 17a FRG in der ab 01.01.1990 geltenden Fassung zugunsten des Klägers eingreifen, weil er -unbestritten- zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflußbereich auf sein Heimatgebiet erstreckte, dem dSK angehörte, außerdem das 16. Lebensjahr vollendet hatte und mit dem Sudentenland ein Vertreibungsgebiet im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) verlassen hat.
Darüber hinaus wird von § 17a FRG nach seinem eindeutigen Wortlaut verlangt, daß alle von der Vorschrift verlangten Voraussetzungen zur Zeit des Beginns der Erstreckung des NS-Einflußbereiches vor gelegen haben müssen. Deshalb genügt es zum Beispiel nicht, daß zum Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsgebiets noch kein NS-Einflußbereich bestanden hat, daß sich dieser Einflußbereich aber in der Folgezeit entwickelte.
Wie das Bundessozialgericht dargelegt hat (vgl. BSG Urteil vom 25.11.1999, B 13 RJ 63/98 R), läßt sich weder aus § 17a FRG noch aus der Begründung zu dieser Vorschrift (vgl. Bundestags-Drucksache 11/5530, S. 29) entnehmen, was der Gesetzgeber unter "NS-Einflußbereich" verstanden haben wollte. Nach dem Gesetzeswortlaut ist jedoch davon auszugehen, daß es dabei nicht auf einen unmittelbaren Einfluß der NS-Machthaber im Sinne einer direkten Übernahme der politischen Macht ankommt, sondern bereits ein politischer Einfluß auf das Gebiet ausreicht. Deshalb müssen unter den Begriff "NS-Einflußbereich" auch die von einem fremden Staat gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten allgemeinen Maßnahmen einbezogen werden; dies allerdings nur, wenn sie von der NS-Regierung veranlaßt oder zumindest verursacht worden sind (BSG aaO.).
Die Beklagte nimmt als Stichtag für den Beginn des nationalsozialistischen Einflußbereichs auf das Sudentenland den Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Oktober 1938 (aufgrund des Münchner Abkommens vom 30.09.1938) an. Wie das Sozialgericht zutreffend begründet hat, bedeutet das aber nicht, daß erst ab diesem Tag der Abhängigkeit von der deutschen Regierung ein "NS-Einflußbereich" im Sinne des § 17a FRG bejaht werden kann. Denn da durch § 17a FRG eine Gleichstellung der osteuropäischen Juden mit deutsch-stämmigen Aussiedlern aus diesen Gebieten erfolgen soll (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2000, B 12 RJ 3/99 R) reicht es wie bei Vertriebenen aus, wenn der Antragsteller sein Heimatgebiet in einem zeitlichen Zusammenhang und wegen bevorstehender nationalsozialistischer Verfolgung verlassen hat. Ein solcher Zusammenhang wäre im konkreten Fall zum Beispiel gegeben, wenn sich der Einfluß der NS-Regierung auch ohne direkte Machtübernahme bereits so stark auf das Sudetenland ausgewirkt hätte, daß der Kläger aus berechtigter Furcht vor drohender nationalsozialistischer Verfolgung ausgewandert wäre. Das war im Jahre 1934, als die deutsche Regierung noch keine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Regierung der CSR hatte, jedoch noch nicht der Fall. Zwar schildert der Kläger glaubhaft, daß schon zu dieser Zeit zunehmend antijüdische Handlungen im Sudentenland stattgefunden haben. Doch beruhten diese Handlungen nicht auf staatlichen Maßnahmen, die von der deutschen NS-Regierung verursacht worden waren, sondern auf Ausschreitungen der dortigen Bevölkerung.
Da beim Kläger keine nach § 17a FRG in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden sind, hat er auch keinen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA.
Bei dieser Sachlage bestand für den Senat kein Grund, dem Hilfsantrag des Klägers stattzugeben und noch ein Gutachten zur Frage der 1934 bestehenden Auswirkungen der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf die jüdische Bevölkerung im Sudentenland einzuholen. Denn wie oben dargelegt wurde, hatte die deutsche Regierung zu dieser Zeit noch nicht die Möglichkeit einer entsprechenden Einflußnahme auf die Regierung der CSR. In Übereinstimmung damit hat auch der Kläger selbst nicht behauptet, daß es im Sudentenland schon zur Zeit seiner Auswanderung staatlich angeordnete Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung gegeben habe. Es hat sich vielmehr um Beschimpfungen und Ausschreitungen gehandelt, die von privaten Stellen ausgingen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlaß.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung.
