L 12 AL 104/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AL 86/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 104/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07. April 2000 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Umstritten ist der Eintritt einer Sperrzeit und die Rückforderung von Arbeitslosengeld in Höhe von 2.850,34 DM.

Der am 1964 geborene Kläger lebt seit 1994 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist gelernter Elektroinstallateur und war in diesem Beruf vom 21.02.1995 bis 31.12.1996 tätig. Vom 20.01.1997 bis 31.12.1998 war er als Postverteiler bei der Deutschen Post AG wöchentlich 18 Stunden beschäftigt. Mit Bescheid vom 22.02.1999 hatte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom 28.12.1998 Arbeitslosengeld ab 17.01.1999 (Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung) i. H. v. 376,46 DM wöchentlich bewilligt (Leistungsgruppe C, erhöhter Leistungssatz, Bemessungsentgelt 720,-- DM wöchentlich). Seit dem 11.03.1999 befindet sich der Kläger wieder in einem Arbeitsverhältnis.

Am 14.01.1999 hatte die Beklagte dem Kläger eine Arbeit bei der Firma A GmbH als Elektriker angeboten. Es handelte sich hier bei um eine Tätigkeit im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger stellte sich am 15.01.1999 vor. Nach Angaben der Firma A wurde der Kläger nicht angestellt, weil keine Übereinstimmung zum Lohn erzielt worden sei. Es sei dem Kläger ein Stundenlohn von 18,50 DM geboten worden. Der Kläger habe 23,50 DM gefordert.

Mit Bescheid vom 13.04.1999 setzte die Beklagte gegen den Kläger daraufhin eine 12-wöchige Sperrzeit vom 16.01.1999 bis 09.04.1999 fest, weil der Kläger die angebotene Arbeit trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht angenommen habe. Das Arbeitsangebot sei zumutbar gewesen. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld minderte die Beklagte um 84 Tage. Außerdem hob sie die Bewilligungsentscheidung für die Zeit vom 17.01.1999 bis 10.03.1999 auf und forderte von dem Kläger die in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen von 2.850,34 DM zurück. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus: Er habe Wert auf die Vermittlung eines regulären Arbeitsverhältnisses gelegt. In einer Arbeitnehmerüberlassungsfirma habe er nicht arbeiten wollen, weil er den alsbaldigen Verlust des Arbeitsplatzes gefürchtet habe. Er habe sich intensiv um Arbeit bemüht. Er habe viele Bewerbungen ge schrieben und zu Ende Januar schon einige Vorstellungstermine gehabt. Anfang Februar habe ihn seine Arbeitsberaterin vor einer möglichen Sperrzeit gewarnt. Er habe um einen Monat Zeit gebeten, eine normale Arbeit zu finden. Dies habe ihm die Arbeitsberaterin Frau N zugesagt. Er habe dann auch nicht soviele Angebote vom Arbeitsamt erhalten. Drei Tage später habe er einen Vorstellungstermin bei seinem jetzigen Arbeitgeber gehabt. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung vertrat er die Auffassung, dass die Vermittlung in Leiharbeitsfirmen erst nach längerer Arbeitslosigkeit zumutbar sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 31.05.1999 Klage beim Sozialgericht in Düsseldorf erhoben. Er hat vorgetragen: Die Arbeit habe er nicht nur wegen der untertariflichen Bezahlung abgelehnt, sondern insbesondere wegen des Umstandes, dass es sich um eine Zeitarbeitsfirma gehandelt habe. Selbst seine Arbeitsberaterin habe ihm einen Monat Zeit zugestanden, um eine "normale" Arbeit zu finden. Innerhalb dieser Frist habe er eine Arbeit gefunden, die er auch zur Zeit noch innehabe.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 13.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.05.1999 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten.

Mit Urteil vom 07.04.2000 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es wörtlich ausgeführt:

"Die Beklagte war nicht berechtigt, gegen den Kläger eine Sperrzeit festzusetzen.

Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Allerdings hat der Kläger die ihm von der Beklagten angebotene Tätigkeit bei der Firma A GmbH nicht angenommen, weil keine Übereinstimmung zum Lohn erzielt worden ist. Gleichwohl hat er hiermit nicht den Tatbestand einer Sperrzeit erfüllt.

Die Verhängung einer Sperrzeit scheidet aus, weil es sich bei dem Arbeitsangebot (Firma A GmbH) um kein für den Kläger zu diesem Zeitpunkt zumutbares Arbeitsangebot handelte. In einem solchen Fall besteht für die Ablehnung der Arbeit ein wichtiger Grund (vgl. Niesel, a.a.O., Rdnr. 55).

Das Arbeitsangebot war vorliegend für den Kläger unzumutbar, weil die Tätigkeit nicht im Rahmen eines "regulären Beschäftigungsverhältnisses" ausgeübt werden sollte, sondern bei einem Zeitarbeitsunternehmen. Es handelte sich also um sogenannte Leiharbeit.

