L 13 RA 31/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 22 (15) RA 87/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RA 31/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 3/03 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. April 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten snd auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Altersrente des Klägers, insbesondere um die Verminderung des Zugangsfaktors von 1,0 auf 0,838.

Der am 1942 geborene Kläger war bis zum.1997 bei der Firma C G GmbH (C GmbH) in deren Neusser Werk beschäftigt.

Nachdem die C GmbH beschlossen hatte, den gesamten Produktionsbereich in Neuss zu schliessen, traf sie zum Abbau sämtlicher Stellen des Neusser Werks mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom 18.02.1994. In einem Sozialplan vom 15.03.1994 wurde unter Bezugnahme auf diesen Interessenausgleich insbesondere die Höhe der Abfindungsleistungen geregelt. Desweiteren geht aus den Vereinbarungen hervor, dass die von der Werksstillegung betroffenen Arbeitnehmer jeweils zu einem späteren Zeitpunkt durch individuelle fimenseitige Kündigung oder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Betrieb ausscheiden sollten. Die Schliessung des Werks war ursprünglich für einen Zeitpunkt zwischen dem 30.06.1996 und dem 31.12.1996 geplant.

Aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen innerhalb der internationalen C -Gruppe verschob sich der Termin für die Schließung.

Mit Schreiben vom 15.05.1997 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 31.12.1997 und bat, ihn nach dem Sozialplan "aus dem Dienst zu entlassen". Seit dem 01.01.1998 war der Kläger arbeitslos.

Mit Bescheid vom 25.04.2001 bewilligte die Beklagte ihm antragsgemäß Altersrente wegen Arbeitslosigkeit als Vollrente beginnend am 01.07.2001.

Hierbei verminderte sie im Hinblick darauf, dass der Kläger die Rente vorzeitig in Anspruch genommen hatte, den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 je Monat der vorzeitgen Inanspruchnahme auf 0,838. Damit wurde nicht der erreichte Rangstellenwert von 59,1466 Entgeltpunkten (EP) zugrundegelegt, sondern 49,5649.

Der Kläger widersprach und machte geltend, der Zugangsfaktor habe nicht vermindert werden dürfen, weil er Vertrauensschutz nach § 237 des sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) genieße. Sein Arbeitsverhältnis sei bereits vor dem 14.02.1996 durch kollektivrechtliche Regelungen, den Interessenausgleich sowie den eigentlichen Sozialplan, beendet worden.

Diese Regelungen stelle auch eine Vereinbarung im Sinne dieser Vorschrift dar. Hiermit habe bereits vor dem Stichtag festgestanden, dass das Arbeitsverhältnis nach der in der Regelung festgehaltenen Terminierung habe enden sollen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 03.07.2001 zurück:

Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI lägen bereits deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht bis zum 14.02.1941 geboren worden sei.

Der Kläger hat am 01.08.2001 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben, zu deren Begründung er insbesondere vorgetragen hat, die Regelung des § 237 Abs. 4 Nr. 1 b SGB VI verstoße gegen das Grundgesetz (GG). Die Festlegung des für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung maßgeblichen Geburtsdatums auf den 14.02.1941 sei willkürlich.

Das SG hat mit Urteil vom 16.04.2002 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 VI seien der Sache nach nicht gegeben. Der Kläger habe keine 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (§ 237 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI). Er sei auch nicht aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden, so dass auch die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI nicht gegeben seien. Schliesslich erfülle er die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI bereits deshalb nicht, weil er nach dem 14.02.1941 geboren sei, so dass dahinstehen könne, ob die übrigen Voraussetzungen gegeben seien. Die genannten gesetzlichen Regelungen seien auch entgegen der Ansicht des Klägers nicht verfassungswidrig. Sie verstießen insbesondere nicht gegen die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber sei es auch nach dem Gleichheitssatz grundsätzlich nicht verwehrt, zu Regelungen bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. Die Stichtagsregelung des § 237 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI beziehe sich auf die am 14.02.1996 vorliegenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse. Es handele sich um den Tag, an welchem die Bundesregierung über das dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand zugrundeliegenden Regelungskonzept entschieden habe. Spätestens seit diesem Zeitpunkt sei von einem schutzwürdigen Vertrauen der Versicherten in den Fortbestand des früheren Rechts nicht mehr auszugehen. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass durch die Vertrauensschutzregelung nur die Versicherten priveligiert würden, welche am Stichtag bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatten, weil es sich hierbei um die rentennahen Jahrgänge handele. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Versicherten aus Betrieben der Montanindustrie sei ebenfalls nicht gegeben, denn der für diese geltende abweichende Stichtag (14.02.1944) beruhe auf Gründen des europäischen Gemeinschaftsrechts.

