Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 213/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 147/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 224/00 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 5. Mai 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin wegen des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes in der ehemaligen DDR Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Die Klägerin, die am 15.05.1990 aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, ist die Witwe des am 05.02.1982 verstorbenen G ... H ... (H. bzw. Versicherter). Der Versicherte, der in der ehemaligen DDR bei dem Kombinat VEB LEW H ... B ..., Schichtpreßstoffwerk in B ..., beschäftigt war, trat am 26.01.1982 nach dem von der Klägerin mit 22.00 Uhr angegebenen Schichtende zunächst den Weg zu seiner Wohnung an und suchte dann die am direkten Heimweg gelegene Gaststätte "S ..." in der B ... Straße in B ... auf. Beim Verlassen der Gaststätte gegen 22.20 Uhr stürzte der Versicherte auf der zur Gaststätte gehörenden Freitreppe, die nach Angaben der Klägerin defekte Stufen aufwies, und zog sich dabei Schädeldach- und Schädelbasisbrüche mit Hirnrindenprellungsherden zu, an deren Folgen er am 05.02.1982 verstarb.
Ausweislich der Ermittlungsakten der Volkspolizei beim Kreisamt in B ... hat sich der Versicherte, der am Unfalltag seinen Lohn sowie seine Jahresendprämie erhalten hatte, in der Bierschwemme der Gaststätte aufgehalten und Alkohol zu sich genommen. Wegen des Unfallereignisses bezog die Klägerin in der ehemaligen DDR zunächst vom 01.02.1982 bis 31.01.1984 Übergangshinterbliebenenrente und ab 01.04.1984 Schadenersatzrente von der Staatlichen Versicherung der DDR als zuständigem Haftpflichtversicherungsträger. Eine Unfallhinterbliebenenrente wegen eines Arbeitsunfalls erhielt sie nicht.
Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland beantragte die Klägerin am 21.06.1990 die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und gab dabei zunächst an, ihr Mann sei mit Kollegen noch in eine Gaststätte gegangen. Später trug sie vor, ihr Mann sei lediglich in die Gaststätte gegangen, um dort Zigaretten zu kaufen; Alkohol habe er nicht getrunken. Es gebe keine Zeugen für den Unfall. Die Treppe habe sich im Eingangsbereich der Gaststätte befinden und sie habe auch von deren Versicherung Rente bezogen.
Mit Bescheid vom 09.03.1992 lehnte die Holz-BG die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, da der Versicherte weder einen Wege- noch einen Arbeitsunfall gemäß § 7 Fremdrentengesetz (FRG) in Verbindung mit §§ 589 Abs. 1, 548, 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten habe. Ein versicherter Weg habe nicht vorgelegen, da der Heimweg durch private Gründe - Kauf von Zigaretten - unterbrochen und der öffentliche Verkehrsraum noch nicht wieder erreicht worden sei. Widerspruchs- und Klageverfahren verliefen erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.12.1992; Urteil des Sozialgerichts - SG - Detmold vom 05.08.1993 - S 20 (8) U 9/93 -). In dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht NRW (L 15 U 111/98) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach zu prüfen war, ob gemäß § 1150 Abs. 2 RVO ab 01.01.1992 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen in Betracht komme.
Die Holz-BG zog die Unterlagen der BfA bei und übersandte die Akte alsdann der nach dem Verteilerschlüssel für Unfallsachen aus der ehemaligen DDR zuständigen Beklagten.
