L 15 U 152/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 259/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 152/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 28/02 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. Mai 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Abfindung der Verletztenrente für einen zurückliegenden Zeitraum.

Durch Bescheid vom 19.01.1993 erkannte die Beklagte bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) wegen berufsbedingter Lärmschwerhörigkeit an und bewilligte ihm Verletztenrente ausgehend von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. Zur Beendigung des sich anschließenden Rechtsstreits schlossen die Beteiligten am 21.05.1996 einen gerichtlichen Vergleich, wonach die Beklagte dem Kläger ab 23.04.1988 eine Verletztenrente in Höhe von 30 v.H. der Vollrente gewährt (LSG NRW Az.: L 15 U 80/95).

Mit Schreiben vom 22.05.1996 beantragte der Kläger, die Verletztenrente abzufinden und als Abfindungszeitraum die Zeit vom 01.09.1994 bis 31.08.2004 festzusetzen. Als Antragsgrund gab er die Finanzierung eines Einfamilienhauses an. Die damit im Zusammenhang stehenden Belege legte er unter dem 02.05.2000 vor. Durch Bescheid vom 04.09.2000 fand die Beklagte die Rente ab und legte den Abfindungszeitraum mit dem Hinweis vom 01.06.1995 bis zum 31.05.2005 fest, die (früheren) Bevollmächtigten des Klägers hätten erstmals in der Berufungsbegründung vom 16.05.1995 (L 15 U 80/95) die Abfindung der Verletztenrente beantragt. Der Abfindungszeitraum könne frühestens mit der Antragsstellung beginnen.

Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Bescheid vom 24.10.2001 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Abfindungszeitraum könne nicht in die Vergangenheit zurückverlegt werden, weil das Gesetz eine Abfindung für die Vergangenheit nicht vorsehe.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und sinngemäß geltend gemacht, er habe erst nach dem 21.05.1996 die Möglichkeit gehabt, eine Rentenabfindung gemäß § 607 Abs. 1 RVO a.F. zu beantragen, weil ihm erst durch den gerichtlichen Vergleich vom 21.05.1996 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. zuerkannt worden sei.

Durch Urteil vom 09.05.2001 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 04.09.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2000 Bezug genommen.

Gegen das am 09.06.2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er wiederholt, er habe den Abfindungsantrag erst nach dem gerichtlichen Vergleich vom 21.05.1996 stellen können, weil erst von diesem Zeitpunkt an klar gewesen sei, dass ihm die entsprechenden Rentenleistungen rückwirkend zustünden. Außerdem stelle sich die Frage, ob das Abfindungsbegehren nicht bereits in dem vorangehenden erstinstanzlichen Verfahren (S 17 U 46/93 - SG Dortmund) zum Ausdruck gekommen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.05.2001 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 04.09.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2000 zu verurteilen, als Abfindungszeitraum die Zeit vom 01.09.1994 bis zum 31.08.2004 zu Grunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verfahrensakten des Sozialgerichts Dortmund (Az.: S 17 U 46/93, S 17 U 304/97 und S 11 (17) U 29/98) sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Dem Kläger steht die Abfindung der Verletztenrente für Zeiten vor dem 01.06.1995 nicht zu. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist, denn weder die seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII) am 01.01.1997 geltenden Vorschriften des SGB VII noch die zuvor maßgebenden Regelungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) stützen einen solchen Anspruch. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB VII können Versicherte, die einen Anspruch auf eine Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 40 v.H. haben, auf ihren Antrag mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrag abgefunden werden. Die Abfindung einer Rente bis zur Hälfte des Leistungsbetrages für einen Zeitraum von zehn Jahren, die der Kläger begehrt, sieht § 79 Satz 1 SGB VII nur noch für Versicherte vor, die Anspruch auf eine Rente wegen einer MdE von 40 v.H. oder mehr haben.

Nach § 607 Abs. 1 Satz 1 konnten demgegenüber Verletzte, die Anspruch auf eine Dauerrente von 30 v.H. der Vollrente oder mehr hatten, auf Antrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes oder grundstücksgleicher Rechte durch einen Geldbetrag abgefunden werden, wobei sich die Abfindung auf die Verletztenrente für einen Zeitraum von zehn Jahren beschränkte und als Abfindungssumme das Neunfache des der Abfindung zugrundeliegenden Jahresbetrags gezahlt wurde (§ 609 Abs. 2 RVO).

Bei dieser Abfindung handelt es sich ebenso wie bei der nach § 79 SGB VII nicht um eine Rentenabfindung im eigentlichen Sinne, sondern um eine nur teilweise zeitlich begrenzte Kapitalisierung, also im Grunde um eine Rentenvorauszahlung für zehn Jahre (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.1979 - 2 RU 51/77 - in HV - Info 1986, 1554; Lauterbach, UV, 3. Aufl. Stand 1984, Anm. zu § 609; Bereiter-Hahn/Mehrtens, UV, Anm. 3 zu § 79 SGB VII; Brackmann/Burchardt, SGB VII, Rdn. 7 zu § 79). Vorausgezahlt werden begrifflich noch nicht fällige, eigentlich erst künftig zu er bringende Leistungen, während man die Zahlung von Renten für die Vergangenheit als Nachzahlung zu bezeichnen pflegt. Eine Abfindung für zurückliegende Zeiten kann es daher nicht geben. Dass dies auch dem Willen und der Vorstellung des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich aus § 608 RVO, demzufolge eine Abfindung nur bewilligt werden darf, "wenn nicht zu erwarten ist, dass innerhalb des Abfindungszeitraums die Rente unter 30 vom Hundert herabgesetzt wird oder wegfällt" (Nr. 2). Eine Erwartung bezieht sich zwangsläufig auf den Eintritt oder den Nichteintritt von Ereignissen in der Zukunft. Eine Vorverlegung des Rentenabfindungszeitraums in die vom Kläger begehrte Zeit scheidet infolgedessen aus.

Ein solches Recht läßt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht daraus herleiten, dass die Beklagte ihm erst im gerichtlichen Verfahren vom 21.05.1996 eine die Abfindung ermöglichende Dauerrente von 30 v. H. zuerkannt hat. Gegen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch in diesem Sinne, der die Verletzung einer Nebenpflicht durch die Beklagte voraussetzt, spricht schon, dass dem Kläger durch die verzögerte Rentenbewilligung jedenfalls hinsichtlich der Abfindung kein Nachteil erwachsen ist. Die übliche Zahlung der Rente in monatlichen Teilbeträgen und die gemäß § 609 Abs. 2 RVO an ihre Stelle tretende Einmalzahlung stehen "in einem Verhältnis ungefährer Gleichwertigkeit" (so BSG Breithaupt 1988, 197, 199). Das vom Kläger ersichtlich angestrebte frühere Wiedereinsetzen der laufenden Rentenzahlung nach Ablauf des Abfindungszeitraums ist kein rechtlicher Vorteil, denn es geht mit einem entsprechenden Nachteil, nämlich einem früheren Erlöschen des Teils der Verletztenrente einher, an deren Stelle die Abfindung tritt. Im Übrigen müßte sich der Kläger entsprechend § 609 Abs. 2 Satz 2 RVO eine Kürzung der Rente gefallen lassen, ob wohl der ins Auge gefasste Abfindungszeitraum bereits bereits weitgehend abgelaufen ist und dem Kläger insoweit die rückständige Rentenbeträge in vollem Umfang zustehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Saved