Der am ...1911 in Ternava/CSR geborene jüdische Kläger, der seit 1934 als heute israelischer Staatsangehöriger in Palästina/Israel lebt, beantragte im August 1996, ihm unter Anerkennung von Fremdrentenzeiten gemäß § 17 a Fremdrentengesetz (FRG) und nach Zulassung zur Nachentrichtung nach dem Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) Rente zu gewähren. Dazu gab er in dem Antragsvordruck vom 28.11.1996 an, daß er nach dem Besuch der Volksschule sowie der Rabbiner-Schule von Ende 1929 bis September 1934 als Weber im Textilunternehmen L L & Söhne in R (Sudetenland) beschäftigt gewesen sei und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet habe. Er gehöre dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an.
Die Zeugen ...aus Natania/Israel und ... aus Tel Aviv bekundeten in Erklärungen aus dem Jahre 1936, daß der Kläger ab Ende 1929 bis zur Auswanderung im September 1934 als Weber bei der Firma ... in ... gearbeitet habe. Er habe damals deutsch gesprochen.
Durch Bescheid vom 16.01.1997 lehnte die Beklagte den Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur deutschen Rentenversicherung und auf Zahlung eines Altersruhegeldes nach dem Zusatzabkommen zum DISVA vom 17.12.1973 ab, weil der Kläger keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Er erfülle nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 92). Denn er habe sein Herkunftsgebiet bereits 1934 zu einem Zeitpunkt verlassen, als sich der nationalsozialistische Einflußbereich noch nicht darauf erstreckt habe. Für die sudetendeutschen Gebiete sei dies der 10.10.1938 gewesen. Außerdem stehe sein Verlassen der Heimat nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der bevorstehenden nationalsozialistischen Verfolgung.
Mit dem am 05.02.1997 eingelegten Widerspruch wandte der Kläger ein, daß § 17 a FRG keinen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebiets und einem Verfolgungsdruck verlange. Auch nach den Sondermerkblättern und den Arbeitsanweisungen der Versicherungsträger genüge es, wenn sich der nationalsozialistische Einflußbereich überhaupt auf das Herkunftsgebiet der betroffenen Personen erstreckt habe. Unabhängig davon sei er allerdings verfolgungsbedingt ausgewandert.
Durch Bescheid vom 01.07.1997 wies der Widerspruchsausschuß der Beklagten den Widerspruch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Zwar reiche es für die Anwendung des § 17 a FRG aus, wenn der Antragsteller aus berechtigter Furcht vor künftigen nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgewandert oder in ein anderes Vertreibungsgebiet geflüchtet sei, so daß noch keine objektive Bedrohung bestanden haben müsse. Die Furcht vor der Verfolgung müsse aber eine in bestimmten Vorgängen und Verhältnissen ausreichende Grundlage in dem Sinne gehabt haben, daß der Betroffene zu einer Personengruppe gehöre, die sich im Zuge der Eroberungspolitik des Dritten Reiches bedroht fühlen durfte, weil mit dessen Übergreifen zu rechnen war. Zur Zeit seiner Auswanderung im Jahre 1934 habe für den Kläger noch keine berechtigte Furcht vor künftiger NS-Verfolgung bestanden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen am 11.07.1997 Klage erhoben. Er sei in R schon sehr früh antisemitischen Äußerungen der dortigen Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Sogar in der Straßenbahn habe ihm der Bahnfahrer damit gedroht, daß Hitler auf dem Weg nach R sei, und dann würden die Juden vernichtet. Bereits Ende 1933/Anfang 1934 habe es an der Grenze zwischen dem Sudetengebiet und Deutschland von Uniformen mit Hakenkreuzen gewimmelt. Aus Hitlers "Mein Kampf" und aus Zeitungsmeldungen habe er gewußt, daß allen Juden Lebensgefahr drohe.
Mit Schreiben vom 30.03.1999 teilte die Beklagte mit, daß sie die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK anerkenne. Im Falle der Bejahung der Voraussetzungen des § 17 a FRG könnte bei ihm eine glaubhaft gemachte Zeit von Ende 1929 bis Anfang 1934 gemäß § 15 FRG berücksichtigt werden.
