Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (14) KA 33/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 136/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.1998 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Honorarfestsetzung für die Quartale III und IV/1995 auf der Grundlage des nach den Regelungen der Beklagten zur Mengenzuwachsbegrenzung gemäß §§ 4 und 6 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) berechneten individuellen Punktwertes.
Die Klägerin ist seit dem ersten Quartal 1994 als Augenärztin in M. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ihre Honorare für die genannten Quartale setzte die Beklagte mit Bescheiden vom 05.01.1996 und 03.04.1996 auf der Basis eines gemäß § 4 und 6 HVM abgesenkten individuellen Punktwertes fest, woraus Minderungen des Honorars von DM 12.826,33 und DM 10.995,22 resultierten. Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Widersprüche machte die Klägerin geltend, im Anfang ihrer augenärztlichen Tätigkeit seien ihr sicherlich Berechnungsfehler unterlaufen; sie habe es versäumt, ihre ärztlichen Leistungen im vollem Umfange abzurechnen. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, daß ihr jetzt aufgrund der Mengenzuwachsbegrenzung erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstünden. Weiterhin sei zu beachten, daß die von ihr abgerechneten Fallwerte deutlich unterhalb des Durchschnitts lägen.
Nach den von der Vertreterversammlung im Anschluß an die Entscheidungen des Senates vom 10.01.1996 am 09.03.1996 beschlossenen Änderungen der Regelungen zur Mengenzuwachsbegrenzung hat die Beklagte mit Bescheid vom 26.10.1996 die Bescheide vom 09.03.1996 dahingehend abgeändert, daß die Ziffer 1219 als Innovation anzuerkennen sei. Sie hat der Klägerin einen Betrag in Höhe von DM 906,27 erstattet.
Der Vorstand der Beklagten wies die Widersprüche (im übrigen) mit Bescheid vom 21.01.1997 zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, die von der Klägerin geschilderte Problematik, erbrachte Leistungen nicht zutreffend bzw. nicht vollständig abgerechnet zu haben, könne sie im Bereich der Mengenzuwachsbegrenzung nicht entlasten. Sie habe die sachliche Richtigkeit ihrer Vierteljahresabrechnungen bestätigt und ihre Angaben seien daher als zutreffend unterstellt und zur Grundlage aller weiterer Berechnungen gemacht worden.
Zur Begründung ihrer vor dem SG Dortmund erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit sei durch die Regelungen in §§ 4, 6 HVM verletzt. Es sei bereits nicht erklärlich, wenn eine Kürzung bei Ärzten vorgenommen werde, die im Fallwert unter dem Durchschnitt der fachärztlichen Kollegen lägen. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß sie die Praxis erst im Jahre 1994 übernommen habe, jedoch eine nahtlose Praxisübernahme nicht mehr möglich gewesen sei, da der Vorgänger bereits im August 1993 verstorben sei. Insbesondere unter diesem Gesichtspunkt müsse man während eines Zeitraumes von drei bis fünf Jahren von einer Anfängerpraxis im Sinne der Honorarverteilung ausgehen. Anfängerpraxen würden durch die streitigen HVM-Regelungen gleich mehrfach benachteiligt. Ihnen werde eine zu geringe Menge (nämlich die des Vorjahresquartals) zugemessen. Weiterhin werde der Durchschnittswert auf einer Basis angenommen, der bezogen auf Praxen mit hohen Abrechnungswerten zutreffend sein möge, bei niedrigen Fallzahlen aber völlig insuffizient sei und dem Anfänger noch nicht einmal der Durchschnittswert der zu übernehmenden Praxis zugebilligt werde. Letztlich liege eine grobe Benachteiligung der Arztgruppe der Praxisanfänger darin, daß sie keinerlei Möglichkeit habe, innerhalb der Vertreterversammlung der Beklagten repräsentativ vertreten zu sein.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal III/1995 in der Fassung des Bescheides vom 26.10.1996 sowie unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal IV/1995 sämtlich in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.1997 zu verurteilen, über ihre entsprechender Honoraransprüche erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 16.07.1998 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen auf die Rechtsprechung des Senats verwiesen.
