L 13 RJ 54/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 9 (14) RJ 166/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 54/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. Mai 2001 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung hat.

Der Kläger ist am 20.02.1920 in L ..., Polen, geboren, wo er bis August 1939 lebte. Er ist jüdischer Abstammung und anerkannter Verfolgter nach § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er war von Geburt an polnischer und ist nun israelischer Staatsangehöriger.

In L ... bekannten sich nach dem Ergebnis der Volkszählung vom Dezember 1930 von 202 497 jüdischen Einwohnern 177 232 zur jiddischen, 14 289 zur hebräischen, 10 578 zur polnischen und 150 zur deutschen Muttersprache. Insgesamt hatte L ... 1931 604 629 Einwohner.

Im September 1939 floh der Kläger aufgrund der Kriegsereignisse nach W ... (Vilnius), Litauen. Dort lebte er seit dessen Eröffnung im Ghetto W ..., bis er bei der Liquidierung des Ghettos, im September 1943, in ein Konzentrationslager verbracht wurde. Nach seiner Befreiung im April/Mai 1945 hielt er sich zeitweise in Österreich auf, bis er 1947 nach Palästina auswanderte.

Im August 1990 beantragte der Kläger Altersruhegeld und die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten sowie die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen. In einem Rentenformantrag vom März 1991 machte er folgende Angaben zu seinem beruflichen Werdegang:

Er sei von Juli 1936 bis Juli 1937 Lehrling in der Schneiderei seines Vaters gewesen. Von August 1937 bis zum 01.09.1939 sei er Verkäufer im Konfektionsgeschäft des Vaters gewesen. Während seiner Verfolgung habe er von 1941 bis 1943 im Ghetto W ... im "Pelzressort" gearbeitet.

Hierzu legte der Kläger eine Zeugenerklärung des Z ... B ... vom 30.10.1992 vor, worin dieser bezeugt, dass der Kläger ab 01.01.1941 bis zur Liquidierung des Ghettos dort von August bis September 1943 in der Pelzfabrik K ... als Pelzsortierer gearbeitet habe; der Kläger habe hierfür auch Arbeitslohn erhalten.

Der zuständige polnische Versicherungsträger bestätigte gegenüber der Beklagten die vom Kläger angegebenen Beschäftigungs- und Beitragszeiten von Juli 1936 bis September 1939 nicht; er gab an, Unterlagen hätten nicht ermittelt werden können.

Ausweislich der von der Beklagten beigezogenen Entschädigungsakten des Klägers erhielt dieser mit Bescheid der zuständigen Entschädigungsbehörde vom 11.01.1957 Entschädigung für Schaden an Freiheit unter Feststellung der Verfolgteneigenschaft für die Zeit vom 06.09.1941 bis zum 11.04.1945. Anlässlich einer im Entschädigungsverfahren durchgeführten fachpsychiatrischen Untersuchung erklärte der Kläger 1975 ausweislich der Anamneseerhebung u.a.: Sein Vater sei Besitzer eines Konfektionsgeschäftes gewesen, in welchem er mehrere Angestellte beschäftigt habe. Er, der Kläger, habe sieben Volksschulklassen absolviert. Nach Beendigung der Volksschule habe er nicht weitergelernt, denn der Vater habe ihn im Geschäft gebraucht. Er habe dort zum Teil schon selbstständig Aufträge entgegengenommen.

Nach dem Ergebnis einer auf Veranlassung der Entschädigungsbehörde durch das israelische Finanzministerium durchgeführten Sprachprüfung des Klägers vom 15.07.1970 sprach und las dieser fließend Deutsch und schrieb es fast fehlerfrei. Er gab an, seine Umgangssprache im Elternhaus sei Deutsch und diejenige im Beruf Deutsch und Polnisch gewesen. Er habe von 1927 bis 1933 in L ... eine Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache und Deutsch als Lehrfach besucht. Sowohl seine Eltern, als auch seine beiden Großväter seien deutschsprachig gewesen. Der Sprachprüfer ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger sei in einem deutschsprachigen Elternhaus aufgewachsen und eine habe eine deutsche Erziehung erhalten.

