L 11 B 53/98 KA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 40/98 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 B 53/98 KA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 08.09.1998 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt durch einstweilige Anordnung, seine Tätigkeit als Vertragszahnarzt über den 01. Januar 1999 hinaus ausüben zu können.

Der Antragsteller ist am 27.06.1922 geboren und nach eigenen Angaben seit dem 01.04.1946 freiberuflich tätig. Zum 12.05.1947 wurde er als Dentist staatlich anerkannt (§ 123 RVO). Mit Beschluss des Schiedsamts für Zahnärzte und Dentisten beim Oberversicherungsamt M ... vom 29.01.1948 wurde er zur Tätigkeit bei den reichsgesetzlichen Kassen in A ... zugelassen, mit Beschluss desselben Schiedsamtes vom 20./21.09.1948 wurde die ordentliche Zulassung anerkannt. Am 18.03.1953 stimmte das Schiedsamt für Zahnärzte und Dentisten beim Oberversicherungsamt D ... der Verlegung der Kassenpraxis nach H ... zu. Dort ist der Antragsteller seitdem zahnärztlich tätig, seit dem 03.05.1953 aufgrund einer Bestallung als Zahnarzt. Der Zulassungsausschuß für Zahnärzte für den Regierungsbezirk D ... bestimmte unter dem 23.07.1958 für den Antragsteller den Kassenzahnarztsitz H ..., Kreis B ...

Einen vorsorglich gestellten Antrag auf Ermächtigung für die Zeit ab 01.01.1998 lehnten der Zulassungsausschuß für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen Lippe am 27.05.1998 und der Berufungsausschuß für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe unter dem 18.11.1998 ab. Hiergegen ist das Verfahren S 2 KA 56/98 Sozialgericht Münster anhängig. Unter dem 16.09.1998 stellt der Zulassungsausschuß das Ende der Zulassung des Antragstellers zum 31.12.1998 fest. Nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27.05.1997 ihn auf das Ende der Zulassung hingewiesen hatte, hat er unter dem Aktenzeichen 2 Ka 9/97 vor dem Sozialgericht Detmold gegen sie Klage erhoben.

Am 01.08.1998 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Detmold den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, daß er seine Tätigkeit als Vertragszahnarzt über den 01.01.1999 hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausüben dürfe. Dazu hat er die Auffassung vertreten, daß die ihm erteilte Altzulassung eine eigentumsmäßig verfestigte Rechtsposition beinhalte und auf Lebenszeit gelte. Die Regelungen des GSG und SGB V zur Einführung einer Altersgrenze seien insoweit verfassungswidrig, so daß es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bedürfe. Auch müsse eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolgen, weil die Altersgrenze gegen Europäisches Recht und den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit verstoße.

Mit Beschluss vom 08.09.1998 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Er sei bereits unzulässig, weil die Antragsgegnerin für die über den 01.01.1999 hinausgehende Zulassung als Vertragszahnarzt nicht zuständig sei. Der Antrag sei auch unbegründet. Es bestehe kein Anordnungsanspruch, weil die Regelungen des GSG und SGB V zur Altersgrenze verfassungsgemäß seien. Im Verfahren der einstweiligen Anordnung bestehe keine gerichtliche Vorlagepflicht.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Der Antragsteller verweist auf den besonderen Status der ihm erteilten "Alt-Kassenzulassung", die lebenslange Geltung habe und vom Gesetzgeber nicht vorzeitig beendet werden könne. Es handele sich hierbei um einen völlig unter schiedlichen Rechtsstatus gegenüber der normalen Zulassung als Vertragszahnarzt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze sei nicht einschlägig, weil das Bundesverfassungsgericht in der Sache nicht entschieden habe. In keinem anderen Staat der Europäischen Gemeinschaft gäbe es eine gesetzliche Altersgrenze für die Tätigkeit von Ärzten.

Der Antragsteller legt dar, daß er seine Praxis wirtschaftlich nicht verwerten könne, weil er keinen Nachfolger für seine u.a. auf die Betreuung von Risikopatienten und von Behinderten hochspezialisierte Praxis finde.

Die Antragsgegnerin hält die Beschwerde für unbegründet, weil der Antrag ihr gegenüber unzulässig sei.

Wegen der Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Da Sozialgericht hat bereits zutreffend den gegenüber der Antragsgegnerin gestellten Antrag auf einstweilige Regelung seiner weiteren Tätigkeit oder Zulassung als Vertragszahnarzt über den 01.01.1999 hinaus deswegen als unzulässig angesehen, weil die Antragsgegnerin dafür nicht zuständig ist. Für die Entscheidung über die Zulassung eines Arztes und gegebenenfalls über deren Fortbestand sind nach der Kompetenzordnung des Gesetzes ausschließlich die Zulassungsgremien berechtigt. Diese Kompetenzzuweisung kann nicht dadurch umgangen werden, daß die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung bei einem Arzt, der nicht oder nicht mehr zugelassen ist, dessen Mitgliedschaft feststellt (BSG vom 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R - Pressemitteilung Nr. 81/98).

