L 11 KA 166/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KA 39/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 166/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.08.1999 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt, über den den 01.01.1999 hinaus vertragsärztlich tätig sein zu können.

Der 1930 geborene Kläger war seit dem 01.07.1978 als praktischer Arzt in D. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Schreiben vom 22.05.1998 beantragte er bei der Beigeladenen zu 7), auch nach dem 01.01.1999 weiterhin vertragsärztlich tätig sein zu dürfen. Der Zulassungausschuß für Ärzte lehnte den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 27.05.1998 ab. Da er am 01.01.1999 das 68. Lebensjahr vollendet habe, ende zu diesem Zeitpunkt kraft Gesetzes seine Zulassung. Ein Grund für eine Ausnahme bestehe nicht. Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, daß Artikel 33 § 1 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - Gesundheitsstrukturgesetz - (GSG) und § 95 Abs. 7 Satz 2 des SGB V verfassungswidrig seien. Sie verletzten ihn in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und 3 Abs. 1 Grundgesetz. Er befinde sich in einer besonderen wirtschaftlichen Situation, weil er Spätaussiedler gewesen sei. Seine Praxis habe er mit Krediten finanzieren müssen. Einer seiner Söhne, der derzeit noch Medizin studiere, solle als Nachfolger die Praxis übernehmen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 04.11.1998 als unbegründet zurück. Der Zulassungsausschuß verfügte durch Beschluss vom 11.11.1998 die Beendigung der Zulassung des Klägers zum 31.12.1998. Der Berufungsausschuß hob auf den Widerspruch des Klägers diesen Beschluss auf, weil die Beendigung kraft Gesetzes eintrete und die Zulassungsgremien bereits über den Antrag des Klägers entschieden hätten.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe durch seine vorherige Tätigkeit als Assistensarzt kein Kapital für den Aufbau der 1978 übernommenen Praxis ansammeln können. Er werde durch § 95 Abs. 7 Satz 2 SGB V in der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit stark eingeschränkt, ohne daß dafür eine sachliche Begründung erkennbar sei. In keinem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gebe es eine vergleichbare Altersgrenze. Der Gesetzgeber habe offensichtlich auch keine Bedenken, daß über 68jährige Ärzte Privatpatienten behandeln könnten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb Ärzte, die noch nicht 20 Jahre als Vertragsarzt tätig waren, weiterhin gesetzlich versicherte Patienten behandeln dürften.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 27.05.1998 in der Gestalt des Beschlusses des Beklagten vom 04.11.1998 und unter Aufhebung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 11.11.1998 zu verurteilen, ihn gemäß seinem Zulassungsantrag vom 22.05.1998 mit Wirkung vom 01.01.1999 erneut zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27.08.1999 die Klage abgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen Beschlüssen vom 31.03.1998 ( 1 BvR 2167/93 und 2198/93) die Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze von 68 Jahren bejaht. Eine Härtefallklausel gebe es nicht.

Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Berufung trägt der Kläger erneut vor, Art. 33 GSG und § 95 Abs. 7 Satz 2 SGB V seien verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Sache selbst noch nicht entschieden, es habe vielmehr lediglich das Dreiergremium die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Es gebe keine sachlichen Gründe, die die Beendigung der Zulassung mit dem 68. Lebensjahr rechtfertigten. Alle angeführten Gründe seien po litischer Natur und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Außerdem liege ein Verstoß gegen europäische Rechtsvorschriften in Form einer Ungleichbehandlung deutscher Ärzte gegenüber EG-Ausländern vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.08.1998 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 04.11.1998 zu verurteilen, seinem Antrag auf weitere Zulassung als Vertragsarzt nach dem 01.01.1999 als praktischer Arzt für D. stattzugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten des Beklagten und des Zulassungsausschusses verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Beklagte hat den An trag des Klägers zu Recht abgelehnt. Die Zulassung des Klägers endete kraft Gesetzes am 01.01.1999.

Gemäß Art. 33 § 1 GSG und § 95 Abs. 7 SGB V endet die Zulassung eines Vertragsarztes, der am 01.01.1999 das 68. Lebensjahr vollendet hat, zu diesem Zeitpunkt, soweit der Arzt zuvor mindestens 20 Jahre lang vertragsärztlich tätig war. Weitere Ausnahmetatbestände sind nicht vorgesehen. Da der Kläger seit 1978 zugelassen war, kommt eine Verlängerung der Zulassung nicht in Betracht.

Die Vorschriften des § 95 Abs. 7 SGB V und Art. 33 § 1 Satz 1 GSG sind verfassungsgemäß. Das haben das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 31.03.1998 (SozR 3-2500 § 95 Nr. 17) und das Bundessozialgericht mit Urteil vom 25.11.1998 (SozR 3-2500 § 95 Nr. 18) entschieden. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Soweit der Kläger meint, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts enthalte keine Sachentscheidung, trifft dies nicht zu. Wie das BSG in seinem Urteil vom 25.11.1998 ausführt, enthält der Beschluss eine materiell-rechtliche Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des Art. 33 GSG sowie des § 95 Abs. 7 SGB V.

