L 11 KA 90/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 Ka 199/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 90/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.04.1999 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen zu 7) und 8) für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Regress der Heilmittelverordnungen der Beigeladenen zu 7) und 8 in den Quartalen II/1995 und III/1995 zu Gunsten der Ersatzkassen.

Die Beigeladenen zu 7) und 8) sind in Gemeinschaftspraxis als Ärzte für Neurologie und Psychiatrie in G ... niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen gehörte ein weiterer Vertragsarzt der Gemeinschaftspraxis an.

Bei überdurchschnittlichen Fallzahlen und Gesamtfallwerten verordnete die Gemeinschaftspraxis Heilmittel (Bäder, Massagen und Krankengymnastik) mit Falldurchschnitten (in der Reihenfolge der Quartale) von 52,96 DM und 39,95 DM gegenüber Fachgruppendurchschnitten von 23,50 DM und 19,76 DM. Daraus errechneten sich Überschreitungen in Höhe von 121 % und 102 %. Der Gebietsgruppenwert bezog sich auf die Arztgruppe der Nervenärzte auf Landesebene (Arztgruppe 38 der Anlage 1 zur Prüfvereinbarung vom 07.10.1993 im Bereich der Beigeladenen zu 6).

Auf den Antrag des Klägers sowie des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes setzte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit Beschlüssen vom 28.05.1996 und 02.09.1996 Regresse in Höhe von 1.350,-- DM und 1.000,-- DM für die beiden Quartale fest. Mit ihren Widersprüchen wiesen die Vertragsärzte auf die Schwerpunkte ihrer Gemeinschaftspraxis und darauf hin, dass sie in eigener Praxis keine physikalisch-medizinischen Leistungen durchführten und wandten sich gegen einen Vergleich mit der Artzgruppe der Nervenärzte, auch der Untergruppe 1, da sich in dieser Untergruppe nicht nur Ärzte befänden, die regelmäßig solche Verordnungen vornähmen. Nachdem der Kläger der Bitte des Beklagten, ihm die Vergleichszahl der Heilmittelverordnungen auf der Basis der Untergruppe 1 der Nervenärzte mitzuteilen, nicht nachkommen konnte, hob der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.03.1998 die Heilmittelregresse auf. Ein statistischer Kostenvergleich sei auf der Grundlage des bisher beschriebenen Zahlenmaterials nicht möglich. Die Arztgruppe der Nervenärzte umfasse insgesamt 9 Untergruppen. Diese Aufzählung zeige, dass die Gesamtgruppe der Nervenärzte eine inhomogene Fachgruppe darstelle, die erheblich voneinander abweichende Behandlungs- und Patientenstrukturen beinhalte. Aus diesem Grunde verbiete sich ein statistischer Kostenvergleich unter Einsatz des vorliegenden Zahlenmaterials. Der Beklagte hielt im übrigen eine Einzelfallprüfung für rechtlich nicht zulässig und durchführbar.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und die Ansicht vertreten, dass eine Prüfung nach Untergruppen, so wie es der Beklagte für richtig halte, in der Prüfvereinbarung nicht vorgesehen sei. Daneben sei auch kein sachlicher Grund für eine differenziertere Vergleichsprüfung durch Bildung von Untergruppen ersichtlich, da die Fachgruppe 38 der Nervenärzte im Hinblick auf die Verordnungsweise von Heilmitteln als ausreichend homogen betrachtet werden könne, um einen statistischen Vergleich vorzunehmen.