Mit ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, das erste Jahr der Niederlassung könne allein nicht als solide Grundlage herangezogen werden. Der Status einer Anfängerpraxis müsse deshalb länger andauern. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein noch unerfahrener Arzt in diesem Zeitraum nicht alle Leistungen abgerechnet habe. Auch wenn die unterlassene Abrechnung grundsätzlich zwar unerheblich sei, müsse dieser Umstand aber bei einem Praxisanfänger Berücksichtigung finden. Weiterhin stelle sich für den Praxisanfänger die Problematik, daß er zuerst das Vertrauen seiner Patienten erwerben müsse. Dabei gebe es unterschiedliche Vorgehensweisen. Die einen würden sofort mit einem Maximum an Diagnostik versuchen, sich ein Bild zu verschaffen. Die anderen würden es bevorzugen, zunächst eine Weile zu beobachten und dann die notwendigen Therapien zu veranlassen. Auch daraus ergebe sich eine Verpflichtung, eine Praxis für den Zeitraum von mindestens drei Jahren als Anfängerpraxis im Sinne des HVM zu behandeln.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.1998 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die als zutreffend erachteten Gründe des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Beteiligtenvorbringens, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig.
Die Honorarfestsetzung auf der Grundlage eines individuellen Punktwertes beruht entgegen der Auffassung der Klägerin auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die in ihrer zeitlichen Geltung auf die Dauer der Budgetierung der Gesamtvergütungen nach § 85 Abs. 3 lit. a) SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2266) beschränkten Regelungen der Beklagten zur Mengenzuwachsbegrenzung setzen unter teilweiser Modifikation des Prinzips der punktwertgleichen Honorierung die Begrenzung des Mengenzuwachses auf der Makroebene (Zahlung der Gesamtvergütungen) auf der Mikroebene (Verteilung der Gesamtvergütungen) um. Dabei erweist sich das Anknüpfen an die Werte des Vorjahresquartales (sog. Eigenvergleich) als sachgerechte und geeignete Methode, die angesichts hinreichend differenzierender Regelungen im Rahmen des dem Normgeber zuzugestehenden Gestaltungsspielraum nicht zu beanstanden und mit höherrangigem Recht, insbesondere den Grundrechten aus Art. 12 und 3 Grundgesetz, zu vereinbaren ist. Dies hat der Senat für die von der Beklagten getroffenen Regelungen zur Mengenzuwachsbegrenzung in den bis 31.12.1995 geltenden Fassungen - abgesehen von den mit der Neufassung des HVM vom 09.03.1996 behobenen Mängeln - in mehreren Entscheidungen festgestellt und ausführlich begründet (Urteile vom 10.01.1996 - L 11 Ka 98/94, 113/95 und 176/95 -). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat deshalb auf seine Ausführungen in den genannten, den Beteiligten bekannten Entscheidungen Bezug. Bestätigt sieht sich der Senat in seiner Einschätzung der Rechtslage auch durch mehrere nachgehende Entscheidungen des Bundessozialgerichts, in denen andere mengenbegrenzende Regelungen ebenfalls für unbedenklich erachtet worden sind (vgl. für die sogenannte Punktwertdegression für vertragszahnärztliche Leistungen gemäß § 85 Abs. 4 lit. b) SGB V: Urteile vom 14.05.1997 - 6 RKa 25/96, 29/96, 30/96, 49/96 und 50/96 -; für die sogenannten Praxisbudgets für Laborleistungen des Abschnitts O I EBM: Urteile vom 29.01.1997 - 6 RKa 3/96, 4/96 und 18/96 - und vom 20.03.1996 - 6 RKa 51/95 - ).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung ihrer Leistungen nach einem höheren Grenzwert, aufgrund einer über vier Quartale hinausgehenden Anwendung der im HVM der Beklagten getroffenen Regelung bezüglich Praxisanfänger.
Der von ihr behauptete Sachverhalt, sie habe in den maßgeblichen Vorjahresquartalen zu ihrem Nachteil zu geringe Honorarforderungen abgerechnet, ist weder unter die in §§ 5 bzw. 4 HVM geregelten Sachverhalte, in denen eine von der Honorarfestsetzung des Vorjahresquartales abweichende Grenzwertbestimmung in Betracht kommt (Praxisinnovationen, längere Abwesenheit des Vertragsarztes, Praxisanfänger), zu subsumieren, noch besteht die Möglichkeit einer analogen Anwendung dieser Ausnahmebestimmungen. Dem steht bereits entgegen, daß es sich bei den genannten Ausnahmebestimmungen ersichtlich um abschließende Regelungen handelt.