Der Kläger hat gegen das ihm am 06.05.2002 zugestellte Urteil am 31.05.2002 Berufung eingelegt. Er rügt insbesondere die vom SG für verfassungsgemäß gehaltene Stichtagsregelung, weil diese einen Kabinettsbeschluss und nicht den Tag der Verkündung des Gesetzes in Bezug nehme. Im übrigen ist er der Ansicht, dass der Vertrauensschutz auf alle Versicherten hätte ausgeweitet werden müssen, welche im Jahre 1996 des 55. Lebensjahr vollendet hätten. Schliesslich hält der Kläger auch die weiteren Voraussetzungen der in Anspruch genommenen Vertrauensschutzregelung für gegeben, weil der Sozialplan der C GmbH eine Vereinbarung im Sinne der gesetzlichen Regelung darstelle. Er, der Kläger, habe keine wie auch immer geartete Möglichkeit gehabt, das Arbeitsverhältnis über die im Interessenausgleich/Sozialplan genannten Zeitpunkte hinaus fortzusetzen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. April 2002 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2001 zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,000 stattt von 0,838 festzustellen ihm ab 01.07.2001 entsprechend höhere Rente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat zu Recht bei der Berechnung der dem Kläger zu leistenden Rente den Zugangsfaktor von 1,0 auf 0,838 vermindert.

Der Rentenanspruch des Klägers wegen Arbeitslosigkeit bestimmt sich nach § 237 Abs. 1 SGB VI, nachdem § 38 SGB VI, welcher die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit früher regelte, zum 01.01.2000 durch Art. 1 des Rentenreformgesetzes 1999 aufgehoben wurde.

Nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung ist der Zugangsfaktor für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (Abs. 2 Nr. 2 a). Eine vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrente ist damit grundsätzlich nur unter Minderung des Zugangsfaktors möglich.

Die sich aus den genannten Bestimmungen ergebende Anhebung der Altersgrenze wird vorliegend auch nicht durch die Übergangsregelung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird bei Versicherten, die vor dem 14.02.1941 geboren sind, die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist, nach dem 13.02.1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbau bezogen haben.

Die Anwendung der genannten Vertrauensschutzregelung scheitert bereits daran, dass der Kläger nach dem 14.02.1941 geboren ist. Es kann dahinstehen, ob die vom Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken hiergegen berechtigt sind, denn er erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift nicht.

Sein Arbeitsverhältnis wurde nicht aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung vor dem Stichtag 14.02.1996 beendet. Es endete vielmehr erst durch seine Kündigung zum 31.12.1997.

Grundlage und Anknüpfung für diese Kündigung waren zwar der Interessenausgleich und Vereinbarung über Sozialplanvolumen sowie der Sozialplan vom 18.02. bzw. 15.03.1994. Diese Vereinbarungen sind jedoch, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 11.10.2002, L 13 RJ 94/01) keine im Sinne der gesetzlichen Vertrauensschutzregelung. Danach enhielten der Interessenausgleich bzw. Sozialplan der C GmbH nicht einmal ein Angebot der Arbeitgeberin auf individuelle Vertragsaufhebung, welche bereits vor der formellen Kündigung vom 15.05.1997 unmittelbar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers hätte führen können. Nach Wortlaut und Interessenlage der Vereinbarungen ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Arbeitgeberin nicht bereits abschließend individuell bzgl. des genauen Beendigungszeitpunktes der einzelnen Arbeitsverhältnisse binden wollte.

Der Kläger hat zudem vor dem Stichtag auch keine individualrechtliche Vereinbarung zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Arbeitgeberin abgeschlossen oder einen ihn bindenden Antrag auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gestellt.

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 Nr. 1a oder Nr. 2 und 3 SGB VI. Zur Begründung nimmt der Senat im übrigen gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf das angefochtene Urteil Bezug.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat. Zu der vorliegenden Fallgestaltung liegt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor; das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.10.2001 (B 4 RA 15/00 R in SozR 3-2600, § 237 Nr. 1) trifft eine andere Fallgestaltung. Auch die dem Stichtag des 14.02.1941 zugrundeliegende verfassungsrechtliche Problematik ist noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen.
Rechtskraft
Aus
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