Mit Urteil vom 14.04.1999 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides verurteilt, über die Widersprüche der Beigeladenen zu 7) und 8) gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden. Der Beklagte hätte eine statistische Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten der gesamten Arztgruppe vornehmen müssen. Die für die Prüfung der ärztlichen Behandlungsweise richtige Annahme, dass die Gesamtgruppe der Nervenärzte unterschiedliche Behandlungs- und Patientenstrukturen beinhalte und somit inhomogen sei, treffe nicht zwingend auch für den Bereich der Heilmittelverordnungen zu. Aus den Regelungen der Vertragspartner über die Erhebungen des statistischen Zahlenmaterials folge die Vermutung der hinreichenden Aussagekraft der so ermittelten Daten. Danach sei eine Aufschlüsselung der Kosten nach Untergruppen nur für den Honorarbereich, den Bereich der Arzneiverordnungen und aufgrund nachträglicher Ergänzung für die Verordnung von Sprechstundenbedarf vorgesehen. Der Beklagte hätte danach atypische, einen erhöhten Verordnungsumfang rechtfertigende Gründe in der Praxis ermitteln und deren Auswirkungen beachten müssen, ebenso die Tatsache, daß die Gemeinschaftspraxis keine eigenen physikalisch-medizinischen Leistungen erbracht habe. Der Beklagte habe auch zu berücksichtigen, daß die Fachgruppe 38 der Nervenärzte wesentlich von den Ärzten der Untergruppe 1 bestimmt werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Die Verneinung des Aussagewertes der statistischen Daten sei als Ergebnis der pflichtgemäßen intellektuellen Prüfung des Beklagten nicht zu beanstanden, jedenfalls beurteilungsfehlerfrei. Die Arztgruppe 38 bestehe in ihrer Untergliederung aus 9 Untergruppen. Eine so weitgehende Differenzierung gebe es sonst nur bei der Fachgruppe der Internisten. Das Abrechnungsverhalten dieser Arztgruppe sei inhomogen. Die Honoraranforderung bei physikalisch-medizinischen Leistungen sei in den Einzelgruppen sehr unterschiedlich, auch in den Untergruppen in den verschiedenen Quartalen. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte sei grade eine Gesamtschau der eigenen und verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen notwendig. Die Übertragung der Erkenntnisse aus dem Honorarbereich der physikalisch-medizinischen Leistungen auf das Verordnungsverhalten führe bei einer Gesamtschau der Arztgruppe zu einer Absenkung des Fachgruppendurchschnitts, so daß bei Ärzten der Untergruppe 1 der falsche Eindruck einer Überschreitung entstehe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.04.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 7) und 8) weisen drauf hin, daß bereits innerhalb der Untergruppe 1 der Nervenärzte erhebliche Unterschiede in den Praxisstrukturen bestünden, die sich auch auf die Verordnung von physikalisch-medizinischen Leistungen auswirkten, nämlich psychiatrisch und psychotherpeutisch tätige Nervenärzte, apparativ-neurologisch tätige Nervenärzte und Nervenärzte mit CT und MRT.

Weitere Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den Prozeßakten und den Verwaltungsakten des Beklagten, auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.04.1999 ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten ist nach der Rechtsauffassung des Senates nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide ist die Regelung des § 106 SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992. Danach erfolgt die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Prüfung die Regelprüfmethode (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 45 S. 243 m. w. N.). Danach werden die Abrechnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe im selben Quartal verglichen. Falls der Mehraufwand im geprüften Leistungsbereich im Vergleich zum Durchschnittswert der Vergleichsgruppe in einem offensichtlichen Mißverhältnis steht, kann das Honorar gekürzt werden (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 43 S. 238). Dieser Methode liegt eine gesetzliche Fiktion zugrunde, nach der davon auszugehen ist, dass der Durchschnitt der Fachgruppe insgesamt wirtschaftlich handelt (BSGE 74, 70). Ergänzt durch die sogenannte intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse erbringt (BSGE 77, 53,58 f.; BSG vom 09.06.1999 - B 6 KA 21/98 R). Wann die Überschreitung diesen als offensichtliches Mißverhältnis bezeichneten Überschreitungsgrad erreicht, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Prüfgegenstandes und den konkreten Umständen des Einzelfalles. Den Prüfgremien kommt dabei ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkter richterliche Kontrolle unterliegt. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens, die richtige und vollständige Ermittlung des Sachverhalts sowie die Frage, ob die Verwaltung die durch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, daß die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvollziehbar ist (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 25).

Unter Berücksichtigung dieser eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit hat der Beklagte beurteilungsfehlerfrei den vom Prüfungsausschuß aufgrund statistischer Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten ausgesprochenen Regreß aufgehoben. Die Durchführung einer Einzelfallprüfung, die auch nicht beantragt war, hat er wegen der Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit und der tatsächlichen Durchführbarkeit zu recht abgelehnt.