Der Kläger hat sich mit diesen Versicherungszeiten einverstanden erklärt.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.01.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1997 zu verurteilen, ihn zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung zuzulassen nach dem Zusatzabkommen zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staate Israel über die Soziale Sicherheit und ihm Altersruhegeld zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat weiterhin die Ansicht vertreten, daß der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG erfülle, weil er sein Heimatgebiet ohne zeitlichen Zusammenhang mit der drohenden NS-Verfolgung verlassen habe.
Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der den Bruder des Klägers, I. F.,betreffenden Entschädigungsakten des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg die Klage mit Urteil vom 08.09.1999 abgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten ausländischen Versicherungszeiten könnten nicht nach dem Fremdrentengesetz anerkannt werden, weil er nicht zum berechtigten Personenkreis des § 1 FRG gehöre. Außerdem habe er keinen Anspruch auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA. Denn da er sein Vertreibungsgebiet bereits zu einem Zeitpunkt verlassen habe, zu dem sich der nationalsozialistische Einfluß noch nicht auf sein Heimatgebiet erstreckt habe, erfülle er nicht die Voraussetzungen des § 17 a FRG. Die Beklagte habe den Beginn des nationalsozialistischen Einflußbereichhes auf das Sudetenland zu Recht mit dem 10. Oktober 1938 angenommen. Der Kläger sei aber schon im September 1934 nach Palästina ausgewandert, so daß kein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Auswanderung und dem Beginn der Verfolgung bestanden habe.
Nach § 17 a FRG sollten die aus den osteuropäischen Gebieten stammenden deutschsprachigen Juden rentenrechtlich so gestellt werden wie die deutschstämmigen Aussiedler (vgl. Bundestags-Drucks. 11/5530, S. 29). Wie bei diesen müsse ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Vertreibungsgebiets und dem Beginn einer drohenden Verfolgung bestanden haben, für die der deutsche Staat verantwortlich gewesen sei. Im Jahre 1934 hätten jedoch noch keine nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen auf das Sudetenland vorgelegen, das noch Bestandteil der CSR gewesen sei. Die vom Kläger geklagten antijüdischen Handlungen seien vielmehr zu einer Zeit erfolgt, zu der sich der Macht- und Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches noch nicht auf dieses Gebiet erstreckt gehabt habe. Jedenfalls sei der Kläger zur Zeit seiner Auswanderung nicht unmittelbar durch deutsche Verfolgungsmaßnahmen bedroht gewesen.
Dieses ihm am 16.10.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit der am 18.10.1999 eingegangenen Berufung angefochten. Zur Begründung wiederholt er seinen bisherigen Vortrag. Daß er sein Heimatland bereits vor Beginn der nationalsozialistischen Verfolgung verlassen habe, stehe einem Anspruch gemäß § 17 a FRG nicht entgegen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn seine Auswanderung überhaupt keinen Zusammenhang mit der deutschen NS-Regierung und ihrer Judenpolitik gehabt hätte. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Denn gerade im Sudetenland hätten die deutschnationalen und antijüdischen Kräfte mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 einen Aufschwung erhalten, der sich schikanös auf das Leben der Juden im Sudetenland ausgewirkt habe. Deswegen sei seine Flucht nach Palästina wesentlich durch die nationalsozialistische Machtübernahme motiviert gewesen. Es habe für ihn keinen anderen Grund für die Ausreise gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. September 1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 1997 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung von glaubhaft gemachten Fremdrentenzeiten von Ende 1929 bis Anfang 1934 und nach Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres zu gewähren,
hilfsweise, ein Sachverständigengutachten zu erstellen zu den Auswirkungen der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf die jüdische Bevölkerung im Sudentenland ab Machtergreifung im Januar 1933, und zwar durch Einholung eines Gutachtens von einem Fachmann des Sudetendeutschen Archivs, Hochstraße 8 in 81669 München.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten, der beigezogenen Entschädigungsaken über ... und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht keine Rente aus der deutschen Rentenversicherung zu.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres richtet sich nach § 35 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung. Danach muß unter anderem geprüft werden, ob er die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt hat (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Da die geltend gemachten Beitragszeiten bei einem nichtdeutschen Rentenversicherungsträger zurückgelegt wurden, ist ihre Anrechenbarkeit nach §§ 15, 16 FRG zu beurteilen. Hier könnte § 17a FRG in der ab 01.01.1990 geltenden Fassung zugunsten des Klägers eingreifen, weil er -unbestritten- zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflußbereich auf sein Heimatgebiet erstreckte, dem dSK angehörte, außerdem das 16. Lebensjahr vollendet hatte und mit dem Sudentenland ein Vertreibungsgebiet im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) verlassen hat.