Die Mengenzuwachsbegrenzungsregelungen der Beklagten sind auch nicht deshalb zu beanstanden, weil eine entsprechende Ausnahmeregelung für den Fall, daß ein Vertragsarzt im maßgeblichen Vorjahresquartal zu seinem Nachteil in nennenswertem Umfang zu geringe Honorarforderungen gestellt hat, nicht vorgesehen ist. Denn insoweit handelt es sich, auch wenn man die Richtigkeit eines derartigen Sachverhaltes unterstellt, nach Auffassung des Senats um völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegende Ausnahmefälle, für die die Beklagte als Normgeber eine Sonderregelung nicht vorsehen mußte. Denn der Normgeber ist nicht gehalten, für alle hypothetischen Fallkonstellationen Sonderregelungen zu treffen. Prüfungsmaßstab ist insoweit, wie das Bundessozialgericht ausgeführt hat (Urteil vom 12.10.1994 - 6 RKa 24/94 -), Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ist abzuleiten, daß eine Berufsausübungsregelung nicht nur den allgemein bei Eingriffen in die Berufsfreiheit zu beachtenden Grundsätzen der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit genügen, sondern darüber hinaus in ihrer Ausgestaltung die Unterschiede berücksichtigen muß, die typischerweise innerhalb der betroffenen Berufsgruppe bestehen. Eine unzulässige Gleich- bzw. Ungleichbehandlung kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) vorliegen, wenn durch eine Honorarverteilungsvorschrift, die im ganzen den Anforderungen des Art. 12 Grundgesetz entspricht, nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern Ärzte mit einem typischen, wenn auch nur in begrenzter Zahl anzutreffenden Leistungsspektrum ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet werden. Der von der Klägerin behauptete Sachverhalt stellt jedoch keine typische Besonderheit einer Gruppe von Vertragsärzten dar, sondern einen völlig aus dem Rahmen fallenden Sonderfall. Darüber hinaus müssen die Bestimmungen der Honorarverteilungsmaßstäbe praktikable und damit notwendigerweise pauschale Regelungen treffen, die nicht alle individuellen Besonderheiten berücksichtigen können, weshalb sich der Normgeber, insbesondere im Anfangsstadium einer Regelung, mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf (BSG a.a.O.).
Eine Sonderregelung für den von der Klägerin behaupteten Sachverhalt würde zudem elementaren Grundsätzen des Vertragsarztrechts widersprechen. Soweit Regelungen wie die Mengenzuwachsbegrenzungsbestimmungen im HVM der Bekagten im Grundsatz zutreffend auf Vorjahresquartale abstellen, ist es vielmehr geboten, die bestandskräftig festgestellten Honoraransprüche zugrunde zu legen. Dies folgt bereits aus der Bindungswirkung (§ 77 SGG), die sich aus der Bestandskraft der Honorarbescheide für die Vorjahresquartale ergibt. Darüber hinaus begegnet es erheblichen Bedenken, die Angaben des Vertragsarztes für das Vorjahresquartal, insbesondere seine Erklärung über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung, zu negieren. Denn zu den wesentlichen Pflichten des Vertragsarztes gehört vor allem auch eine ordnungsgemäße und vollständige Dokumentation und Abrechung aller erbrachten Leistungen. Eine Regelung vorzusehen, die von der Verletzung dieser Pflichten ausgeht, ist entgegen der Auffassung der Klägerin deshalb keineswegs geboten. Das Anknüpfen an die Werte des maßgeblichen Vorjahresquartales stellt sich deshalb auch nicht als Bestrafung, sondern als das Anknüpfen an objektive und vom Vertragsarzt selbst gesetzte Tatsachen dar.
