L 1 Ar 39/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 12 Ar 257/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 Ar 39/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 69/97 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16.03.1995 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Erstattung von Krankenkassenbeiträgen.

Die Klägerin bezog von der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 25.05.1993 Arbeitslosenhilfe ab 26.03.1993. Nachträglich wurde u.a. bekannt, daß die Klägerin aus einer geringfügigen Beschäftigung Nebeneinkommen bezogen hatte. Die Beklagte hob daraufhin mit bestandskräftigen Bescheiden vom 13.12.1993/14.09.1994 u.a. die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für den Monat Mai 1993 teilweise sowie für die Zeit ab 01.06.1993 vollständig auf.

Mit weiterem Bescheid vom 13.12.1993 forderte die Beklagte die Klägerin zur Erstattung der hier streitigen Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 1.980,12 DM für die Zeit vom 01.06. bis 13.11.1993 auf.

Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, § 157 Abs. 3 a AFG als Rechtsgrundlage der Erstattung sei verfassungswidrig. Es könne nicht richtig sein, daß wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Unterhaltsbeiträgen ihres Ehemannes kein eigener Krankenversicherungsschutz bestehe, wenn demgegenüber sonst schon geringe Arbeitslosenhilfe-Leistungen zu einem eigenen Krankenversicherungsschutz führten. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14.09.1994 zurück.

Mit der Klage hat die Klägerin ihre Argumentation aus dem Wider spruchsverfahren vertieft.

Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 16.03.1995 aufgehoben und zur Begründung dargelegt, erstattungspflichtig sei nicht die Klägerin, sondern gem. § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG die Krankenkasse, die die Krankenversicherung nach §§ 155 ff. AFG durchgeführt habe. Bei der Klägerin habe nämlich ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis im Sinne der Norm, nämlich die Familienversicherung nach § 10 SGB V, bestanden.

Mit Beschluss vom 28.03.1995 hat das SG die IKK Höxter (jetzt IKK Ostwestfalen-Lippe - Regionaldirektion Höxter -) gem. § 75 Abs. 2 SGG zum Verfahren beigeladen. Das Urteil ist allen Beteiligten am 12.04.1995 zugestellt worden.

Gegen das Urteil hat die Beigeladene am 28.04.1995 Berufung ein gelegt mit dem Zusatz, "falls hiermit gemeint" sei, "daß die IKK Höxter die Krankenversicherungsbeiträge nach § 157 Abs. 3 a Satz 1 AFG zu erstatten" habe.

Die Beklagte hat am 12.05.1995 Berufung eingelegt.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß es sich entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts bei einem Familienversicherungsverhältnis nicht um ein weiteres Krankenversicherungsverhältnis im Sinne des § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG handele. Ein solches weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestehe vielmehr nur, wenn der Betroffene bei einer gesetzlichen Krankenkasse pflicht- oder freiwillig versichert gewesen sei. Dies belege die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, da in den Materialien von zu erstattenden "doppelt" entrichteten Beiträgen die Rede sei. Im übrigen könne diese Frage letztlich deshalb dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen des § 157 Abs. 3 a Satz 3 AFG erfüllt seien. Nach § 155 Abs. 1 AFG seien von der Beklagten Beiträge an die Beigeladene bis zum 13.11.1993 abgeführt worden, so daß auch bis zu diesem Zeitpunkt die Mitgliedschaft bestanden habe. Für die Zeit vom 14.11. bis 13.12.1993 habe gem. § 19 Abs. 2 SGB V ein nach gehender Leistungsanspruch bestanden. Innerhalb dieser Frist sei die Klägerin am 13.12.1993 stationär behandelt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16.03.1995 ab zuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beigeladenen als unzulässig zu verwerfen und im übrigen die Berufung der Beklagten zurück zuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Berufung der Beigeladenen sei unzulässig, weil sie unter einem Vorbehalt gestellt worden sei. Im übrigen habe bei ihr eine Familienversicherung nach § 10 SGB V bestanden, die schon nach dem Wortlaut ein Krankenversicherungsverhältnis darstelle. Der eigenständige Charakter einer derartigen Krankenversicherung sei vom Sozialgericht im einzelnen begründet worden; die von der Beklagten vorgenommene einschränkende Auslegung finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Auch die in der Begründung des Gesetzentwurfs erwähnte Absicht, auf "doppelt" entrichtete Beiträge abzustellen, habe im Wortlaut der Neufassung keinen Niederschlag gefunden. Vielmehr sei nach dem Wortlaut und dem daraus erkennbaren Sinn und Zweck auch die Familienversicherung eine andere Versicherung im Sinne des § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG. Letztlich greife im Hinblick auf die Familienversicherung ein nachgehender Anspruch nach § 19 SGB V nicht.