Darüber hinaus wird von § 17a FRG nach seinem eindeutigen Wortlaut verlangt, daß alle von der Vorschrift verlangten Voraussetzungen zur Zeit des Beginns der Erstreckung des NS-Einflußbereiches vor gelegen haben müssen. Deshalb genügt es zum Beispiel nicht, daß zum Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsgebiets noch kein NS-Einflußbereich bestanden hat, daß sich dieser Einflußbereich aber in der Folgezeit entwickelte.
Wie das Bundessozialgericht dargelegt hat (vgl. BSG Urteil vom 25.11.1999, B 13 RJ 63/98 R), läßt sich weder aus § 17a FRG noch aus der Begründung zu dieser Vorschrift (vgl. Bundestags-Drucksache 11/5530, S. 29) entnehmen, was der Gesetzgeber unter "NS-Einflußbereich" verstanden haben wollte. Nach dem Gesetzeswortlaut ist jedoch davon auszugehen, daß es dabei nicht auf einen unmittelbaren Einfluß der NS-Machthaber im Sinne einer direkten Übernahme der politischen Macht ankommt, sondern bereits ein politischer Einfluß auf das Gebiet ausreicht. Deshalb müssen unter den Begriff "NS-Einflußbereich" auch die von einem fremden Staat gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten allgemeinen Maßnahmen einbezogen werden; dies allerdings nur, wenn sie von der NS-Regierung veranlaßt oder zumindest verursacht worden sind (BSG aaO.).
Die Beklagte nimmt als Stichtag für den Beginn des nationalsozialistischen Einflußbereichs auf das Sudentenland den Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Oktober 1938 (aufgrund des Münchner Abkommens vom 30.09.1938) an. Wie das Sozialgericht zutreffend begründet hat, bedeutet das aber nicht, daß erst ab diesem Tag der Abhängigkeit von der deutschen Regierung ein "NS-Einflußbereich" im Sinne des § 17a FRG bejaht werden kann. Denn da durch § 17a FRG eine Gleichstellung der osteuropäischen Juden mit deutsch-stämmigen Aussiedlern aus diesen Gebieten erfolgen soll (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2000, B 12 RJ 3/99 R) reicht es wie bei Vertriebenen aus, wenn der Antragsteller sein Heimatgebiet in einem zeitlichen Zusammenhang und wegen bevorstehender nationalsozialistischer Verfolgung verlassen hat. Ein solcher Zusammenhang wäre im konkreten Fall zum Beispiel gegeben, wenn sich der Einfluß der NS-Regierung auch ohne direkte Machtübernahme bereits so stark auf das Sudetenland ausgewirkt hätte, daß der Kläger aus berechtigter Furcht vor drohender nationalsozialistischer Verfolgung ausgewandert wäre. Das war im Jahre 1934, als die deutsche Regierung noch keine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Regierung der CSR hatte, jedoch noch nicht der Fall. Zwar schildert der Kläger glaubhaft, daß schon zu dieser Zeit zunehmend antijüdische Handlungen im Sudentenland stattgefunden haben. Doch beruhten diese Handlungen nicht auf staatlichen Maßnahmen, die von der deutschen NS-Regierung verursacht worden waren, sondern auf Ausschreitungen der dortigen Bevölkerung.
Da beim Kläger keine nach § 17a FRG in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden sind, hat er auch keinen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen zum DISVA.
Bei dieser Sachlage bestand für den Senat kein Grund, dem Hilfsantrag des Klägers stattzugeben und noch ein Gutachten zur Frage der 1934 bestehenden Auswirkungen der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf die jüdische Bevölkerung im Sudentenland einzuholen. Denn wie oben dargelegt wurde, hatte die deutsche Regierung zu dieser Zeit noch nicht die Möglichkeit einer entsprechenden Einflußnahme auf die Regierung der CSR. In Übereinstimmung damit hat auch der Kläger selbst nicht behauptet, daß es im Sudentenland schon zur Zeit seiner Auswanderung staatlich angeordnete Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung gegeben habe. Es hat sich vielmehr um Beschimpfungen und Ausschreitungen gehandelt, die von privaten Stellen ausgingen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlaß.
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