L 4 RA 49/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 RA 78/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RA 49/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 4/02 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. April 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung der Promotionszeit des Klägers als beitragsgeminderte Zeit im Sinne des § 54 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI).

Der am 14.08.1952 geborene Kläger bestand im November 1976 die Diplomprüfung in Chemie und promovierte von April 1979 bis Dezember 1981 zum Doktor der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.). In der Zeit von Oktober 1977 bis Januar 1982 war er versicherungspflichtig als Chemiker an der Gesamthochschule Wuppertal beschäftigt. Seitdem ist er arbeitslos.

Auf seinen Antrag von September 1999 gewährte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 22.11.1999 ab Oktober 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich netto 1.040,12 DM.

Mit dem am 23.12.1999 eingelegten Widerspruch wandte der Kläger ein, dass seine Promotionszeit von April 1979 bis Dezember 1981 als beitragsgeminderte Zeit bei der Berechnung der Rente berücksichtigt werden müsse. Sie sei Bestandteil der Berufsausbildung eines Chemikers, die durch Ausbildungs- und Prüfungsordnungen geregelt werde. Während dieser Zeit habe er zur Durchführung der Promotion in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Gesamthochschule gestanden, für das Pflichtbeiträge gezahlt worden seien.

Durch Bescheid vom 22.02.2000 (abgesandt am 28.02.2000) wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Die während der Promotion zurückgelegte Beitragszeit könne nicht als beitragsgeminderte Zeit nach § 54 Abs. 3 SGB VI angerechnet werden, weil es sich dabei um keine Anrechnungszeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b SGB VI gehandelt habe. Denn da der Kläger bereits im November 1976 die Abschlussprüfung zum Diplom-Chemiker abgelegt habe, sei seine Hochschulausbildung zur Zeit der Promotion schon beendet gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 28.03.2000 Klage erhoben. Bei seiner Promotionszeit habe es sich um eine Berufsausbildung im Sinne des § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI gehandelt, die nach dem Wortlaut des Gesetzes als beitragsgeminderte Zeit anerkannt werden müsse, unabhängig davon, ob sie Anrechnungszeit sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 22.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2000 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung seiner Promotionszeit von April 1979 bis 1981 als beitragsgeminderte Zeit der beruflichen Ausbildung gemäß § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 24.04.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zwar falle die Zeit einer Promotion unter den im Gesetz gebrauchten Begriff der "beruflichen Ausbildung". Doch werde eine solche Berufsausbildung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur bis zum ersten Abschluss der Bildungsmaßnahme als beitragsgeminderte Zeit anerkannt. So habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits in einem Urteil vom 18.09.1963 (Az.: 1 RA 166/60) entschieden, dass eine nach Beendigung des Studiums zurückgelegte Assistententätigkeit an der Universität nicht mehr als Zeit der Hochschulausbildung angerechnet werden könne. In Übereinstimmung damit habe es in einer weiteren Entscheidung vom 26.07.1967 (Az.: 1 RA 131/65) ausgeführt, dass es sich bei der an einer Hochschule verbrachten Zeit für eine Dissertation nach beendetem Studium selbst dann um keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) handele, wenn die Promotion - wie bei Chemikern - wünschenswert oder üblich ist. In einem weiteren Urteil vom 30.08.1974 (Az.: 11 RA 198/73) habe das BSG dann noch einmal klargestellt, dass Zeiten einer Dissertation nur dann Ausfallzeiten seien, wenn das Studium erst mit der Promotion beendet werde. Die Landessozialgerichte hätten sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angeschlossen.

