L 5 U 26/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 14/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 U 26/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 187/99 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 13.02.1998 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Wirbelsäulen- und Kniebeschwerden des Klägers wie Berufskrankheiten gemäß § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen hat.

Der ... geborene Kläger war seit dem 01.07.1974 bis Februar 1997 als Kundendiensttechniker im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt; seither ist er in den Vorruhestand gegangen. In einem an die Beklagte gerichteten Arztbrief führte der behandelnde Arzt für Orthopädie Dr. C. aus, daß der Dienstwagen des Klägers eine veränderte Plazierung des Fahrersitzes benötige, um eine ergonomisch akzeptable Sitzhaltung zu erreichen. Besonders sei darauf zu achten, daß der Kläger die Knie unter dem Lenkrad schließen könne, die gegrätschte Sitzhaltung solle unbedingt vermieden werden. Im Anschluß an diesen Arztbrief befindet sich in der Verwaltungsakte der Beklagten eine formularmäßige ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit, die von niemandem unterschrieben wurde. Als angenommene Berufskrankheiten wurden eine Arthrose der beiden Kniegelenke sowie eine Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule angegeben. Diese Beschwerde führte man auf lange Autofahrten und kniende Tätigkeiten bei Reparaturen zurück. Die Beklagte veranlaßte ein Gutachten des Arztes für Chirurgie Dr. M. Dieser Arzt diagnostizierte unter dem 16.12.1994 eine rechts mehr als links ausgeprägte Arthrose der Kniegelenke, entsprechende Reibegeräusche des Reservestreckapparates, Kapselverdickung des rechten Kniegelenkes mit arthrosebedingter, endgradig schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, daß weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zur BKVO vorlägen. Die degenerativen Verschleißerkrankungen der Kniegelenke des Klägers seien anerkannten Berufskrankheiten nicht zuzuordnen. Mit Bescheid vom 22.05.1995 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, die geltend gemachten Berufskrankheiten nach den Nrn. 2102, 2108 bis 2110 der Anlage zur BKVO lägen nicht vor. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.1996 zurück. Zur Begründung der hierauf am 13.06.1996 erhobenen Klage führte der Kläger nunmehr aus, seine Leiden müßten zumindest wie Berufskrankheiten gemäß § 551 Abs. 2 RVO entschädigt werden. Nachdem das Sozialgericht darauf hingewiesen hatte, daß die Beklagte unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten zunächst ein Verwaltungs- und Vorverfahren durchzuführen habe, nahm der Kläger die Klage zurück.

Mit Bescheid vom 31.01.1997 lehnte die Beklagte es ab, die vom Kläger geltend gemachten Wirbelsäulen- und Kniebeschwerden gemäß § 551 Abs. 2 RVO wie Berufskrankheiten zu entschädigen. Zur Begründung führte sie aus, nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme eine Entschädigung dieser Erkrankungen im gewünschten Sinne nicht in Betracht, da Wirbelsäulen- und Meniskuserkrankungen bereits in der Anlage zur BKVO aufgeführt seien. Unabhängig davon komme eine sitzende Tätigkeit nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand ohnehin nicht als Ursache für die Entstehung einer Wirbelsäulen- und Meniskuserkrankung in Betracht.

Am 14.02.1997 erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, aufgrund der Tatsache, daß sein Arbeitsplatz Auto den körperlichen Anforderungen großgewachsener Menschen wie des Klägers bei einer Körpergröße von 1,93 Meter grundsätzlich nicht hinreichend Rechnung trage, sei er einer besonderen Einwirkung ausgesetzt. Bei Anwendung von DIN 33402 würden alle großgewachsenen Menschen, die die 95-Perzentil-Grenzmaße überschritten, von vornherein als vernachlässigbare Größe ausgesondert und übergangen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.1997 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück.

Am 03.03.1997 hat der Kläger mit der bereits bekannten Begründung Klage erhoben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1997 zu verurteilen, ihm wegen seiner Wirbelsäulen- und Kniegelenksbeschwerden eine Entschädigung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.02.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung bezog es sich gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Darüber hinaus führte es aus, die notwendige erheblich höhere arbeitsbedingte Gefährdung bestimmter Personengruppen gegenüber der übrigen Bevölkerung grenze die Berufskrankheit ab von allgemeinen, weitverbreiteten Alters- und Abnutzungserkrankungen. Es entspräche nicht dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft, daß die weitverbreitete und auch im Falle des Klägers bestehende Erkrankung der Gonarthrose Berufsautofahrer mit einer Körpergröße von mehr als 1,90 Meter erheblich mehr treffe als übrige Bevölkerungsgruppen. Aus dem gleichen Grunde komme auch eine Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers - wobei der Kläger nicht näher habe angeben können, um welche Erkrankung es sich dabei im einzelnen handele - nicht in Betracht.