Allerdings folgt das Gericht nicht einer in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung, die generell die Vermittlung in Leiharbeit als unzumutbar ansieht (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand November 1997, Rdnr. 129 zu § 144 SGB III; SG Münster, Urteil vom 13.03.1990 - S 14 (3) Ar 180/88 - Info also 1990, Seite 148 ff; SG Hannover, Urteil vom 14.09.1993 - S 31 Ar 661/92 - Info also 1994 Seite 132 ff). Dieser pauschale Ansatz übersieht, dass das Gesetz zwischen regulären Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeitsverhältnissen nicht unterscheidet. Bei Leiharbeitsverhältnissen handelt es sich um legale Arbeitsrechtsverhältnisse, die bei einer Vielzahl von Arbeitslosen, nämlich insbesondere Langzeitarbeitslosen, als die einzige Möglichkeit erscheint, diese wieder dem Arbeitsmarkt zuzuführen.

Andererseits hat die o. g. Rechtsprechung zutreffend herausgearbeitet, dass Leiharbeit arbeitsmarktpolitisch und sozialpolitisch umstritten ist, so dass es durchaus gerechtfertigt erscheint, diese als "ein Arbeitsverhältnis minderer Qualität und minderen Rechts" zu beschreiben (so SG Hannover, a.a.O.). Dies bedeutet, dass bei Vermittlung in Leiharbeit eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden muss. Hierbei ist z. B. zu beachten, ob der Arbeitgeber schon einmal im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auffällig geworden ist (hier liegen diesbezüglich keine Anhaltspunkte vor). Darüber hinaus ist die Dauer der Arbeitslosigkeit des betreffenden Arbeitslosen zu beachten, die Erfolgslosigkeit der Vermittlung in ein reguläres Arbeitsverhältnis und die Aussichten, in dem gewünschten Berufsbereich ein auf längere Zeit angelegtes reguläres Arbeitsverhältnis einzugehen. Dabei dürften sich die Anforderungen an die Zumutbarkeit mit wachsender Dauer der Arbeitslosigkeit verringern (so ausdrücklich LSG Niedersachsen, Urteil vom 30.05.1995 - L 7 Ar 322/93 - Info also 1996, Seite 70 ff, 72; im Ergebnis ebenso: SG Düsseldorf, Urteil vom 06.12.1994 - S 17 AR 234/93; SG Düsseldorf, Urteil vom 23.06.1997 - S 19 Ar 211/95 -).

Nach diesen Maßstäben war das Angebot bei einer Leiharbeitsfirma zu arbeiten, zu diesem Zeitpunkt für den Kläger nicht zumutbar. Noch vor Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen für den hier in Rede stehenden Versicherungsfall, nämlich bereits am 14.01.1999, wurde dem Kläger das Angebot unterbreitet, bei einer Leiharbeitsfirma zu arbeiten. Ein Versuch, den Kläger in ein sogenanntes reguläres Arbeitsverhältnis zu vermitteln, ist überhaupt nicht unternommen worden. Es ist auch erwiesen, dass die Vermittlung des Klägers in ein reguläres Arbeitsverhältnis alsbald möglich war. Der Kläger hat nämlich seit dem 11.03.1999 eine solche Arbeit inne.

"Angesichts dieser Umstände war zu dem gegebenen Zeitpunkt das Angebot eines Leiharbeitsverhältnisses unzumutbar."

Gegen dieses ihr am 03.05.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 02.06.2000 eingegangene Berufung der Beklagten. Sie vertritt weiterhin die Auffassung: Der Kläger habe für sein Verhalten keinen wichtigen Grund gehabt. Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts stelle die Vermittlung in Leiharbeit keinen solchen dar. Die Auffassung des Sozialgerichts sei nicht mehr zeitgemäß. Diese Auffassung möge vielleicht bis zum Jahr 1995 Gültigkeit gehabt haben, inzwischen habe sich aber der Anteil der Zeitarbeit mehr als verdreifacht. Ca. 30 Prozent der beschäftigten Leiharbeitnehmer würden nach vier Monaten von den Entleihern in eine Festanstellung übernommen. Insofern biete die Arbeitnehmerüberlassung nicht nur für Langzeitarbeitslose einen dauerhaften beruflichen Einstieg, sondern selbst für Berufsanfänger. Die Aufwertung der Zeitarbeit in den vergangenen Jahren werde auch durch den Umgang des Gesetzgebers mit diesem Thema verdeutlicht. Seit Inkrafttreten des Arbeitnehmerüberlassungs-Gesetzes im Jahre 1972 seien die gesetzlichen Vorschriften mehrfach modifiziert worden und hätten der Zeitarbeitsbranche größere Spielräume gebracht. Zunehmend würden zwischen Arbeitnehmerüberlassern und Interessenvertretungen der Arbeitnehmer Tarifverträge abgeschlossen. Viele Arbeitnehmerüberlasser seien in einer Umbruchphase von einem reinen Zeitarbeitsunternehmen hin zu einem Anbieter von Personaldienstleistungsprodukten. Zeitarbeit sei keine Konkurrenz zu "regulären" Beschäftigungsverhältnissen. Sie habe vielmehr eine ergänzende und regulierende Funktion für den Arbeitsmarkt und sei ein wichtiges Instrument zur Begleitung des ohnehin unaufhaltsamen Strukturwandels der Erwerbsgesellschaft.

