L 11 KA 89/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 Ka 334/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 89/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.04.1999 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Regresses im Rahmen eines sonstigen Schadens wegen Überweisungen zu Laborleistungen.

Der Kläger war im streitigen Quartal II/1991 als Gynäkologe in D ... niedergelassen und nahm an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Im Januar 1992 beantragte die Beigeladene zu 1) die Feststellung eines Regresses im Rahmen eines sonstigen Schadens wegen Überweisungen zu Laborleistungen im Zusammenhang mit Varizenoperationen, die nach Ansicht der Beigeladenen zu 1) fachfremd waren. Der Prüfungsausschuss setzte mit Bescheid vom 30.09.1992 einen Regreß in Höhe von DM 943,37 als sonstigen Schaden fest. Dieser Bescheid, der eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wurde am 30.09.1992 per Einschreiben an den Kläger gesandt.

Mit Schreiben vom 05.10.1992, eingegangen am 07.10.1992, wandte der Kläger sich an den Prüfungsausschuß und schrieb unter Bezugnahme auf das Schreiben des Prüfungsausschusses vom 30.09.1992:

Sehr geehrte Damen und Herren,

um den o.a. Bescheid bearbeiten zu können, erbitte ich vorab die Scheinkopien der 12 Abrechnungsfälle aus dem 2. Quartal 1991.

Dem Kläger ist dann durch ein Mitglied des Prüfungsausschusses mitgeteilt worden, daß er die begehrten Fotokopien aus datenschutzlichen Gründen nicht erhalten könne. Ihm wurden lediglich die zwölf Patientennamen genannt.

In einem weiteren Schreiben vom 17.11.1992 wandte der Kläger sich einerseits dagegen, dass ihm die Scheinkopien nicht übersandt worden waren, und führte im übrigen aus, es sei nicht gerechtfertigt, notwendige präoperative Leistungen streichen zu wollen.

Nachdem der Prüfungsausschuß dem Kläger mitgeteilt hatte, dass ein Widerspruch von ihm innerhalb der Monatsfrist nicht eingelegt worden sei, antwortete der Kläger unter dem 29.12.1992, er sei mit der Entscheidung des Prüfungsausschusses nicht einverstanden; dies ergebe sich aus seinen Schreiben vom 24.02., 09.03., 05.10. und 17.11.1992 eindeutig.

Mit Bescheid vom 30.09.1997 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unzulässig zurück, weil der Widerspruch nicht innerhalb der Monatsfrist eingelegt worden sei. Aus dem Schreiben des Klägers vom 05.10.1992 sei ein Widerspruch nicht abzuleiten. Erst seine Einlassungen im Schreiben vom 17.11.1992 könnten als Widerspruch aufgefaßt werden. Diese Äußerung sei jedoch außerhalb der Widerspruchsfrist eingangen. Der Kläger sei auch nicht unverschuldet gehindert gewesen, rechtzeitig Widerspruch einzulegen.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, eine Fristversäumnis habe nicht vorgelegen. Es sei vielmehr richtig, dass sein Schreiben zur Aufklärung des Sachverhaltes rechtzeitig dem Prüfungsausschuß erreicht habe. Die ihm erteilte Information sei völlig unzureichend und unzutreffend gewesen. Erst nachdem ihm die Beigeladene zu 2) keine Möglichkeit der Einsichtnahme in die Scheinkopien gewährt habe, habe er ohne Kenntnis des genauen Sachverhaltes Widerspruch eingelegt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30.09.1997 aufzuheben und über seinen Widerspruch betreffend Regress/sonstiger Schade im Quartal II/1991 in der Sache zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf seine Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Mit Urteil vom 21.04.1999 hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten verurteilt, über den Widerspruch des Klägers in der Sache neu zu entscheiden. Zur Begründung wird ausgeführt, der Kläger sei ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Da der Prüfungsausschuß seiner Bitte nicht nachgekommen sei, die entsprechenden Unterlagen zu übersenden, hätte er mitteilen müssen, dass eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme und die Widerspruchsfrist unbedingt eingehalten werden müsse. Eine solche Mitteilung sei nicht erfolgt, so dass der Kläger davon ausgehen konnte, die Widerspruchsfrist habe erst mit Übersendung der Patientennamen begonnen. An einen anwaltlich nicht vertretenen Kläger dürften die Anforderungen hinsichtlich einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden.