Ein Antrag auf entsprechende Anordnung gegenüber den übrigen Verfahrensbeteiligten, die der Senat beigeladen hat, wäre auch unbegründet. Die Beiladung ist erfolgt wegen der Bindungswirkung dieser Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch gegenüber den Zulassungsgremien und den Krankenkassen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und an die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen dessen sumarischer Überprüfung zu stellen sind. Der Senat ist nach wie vor von der Verfassungsgemäßheit der Vorschriften des § 95 Abs. 7 SGB V, Art. 33 § 1 Satz 1 GSG überzeugt. Er schließt sich nach Überprüfung des Vorbringens des Antragsstellers seiner Entscheidung vom 03.12.1997 - L 11 KA 3/97 - an. Danach liegt kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz vor. Die Zulassungsbeschränkung durch eine Altersgrenze ist durch gewichtige Allgemeininteressen gerechtfertigt, die den Interessen der betroffenen Ärzte auf ungehinderte berufliche Entfaltung vorgehen. Sie dient der Finanzierbarkeit der Institution der gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei soll die Beschränkung der Vertragsarztzahlen nicht nur zu Lasten der jüngeren Ärzte erfolgen. Bei der Feststellung und Bewertung etwaiger der Allgemeinheit drohender Gefahren und hinsichtlich der Mittel zu ihrer Behebung hat der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Den ihm bei der Verfolgung sozialpolitischer Ziele eingeräumten Spielraum hat der Gesetzgeber hier nicht überschritten. Die Einschätzung, daß durch eine Begrenzung der Zulassungen einer weiteren Steigerung der Ausgabenbelastung und damit einer Gefährdung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung entgegengewirkt werden könne, fand in der Vergangenheit durch verschiedene gutachtliche Äußerungen zu den gesundheitsökonomischen Entwicklungen ihre Bestätigung und wird auch vom Bundessozialgericht geteilt (vgl. BSG SozR3 - 2500 § 98 Nr. 4 mit zahlreichen Nachweisen). Der Senat ist mit dem BSG der Überzeugung, daß sich die Verhältnisse im Bereich der ambulanten zahnärztlichen Versorgung nicht so wesentlich von der Situation im vertragsärztlichen Bereich unterscheiden, daß hier Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zulassungs-Altersgrenze bestehen könnten. Auch für den Zahnarztbereich durfte der Gesetzgeber in nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen, daß wachsende Ärztezahlen zu steigenden Leistungen und damit zu einem erhöhten Kostendruck auf die Krankenkassen führen (BSG aaO).

Zulassungsbeschränkungen sind damit grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um steigenden Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenzuwirken. Ob sie das am besten geeignet oder das zweckmäßigste Mittel sind, ist verfassungsrechtlich unerheblich.

Es bestand zur Einführung einer Altersgrenze auch keine Handlungsalternative, der der Gesetzgeber von Verfassungs wegen den Vorzug hätte geben müssen. Zwar sind eine Reihe anderer Maßnahmen zur Kostendämpfung denkbar. Der Gesetzgeber hat bereits vor dem GSG durch eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen versucht, der anhaltenden Kostensteigerung zu begegnen. Mit dem GSG ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen worden, die hier angefochtene Altersgrenze war nur ein Bestandteil. Ausgehend von der Prämisse, daß die Ausgabenentwicklung maßgeblich vom Anstieg der Vertrags(zahn)arztzahlen bestimmt wurde, ist ein gleich wirksames, aber die Grundrechte weniger einschränkendes Mittel als die Einführung einer Altersgrenze nicht zu erkennen. Insbesondere war der Gesetzgeber nicht gehalten, den Zugang zu den Ausbildungsmöglichkeiten weiter zu reglementieren. Abgesehen davon, daß auch damit ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG verbunden wäre, würden entsprechende Maßnahmen erst deutlich später als die Altersgrenze wirksam.

Schließlich werden durch die Übergangsvorschriften in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V unzumutbare Härten vermieden.

In seinem Eigentumsrecht an der Praxis wird der Antragsteller nicht beeinträchtigt. Die angegriffene Vorschrift bezieht sich allein auf die berufliche Tätigkeit. § 103 Abs. 4 SGB V gibt ihm außerdem rechtlich die Möglichkeit, seine Praxis zu übertragen. Wenn das nach Angaben des Antragstellers nicht realisiert werden kann, mag dies an der vom Antragsteller geschilderten besonderen Praxisstruktur, aber auch auf den derzeitigen Marktverhältnissen beruhen. Art. 14 GG garantiert nicht die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Eigentums überhaupt oder zu bestimmten Konditionen. Im übrigen hätte der Antragsteller seit 1993 von der Beendigung der Zulassung zum 31.12.1998 wissen und seine berufliche und wirtschaftliche Planung darauf abstellen können.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet ebenfalls deswegen aus, weil es die o.a. Gründe für die besondere Altersgrenze für Vertrags(zahn)ärzte gibt.