Mit Bescheid vom 27.10.1993 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger Altersruhegeld zu bewilligen. Zur Begründung führte sie aus, die Zeit von Juli 1936 bis September 1939 könne nicht anerkannt werden, weil nach den polnischen Vorschriften Lehrlinge nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterlegen hätten und im Handwerksbetrieb beschäftigte Verwandte auf- und absteigender Linie nicht rentenversicherungspflichtig gewesen seien. Die Zeit des Ghetto-Aufenthalts sei keine Beitragszeit, weil dort Zwangsarbeit verrichtet worden sei.

Mit dem am 16.11.1993 ergobenen Widerspruch machte der Kläger erstmals geltend, er habe von August 1937 bis zum Ausbruch des Krieges am 01.09.1939 eine ganztägige Anstellung bei einer Firma P ... u. W ..., Herrenkonfektion, in L ... gehabt. Für diese habe er Fertigware von den Heimarbeitern entgegengenommen und sich um Bestellungen und Lieferungen der fertigen Konfektion gekümmert. Bei seinem Vater habe er nur in seiner Freizeit mitgearbeitet. Gleich nach Einmarsch der Deutschen in L ... sei er zunächst nach W ... und sodann über B ... nach W ... geflüchtet. Ab Anfang Januar 1941 habe er eine Arbeit als Pelzsortierer bei der Pelzfabrik K ... in W ... aufgenommen. Die Fabrik habe sich zunächst unter russischer Führung befunden. Als das Ghetto W ... geschaffen worden sei, sei ein deutscher Treuhänder eingesetzt worden, der die Fabrik außerhalb des Ghettos eingerichtet habe. Er, der Kläger, habe dort bis zur Liquidierung des Ghettos im August/September 1943 gearbeitet.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23.07.1996 zurück: Die Erklärung im Widerspruchsverfahren zur Beschäftigung bei der Fa. P ... u. W ... sei nicht geeignet, die bisherigen Angaben des Klägers im früheren Entschädigungsverfahren sowie im Rentenverfahren zu entkräften, wonach dieser in den Vorkriegssjahren im Geschäft seines Vaters gearbeitet habe.

Der Kläger hat am 26.08.1996 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit dem Begehren erhoben, Altersruhegeld ab dem 01.01.1986 zu erhalten. Nachdem er zunächst "Ghettozeiten" geltend gemacht hatte, führte er im weiteren aus, es handele sich nicht um einen "Ghettofall" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Vielmehr habe er vor Einsetzen der Verfolgungsmaßnahmen in L .../Polen gearbeitet und zwar von Juli 1936 bis Juli 1937 als Schneiderlehrling im Betrieb des Vaters und von August 1937 bis zum 01. September 1939 als Verkäufer im Konfektionsgeschäft P ... u. W ... Zur Begründung nahm der Kläger auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Erklärung des Z ... B ... Bezug und legte im Übrigen zwei weitere Zeugenerklärungen eins S ... S ... B ... vom 29.06.1998 und einer G ... C ..., geborene O ..., vom 23.06.1998 vor. Beide bestätigen, dass der Kläger bei einer Fa. P ... u. W ... gearbeitet habe.

Das SG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen G ... Z ..., M ... S ... und Z ... B ... im Wege der Rechtshilfe. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Protokolle des Amtsgerichts Tel Aviv vom 14.09.2000 und 05.10.2000.

Sodann hat das SG mit Urteil vom 08.05.2001 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Altersruhegeld ab dem 01.01.1986 zu gewähren:

Für den Kläger sei eine fiktive Beitragszeit von Juli 1943 bis September 1943, Ersatzzeiten vom 01.09.1941 bis zum 11.04.1945 sowie die in der Zeit von April 1954 bis März 1986 zurückgelegten Versicherungszeiten in Israel anzuerkennen. Aufgrund der Angaben des Klägers sowie der Zeugen sei es glaubhaft, dass dieser in W ... als Pelzsortierer in der Pelzfabrik K ... gearbeitet habe. Die Tätigkeit sei seit dem 01.07.1943 als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen, weil ab diesem Zeitpunkt am Beschäftigungsort W ... das deutsche Reichsrecht nach der Verordnung des Generalkommissars in R ... über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.04.1943 (Verordnung/R ...) gegolten habe. Die angebliche Beschäftigung im Konfektionsgeschäft P .../W ... in der Zeit bis September 1939 sei hingegen nicht glaubhaft gemacht. Insofern sei bereits der eigene Vortrag des Klägers widersprüchlich. Für die Beschäftigungszeit im Ghetto W ... komme eine Anrechnung bereits ab September 1941 ebenfalls nicht in Betracht. Da in dieser Zeit in W ... noch nicht deutsches Reichsrecht gegolten habe, könne die Beschäftigung des Klägers allenfalls nach den Vorschriften des § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) Anerkennung finden. Hierzu sei zunächst Voraussetzung, dass der Kläger dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) zugehörig gewesen sei. Zwar habe die Jahre 1970 abgelegte Sprachprüfung dessen Deutschkenntnisse in Wort und Schrift belegt. Die Zeugenaussagen stützten hingegen eine Zugehörigkeit des Klägers zum dSK nicht. Es sei gleich wahrscheinlich, dass er im persönlichen Lebensbereich überwiegend Polnisch oder Jiddisch gesprochen habe.

Die Beklagte und Berufungsführerin hat gegen das ihr am 21.06.2001 zugestellte Urteil am 19.07.2001 Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, die vom SG in Bezug genommene Verordnung könne ausschließlich für Lettland Geltung beanspruchen. Die für den Bezirk Litauen geltende und erst am 01. August 1943 in Kraft getretene Verordnung des Generalkommissars in Kauen vom 01. Mai 1943 (ABl des Generalkommissars Kauen 1943 Nr. 20) und die hierzu erlassene Zweite Durchführungsverordnung vom 01. August 1943 (Abl Kauen 1943, S. 987) habe, ebensowenig wie die Verordnung/R ... in Lettland, im Gebiet von Litauen Reichsrecht eingeführt. Damit seien die vom Kläger in W ... zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten nur dann als Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen des § 17a FRG vorlägen. Dies sei jedoch, wie das SG zutreffend ausgeführt habe, nicht der Fall, denn der Kläger sei dem dSK nicht zugehörig gewesen. Im Übrigen könne für die Beschäftigung in der Pelzfabrik in W ... nicht von einem entlohnten Dienstverhältnis ausgegangen werden. Die im gesamten Reichskommissariat Ostland, zu dem u. a. der Generalbezirk Litauen gehört habe, ansässigen Juden hätten dem Arbeitszwang aufgrund einer Verordnung vom 16. August 1941 unterlegen, der nicht entlohnt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08. Mai 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigte, nicht erschienene Kläger beantragt ausweislich seines schriftsätzlichen Vorbringens,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat seine am 12.06.2001 gegen das ihm am 08.06.2001 zugestellte Urteil ebenfalls eingelegte Berufung mit Schriftsatz vom 01.08.2001 zurückgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der den Kläger betreffenden Entschädigungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Altersruhegeld.

Der Anspruch richtet sich nach den Vorschriften der RVO, weil der Rentenantrag bereits im August 1990 gestellt wurde und sich auf die Zeit vor dem 01.01.1992 bezieht (§ 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -).

Nach § 1248 Abs. 5 RVO erhält Altersruhegeld ein Versicherter, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs. 7 Satz 3 dieser Vorschrift erfüllt, mithin eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat. Diese Wartezeit kann der Kläger nicht vorweisen.

Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren werden nach § 1250 Abs. 1 RVO Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Anrechenbare Versicherungszeiten können sich für den Kläger entgegen der Ansicht des SG nur nach den Vorschriften des FRG ergeben.

Der Kläger hat in der Zeit von Juli 1943 bis September 1943 keine Versicherungszeiten nach deutschem Reichsrecht zurückgelegt. Weder die Verordnung/R ... noch die Verordnung des Generalkommissars in Kauen haben in W ... für die einheimische Bevölkerung deutsches Sozialversicherungsrecht eingeführt.