Wegen des hohen Beweiswertes einer Überschreitung des Vergleichswertes der Fachgruppe im offensichtlichen Mißverhältnis nach Prüfung von Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen (dazu insbesondere BSG vom 05.11.1997 - 6 RKa 1/97 -) kommt der Auswahl und der Bestimmung der Vergleichsgruppe eine entscheidende Bedeutung zu. Die wesentliche objektiven Leistungsbedingungen müssen nicht nur zwischen der zu prüfenden Praxis und der Vergleichsgruppe, sondern auch innerhalb der Vergleichsgruppe bezüglich der Praxisumstände, der Patientenstruktur und des Behandlungs- und Verordnungsverhaltens übereinstimmen (Homogenität der Fachgruppe). Nach der nicht zu beanstandenden Beurteilung des Beklagten im Rahmen der ihm aufgegebenen sogenannten intellektuellen Prüfung und Entscheidung nach medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten trifft das für die vom Kläger übermittelten Durchschnittswerte der Fachgruppe nicht zu. Der Beklagte hat zu Recht vom Kläger eine Aufschlüsselung der Vergleichszahlen der Heilmittelverordnungen auf der Basis der Untergruppe 1 der Nervenärzte verlangt, die der Kläger nicht zur Verfügung stellen konnte. Für den Beklagten bestand hinreichender Anlass für die Annahme, dass die Arztgruppe der Nervenärzte ein derart inhomogenes Verordnungsverhalten bezüglich physikalisch-medizinischer Leistungen zeigt, dass eine Gesamtbetrachtung nicht aussagekräftig war. Dazu weist der Beklagte in seiner Berufung zu Recht darauf hin, dass die Arztgruppe der Nervenärzte bereits aus 9 Untergruppen besteht und diese Untergruppen bei der Erbringung von eigenen physikalisch-medizinischen Leistungen ein deutlich unterschiedliches Behandlungsverhalten zeigen. Der Schluß auf ein ebenso unterschiedliches Verordnungsverhalten bezüglich physikalisch-medizinischer Leistungen ist nicht nur vertretbar, sondern zwingend. Die gebotene Gesamtschau von verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen und eigenen physikalisch-medizinischen Leistungen als Sachleistungen hat das Bundessozialgericht schon spätestens im Jahre 1985 gefordert (Urteil vom 08.05.1985 - 6 RKa 24/83 - Arztrecht 1986, 45), weil selbstverständlich Praxen, die nicht alle erforderlichen Sachleistungen selbst erbringen oder verordnen, jeweils den Fachgruppendurchschnitt verändern. Solche Praxen wären bei der Ermittlung des Fachgruppendurchschnitts herauszunehmen. Mangels Aufteilung der Verordnungskosten auf die einzelnen Untergruppen war dies dem Beklagten nicht möglich. Deswegen folgt der Senat der Beurteilung des Beklagten, dass wegen deutlich unterschiedlicher Praxis-, Behandlungs- und Verordnungstrukturen dem Durchschnittsverordnungswert der gesamten Fachgruppe keine hinreichende Aussagekraft zukommt. Damit kommt es auf den Hinweis der Beigeladenen zu 7) und 8) auf die selbst innerhalb der Untergruppe 1 der Nervenärzte, Ärzte für Neurologie und Ärzte für Psychiatrie unterschiedlichen Patientenstrukturen nicht mehr an, obwohl diese naheliegen.

Der Senat kann nicht der Argumentation des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil folgen, aus den Regelungen der Prüfvereinbarung selbst ergebe sich eine hinreichende Aussagekraft der von dem Kläger zur Verfügung gestellten statistischen Durchschnittswerte. Zutreffenderweise ist die Erfassung der Abrechnungswerte für die einzelnen Untergruppen nur für das Honorar und die Verordnung von Arzneimitteln und Sprechstundenbedarf ausdrücklich vorgesehen. Bezüglich der hier streitigen Prüfung der Heilmittelverordnung sind gemäß § 13 Abs. 3 der Prüfvereinbarung die statistischen Erhebungen jedoch auf Arztgruppen zu beziehen, deren Behandlungsspektrum typischerweise die Verordnung von physiotherapeutischen Heilmitteln einschließt. Auf welche Arzt- oder Untergruppen der Anlage 1 der Prüfvereinbarung das zutrifft, kann nur nach entsprechenden Feststellungen für alle oder Beispielquartale beurteilt werden. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten war eine solche Beurteilung deswegen nicht möglich, weil entsprechend erfaßte Daten durch den Kläger nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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