Dieses ihm am 16.05.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen mit der am 05.06.2001 eingegangenen Berufung angefochten. Er macht ergänzend geltend, dass er gemäß den in Kopie beigefügten Dienstverträgen vom 20.03.1979, 26.04.1979, 10.12.1979 und 18.12.1980 sowie gemäß den Richtlinien für die Beschäftigung und Vergütung wissenschaftlicher Hilfskräfte während seiner Promotion an der Universität Wuppertal aus- und fortgebildet worden sei, um eine höhere Qualifikation zu erlangen. Der Begriff der Berufsausbildung nach § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI müsse weit im Sinne der in § 7 Abs. 2 SGB IV definierten betrieblichen Berufsbildung ausgelegt werden und erfasse gemäß § 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) nicht nur die Ausbildung bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss (Diplom), sondern auch die berufliche Fortbildung, zu der die Tätigkeit als Doktorand bzw. als wissenschaftliche Hilfskraft gehöre. Selbst die deutschen Rentenversicherungsträger verlangten für die berufliche Fortbildung und Umschulung keinen formellen Abschluss der Bildungsmaßnahme (vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, SGB VI, Text und Erläuterungen, § 54 Anm. 2.1). Im Übrigen beziehe sich die vom Sozialgericht zitierte Rechtsprechung nicht auf den hier auszulegenden § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Dass es sich bei der Zeit einer Promotion um keine Ausfallzeit handele, werde von ihm nicht bestritten, sei aber für die Anrechnung als beitragsgeminderte Zeit ohne Bedeutung.

Der Kläger wurde am 13.12.2001 durch Postzustellungsurkunde zur mündlichen Verhandlung vom 17.12.2001 geladen.

Für ihn ist niemand zum Termin erschienen.

Er beantragt schriftlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. April 2001 abzuändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 22. November 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2000 zu verurteilen, bei der Berechnung seiner Rente zusätzlich die Promotionszeit von April 1979 bis Dezember 1981 als beitragsgeminderte Zeit nach § 54 Abs. 3 SGB VI zu berücksichtigen.

br)Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Der Kläger habe seine berufliche Ausbildung mit der Diplomprüfung beendet. Da ihm dadurch der Weg ins Berufsleben eröffnet worden sei, könne die nachfolgende Promotionszeit rentenrecht- lich nicht anerkannt werden. Im Übrigen bestünden Bedenken gegen die Auffassung des Sozialgerichts, dass eine Promotion als Zeit der Berufsausbildung anzusehen sei. Aber selbst dann könnte diese Zeit nicht als beitragsgeminderte Zeit anerkannt werden. Denn durch die mit dem Rentenreformgesetz (RRG) 1999 ab 01.01.1998 eingeführte Ergänzung des § 54 Abs. 3 SGB VI um die Sätze 2 bis 4 für Zeiten einer mit Pflichtbeiträgen belegten beruflichen Ausbildung habe eine anzurechnende Berufsausbildung nicht auf alle Zeiten einer beruflichen Ausbildung ausgedehnt werden sollen. Es müsse sich vielmehr weiterhin um Zeiten handeln, die gleichzeitig Anrechnungszeiten seien.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Obwohl für den Kläger niemand zum Termin erschienen ist, durfte die Streitsache verhandelt und entschieden werden, weil er in der ihm ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Zeit der Promotion des Klägers von April 1979 bis Dezember 1981 kann nicht als beitragsgeminderte Zeit bei der Berechnung seiner Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigt werden.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung des RRG 1999 (vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI). Nach dieser Vorschrift gelten als beitragsgeminderte Zeiten Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer beruflichen Ausbildung, wobei sich der Begriff "Berufsausbildung" nach § 7 Abs. 2 SGB IV richtet und auch die berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung erfasst (vgl. Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, SGB VI, § 54 Anm. 4 b; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Text und Erläuterungen zum SGB VI, § 54 Anm. 2.1).

Der Kläger war während der streitigen Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der Gesamthochschule Wuppertal beschäftigt und hat in dieser Funktion Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.

Unstreitig ist darüber hinaus, dass er während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Aufgaben betraut wurde, die gemäß dem Gesetz über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen 1979 zugleich der eigenen wissenschaftlichen Weiterbildung (Promotion) im Fach Chemie gedient haben.