Die Beigeladene, die in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten worden ist, beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 16.03.1995 aufzuheben, soweit sich daraus ihre Verpflichtung zur Erstattung der Beiträge ergebe.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht sei von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen, weil sich die Klägerin am 13.12.1993 in stationärer Behandlung befunden habe. Die Kosten dieser Behandlung seien im Rahmen eines nachgehenden Leistungsanspruchs von ihr - der Beigeladenen - übernommen worden. Mithin scheide eine Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge von ihrer Seite aus.

Der Senat hat Auskünfte der AOK Westfalen-Lippe, Regionaldirektion Paderborn-Höxter, zur Stamm-Mitgliedschaft des Ehemannes der Klägerin sowie zur Mitgliedschaft der Klägerin und zu den für sie er brachten Leistungen beigezogen. Auf die Auskünfte vom 10. und 11.09.1996 wird verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte die Streitsache trotz der Abwesenheit eines Vertreters der Beigeladenen verhandeln und entscheiden, weil die Beigeladene auf diese Möglichkeit in der Ladung ausdrücklich hin gewiesen worden ist.

Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen sind zulässig, die der Beigeladenen jedenfalls als Anschlußberufung. Zwar ist die ursprüngliche, selbständige Berufung der Beigeladenen unzulässig gewesen, weil sie in der Berufungsschrift vom 27.04.1995 unter einer Bedingung gestellt worden ist. Die Berufung kann wie jede Prozeßhandlung jedoch nur unbedingt vorgenommen werden. Jedenfalls ist aber der außerhalb der Berufungsfrist eingegangene Schriftsatz der Beigeladenen vom 15.05.1995, mit dem die Beigeladene uneingeschränkt Berufung eingelegt hat, als Anschlußberufung (§ 202 SGG i.V.m. § 521 ZPO) und damit als zulässige Berufung zu werten.

Die Berufungen sind auch begründet. Zu Recht verlangt die Beklagte von der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.12.1993 die Erstattung der gem. §§ 155 ff. AFG entrichteten Krankenversicherungsbeiträge. Der hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht zu Unrecht stattgegeben.

Der durch das Gesetz zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992 (BGBl. I S. 2044) mit Wirkung ab 01.01.1993 eingeführte Absatz 3 a des § 157 AFG normiert in seinen Satz 1 den Grundsatz, daß Versicherte der Bundesanstalt für Arbeit die von dieser entrichteten Krankenversicherungsbeiträge zu erstatten haben, soweit die Entscheidung, die zu einem Bezug von Leistungen geführt hat, rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Diese Voraussetzungen sind durch die bestandskräftigen Bescheide vom 13.12.1993 erfüllt. Mithin ist die Klägerin zur Erstattung der entrichteten Krankenversicherungsbeiträge verpflichtet.