Dies gilt für die Verordnung/R ... bereits deshalb, weil sich, wie bereits die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, ihr örtlicher Geltungsbereich allein auf den Generalbezirk Lettland bezog. Darüberhinaus hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 28.10.1966 (4 RJ 305/63 in SozR Nr. 9 zu § 3 FRG) ausgeführt, dass die Verordnung/R ... und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen nicht zu den Vorschriften über die Einführung des deutschen Sozialversicherungsrechts in Gebieten gehören, die nach dem 31.12.1937 vorübergehend dem Deutschen Reich eingegliedert waren oder unter deutscher Verwaltung standen.

Auch mit der für den Generalbezirk Litauen, zu welchem W ... gehörte, ab dem 01.08.1943 geltenden Verordnung des Generalkommissars in Kauen und der hierzu erlassenen Zweiten Durchführungsverordnung wurde in Litauen, jedenfalls für die einheimische Bevölkerung, nicht deutsches Sozialversicherungsrecht eingeführt (so auch Urteil des BSG vom 01.12.1966, 4 RJ 401/64 in SozEntscheidung BSG 10/B c5 § 3 Nr. 7). Nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung wurde anstelle der bisherigen Kranken- und Rentenversorgung für die einheimische Bevölkerung eine Sozialversicherung eingerichtet, die die Kranken-, Unfallkranken- und Rentenversicherung umfasste. Damit wurde bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Sozialversicherung eigener Art begründet, die nicht der deutschen Reichsversicherung angegliedert wurde.

Unter Berücksichtigung der historischen Situation ist vielmehr davon auszugehen, dass mit beiden Verordnungen lediglich das bisherige soziale Sicherungssystem (das war in Lettland die mit dem Erlass des Präsidiums des Höheren Sowjets der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik vom 28.11.1940 eingeführte Ordnung) durch ein anderes eigener Art ersetzt werden sollte. Denn die seinerzeit bestehende Ordnung der sozialen Sicherung sollte nach einer anderen rechtspolitischen Grundauffassung ausgerichtet werden, die in ihren Grundzügen dem Reichsrecht und nicht sozialistischem Recht entsprachen (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 28.10.1966, aaO).

Für den Kläger sind auch keine Versicherungszeiten nach dem FRG anzuerkennen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, unter bestimmten Voraussetzungen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitrasgzeiten gleich. Entsprechendes gilt nach § 16 FRG für Beschäftigungszeiten in Vertreibungsgebieten.

Da der Kläger weder als Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) anerkannt ist, noch sonst zu den nach § 1 FRG begünstigten Personenkreis gehört, könnte das Gesetz auf ihn nur nach Maßgabe des § 20 WGSVG oder des § 17a FRG Anwendung finden. Für beide Vorschriften ist zunächst Voraussetzung, dass der Kläger dem dSK angehörte. Dies ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall.

Für die Zugehörigkeit zum dSK ist der Gebrauch der deutschen Sprache von ausschlaggebender Bedeutung. Diese muss zumindest im Bereich des persönlichen Lebens überwiegend gebraucht worden sein, denn wer eine Sprache in seinem persönlichen Lebensbereich dauernd gebraucht, gehört nicht nur diesem Sprach-, sondern auch dem durch sie vermittelten Kulturkreis an (st. Rsp. des BSG, vgl. u.a. Urteile vom 05.11.1980, 11 RA 74/80 in SozR 5070 Nr. 3 zu § 20 WGSVG und Urteil vom 08.09.1983, 5b RJ 70/82 in SozR 5070 Nr. 5 zu § 20 WGSVG).

Der Kläger ist mehrsprachig. Dies ergibt sich aus seinen eigenen Angaben im Entschädigungsverfahren anlässlich der Sprachprüfung. Dort hat er eingeräumt, dass seine Umgangssprache im Beruf außer Deutsch noch Polnisch war. Darüber hinaus haben die Zeugen Z ... B ... und G ... Z ... bekundet, dass der Kläger jedenfalls auch Polnisch und Jiddisch sprechen konnte. Bei mehrsprachigen Personen lässt sich aber die Zugehörigkeit zum dSK nicht allein nach ihrer Sprachfertigkeit beurteilen, weil die Kenntnis der deutschen Sprache nicht ausschließt, dass sie einer anderen Sprach- und Denkwelt stärker verhaftet waren. Aus diesem Grunde genügt es nicht allein, wenn die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht wurde. Vielmehr muss sie im persönlichen Lebensbereich auch überwiegend gebraucht worden sei. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann es dahinstehen, ob der Kläger die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrschte. Hierfür spricht allerdings das Ergebnis der 1970 durchgeführten Sprachprüfung, die belegt, dass er fließend Deutsch sprach und las und es fast fehlerfrei schrieb.

Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er die Sprache im persönlichen Lebensbereich auch überwiegend gebraucht hat. Zwar hat der Kläger selbst dies mehrfach, insbesondere im Rahmen seiner Sprachprüfung, behauptet. Er hat aber andererseits nach seinen eigenen Angaben eine Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache besucht. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass er die polnische Sprache nicht erst mit dem Besuch der Schule erlernte, sondern vielmehr auf die bevorstehende Schulausbildung bereits im Elternhaus vorbereitet wurde. Die polnische Sprache spielte insoweit über einen bedeutenden Zeitraum eine wesentliche Rolle bei der sprachlich-kulturellen Erziehung und Bildung des Klägers. Darüber hinaus sprach er nach seinen eigenen Angaben im Beruf neben der deutschen auch die polnische Sprache.

Der Kläger ist darüberhinaus in einer Umgebung aufgewachsen, deren Charakter von der jiddischen und der polnischen Kultur, nicht aber der deutschen, geprägt war. Dies ergibt sich aus den Verhältnissen, wie sie in L ... 1930/31 vorherrschten. Nur wenige der dortigen Einwohner hatten Deutsch als Muttersprache. Hingegen sprachen große Teile der Bevölkerung Polnisch oder Jiddisch.

Schließlich sprechen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme viele Gesichtspunkte für eine Zugehörigkeit des Klägers zum jiddischen oder zum polnischen Sprach- und Kulturkreis, nicht aber zum deutschen. So hat die Zeugin G ... Z ... angegeben, man habe zwar zu Hause beim Kläger "auch Deutsch" gesprochen, der Kläger habe jedoch mit seinen Geschwistern und Eltern Deutsch, Polnisch und Jiddisch gesprochen und es sei für sie schwer festzustellen, welche dieser Sprachen er am häufigsten benutzt habe. Mit seinen kleinen Brüdern habe er mehr Polnisch gesprochen. Der Zeuge Z ... B ... hat angegeben, dass der Kläger in W ... nur Polnisch und Jiddisch gesprochen habe. Schließlich konnte der Zeuge M ... S ..., der noch im Entschädigungsverfahren die Angaben des Klägers zum dSK bestätigt hatte, sich nicht mehr an den Kläger erinnern.

Da der Kläger bereits deshalb keine Versicherungszeiten aus den Vorschriften der §§ 20 WGSVG oder 17a FRG herleiten kann, weil er dem dSK nicht angehörte, kann der Senat es dahinstehen lassen, ob die vom Kläger behaupteten Beitrags- und Beschäftigungszeiten glaubhaft gemacht sind. Allerdings spricht mehr gegen als für eine Glaubhaftmachung jedenfalls der behaupteten Beitragszeiten im Konfektionsgeschäft P ... u. W ... von August 1937 bis August 1939. Die eigenen Einlassungen des Klägers sind insofern bereits nicht widerspruchsfrei. Er machte sowohl im Entschädigungsverfahren als auch zunächst auch noch während des Rentenverfahrens für diesen Zeitraum ausschließlich Beschäftigungszeiten als Verkäufer im Konfektionsgeschäft seines Vaters in L ... geltend.

Da für den Kläger keine Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten anzuerkennen sind, können auch keine Ersatzzeiten nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO berücksichtigt werden, weil hierfür zumindest ein Kalendermonat Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung vorliegen muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Es besteht, insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zur Geltung deutschen Sozialversicherungsrechts in Litauen bzw. im Reichskommissariat Ostland (Urteile vom 28.10.1966 und 01.12.1966, aaO) kein Anlass, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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