Dennoch erfüllt der streitige Zeitraum nicht die Voraussetzungen für eine Anrechnung als beitragsgeminderte Zeit. Wie das Sozialgericht nämlich zutreffend begründet hat, kann eine Berufsausbildung oder Hochschulausbildung nur bis zu dem Zeitpunkt angerechnet werden, zu dem dem Versicherten der Weg ins Berufsleben eröffnet wird. Eine zusätzliche, nicht notwendige Ausbildung in demselben Beruf ist nicht zu berücksichtigten, auch wenn sie zu einem weiteren Abschluss führt.

Zwar ergibt sich diese Auslegung nicht eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes. Sie folgt jedoch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI (zuvor § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 a SGB VI), wonach ein Ausgleich dafür geschafft werden soll, dass bei bestimmten Ausbildungsgängen die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit erst nach Beendigung der Ausbildung möglich ist. Ist dem Versicherten aber der Weg ins Berufsleben in dem von ihm gewählten Berufsbereich bereits eröffnet, dann hat er grundsätzlich die Möglichkeit, durch die Ausübung einer Tätigkeit in diesem Beruf eigene Versicherungsbeiträge zu entrichten. Ob der erstmalige Abschluss den Zugang zur Berufswelt eröffnet, ist nicht nach dem Berufswunsch des Versicherten zu beurteilen, sondern nach objektiven Kriterien. Das heißt, es reicht aus, wenn mit dem beruflichen Abschluss eine Versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen werden kann (BSG, Urteil vom 29.03.1990, 4 RA 37/89; BSG, Urteil vom 24.10.1996, 4 RA 24/96). Dieser Fall war beim Kläger mit Ablegung der Diplomprüfung in Chemie im November 1976 erreicht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob (wie bei Chemikern) eine Promotion wünschenswert und fast üblich ist (BSG, Urteil vom 27.08.1970, 11 RA 109/68).

Dem Kläger ist zuzugeben, dass die zitierte Rechtsprechung noch zu den früher geltenden Bestimmungen über die Anrechnung von Ausfallzeiten bzw. von Anrechnungszeiten ergangen ist. Doch weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass durch § 54 Abs. 3 Satz 2 SGB VI keine zeitliche Ausdehnung der Anrechenbarkeit für alle aus Sicht des Versicherten wünschenswerten, aber nicht notwendigen nachfolgenden Berufsausbildungen im selben Berufsbereich habe bewirkt werden sollen. Es muss sich vielmehr weiterhin um Zeiten handeln, die geichzeitig Ausfall- bzw. Anrechnungszeiten sind.

Soweit dem Kläger durch die gesetzliche Regelung für seine akademischen Ausbildungszeiten lediglich ein verminderter Versicherungsschutz gewährt wird, ist darauf hinzuweisen, dass es auch schon vor Inkrafttreten des SGB VI keinen rentenversicherungsrechtlichen Grundsatz gab, akademische Zeiten so anzurechnen, als wären für sie entsprechend hohe Beiträge geleistet worden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG berücksichtigt das SGB VI (wie früher das AVG und die RVO) nur bestimmte Ausbildungszeiten, wobei es "nicht das jeweils für den im Einfall vom Versicherten gewünschten Beruf Erforderliche, sondern lediglich ausgleichsweise das Vertretbare begünstigen will" (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1996, 4 RA 121/95 m.w.N.). Die in den engen Grenzen des sozialen Ausgleichs zwischen den Beitragszahlern mit dem Versicherungsprinzip zu vereinbarende Berücksichtigung solcher Zeiten ohne Beitragszahlung ist eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft, die auf staatlicher Anordnung beruht und aus Steuermitteln bezahlt wird. Sie ist verfassungsgemäß (vgl. BVerfG SozR 2200 § 1259 Nr. 46).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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