Diese lehnte mit Bescheid vom 12.12.1994 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab, da H. sich nicht auf einem versicherten Weg im Sinne des § 220 Abs. 2 Arbeitsgesetzbuch der ehemaligen DDR (AGB) befunden habe. Der Unfall habe sich bei dem Verlassen einer Gaststätte auf einer dazu gehörigen Treppe ereignet, so daß der versicherte Weg noch nicht wieder erreicht gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 29.12.1994 Widerspruch ein und machte geltend, es sei nicht ersichtlich, daß Literatur und Rechtsprechung zu den maßgeblichen Bestimmungen des DDR-Rechts befragt worden seien. Nachdem die Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen hatte, daß es in der DDR keine Rechtsprechung im bundesdeutschen Sinne auf dem Gebiet des Sozialrechts gegeben habe, sondern Beschwerden im Einzelfall durch Kommissionsbeschlüsse geregelt worden seien, ohne daß dadurch allgemein verbindliche Rechtsetzung erfolgte, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.1995 als unbegründet zurück.
Am 02.11.1995 hat die Klägerin Klage bei dem SG Detmold erhoben und vorgetragen, nach den Rechtsvorschriften des Beitrittsgebietes ließen geringfügige Unterbrechungen des Heimweges den Versicherungsschutz unberührt. Abgesehen davon werde auch der Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs, zu welchem auch Zigaretten gehörten, als Weg zur und von der Arbeitsstelle angesehen.
Das SG hat zum Versicherungsschutz bei Wegeunfällen nach dem AGB eine Auskunft von dem Leiter der Bezirksverwaltung D ... der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft B ... P ... eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Auskunft vom 27.02.1998 nebst Anlagen verwiesen.
Durch Urteil vom 05.05.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 21.05.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.06.1999 Berufung eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie vertritt die Auffassung, auch das Zigarettenholen sei vom Versicherungsschutz umfaßt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.05.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.12.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.09.1995 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Vorprozessakte S 20 (8) U 9/93 = L 15 (5) U 111/93 und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Die mit Wirkung zum 01.01.1992 durch das Rentenüberleistungsgesetz (RÜG) vom 25.07.1992 (BGBl I S. 1606) eingeführten Übergangsvorschriften der §§ 1148 ff. HRVO sind hier anwendbar. Zwar fand im Falle der Klägerin noch das FRG i.d.F. des Einigungsvertrages Anwendung, wie aus Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes zum Einigungsvertrages folgt, denn der Unfall des Versicherten hatte sich vor dem 18.05.1990 ereignet und die Klägerin hatte bereits vor diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen (vgl. dazu Raschke, BG 1991 S. 153, 154; derselbe in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - Band 2 Unfallversicherungsrecht - § 72 Rdnr. 243, 244; Struck, BG 1991, S. 520 ff).
Da eine Anerkennung des Ereignisses vom 26.01.1982 als Arbeitsunfall nach dem FRG durch die dafür zuständige Holz-BG aber nicht erfolgt, die Gewährung von Entschädigungsleistungen vielmehr rechtsverbindlich abgelehnt worden ist, kommt § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 RVO, der eine Entschädigung nach Maßgabe der Übergangsvorschriften ausschließt, wenn für die Zeit vor dem 01.01.1992 eine Anerkennung als Arbeitsunfall nach dem FRG erfolgt ist, hier nicht zur Anwendung (vgl. Raschke, a.a.O. § 72 Rdnr. 261; Graeff, BG 1991 S. 498 ff, 502).
In Ausführung des gerichtlichen Vergleichs vom 01.02.1994 hatte die Beklagte zu prüfen, ob die Klägerin gemäß § 1150 Abs. 2 RVO Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen hat. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in Verbindung mit § 1155 RVO, die auch nach dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) zum 01.01.1997 noch Anwendung finden (§ 215 SGB VII), ist entscheidungserheblich, ob der Unfall des H. am 26.01.1982 ein Arbeits- bzw. Wegeunfall im Sinne des § 220 des AGB war.
Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind, als Arbeitsunfälle, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle waren. Gemäß § 220 Abs. 1 AGB liegt ein Arbeitsunfall vor, wenn ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß eine Verletzung erleidet. Nach § 220 Abs. 2 AGB gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg zur und von der Arbeitsstelle. Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung der DDR waren nur dann zu gewähren, wenn das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in sachlichem Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stand, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Diese sogenannte innere Verbindung als Anspruchsvoraussetzung für Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist - wie schon aus dem Wortlaut der Bestimmungen des § 220 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGB deutlich wird - unabdingbare Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme eines entschädigungspflichtigen Arbeits- bzw. Wegeunfalles nach dem Recht der DDR (vgl: Stoll, Der Versicherungsschutz bei Arbeits- und Wegeunfällen nach dem Arbeitsgesetzbuch der DDR - ein Kapitel Übergangsrecht, Die Sozialgerichtsbarkeit [SGb] 1991, 81, 82; Renneberg/Schmidt, Der Unfall auf dem Weg zur und von der Arbeitsstelle, Arbeit und Arbeitsrecht, 1986, 64 f.). Dies gilt in gleicher Weise für die Feststellung des sog. Zurechtnungszusammenhanges nach dem Dritten Buch der RVO bzw. dem SGB VII. Zwar waren die materiellen Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung im Beitrittsgebiet teilweise großzügiger als im Bundesgebiet (vgl. Stoll, a.a.O., S. 83). jedoch ist im vorliegenden Fall auch nach diesen Regelungen die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht gerechtfertigt.
§ 220 Abs. 2 AFG erfaßte regelmäßig den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle der im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stand (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O. S. 64). Im Gegensatz zum westdeutschen Unfallversicherungsrecht unterbrachen dringende Erfordernisse des täglichen Lebens den Versicherungsschutz nicht. So wurden der tägliche Gang zur Kinderkrippe oder zum Kindergarten sowie der notwendige Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs oder das Aufsuchen einer Dienstleistungseinrichtung, auch wenn dies Umwege oder Abweichungen von dem direkten Weg zur Arbeit darstellten, als Weg zur und von der Arbeitsstelle angesehen, sofern der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit der Tätigkeit im Betrieb gewahrt war. Die Bezeichnung "Dienstleistungseinrichtung" war ein Sammelbegriff für unterschiedliche Gewerbe, z.B. Annahmestelle des Dienstleistungskombinats, Friseur oder Reinigung (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O., S. 64; Stoll, a.a.O. S. 83). Nutzte der Arbeitnehmer den Weg von der Wohnung zum Betrieb oder zurück zu Einkäufen oder zum Abholen des Kindes aus der Kindereinrichtung, so unterbrach jedoch der Aufenthalt im Geschäft oder in einer anderen Einrichtung den Arbeitsweg. Unfälle in Geschäften oder Einrichtungen wurden daher nicht als Wegeunfälle behandelt. Dem Arbeitnehmer standen hier jedoch gegebenenfalls zivilrechtliche Schadenersatzansprüche zu (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O. S. 65; Petri, Leistungsgewährung bei Arbeitsumfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern 1993 S 31).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte das Vorliegen eines Wegeunfalls zutreffend verneint. Dabei kann letztlich offenbleiben, ob ein Abweichen von dem direkten Weg zum Kauf von Zigaretten noch als versicherter Umweg angesehen werden kann, wofür unter Berücksichtigung der oben angeführten Beispiele wenig spricht und ob das SG bereits insoweit zu Recht den Versicherungsschutz verneint hat, denn der Besuch einer Gaststätte nach Beendigung der Arbeit zum Nahrungs- bzw. Getränkeverzehr ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit einem Weg zum Einkauf von Lebensmitteln bzw. zum Holen eines Kindes vom Kinderhort. Dass H. die Gaststätte lediglich zum Kauf von Zigaretten aufgesucht hatte, wie im Verlauf des Gerichtsverfahrens von der Klägerin behauptet worden ist, ist durch nichts erwiesen. Die damals von den Polizeibehörden der DDR getroffenen Feststellungen sprechen dagegen. Entsprechende Angaben kann die Klägerin von dem Ehemann nicht erhalten haben, denn dieser hatte nach dem Unfall das Bewußtsein nicht wieder erlangt.