Die Senatsentscheidung vom 03.12.1997 ist inzwischen durch das Bundessozialgericht am 25.11.1998 im Ergebnis bestätigt worden (B 6 KA 4/98 R). Nach der vorliegenden Pressemitteilung hat sich das Bundessozialgericht dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31.03.1998 - 1 BVR 2167/93 - NJW 1998, 1776 - angeschlossen. Dem schließt sich auch der Senat an.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Den vom Antragsteller in Anspruch genommenen besonderen Status einer "Alt-Kassenzulassung" gibt es nicht, so daß er auch nicht gesondert gesetzlich geregelt werden konnte oder mußte. Mit der Bestallung als Zahnarzt im Jahre 1953 und mit der Bestimmung seines Kassenzahnarztsitzes H ... durch den Zulassungsausschuß im Jahre 1958 nach Inkraftreten des Gesetzes über das Kassenarztrecht vom 17.08.1955 ist der Antragsteller einem Kassen-( jetzt: Vertrags)zahnarzt gleichgestellt und nimmt an der weiteren Rechtsentwicklung des Vertrags(zahn)arztrechts teil. Seitdem sind alle Vertragzahnärzte von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.02.1961 - BVerfGE 12, 144 -, der anschließenden Niederlassungsfreiheit, der Einführung der Bedarfsplanung und der angegriffenen Regelung über eine Altersgrenze aus dem Jahre 1993 gleichermaßen betroffen. Es ist für den Senat nicht erkennbar, warum der Antragsteller aus seiner früheren Berufsausbildung und Tätigkeit seit 1948 als Dentist mehr und dauerhaftere Rechte herleiten und auf Dauer besser gestellt sein sollte als ein Zahnarzt nach Studium und Approbation. Der Antragsteller ist durch die Vorschriften der §§ 8 bis 11 des Zahnheilkundegesetzes vom 31.03.1952, wonach er als Dentist nach Teilnahme an einem Fortbildungslehrgang die Bestallung als Zahnarzt erlangen konnte, ausschließlich begünstigt und durch die im Jahre 1993 eingeführte strittig Altersgrenze weitaus weniger in seiner Berufsausübung betroffen als Zahnärzte, die ihre Praxis erst zu späteren Zeiten aufgenommen haben. Dem Vertrauensschutz der Betroffenen auf die bisherige Regelung der Berufs- und Lebensplanung ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch die Übergangsvorschriften ausreichend Rechnung getragen worden. Soweit Investitionsentscheidungen und Alterssicherung auf die Fortsetzung der vertragsärztlichen Tätigkeit über das 68. Lebensjahr hinaus ausgerichtet waren, handelt es sich danach um individuelle Lebensplanungen, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die in diesem Alter nicht als sicher zu unterstellende weiterbestehende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigen mußte.

Eine Verletzung von Artikel 3 Abs. 1 GG ergibt sich nicht daraus, daß ein 68-jähriger Zahnarzt, der seine Kassenzulassung noch keine 20 Jahre besitzt, noch weiter arbeiten darf. Die sachliche Begründung für diese Differenzierung liegt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31.03.1998 darin, daß eine Zeitspanne von 20 Jahren ausreicht, um getätigte Investitionen zu erwirtschaften und eine angemessene Alterssicherung aufzubauen. Wenn nun für Ärzte, die noch nicht über einen solchen Zeitraum tätig waren, Ausnahmeregelungen getroffen werden, dienen diese lediglich dazu, in sachgerechter Weise Härten zu vermeiden.

Das Vorbringen des Antragstellers, ein Zahnarzt könne nach Vollendung des 68. Lebensjahres noch vertretungsweise tätig werden, widerspricht dem gesetzgeberischen Anliegen. Im Vertretungsfall wird der Zahnarzt jeweils nur kurzzeitig anstelle eines zugelassenen Vertragszahnarzt tätig. Selbst wenn aber auch hier eine Beschränkung geboten wäre, ist nicht ersichtlich, inwiefern daraus ein Argument für die Unwirksamkeit der Altersgrenze in § 95 Abs. 7 SGB V gewonnen werden könnte. Zur Frage des "jobsharing" sei auf § 95 Abs. 9 Satz 3 SGB V verwiesen.

Aus der verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklichen Typisierung des Gesetzes folgt auch, daß es nicht darauf ankommt, ob die Praxis des Antragstellers für die regionale zahnärztliche Versorgung von besonderer Bedeutung ist.

Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen hat, daß im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof besteht. Der Senat sieht die europarechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auch nicht berührt. Die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 SGB V gilt für In- und Ausländer gleichermaßen. Der Antragsteller ist nicht gehindert, im Ausland nach den dort geltenden Zulassungsregeln tätig zu werden.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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