Zu berücksichtigen ist ferner, daß eine den Vorstellungen der Klägerin entsprechende Regelung in nicht vertretbarer Weise Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen würde. Daß und in welcher Höhe in der Vergangenheit aber tatsächlich höhere Honoraranforderungen berechtigt gewesen wären, wäre - wenn überhaupt - mit nicht vertretbarem Aufwand zu überprüfen. Wollte man aber bei einem erheblichen Leistungsmengenzuwachs eines zuvor unterdurchschnittlich abrechnenden Vertragsarztes die Behauptung, auch schon in den maßgeblichen Vorjahresquartalen zu höheren Honoraranforderungen berechtigt gewesen zu sein, für die Annahme der Erforderlichkeit einer Sonderregelung ausreichen lassen, würde dies jedem Arzt die Möglichkeit eröffnen, die Grenzwertbestimmung außer Kraft zu setzen.
Eine über einen längeren Zeitraum als im HVM der Beklagten vorgesehene Anwendung der Regelung bezüglich der Praxisanfänger kann sich auch nicht daraus ergeben, daß - wie die Klägerin behauptet - ein Praxisanfänger eine über vier Quartale hinausgehende Zeit benötigt, um das Vertrauen seiner Patienten zu gewinnen. Zwar ist der Klägerin beizupflichten, daß noch nicht so lange Zeit niedergelassene Ärzte bei der Diagnostik und Therapie unterschiedlich vorgehen. Dies ist aber nicht allein eine Besonderheit, die auf die geringe Erfahrung des kurzfristig niedergelassenen Arztes zurückzuführen ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein von der Persönlichkeitsstruktur des jeweiligen Arztes abhängendes unterschiedliches Verhalten, was auch bei Ärzten anzutreffen ist, die bereits seit vielen Jahren niedergelassen sind. Selbst wenn man aber davon ausgehen könnte, daß gerade bei Praxisanfängern eine bezüglich Diagnostik und Therapie besonders unterschiedliche Vorgehensweise vorhanden ist, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn dies ist ein Umstand, der allein - wie auch bei langjährig niedergelassenen Vertragsärzten - die Frage betrifft, ob die Behandlung den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entspricht. Art und Weise der diagnostischen und therapeutischen Leistungen des Vertragsarztes bestimmen sich gemäß § 12 Abs. 1 SGB V allein danach, ob sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind; sie dürfen das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dürfen die Leistungserbringer (Vertragsärzte) nicht bewirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und die Rechtssache hat, da die angegriffene Regelung nicht mehr besteht, auch keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Honorarfestsetzung für die Quartale III und IV/1995 auf der Grundlage des nach den Regelungen der Beklagten zur Mengenzuwachsbegrenzung gemäß §§ 4 und 6 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) berechneten individuellen Punktwertes.
Die Klägerin ist seit dem ersten Quartal 1994 als Augenärztin in M. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Ihre Honorare für die genannten Quartale setzte die Beklagte mit Bescheiden vom 05.01.1996 und 03.04.1996 auf der Basis eines gemäß § 4 und 6 HVM abgesenkten individuellen Punktwertes fest, woraus Minderungen des Honorars von DM 12.826,33 und DM 10.995,22 resultierten. Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Widersprüche machte die Klägerin geltend, im Anfang ihrer augenärztlichen Tätigkeit seien ihr sicherlich Berechnungsfehler unterlaufen; sie habe es versäumt, ihre ärztlichen Leistungen im vollem Umfange abzurechnen. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, daß ihr jetzt aufgrund der Mengenzuwachsbegrenzung erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstünden. Weiterhin sei zu beachten, daß die von ihr abgerechneten Fallwerte deutlich unterhalb des Durchschnitts lägen.
Nach den von der Vertreterversammlung im Anschluß an die Entscheidungen des Senates vom 10.01.1996 am 09.03.1996 beschlossenen Änderungen der Regelungen zur Mengenzuwachsbegrenzung hat die Beklagte mit Bescheid vom 26.10.1996 die Bescheide vom 09.03.1996 dahingehend abgeändert, daß die Ziffer 1219 als Innovation anzuerkennen sei. Sie hat der Klägerin einen Betrag in Höhe von DM 906,27 erstattet.
Der Vorstand der Beklagten wies die Widersprüche (im übrigen) mit Bescheid vom 21.01.1997 zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, die von der Klägerin geschilderte Problematik, erbrachte Leistungen nicht zutreffend bzw. nicht vollständig abgerechnet zu haben, könne sie im Bereich der Mengenzuwachsbegrenzung nicht entlasten. Sie habe die sachliche Richtigkeit ihrer Vierteljahresabrechnungen bestätigt und ihre Angaben seien daher als zutreffend unterstellt und zur Grundlage aller weiterer Berechnungen gemacht worden.