Das Aufsuchen einer Gaststätte nach Beendigung der Arbeit ist aber auch nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht versichert (vgl. Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung - Gesetzliche Unfallversicherung - § 8 SGB VII Rdnr. 236 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 25.02.1965 - 2 RU 210/61 -) weil es nicht mehr der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit dient und damit der Zurechnungszusammenhang fehlt.
Unabhängig davon scheidet die Annahme eine Wegeunfalls jedenfalls deshalb aus, weil der Aufenthalt in einer Gaststätte wie dargelegt - stets den Arbeitsweg unterbrach. Der Versicherte befand sich zur Zeit des Unfalls noch im räumlichen Bereich der Gaststätte, denn der Unfall ereignete sich auf der vom Gaststätteneingang zur Straße führenden Außenfreitreppe. H. hatte damit aber den öffentlichen Verkehrsraum - den Gehweg bzw. die Straße, die er auf dem Weg von der Arbeitsstelle zur Wohnung regelmäßig benutzte -, noch nicht wieder erreicht. Danach lag aber noch dem Recht des Beitrittsgebietes ein Arbeitsunfall nicht vor. Für die Richtigkeit dieser Beurteilung spricht, daß die Klägerin im Beitrittsgebiet tatsächlich auch keine Unfallhinterbliebenenrente nach § 28 der Rentenverordnung vom 23.11.1979, sondern lediglich eine Schadenersatzrente bezogen hat.
Dem entspricht auch die Rechtssprechung zur Unterbrechung eines versicherten Weges in den alten Bundesländern. Der Versicherungschutz endet bzw. beginnt nicht erst beim Durchschreiten der Außentür des Ladenlokals, sondern schon beim Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes, bzw. erst bei seinem Wiedererreichen, so dass Unfälle auf den Gebäudetreppen nicht versichert sind (vgl. BSG Urteil vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 -; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 44; Brackmann/Krasney, a.a.O. Rdnr. 238).
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.
Zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGG bestand kein Anlass.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin wegen des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes in der ehemaligen DDR Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Die Klägerin, die am 15.05.1990 aus der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, ist die Witwe des am 05.02.1982 verstorbenen G ... H ... (H. bzw. Versicherter). Der Versicherte, der in der ehemaligen DDR bei dem Kombinat VEB LEW H ... B ..., Schichtpreßstoffwerk in B ..., beschäftigt war, trat am 26.01.1982 nach dem von der Klägerin mit 22.00 Uhr angegebenen Schichtende zunächst den Weg zu seiner Wohnung an und suchte dann die am direkten Heimweg gelegene Gaststätte "S ..." in der B ... Straße in B ... auf. Beim Verlassen der Gaststätte gegen 22.20 Uhr stürzte der Versicherte auf der zur Gaststätte gehörenden Freitreppe, die nach Angaben der Klägerin defekte Stufen aufwies, und zog sich dabei Schädeldach- und Schädelbasisbrüche mit Hirnrindenprellungsherden zu, an deren Folgen er am 05.02.1982 verstarb.
Ausweislich der Ermittlungsakten der Volkspolizei beim Kreisamt in B ... hat sich der Versicherte, der am Unfalltag seinen Lohn sowie seine Jahresendprämie erhalten hatte, in der Bierschwemme der Gaststätte aufgehalten und Alkohol zu sich genommen. Wegen des Unfallereignisses bezog die Klägerin in der ehemaligen DDR zunächst vom 01.02.1982 bis 31.01.1984 Übergangshinterbliebenenrente und ab 01.04.1984 Schadenersatzrente von der Staatlichen Versicherung der DDR als zuständigem Haftpflichtversicherungsträger. Eine Unfallhinterbliebenenrente wegen eines Arbeitsunfalls erhielt sie nicht.
Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland beantragte die Klägerin am 21.06.1990 die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und gab dabei zunächst an, ihr Mann sei mit Kollegen noch in eine Gaststätte gegangen. Später trug sie vor, ihr Mann sei lediglich in die Gaststätte gegangen, um dort Zigaretten zu kaufen; Alkohol habe er nicht getrunken. Es gebe keine Zeugen für den Unfall. Die Treppe habe sich im Eingangsbereich der Gaststätte befinden und sie habe auch von deren Versicherung Rente bezogen.
Mit Bescheid vom 09.03.1992 lehnte die Holz-BG die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, da der Versicherte weder einen Wege- noch einen Arbeitsunfall gemäß § 7 Fremdrentengesetz (FRG) in Verbindung mit §§ 589 Abs. 1, 548, 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten habe. Ein versicherter Weg habe nicht vorgelegen, da der Heimweg durch private Gründe - Kauf von Zigaretten - unterbrochen und der öffentliche Verkehrsraum noch nicht wieder erreicht worden sei. Widerspruchs- und Klageverfahren verliefen erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.12.1992; Urteil des Sozialgerichts - SG - Detmold vom 05.08.1993 - S 20 (8) U 9/93 -). In dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht NRW (L 15 U 111/98) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach zu prüfen war, ob gemäß § 1150 Abs. 2 RVO ab 01.01.1992 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen in Betracht komme.
Die Holz-BG zog die Unterlagen der BfA bei und übersandte die Akte alsdann der nach dem Verteilerschlüssel für Unfallsachen aus der ehemaligen DDR zuständigen Beklagten.
Diese lehnte mit Bescheid vom 12.12.1994 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab, da H. sich nicht auf einem versicherten Weg im Sinne des § 220 Abs. 2 Arbeitsgesetzbuch der ehemaligen DDR (AGB) befunden habe. Der Unfall habe sich bei dem Verlassen einer Gaststätte auf einer dazu gehörigen Treppe ereignet, so daß der versicherte Weg noch nicht wieder erreicht gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 29.12.1994 Widerspruch ein und machte geltend, es sei nicht ersichtlich, daß Literatur und Rechtsprechung zu den maßgeblichen Bestimmungen des DDR-Rechts befragt worden seien. Nachdem die Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen hatte, daß es in der DDR keine Rechtsprechung im bundesdeutschen Sinne auf dem Gebiet des Sozialrechts gegeben habe, sondern Beschwerden im Einzelfall durch Kommissionsbeschlüsse geregelt worden seien, ohne daß dadurch allgemein verbindliche Rechtsetzung erfolgte, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.1995 als unbegründet zurück.
Am 02.11.1995 hat die Klägerin Klage bei dem SG Detmold erhoben und vorgetragen, nach den Rechtsvorschriften des Beitrittsgebietes ließen geringfügige Unterbrechungen des Heimweges den Versicherungsschutz unberührt. Abgesehen davon werde auch der Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs, zu welchem auch Zigaretten gehörten, als Weg zur und von der Arbeitsstelle angesehen.
Das SG hat zum Versicherungsschutz bei Wegeunfällen nach dem AGB eine Auskunft von dem Leiter der Bezirksverwaltung D ... der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft B ... P ... eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Auskunft vom 27.02.1998 nebst Anlagen verwiesen.
Durch Urteil vom 05.05.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 21.05.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.06.1999 Berufung eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Sie vertritt die Auffassung, auch das Zigarettenholen sei vom Versicherungsschutz umfaßt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.05.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.12.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.09.1995 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Vorprozessakte S 20 (8) U 9/93 = L 15 (5) U 111/93 und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Die mit Wirkung zum 01.01.1992 durch das Rentenüberleistungsgesetz (RÜG) vom 25.07.1992 (BGBl I S. 1606) eingeführten Übergangsvorschriften der §§ 1148 ff. HRVO sind hier anwendbar. Zwar fand im Falle der Klägerin noch das FRG i.d.F. des Einigungsvertrages Anwendung, wie aus Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes zum Einigungsvertrages folgt, denn der Unfall des Versicherten hatte sich vor dem 18.05.1990 ereignet und die Klägerin hatte bereits vor diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen (vgl. dazu Raschke, BG 1991 S. 153, 154; derselbe in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts - Band 2 Unfallversicherungsrecht - § 72 Rdnr. 243, 244; Struck, BG 1991, S. 520 ff).