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz liegt nicht vor. Die Zulassungsbeschränkung durch eine Altersgrenze ist durch gewichtige Allgemeininteressen gerechtfertigt, die den Interessen der betroffenen Ärzte auf ungehinderte berufliche Entfaltung vorgehen. Das BVerfG hat als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut die Sicherung vor Gefahren gesehen, die von nicht mehr voll leistungsfähigen Vertragsärzten für die Gesundheit der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen ausgehen können. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, daß die Altersgrenze der Finanzierbarkeit der Institution der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine Beschränkung der Zahl der zugelassenen Vertragsärzte dient. Dabei soll diese Beschränkung nicht nur zu Lasten jüngeren Ärzte erfolgen. Durch die Altersgrenze wird sichergestellt, daß trotz Zulassungsbeschränkungen in überversorgten Gebieten angemessene Betätigungschancen in der vertragsärztlichen Versorgung auch für die nach folgende Ärztegeneration bestehen.

Bei der Feststellung und Bewertung etwaiger der Allgemeinheit drohender Gefahren und hinsichtlich der Mittel zu ihrer Behebung hat der Gesetzgeber eine Einschätzungspräogative. Den ihm bei der Verfolgung sozialpolitischer Ziele eingeräumte Spielraum hat der Gesetzgeber nicht überschritten. Die Einschätzung, daß durch eine Begrenzung der Zulassung einer weiteren Steigerung der Ausgabenbelastung damit einer Gefährdung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung entgegengesetzt werden könnte, fand in der Vergangenheit durch verschiedene gutachtliche Äußerungen zu den gesundheitsökonomischen Entwicklungen ihre Bestätigung und wird auch vom Bundessozialgericht geteilt (vgl. BSG aaO sowie SozR 3-2500 und § 98 Nr. 4 mit zahlreichen Nachweisen). Der Gesetzgeber durfte in nicht zu beanstandener Weise davon ausgehen, daß wachsende Arztzahlen zu steigenden Leistungen und damit zu einem erhöhten Kostendruck auf die Krankenkasse führen (BSG aao). Zulassungsbeschränkungen sind damit grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um steigenden Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung entgegenzuwirken. Ob sie das am besten geeignet oder zweckmäßigste Mittel sind, ist verfassungsrechtlich unerheblich.

Es bestand zur Einführung einer Altersgrenze auch keine Handlungsalternative, der der Gesetzgeber von Verfassung wegen den Vorzug hätte geben müssen. Zwar sind eine Reihe anderer Maßnahmen zur Kostendämpfung denkbar. Der Gesetzgeber hat bereits vor dem GSG eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen versucht, den anhaltenden Kostensteigerungen zu begegnen. Mit dem GSG ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen worden, die hier angefochtene Altersgrenze war nur ein Bestandteil. Ausgehend von der Prämisse, daß die Ausgabenentwicklung maßgeblich vom Anstieg der Vertragsarztzahlen bestimmt wurde, ist ein gleich wirksames, aber die Grundrechte weniger einschränkendes Mittel als die Einführung einer Altersgrenze nicht zu erkennen. Insbesondere war der Gesetzgeber nicht gehalten, den Zugang zu den Ausbildungsmöglichkeiten weiter zu reglementieren. Abgesehen davon, daß auch damit ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz verbunden wäre, würden entsprechende Maßnahmen erst deutlich später als die Altersgrenze wirksam.

Schließlich werden durch die Übergangsvorschriften in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V unzumutbare Härten vermieden. Außerdem wird der Eingriff dadurch abgemildert, daß eine privatärztliche Tätigkeit nicht ausgeschlossen ist (BVerfG aaO).

Der Kläger wird auch nicht in seinem Eigentumsrecht aus Art 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Die angegriffenen Vorschriften beziehen sich allein auf die berufliche Tätigkeit. § 103 Abs. 4 SGB V gab dem Kläger außerdem rechtlich die Möglichkeit, seine Praxis zu übertragen. Wenn das nach seinen Angaben nicht realisiert werden konnte, mag dies auf den derzeitigen Marktverhältnissen beruhen. Art. 14 Grundgesetz garantiert aber nicht die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Eigentums überhaupt oder zu bestimmten Konditionen. Im übrigen hätte der Kläger seit 1993 von der Beendigung der Zulassung zum 31.12.1998 wissen und seine berufliche und wirtschaftlich Planung darauf abstellen können. Soweit er vorträgt, er wolle seine Praxis an seinen Sohn weitergeben, ist mit dem BVerfG darauf hinzuweisen, daß kein gesetzlicher Anspruch auf Weitergabe der Zulassung an ein Kind besteht.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG scheidet ebenfalls deswegen aus, weil es die o.a. Gründe für die besondere Altersgrenze für Vertragsärzte gibt. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes er gibt sich insbesondere nicht daraus, daß ein 68-jähriger Arzt, der seine Kassenzulassung noch keine 20 Jahre besitzt, weiter vertragsärztlich tätig sein darf. Die sachliche Begründung für diese Differenzierung liegt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 31.03.1998 (aaO) darin, daß eine Zeitspanne von 20 Jahren in der Regel ausreicht, um getätigte Investitionen zu erwirtschaften und eine angemessene Alterssicherung aufzubauen. Wenn nun für Ärzte, die noch nicht über einen solchen Zeitraum tätig waren, Ausnahmeregelungen getroffen werden, dienen diese lediglich dazu, in sachgerechter Weise Härten zu vermeiden.

Der Senat sieht ebensowenig wie das Bundesverfassungsgericht und das BSG die europarechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit berührt. Die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 SGB V gilt für In- und Ausländer im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen. Der Kläger ist auch nicht gehindert, im Ausland nach den dort geltenden Zulassungsregeln tätig zu werden. Europarechtliche Regelungen stehen nationalen Regelungen nicht entgegen, mit denen ein berechtigter Zweck verfolgt wird, der mit dem EWG-Vertrag vereinbar und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Das gilt auch für die Höchstaltersgrenze von 68 Jahren für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 18).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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