Die zu der Grundsatzregelung in Satz 2 derselben Vorschrift gebildete Ausnahme, nach der an Stelle des Leistungsempfängers die die Krankenversicherung nach §§ 155 ff. AFG durchführende Krankenkasse erstattungspflichtig wird, greift im vorliegenden Fall nicht. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat im hier maßgeblichen Zeitraum kein weiteres Krankenversicherungsverhältnis im Sinne des § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG bestanden. Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer Familienversicherung der Klägerin nach § 10 SGB V stellt kein derartiges Krankenversicherungsverhältnis dar (so ausdrücklich ohne Begründung Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm. zum AFG, § 157 Rdnr. 27; Soziale Gesetzgebung und Praxis, SGB Arbeitsförderung, § 157 Anm. 2.3). Dabei kann dahinstehen, ob als weiteres Versicherungsverhältnis nur ein beitragspflichtiges Versicherungsverhältnis in Betracht kommt (so LSG NRW, Urteil vom 11.04.1997 - L 13 Ar 32/96; Niesel-Düe, Arbeitsförderungsgesetz, 2. Auflage 1997, § 157 Rdnr. 17), was mangels eigener Beitragszahlung der Klägerin im Rahmen der Familienversicherung nicht der Fall ist. Allerdings schließt der subsidiäre Charakter der Familienversicherung nach § 10 SGB V es aus, dieses Versicherungsverhältnis als weiteres Versicherungsverhältnis im Sinne des § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG einzuordnen. § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG verlangt nach seinem Wortlaut ausdrücklich, daß für den Zeitraum der Erstattung (hier: 01.06. bis 13.11.1993) ein weiteres Versicherungsverhältnis bestanden hat. Diese Voraussetzung ist nicht er füllt, weil die Klägerin keinen Krankenversicherungsschutz aus dem von ihrem Ehemann abgeleiteten Familienversicherungsverhältnis in Anspruch nehmen konnte. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 2 SGB V sind nämlich Familienangehörige u.a. nur dann versichert, wenn sie nicht nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 bis 8, 11 oder 12 SGB V oder nicht freiwillig versichert sind. Da die Klägerin aufgrund ihres Leistungsbe zugs selbst versicherungspflichtig gewesen ist und somit die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erfüllt sind, tritt die subsidiäre Familienversicherung hinter die aufgrund des Leistungsbezugs und der Beitragsentrichtung begründete Versicherung zurück.

Diesem Ergebnis steht auch § 157 Abs. 3 a Satz 2 nicht entgegen. Danach findet § 155 Abs. 2 Satz 3 AFG in einem derartigen Fall keine Anwendung. Dies bedeutet jedoch lediglich, daß in Umkehrung der Grundsatzregelung das Krankenversicherungsverhältnis berührt wird im Sinne einer Aufhebung, wenn die Entscheidung, die zu dem Leistungsbezug geführt hat, rückwirkend aufgehoben worden ist. Allerdings stellt sich dies erst als Konsequenz der nachträglichen Aufhebung dar, die das ursprüngliche Bestehen des Krankenversicherungsverhältnisses nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SGB V während des Leistungsbezugs nicht in Frage stellt. Dies folgt aus der vom Gesetzgeber gewählten Zeitform ("hat ... bestanden"), aus der zu erkennen ist, daß es auf die zunächst bestehenden, nicht aber auf die durch eine Rückabwicklung entstandenen Versicherungsverhältnisse ankommen soll.

Greift somit die in § 157 Abs. 3 a Satz 2 AFG normierte Ausnahme nicht, bleibt es bei dem Grundsatz des Satzes 1, daß die Klägerin als Leistungsempfängerin erstattungspflichtig ist. Auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 157 Abs. 3 a Satz 3 AFG gegeben sind, kommt es nicht, weil diese Norm als Ausnahme zu Satz 2 erst dann Anwendung findet, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 gegeben sind. Somit kann auch offenbleiben, ob die Beigeladene zu Recht im Rahmen eines nachgehenden Leistungsanspruchs geleistet hat oder ob vorrangig die AOK Westfalen-Lippe nach § 10 SGB V leistungspflichtig gewesen wäre.

§ 157 Abs. 3 a AFG ist auch verfassungsgemäß, insbesondere mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar. Die Norm differenziert nicht zwischen Männern und Frauen, vielmehr kommt es darauf an, ob Leistungen zu Unrecht bezogen worden sind. Dies kann, wenn wie hier Nebeneinkünfte verschwiegen werden, sowohl bei Frauen als auch bei Männern gleich sein. Der Umstand, daß diese Regelung, wie die Klägerin meint, in erster Linie bei Frauen greift, ist weder naheliegend noch erheblich, da lediglich entscheidend ist, ob Leistungen zu Unrecht bezogen worden sind. Im Rahmen der Beurteilung dieser Frage sind Frauen nicht schutzwürdiger.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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