Da eine Anerkennung des Ereignisses vom 26.01.1982 als Arbeitsunfall nach dem FRG durch die dafür zuständige Holz-BG aber nicht erfolgt, die Gewährung von Entschädigungsleistungen vielmehr rechtsverbindlich abgelehnt worden ist, kommt § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 RVO, der eine Entschädigung nach Maßgabe der Übergangsvorschriften ausschließt, wenn für die Zeit vor dem 01.01.1992 eine Anerkennung als Arbeitsunfall nach dem FRG erfolgt ist, hier nicht zur Anwendung (vgl. Raschke, a.a.O. § 72 Rdnr. 261; Graeff, BG 1991 S. 498 ff, 502).
In Ausführung des gerichtlichen Vergleichs vom 01.02.1994 hatte die Beklagte zu prüfen, ob die Klägerin gemäß § 1150 Abs. 2 RVO Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen hat. Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in Verbindung mit § 1155 RVO, die auch nach dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) zum 01.01.1997 noch Anwendung finden (§ 215 SGB VII), ist entscheidungserheblich, ob der Unfall des H. am 26.01.1982 ein Arbeits- bzw. Wegeunfall im Sinne des § 220 des AGB war.
Gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind, als Arbeitsunfälle, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle waren. Gemäß § 220 Abs. 1 AGB liegt ein Arbeitsunfall vor, wenn ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß eine Verletzung erleidet. Nach § 220 Abs. 2 AGB gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg zur und von der Arbeitsstelle. Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung der DDR waren nur dann zu gewähren, wenn das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in sachlichem Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stand, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Diese sogenannte innere Verbindung als Anspruchsvoraussetzung für Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist - wie schon aus dem Wortlaut der Bestimmungen des § 220 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGB deutlich wird - unabdingbare Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme eines entschädigungspflichtigen Arbeits- bzw. Wegeunfalles nach dem Recht der DDR (vgl: Stoll, Der Versicherungsschutz bei Arbeits- und Wegeunfällen nach dem Arbeitsgesetzbuch der DDR - ein Kapitel Übergangsrecht, Die Sozialgerichtsbarkeit [SGb] 1991, 81, 82; Renneberg/Schmidt, Der Unfall auf dem Weg zur und von der Arbeitsstelle, Arbeit und Arbeitsrecht, 1986, 64 f.). Dies gilt in gleicher Weise für die Feststellung des sog. Zurechtnungszusammenhanges nach dem Dritten Buch der RVO bzw. dem SGB VII. Zwar waren die materiellen Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung im Beitrittsgebiet teilweise großzügiger als im Bundesgebiet (vgl. Stoll, a.a.O., S. 83). jedoch ist im vorliegenden Fall auch nach diesen Regelungen die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht gerechtfertigt.