Zur Begründung ihrer vor dem SG Dortmund erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit sei durch die Regelungen in §§ 4, 6 HVM verletzt. Es sei bereits nicht erklärlich, wenn eine Kürzung bei Ärzten vorgenommen werde, die im Fallwert unter dem Durchschnitt der fachärztlichen Kollegen lägen. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß sie die Praxis erst im Jahre 1994 übernommen habe, jedoch eine nahtlose Praxisübernahme nicht mehr möglich gewesen sei, da der Vorgänger bereits im August 1993 verstorben sei. Insbesondere unter diesem Gesichtspunkt müsse man während eines Zeitraumes von drei bis fünf Jahren von einer Anfängerpraxis im Sinne der Honorarverteilung ausgehen. Anfängerpraxen würden durch die streitigen HVM-Regelungen gleich mehrfach benachteiligt. Ihnen werde eine zu geringe Menge (nämlich die des Vorjahresquartals) zugemessen. Weiterhin werde der Durchschnittswert auf einer Basis angenommen, der bezogen auf Praxen mit hohen Abrechnungswerten zutreffend sein möge, bei niedrigen Fallzahlen aber völlig insuffizient sei und dem Anfänger noch nicht einmal der Durchschnittswert der zu übernehmenden Praxis zugebilligt werde. Letztlich liege eine grobe Benachteiligung der Arztgruppe der Praxisanfänger darin, daß sie keinerlei Möglichkeit habe, innerhalb der Vertreterversammlung der Beklagten repräsentativ vertreten zu sein.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal III/1995 in der Fassung des Bescheides vom 26.10.1996 sowie unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal IV/1995 sämtlich in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.1997 zu verurteilen, über ihre entsprechender Honoraransprüche erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 16.07.1998 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen auf die Rechtsprechung des Senats verwiesen.
Mit ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, das erste Jahr der Niederlassung könne allein nicht als solide Grundlage herangezogen werden. Der Status einer Anfängerpraxis müsse deshalb länger andauern. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein noch unerfahrener Arzt in diesem Zeitraum nicht alle Leistungen abgerechnet habe. Auch wenn die unterlassene Abrechnung grundsätzlich zwar unerheblich sei, müsse dieser Umstand aber bei einem Praxisanfänger Berücksichtigung finden. Weiterhin stelle sich für den Praxisanfänger die Problematik, daß er zuerst das Vertrauen seiner Patienten erwerben müsse. Dabei gebe es unterschiedliche Vorgehensweisen. Die einen würden sofort mit einem Maximum an Diagnostik versuchen, sich ein Bild zu verschaffen. Die anderen würden es bevorzugen, zunächst eine Weile zu beobachten und dann die notwendigen Therapien zu veranlassen. Auch daraus ergebe sich eine Verpflichtung, eine Praxis für den Zeitraum von mindestens drei Jahren als Anfängerpraxis im Sinne des HVM zu behandeln.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.1998 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die als zutreffend erachteten Gründe des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Beteiligtenvorbringens, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig.