Gegen diesen ihm am 20.02.1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.03.1998 mit der bisherigen Begründung Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

nach seinem Klageantrag erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. Ca., Leitender Oberarzt der Orthopädischen Universitätsklinik H., eingeholt. Auf dieses Gutachten vom 15.01.1999 wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind recht mäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die von ihm geltend gemachten Wirbelsäulen- und Kniegelenksbeschwerden wie eine Berufskrankheit entschädigt werden.

Nach dem gemäß § 212 SGB VII noch anwendbaren § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Diese übrigen Voraussetzungen sind nur dann erfüllt, wenn es sich um Krankheiten handelt, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, § 551 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 RVO. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Was die geltend gemachten Wirbelsäulenbeschwerden betrifft, so steht sogar aufgrund der einhelligen Ausführungen des Gutachters Dr. M. und des Sachverständigen Prof. Dr. Ca. fest, daß im Bereich der Wirbelsäule sowohl nach klinischem als auch radiologischem Befund keine krankhaften, die altersentsprechende Norm überschreitenden Veränderungen festzustellen sind. Schon deswegen können in diesem Zusammenhang die übrigen Voraussetzungen im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 RVO nicht erfüllt sein.

Zwar vermochte Dr. M. die bereits erwähnten Kniegelenksbeschwerden des Klägers zu diagnostizieren. Die von Prof. Dr. Ca. gestellte Diagnose ist damit weitestgehend identisch. Darüber hinaus betonte der Sachverständige, daß nach radiologischem Befund sich an beiden Kniegelenken umformende Veränderungen insbesondere an der Kniescheibenrückfläche gefunden haben. Daß bezüglich dieser Kniegelenksbeschwerden die übrigen Voraussetzungen im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 RVO nicht vorliegen, folgt aus den den Senat überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige unterstellt zugunsten des Klägers, daß dieser aufgrund seiner Körpergröße, zumindest während der Zeit von 1974 bis 1992, in einem Dienstwagen des Typs Opel Kadett nur mit einer stärkeren Hüft- und Kniebeugung gesessen haben kann als Menschen der mitteleuropäischen Durchschnittsgröße. Ausgehend von dieser Vorstellung hat der Sachverständige es verneint, daß durch lang andauerndes Sitzen in dieser Stellung ein Hüft- oder Kniegelenksschaden ausgelöst worden sein kann. Ein Hüftgelenksschaden konnte im vor liegenden Fall ohnehin nicht objektiviert werden. Aber auch die vom Kläger geltend gemachten Kniegelenksschäden sind nicht ursächlich auf ein langjähriges Autofahren in der beschriebenen Sitzhaltung zurückzuführen. In diesem Zusammenhang geht der Sachverständige anschaulich auf andere Berufsgruppen der Fußboden-, Teppich- und Fließenleger sowie der Gärtner, Bergmänner, Ofenbauer und Dachdecker ein, die in einem höheren Maß dem Zwang unterliegen, in andauernder Kniebeugung arbeiten zu müssen. Ebenso ist bei diesen Berufsgruppen im Vergleich zu dem vom Kläger ausgeübten Beruf sogar von einer stärkeren Kniebelastung auszugehen, da in diesen Fällen die Tätigkeit im Knien und im Hocken und nicht im Sitzen erfolgt. Selbst nach eingehenden Untersuchungen bei diesen Berufsgruppen hat man in der medizinischen Wissenschaft keine Anhaltspunkte dafür finden können, daß die Arbeiten in überwiegend kniender Stellung eine vorzeitige Kniegelenksarthrose herbeigeführt haben. Man hat zwar Zusammenhänge zwischen einer überwiegend knienden Tätigkeit und der Entwicklung von Schleimbeutelentzündungen am Kniegelenk sowie zwischen überwiegend kniender Tätigkeit und der Auslösung von Meniskusschäden finden können. Im vorliegen den Fall konnte jedoch sowohl ein primärer Meniskusschaden als auch eine chronische Schleimbeutelentzündung ausgeschlossen werden. Es gibt in der medizinischen Literatur keinerlei Hinweise da für, daß der im vorliegenden Fall diagnostizierte Kniegelenksverschleiß, der an der Kniescheibenrückfläche seinen Ausgangspunkt genommen hat, durch eine besondere berufliche Belastung ausgelöst worden sein kann. In diesem Zusammenhang weist der Sachverständige darauf hin, daß eine ähnliche Problematik von Bonnermann 1987 diskutiert und dabei der Hinweis gegeben wurde, daß die Retropatellararthrose bisher nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden ist. Bei dieser Diskussion war es von besonderem Ge wicht, daß nach Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnug vom 01.09.1986 anläßlich der Neufassung der BKVO die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Tätigkeit eines Bergmanns und einer Retropatellararthrose nicht geprüft wurde, weil hierzu weder aufgrund klinischer Beobachtungen noch aufgrund der Fachliteratur Veranlassung bestand. Der Sachverständige gelangt schließlich aufgrund dieser Ausführungen nachvollziehbar zu dem Ergebnis, daß bislang keine gesicherten medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse über einen Ursachenzusammenhang zwischen der Exposition einer beruflichen Tätigkeit und einer Retropatellararthrose bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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