§ 220 Abs. 2 AFG erfaßte regelmäßig den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle der im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stand (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O. S. 64). Im Gegensatz zum westdeutschen Unfallversicherungsrecht unterbrachen dringende Erfordernisse des täglichen Lebens den Versicherungsschutz nicht. So wurden der tägliche Gang zur Kinderkrippe oder zum Kindergarten sowie der notwendige Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs oder das Aufsuchen einer Dienstleistungseinrichtung, auch wenn dies Umwege oder Abweichungen von dem direkten Weg zur Arbeit darstellten, als Weg zur und von der Arbeitsstelle angesehen, sofern der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit der Tätigkeit im Betrieb gewahrt war. Die Bezeichnung "Dienstleistungseinrichtung" war ein Sammelbegriff für unterschiedliche Gewerbe, z.B. Annahmestelle des Dienstleistungskombinats, Friseur oder Reinigung (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O., S. 64; Stoll, a.a.O. S. 83). Nutzte der Arbeitnehmer den Weg von der Wohnung zum Betrieb oder zurück zu Einkäufen oder zum Abholen des Kindes aus der Kindereinrichtung, so unterbrach jedoch der Aufenthalt im Geschäft oder in einer anderen Einrichtung den Arbeitsweg. Unfälle in Geschäften oder Einrichtungen wurden daher nicht als Wegeunfälle behandelt. Dem Arbeitnehmer standen hier jedoch gegebenenfalls zivilrechtliche Schadenersatzansprüche zu (vgl. Renneberg/Schmidt, a.a.O. S. 65; Petri, Leistungsgewährung bei Arbeitsumfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern 1993 S 31).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte das Vorliegen eines Wegeunfalls zutreffend verneint. Dabei kann letztlich offenbleiben, ob ein Abweichen von dem direkten Weg zum Kauf von Zigaretten noch als versicherter Umweg angesehen werden kann, wofür unter Berücksichtigung der oben angeführten Beispiele wenig spricht und ob das SG bereits insoweit zu Recht den Versicherungsschutz verneint hat, denn der Besuch einer Gaststätte nach Beendigung der Arbeit zum Nahrungs- bzw. Getränkeverzehr ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit einem Weg zum Einkauf von Lebensmitteln bzw. zum Holen eines Kindes vom Kinderhort. Dass H. die Gaststätte lediglich zum Kauf von Zigaretten aufgesucht hatte, wie im Verlauf des Gerichtsverfahrens von der Klägerin behauptet worden ist, ist durch nichts erwiesen. Die damals von den Polizeibehörden der DDR getroffenen Feststellungen sprechen dagegen. Entsprechende Angaben kann die Klägerin von dem Ehemann nicht erhalten haben, denn dieser hatte nach dem Unfall das Bewußtsein nicht wieder erlangt.
Das Aufsuchen einer Gaststätte nach Beendigung der Arbeit ist aber auch nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht versichert (vgl. Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung - Gesetzliche Unfallversicherung - § 8 SGB VII Rdnr. 236 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 25.02.1965 - 2 RU 210/61 -) weil es nicht mehr der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit dient und damit der Zurechnungszusammenhang fehlt.
Unabhängig davon scheidet die Annahme eine Wegeunfalls jedenfalls deshalb aus, weil der Aufenthalt in einer Gaststätte wie dargelegt - stets den Arbeitsweg unterbrach. Der Versicherte befand sich zur Zeit des Unfalls noch im räumlichen Bereich der Gaststätte, denn der Unfall ereignete sich auf der vom Gaststätteneingang zur Straße führenden Außenfreitreppe. H. hatte damit aber den öffentlichen Verkehrsraum - den Gehweg bzw. die Straße, die er auf dem Weg von der Arbeitsstelle zur Wohnung regelmäßig benutzte -, noch nicht wieder erreicht. Danach lag aber noch dem Recht des Beitrittsgebietes ein Arbeitsunfall nicht vor. Für die Richtigkeit dieser Beurteilung spricht, daß die Klägerin im Beitrittsgebiet tatsächlich auch keine Unfallhinterbliebenenrente nach § 28 der Rentenverordnung vom 23.11.1979, sondern lediglich eine Schadenersatzrente bezogen hat.
Dem entspricht auch die Rechtssprechung zur Unterbrechung eines versicherten Weges in den alten Bundesländern. Der Versicherungschutz endet bzw. beginnt nicht erst beim Durchschreiten der Außentür des Ladenlokals, sondern schon beim Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes, bzw. erst bei seinem Wiedererreichen, so dass Unfälle auf den Gebäudetreppen nicht versichert sind (vgl. BSG Urteil vom 31.10.1968 - 2 RU 122/66 -; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 44; Brackmann/Krasney, a.a.O. Rdnr. 238).
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.
Zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGG bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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