Mit seiner Berufung trägt der Beklagte vor, das Schreiben des Klägers vom 05.10.1992 sei nicht als Widerspruch auszulegen. Erst sein Schreiben vom 17.11.1992 könne als Widerspruch gewertet werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da der Kläger keinesfalls unverschuldet gehindert gewesen sei, die gesetzliche Widerspruchsfrist zu wahren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht zu einem Personenkreis gehöre, der sich in der Regel durch Geschäftsungewandtheit oder mangelnde Kenntnis des Verfahrens auszeichnet. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kläger um einen in Verfahren der vorliegenden Art seit Jahrzehnten erfahrenen Vertragsarzt handele. Dies müsse bei der Beurteilung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Berücksichtigung finden. Vor diesem Hintergrund sei dem Prüfungsausschuß auch nicht der Vorwurf zu machen, bei der Übersendung der mit Schreiben des Klägers vom 05.10.1992 angeforderten Unterlagen nicht darauf hingewiesen zu haben, die durch Übersendung des Bescheides vom 30.09.1992 in Gang gesetzte Widerspruchsfrist werde nicht verlängert oder nicht erst mit Übersendung dieser Unterlagen in Gang gesetzt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.04.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, es sei der Fehler des Beklagten gewesen, das Verfahren solange zu verschleppen, bis die Widerspruchsfrist abgelaufen sei. Dieser Fehler könne ihm nicht zugerechnet werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die kraft Zulassung durch das Sozialgericht statthafte und auch im übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klage konnte entgegen der Auffassung des Sozialgerichts keinen Erfolg haben, da der Bescheid des Prüfungsausschusses vom 30.09.1992 - wie der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 30.09.1997 zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bereits bindend geworden war.

Gemäß § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

Der mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid des Prüfungsausschusses vom 30.09.1992 ist am gleichen Tage per Einschreiben an den Kläger gesandt worden und gilt damit am 03.10.1992 als zugestellt. Die Widerspruchsfrist endete somit gemäß § 84 SGG mit Ablauf des 03.11.1992. Innerhalb dieser Frist ist ein Widerspruch nicht eingelegt worden. Denn er ist weder beim Prüfungsausschuss noch bei einer anderen inländischen Behörde oder einem Versicherungsträger ein Schreiben des Klägers eingegangen, das als Widerspruch angesehen werden kann. Zwar ist es unwesentlich, wie der Absender den "Widerspruch" bezeichnet hat, etwa als Beschwerde, Klage, Berufung. Wesentlich ist nur, dass vom Absender als Ziel eine Überprüfung verständlich gemacht wird. Es muß deutlich gemacht werden, er sei mit dem Verwaltungsakt unzufrieden, begehre eine Leistung oder Feststellung und bitte um eine erneute Entscheidung darüber. Allein der Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit reicht nicht aus. Das Schreiben des Klägers vom 05.10.1992 ist nicht als Widerspruch zu werten, da der Kläger damit nicht zum Ausdruck gebracht hat, daß er Widerspruch einlegen will. Er hat vielmehr um die Übersendung von Unterlagen gebeten, damit er danach entscheiden kann, ob er Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses einlegt. Der Senat sieht sich in dieser Auslegung des klägerischen Schreibens vom 05.10.1992 auch durch das an das Sozialgericht gerichtete Schreiben vom 27.10.1998 bestärkt. Denn in diesem Schreiben führt der Kläger aus, er habe ohne Kenntnis des genauen Sachverhaltes Widerspruch eingelegt, da ihm die Möglichkeit der Einsichtnahme in die entsprechenden Scheinkopien verwehrt worden sei.

Das Schreiben des Klägers vom 17.11.1992 ist als Widerspruch anzusehen. Zwar verwendet der Kläger auch hier nicht die genaue Bezeichnung des Rechtsbehelfes, jedoch ist dem Schreiben zu entnehmen, dass er mit der Entscheidung des Prüfungsausschusses nicht einverstanden ist und eine weitere Überprüfung begehrt. Dieses Schreiben ist jedoch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist eingegangen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG ist dem Kläger aber nicht zugewähren. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts war der Kläger nicht unverschuldet daran gehindert, fristgerecht Widerspruch einzulegen. Zwar hat der Prüfungsausschuss auf die Anfrage des Klägers vom 05.10.1992 in rechtswidriger Weise dem Kläger die beantragte Akteneinsicht verwehrt, jedoch war der Kläger allein dadurch nicht gehindert, zumindest fristwahrend Widerspruch einzulegen. Der Senat sieht keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Prüfungsauschuss und der (verspäteten) Wiederspruchseinlegung durch den Kläger. Denn die pflichtwidrige Verweigerung der Akteneinsicht durch Versagung der Übersendung der angeforderten Scheinkopien konnte beim Kläger nicht den Eindruck erwecken, dieses Verhalten könnte auf den Lauf der Widerspruchsfrist Auswirkungen haben. Der Kläger hätte auch später Widerspruch einlegen und diesen begründen können, ohne auf die erbetenen und vorenthaltenen Informationen angeweisen gewesen zu sein. Es ist auch zu berücksichtigen, dass sich aus der für einen Vertragsarzt zweifelsfrei zu verstehenden Rechtsbehelfsbelehrung ergibt, dass für den Lauf der Frist allein auf die Zustellung des Bescheides abzustellen ist. Letztlich darf nicht verkannt werden, dass der Kläger im Rahmen seiner vertragsärztlichen Tätigkeit durchaus auch Erfahrungen hinsichtlich der Durchführung und des Ablaufes von Widerspruchsverfahren bereits gesammelt hatte.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 183 und 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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