Die Honorarfestsetzung auf der Grundlage eines individuellen Punktwertes beruht entgegen der Auffassung der Klägerin auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die in ihrer zeitlichen Geltung auf die Dauer der Budgetierung der Gesamtvergütungen nach § 85 Abs. 3 lit. a) SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2266) beschränkten Regelungen der Beklagten zur Mengenzuwachsbegrenzung setzen unter teilweiser Modifikation des Prinzips der punktwertgleichen Honorierung die Begrenzung des Mengenzuwachses auf der Makroebene (Zahlung der Gesamtvergütungen) auf der Mikroebene (Verteilung der Gesamtvergütungen) um. Dabei erweist sich das Anknüpfen an die Werte des Vorjahresquartales (sog. Eigenvergleich) als sachgerechte und geeignete Methode, die angesichts hinreichend differenzierender Regelungen im Rahmen des dem Normgeber zuzugestehenden Gestaltungsspielraum nicht zu beanstanden und mit höherrangigem Recht, insbesondere den Grundrechten aus Art. 12 und 3 Grundgesetz, zu vereinbaren ist. Dies hat der Senat für die von der Beklagten getroffenen Regelungen zur Mengenzuwachsbegrenzung in den bis 31.12.1995 geltenden Fassungen - abgesehen von den mit der Neufassung des HVM vom 09.03.1996 behobenen Mängeln - in mehreren Entscheidungen festgestellt und ausführlich begründet (Urteile vom 10.01.1996 - L 11 Ka 98/94, 113/95 und 176/95 -). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat deshalb auf seine Ausführungen in den genannten, den Beteiligten bekannten Entscheidungen Bezug. Bestätigt sieht sich der Senat in seiner Einschätzung der Rechtslage auch durch mehrere nachgehende Entscheidungen des Bundessozialgerichts, in denen andere mengenbegrenzende Regelungen ebenfalls für unbedenklich erachtet worden sind (vgl. für die sogenannte Punktwertdegression für vertragszahnärztliche Leistungen gemäß § 85 Abs. 4 lit. b) SGB V: Urteile vom 14.05.1997 - 6 RKa 25/96, 29/96, 30/96, 49/96 und 50/96 -; für die sogenannten Praxisbudgets für Laborleistungen des Abschnitts O I EBM: Urteile vom 29.01.1997 - 6 RKa 3/96, 4/96 und 18/96 - und vom 20.03.1996 - 6 RKa 51/95 - ).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung ihrer Leistungen nach einem höheren Grenzwert, aufgrund einer über vier Quartale hinausgehenden Anwendung der im HVM der Beklagten getroffenen Regelung bezüglich Praxisanfänger.
Der von ihr behauptete Sachverhalt, sie habe in den maßgeblichen Vorjahresquartalen zu ihrem Nachteil zu geringe Honorarforderungen abgerechnet, ist weder unter die in §§ 5 bzw. 4 HVM geregelten Sachverhalte, in denen eine von der Honorarfestsetzung des Vorjahresquartales abweichende Grenzwertbestimmung in Betracht kommt (Praxisinnovationen, längere Abwesenheit des Vertragsarztes, Praxisanfänger), zu subsumieren, noch besteht die Möglichkeit einer analogen Anwendung dieser Ausnahmebestimmungen. Dem steht bereits entgegen, daß es sich bei den genannten Ausnahmebestimmungen ersichtlich um abschließende Regelungen handelt.
Die Mengenzuwachsbegrenzungsregelungen der Beklagten sind auch nicht deshalb zu beanstanden, weil eine entsprechende Ausnahmeregelung für den Fall, daß ein Vertragsarzt im maßgeblichen Vorjahresquartal zu seinem Nachteil in nennenswertem Umfang zu geringe Honorarforderungen gestellt hat, nicht vorgesehen ist. Denn insoweit handelt es sich, auch wenn man die Richtigkeit eines derartigen Sachverhaltes unterstellt, nach Auffassung des Senats um völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegende Ausnahmefälle, für die die Beklagte als Normgeber eine Sonderregelung nicht vorsehen mußte. Denn der Normgeber ist nicht gehalten, für alle hypothetischen Fallkonstellationen Sonderregelungen zu treffen. Prüfungsmaßstab ist insoweit, wie das Bundessozialgericht ausgeführt hat (Urteil vom 12.10.1994 - 6 RKa 24/94 -), Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ist abzuleiten, daß eine Berufsausübungsregelung nicht nur den allgemein bei Eingriffen in die Berufsfreiheit zu beachtenden Grundsätzen der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit genügen, sondern darüber hinaus in ihrer Ausgestaltung die Unterschiede berücksichtigen muß, die typischerweise innerhalb der betroffenen Berufsgruppe bestehen. Eine unzulässige Gleich- bzw. Ungleichbehandlung kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) vorliegen, wenn durch eine Honorarverteilungsvorschrift, die im ganzen den Anforderungen des Art. 12 Grundgesetz entspricht, nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern Ärzte mit einem typischen, wenn auch nur in begrenzter Zahl anzutreffenden Leistungsspektrum ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet werden. Der von der Klägerin behauptete Sachverhalt stellt jedoch keine typische Besonderheit einer Gruppe von Vertragsärzten dar, sondern einen völlig aus dem Rahmen fallenden Sonderfall. Darüber hinaus müssen die Bestimmungen der Honorarverteilungsmaßstäbe praktikable und damit notwendigerweise pauschale Regelungen treffen, die nicht alle individuellen Besonderheiten berücksichtigen können, weshalb sich der Normgeber, insbesondere im Anfangsstadium einer Regelung, mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf (BSG a.a.O.).
