L 5 (15) U 329/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 36 U 235/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 (15) U 329/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 21/98 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.10.1997 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.08.1996 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 02.09.1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1941 geborene Kläger ist als Waldarbeiter bei der Rentkammer W ... beschäftigt. Am 02.09.1995 (Samstag) erlitt er bei der Abfuhr von Deputatholz einen Unfall. Auf einem Feldweg kam der zum Unfallzeitpunkt 16-jährige Sohn des Klägers, der den Traktor steuerte, als ungeübter Fahrer vom Weg ab. Der Traktor fuhr durch einen Straßengraben, prallte gegen einen Baum und kippte um. Der Kläger, der auf der Ackerschiene des Traktors stand, geriet unter den Traktor und erlitt ausgedehnte Quetschungen mit Hautablederungen beider Unterschenkel. Er wurde deswegen stationär bis 25.10.1995 behandelt, Arbeitsunfähigkeit bestand bis mindestens Ende Februar 1996. Nach eigener Angabe des Klägers bestehen immer noch Beschwerden wegen Folgen des Unfalles.

Neben seiner Tätigkeit als Waldarbeiter bewirtschaftet der Kläger eine eigene Forstfläche von ca. 4 ha und ist deswegen als Unternehmer bei der Beklagten veranlagt. Am Unfalltag hatte er das ihm aus seiner Tätigkeit bei der Rentkammer zustehende Deputatholz für 1995 abgefahren, das er in seinem Privathaushalt verwenden wollte. Das Holz hatte der Kläger im Frühjahr 1995 selbst geschlagen, entastet, gesägt und transportfertig gemacht. Bei dem abgefahrenen Holz befand sich kein Holz aus der vom Kläger bewirtschafteten Forstfläche. Nach § 22 des Manteltarifvertrages für die Waldarbeiter der privaten Forstbetriebe in Nordhrein-Westfalen vom 27. Juli 1989 in Verbindung mit den im Betrieb der Rentkammer W ... geltenden Vereinbarungen hatte der Kläger als Waldarbeiter Anspruch auf die Gewährung von kostenlosem Deputatholz. Alle Arbeiten im Zusammenhang mit der Gewinnung des Deputatholzes müssen die Arbeitnehmer selbst verrichten und die erforderlichen Maschinen stellen. Ihnen ist freigestellt, ob sie das Holz während der Arbeitszeit oder der Freizeit schlagen, da sie im Akkord arbeiten. Von dem zuständigen Revierbeamten der Rentkammer werden die Bäume markiert, die als Deputatholz geschlagen werden. Er kontrolliert anschließend lediglich, ob die Arbeitnehmer im Rahmen des ihnen zustehenden Deputats geblieben sind. Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge werden für die Vorteile aus dem Deputatholz nicht abgeführt. Ein Teil der Arbeitnehmer nimmt das Deputatholz überhaupt nicht oder nicht in vollem Umfang in Anspruch. Bis 1993 er folgte für nicht genommenes Deputatholz eine Auszahlung in Geld, diese Vergütung entfiel ab 01.07.1993. Bei dem für Deputatholz in Frage kommenden Sortimenten handelt es sich um Holz, das für hochwertige Verwendungen nicht geeignet ist. Dieses Holz mußgeschla gen werden, um die Erzeugung qualitativ hochwertigen Stammholzes zu fördern. Bei Verkauf des Holzes können Erlöse von 40,-- bis 45,-- DM je Festmeter erzielt werden, die Gewinnungskosten belaufen sich - ohne Verwaltungskosten für die Vermarktung - auf 30,-- bis 35,-- DM. Von Seiten der Rentkammer erfolgt keine Vorgabe, wann das Holz abzufahren ist. Im Falle des Klägers lag allerdings das Holz auf einer Fläche, auf der Fichtenstammholz aus einer Durchforstung gelagert werden sollte, die für den Herbst des Jahres 1995 geplant war, so daß von Seiten des Betriebes ein Interesse an einer zügigen Abfuhr des Holzes bestand.

Der Kläger gab in einer Unfallmeldung vom 16.09.1995 zunächst an, der Unfall habe sich im privaten Bereich ereignet. In einem Schreiben vom 15.12.1995 an die Beklagte teilte er dann mit, er habe in seinem landwirtschaftlichen Betrieb einen Arbeitsunfall erlitten, wegen dessen Folgen er bis auf weiteres arbeitsunfähig sei. Nachdem die Beklagte ermittelt hatte, daß der Kläger am Unfalltag Deputatholz abgefahren hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 07.05.1996 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, da er beim Abtransport des Deputatholzes als Unternehmer seines privaten Haushaltes tätig geworden sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, das Schlagen und der Abtransport des Deputatholzes dienten in erster Linie dem Interesse der Rentkammer. Bei dem Deputatholz handele es sich um wirtschaftlich nicht verwertbares Holz, durch dessen Einschlag des hochwertige Holz gefördert werde. Daher liege der Einschlag der minderwertigen Stämme im Interesse des Betriebes. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Zur Begründung seiner Klage hat sich der Kläger auf sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren bezogen. Der Kläger hat ferner darauf hingewiesen, er habe das Deputatholz in Jahren, in denen das Heizöl billig gewesen sei, nicht in Anspruch genommen und hierfür vom Arbeitgeber eine Entschädigung bekommen.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, es hat die Auffassung vertreten, der Abtransport des Holzes habe nicht wesentlich dem Betrieb der Rentkammer dienen sollen.