Ebenso wenig wie das Argument der Leiharbeitsfirma rechtfertige der angebotene Stundenlohn eine Ablehnung des Arbeitsangebotes. Der dem Kläger angebotene Stundenlohn habe 18,50 DM betragen. Ein Stellenangebot in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit sei nur dann unzumutbar, wenn der daraus erzielte Lohn um mehr als 20 Prozent niedriger sei, als das der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrundeliegende Arbeitsentgelt, § 121 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Dies seien im Fall des Klägers 19,20 DM gewesen. Das Arbeitsangebot der Beklagten sei also auch in Bezug auf die Lohnhöhe zumutbar gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.04.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren noch keinen konkreten Klageantrag gestellt. Der Senat geht von dem Antrag aus, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten lagen bei der Entscheidungsfindung durch den Senat vor.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Hierüber konnte der Senat durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Auf diese Möglichkeit sind die Beteiligten hingewiesen worden.

Der Senat hat dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts nichts hinzuzufügen. Er hält es in der Begründung und im Ergebnis nach eigener Überzeugung und Überprüfung in vollem Umfang für zutreffend. Es wird deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Argumente der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 26.06.2000 gehen an der Sache vorbei. Das Sozialgericht hat nicht etwa die Zumutbarkeit eines Angebotes einer Zeitarbeitsfirma in Frage gestellt, wie die Beklagte vorträgt. Der Senat teilt vielmehr die Auffassung der Beklagten, dass sich die Zeiten gewandelt haben und man das Angebot der Beklagten, eine Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma anzunehmen, nicht mehr als unzumutbar ansehen kann. Dies hat das Sozialgericht im übrigen selbst klar zum Ausdruck gebracht, wie sich aus Seite 5 des angefochtenen Urteils deutlich ergibt. Entscheidend war vielmehr die Situation im Einzelfall. Der Kläger hat am 15.01.1999, zu einem Zeitpunkt, als er überhaupt noch keine Leistungen der Beklagten wegen der Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung erhielt, das fragliche Angebot ausgeschlagen. Er befand sich im ersten Monat der Arbeitssuche und ihm wurde nach eigenen Angaben selbst von seiner Arbeitsberaterin klar gemacht, dass die Annahme eines Zeitarbeitsvertrages heutzutage zumutbar sei und er nach Ablauf eines Monats erfolgloser Arbeitssuche ein entsprechen des Angebot auch annehmen müsse. Der Senat hält diese Auskunft für sachgerecht, ja man kann sogar darüber diskutieren, ob sie nicht zu knapp bemessen ist. Die Sachbearbeiterin hat zur Überzeugung des Senats jedenfalls sachgerecht und Einzelfall bezogen sowohl die Situation des Klägers als auch die der Versichertengemeinschaft berücksichtigt. Der Senat ist generell der Auffassung, deshalb bedurfte es der Vernehmung von Frau N nicht, dass jedenfalls im ersten Monat der Arbeitslosigkeit die Ablehnung eines Leiharbeitsverhältnisses bei gleichzeitig nachgewiesener eigener Arbeitssuche nicht als grundlos im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesehen werden kann (vgl. Niesel in SGB III, § 144, Rdnr. 89). Im zweiten Monat seiner Arbeitslosigkeit war die eigene Arbeitssuche erfolgreich. Der Kläger hat sich selbst eine Arbeitsstelle verschafft, die er offenbar bis heute innehat.

Wenn aber der Kläger im ersten Monat seiner Arbeitslosigkeit die Annahme einer Arbeit bei einer Leiharbeitsfirma ausschlagen durfte, dann kommt es nicht darauf an, dass sich die Höhe des angebotenen Stundenlohns im Rahmen der Zumutbarkeitsgrenze des § 121 Abs. 3 SGB III gehalten hat. Die Berufung der Beklagten konnte somit im Ergebnis keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil im Falle einer Entscheidung durch Urteil die Revision ebenfalls nicht zuzulassen gewesen wäre, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Es geht im vorliegenden Fall insbesondere nicht um die generelle Frage der Zumutbarkeit von Leiharbeitsplatzangeboten, sondern um die Beurteilung des Verhaltens der Klägerin im konkreten Einzelfall.
Rechtskraft
Aus
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