Eine Sonderregelung für den von der Klägerin behaupteten Sachverhalt würde zudem elementaren Grundsätzen des Vertragsarztrechts widersprechen. Soweit Regelungen wie die Mengenzuwachsbegrenzungsbestimmungen im HVM der Bekagten im Grundsatz zutreffend auf Vorjahresquartale abstellen, ist es vielmehr geboten, die bestandskräftig festgestellten Honoraransprüche zugrunde zu legen. Dies folgt bereits aus der Bindungswirkung (§ 77 SGG), die sich aus der Bestandskraft der Honorarbescheide für die Vorjahresquartale ergibt. Darüber hinaus begegnet es erheblichen Bedenken, die Angaben des Vertragsarztes für das Vorjahresquartal, insbesondere seine Erklärung über die Richtigkeit und Vollständigkeit der Abrechnung, zu negieren. Denn zu den wesentlichen Pflichten des Vertragsarztes gehört vor allem auch eine ordnungsgemäße und vollständige Dokumentation und Abrechung aller erbrachten Leistungen. Eine Regelung vorzusehen, die von der Verletzung dieser Pflichten ausgeht, ist entgegen der Auffassung der Klägerin deshalb keineswegs geboten. Das Anknüpfen an die Werte des maßgeblichen Vorjahresquartales stellt sich deshalb auch nicht als Bestrafung, sondern als das Anknüpfen an objektive und vom Vertragsarzt selbst gesetzte Tatsachen dar.
Zu berücksichtigen ist ferner, daß eine den Vorstellungen der Klägerin entsprechende Regelung in nicht vertretbarer Weise Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen würde. Daß und in welcher Höhe in der Vergangenheit aber tatsächlich höhere Honoraranforderungen berechtigt gewesen wären, wäre - wenn überhaupt - mit nicht vertretbarem Aufwand zu überprüfen. Wollte man aber bei einem erheblichen Leistungsmengenzuwachs eines zuvor unterdurchschnittlich abrechnenden Vertragsarztes die Behauptung, auch schon in den maßgeblichen Vorjahresquartalen zu höheren Honoraranforderungen berechtigt gewesen zu sein, für die Annahme der Erforderlichkeit einer Sonderregelung ausreichen lassen, würde dies jedem Arzt die Möglichkeit eröffnen, die Grenzwertbestimmung außer Kraft zu setzen.
Eine über einen längeren Zeitraum als im HVM der Beklagten vorgesehene Anwendung der Regelung bezüglich der Praxisanfänger kann sich auch nicht daraus ergeben, daß - wie die Klägerin behauptet - ein Praxisanfänger eine über vier Quartale hinausgehende Zeit benötigt, um das Vertrauen seiner Patienten zu gewinnen. Zwar ist der Klägerin beizupflichten, daß noch nicht so lange Zeit niedergelassene Ärzte bei der Diagnostik und Therapie unterschiedlich vorgehen. Dies ist aber nicht allein eine Besonderheit, die auf die geringe Erfahrung des kurzfristig niedergelassenen Arztes zurückzuführen ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein von der Persönlichkeitsstruktur des jeweiligen Arztes abhängendes unterschiedliches Verhalten, was auch bei Ärzten anzutreffen ist, die bereits seit vielen Jahren niedergelassen sind. Selbst wenn man aber davon ausgehen könnte, daß gerade bei Praxisanfängern eine bezüglich Diagnostik und Therapie besonders unterschiedliche Vorgehensweise vorhanden ist, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn dies ist ein Umstand, der allein - wie auch bei langjährig niedergelassenen Vertragsärzten - die Frage betrifft, ob die Behandlung den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entspricht. Art und Weise der diagnostischen und therapeutischen Leistungen des Vertragsarztes bestimmen sich gemäß § 12 Abs. 1 SGB V allein danach, ob sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind; sie dürfen das Maß des notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dürfen die Leistungserbringer (Vertragsärzte) nicht bewirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und die Rechtssache hat, da die angegriffene Regelung nicht mehr besteht, auch keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
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