Zur Begründung der Berufung nimmt der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag Bezug und weist nochmals darauf hin, die Rentkammer habe ein deutliches Eigeninteresse am Schlagen und Entfernen des Deputatholzes. In seinem Fall ergebe sich zudem das betriebliche Interesse am Abtransport daraus, daß das Holz auf einer Fläche gelagert gewesen sei, die der Betrieb benötigt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.10.1997 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.05.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.1996 zu verurteilen, den Unfall vom 02.09.1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hält an ihrer Auffassung fest, die im Zusammenhang mit der Gewinnung des Deputatholzes stehenden Arbeiten seien dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Klägers zuzuordnen.

Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert und stellt auch keinen Antrag.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat am 02.09.1995 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.

Das sich der Unfall 1995 ereignet hat, sind für die rechtliche Beurteilung noch die Vorschriften der RVO heranzuziehen (§ 212 SGB VII).

Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Der Kläger war aufgrund seines mit der Rentkammer W ... bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Die zum Unfall führende Tätigkeit am 02.09.1995 stand auch in einem inneren Zusammenhang mit diesem Beschäftigungsverhältnis.

Dabei kann dahinstehen, ob die im Zusammenhang mit der Gewinnung des Deputatholzes anfallenden Arbeiten schon deshalb wesentlich dem Forstbetrieb dienen sollten, weil die zur Verfügung gestellten Sortimente ohnehin gefällt werden müssen, um das Wachstum hochwertiger Stämme zu fördern. Dagegen spricht allerdings, daß die Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind, das Deputat in Anspruch zu nehmen und der Betrieb auch bei einem Einschlag in eigener Regie zumindest die Gewinnungskosten erlösen kann, also keinen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Von daher erscheint ein wesentliches betriebliches Interessen der Rentkammer am Einschlag und Abfahren des Deputatholzes zweifelhaft. Ebenso kann offen bleiben, ob die Betriebsbezogenheit der Abfuhr des Holzes hier deshalb zu bejahen sein könnte, weil das Holz auf einer Fläche lagerte, die der Betrieb im Herbst des Jahres benötigt. Die Rentkammer hat zwar in der Auskunft vom 27.02.1997 ein Interesse an der zügigen Abfuhr des Holzes bestätigt, der Kläger ist aber offenbar nicht ausdrücklich zur Räumung der Fläche aufgefordert worden.

Nach Auffassung des Senats ergibt sich der innere Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis daraus, daß das Deputat Teil des Entgeltes aus dem Beschäftigungsverhältnis ist. Die Arbeitnehmer haben nach dem Manteltarifvertrag in Verbindung mit den im Betrieb der Rentkammer geltenden Vereinbarungen Anspruch auf ein bestimmtes Quantum kostenloses Deputatholz. Dieses Deputat kann für die Arbeitnehmer - in Abhängigkeit von den jeweiligen Kosten für sonstige Heizstoffe - einen nicht unerheblichen Vorteil bedeuten. Auch wenn seit 01.07.1993 eine Auszahlung in Geld für nicht in Anspruch genommenes Deputatholz nicht mehr erfolgt, macht doch die bis dahin geltende Regelung den Entgeltcharakter des Deputats deutlich. Anders als die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile durch Einräumung von Preisnachlässen durch den Arbeitgeber wie etwa beim Personalkauf (insoweit den inneren Zusammenhang des Personalkaufs mit der betrieblichen Tätigkeit verneinend BSG, Urteil vom 14.12.1967 - 2 RU 190/65 -; BSG, Urteil vom 30.05.1985 - 2 RU 34/84 -) ist das Deputat Teil der Vergütung der Arbeitsleistung. Daher kann die "Inempfangnahme" des Deputats rechtlich nicht anders beurteilt werden als der Erhalt des (Bar)Entgelts. Da die Zahlung des Entgeltes ein notwendiger Bestandteil des Beschäftigungsverhältnisses ist, ist seit je her für den Lohnempfang im Lohnbüro einschließlich der dazu zurückzulegenden Wege Unfallversicherungsschutz bejaht worden (vgl. BSGE 13, 178; 41, 207 jeweils m.w.N.). Den Zusammenhang des Erhalts des Lohnes mit dem Beschäftigungsverhältnis hatte der Gesetzgeber bei bargeldloser Zahlung des Lohnes in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Vorschrift des § 548 Abs. 1 Satz 2 RVO (anders jetzt § 8 Abs. 2 SGB VII) auch ausdrücklich anerkannt. Von daher ist auch für alle im Zusammen hang mit der "Inempfangnahme" des Deputatholzes stehenden Handlungen - Schlagen, Aufarbeiten, Abtransport - der innere Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis zu bejahen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer nur Anspruch auf unzerkleinertes Holz haben (a.A. LSG Schleswig-Holstein, SV 1972, 53, 54).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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