L 2 KN 159/99 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KN 4/99 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KN 159/99 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 20. Juli 1999 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 20. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 verurteilt, den Kläger mit ärztlich verordneter Sondennahrung zu versorgen und ihm die bisher aufgewandten Kosten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu erstatten. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Versorgung mit den Krankenkostpräparaten Fresubin Pfirsich und Osmolite mit Belaststoffen bzw. Fresubin original fibre sowie die Erstattung der hierfür aufgewandten Kosten, soweit er sich diese Präparate bisher selbst beschafft hat.

Der im ... 1974 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er ist seit der Geburt schwerstbehindert wegen einer spastischen Tetraparese und einer Abflussstörung mit Stauung des Hirnwassers (Hydrocephalus internus) in den Hirnhohlräumen (Ventrikeln). Zudem besteht eine Oligophrenie. Wegen der Abflussstörung wurde bereits 1974 eine künstliche Ableitung von den Ventrikeln in den Bauchraum eingesetzt (ventrikulo-peritonealer Shunt nach Spitz-Holter). In der Folgezeit mussten - insbesondere in der Wachstumsphase - zahlreiche chirurgische Eingriffe zur Revision des Shunts vorgenommen werden, in deren Folge Verwachsungen im Bauchbereich (Briden) auftraten, die die Durchgängigkeit des Darms erheblich einschränkten (Subileus). Ab 1997 kam es bei der oralen Verabreichung normaler passierter Nahrung immer wieder zu Darmverschlüssen (Ileus), weswegen von Juli 1997 bis Juni 1999 wiederholt stationäre Behandlungen stattfanden. Dabei wurde der Kläger über eine Magenverweilsonde mit flüssiger Nahrung ernährt. Etwa Mitte 1998 wurde die Ernährung auf ärztlichen Rat auf - nunmehr oral verabreichte - Trink- und Sondennahrung umgestellt.

Im September 1998 legten die Eltern des Klägers bei der Beklagten Dauerverordnungen des praktischen Arztes Dr. U ... aus H ... über "Fresubin Pfirsich FLU 30x200 ML" und "Osmolite mit Belaststoffen FLU 12x200 ML" jeweils "wegen rez. Subileus bei Verwachsungsbauch" mit dem Zusatz "Genehmigung durch die Krankenkasse erforderlich" vor (Verordnungen vom 25. Mai und 15. September 1998). Nach Einschaltung ihres Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) ... lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, weil eine Indikation im Sinne der geltenden Arzneimittel-Richtlinien nicht bestehe, sondern die Krankenkost anstelle normaler Nahrung verwendet werde. Deshalb könne auch die irrtümlich genehmigte Verordnung vom 15. September 1998 nicht zu ihren Lasten eingelöst werden (Bescheid vom 28. September 1998). Zur Begründung seines Widerspruchs bezog sich der Kläger auf eine Bescheinigung seines Internisten Dr. K ... aus H ..., wonach die intraabdominellen Verwachsungen bei normaler Kost zur Ileussymptomatik führten; deshalb sei "Astronautenkost" mit abführenden Maßnahmen als einzige Therapie zwingend erforderlich, weil ansonsten schwerste Schmerzen und regelmäßige Krankenhausaufenthalte drohten (Attest vom 08. Oktober 1998). Der Internist Dr ... - SMD ... - meinte hierzu, die Verordnung der speziellen Kost sei medizinisch sinnvoll, obwohl keiner der Ausnahmetatbestände im Sinne von Ziffern 3.2 und 3.3. der Dienstanweisung vorliege.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1999).

Mit der am 01. Februar 1999 erhobenen Klage hat der Kläger die Versorgung mit den ihm verordneten Krankenkostpräparaten sowie die Erstattung der zwischen zeitlich durch eigene Beschaffung entstandenen Kosten begehrt. Die Einnahme diene der Behandlung des Krankheitszustandes "Subileus"; sie verhindere das künftige Auftreten lebensbedrohlicher Ileuszustände und sei deshalb medizinisch zwingend indiziert. Der Anspruch ergebe sich jedenfalls aus dem Ausnahmekatalog in Ziffer 17.1 i) der Arzneimittel-Richtlinien. Denn danach sei medizinisch indizierte Sondenkost von der Versorgung umfasst. Nicht entscheidend sei, ob dies über eine Sonde oder oral verabreicht werde.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 zu verurteilen, die Kosten für Krankenkost zu übernehmen.

Die Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht nicht vertreten. Nach ihrem schriftlichen Vorbringen hat sie Klageabweisung begehrt. Zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung hat sie sich auf ihre Dienstanweisung bezogen. Danach sei medizinisch indizierte Sondennahrung generell als Leistung nur dann vorgesehen, wenn sie auch über eine Sonde verabreicht werde.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Nach den Arzneimittel- Richtlinien dürften Krankenkost und Diätpräparate - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, weil es sich dabei nicht um Maßnahmen der gezielten Krankheitsbekämpfung, sondern um Mehraufwendungen handele, die durch eine besondere, krankheitsangepasste Ernährungsweise entstünden (Urteil vom 20. Juli 1999).

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner am 10. August 1999 eingelegten Berufung: Die besondere Ernährung habe für ihn lebenserhaltende Funktion. Es handele sich um einen Fall der präventiven Leistungspflicht.

Es könne nicht angehen, dass man erst zuwarte, bis Krankheitszustände entstünden, die die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung begründeten. Es könne nicht ausschlaggebend sein, ob die Sondennahrung auf dem Weg über eine PEG-Sonde oder auf oralem Wege verabreicht werde. Diese Überlegungen würden durch einen Entwurf des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur einer - neuen - Anlage zu Ziffer 17.1 i) Arzneimittel- Richtlinien bestätigt. Darin sei Sondennahrung definiert als diätetisch hergestellte Lebensmittel, die in der Regel zur ausschließlichen Ernährung über die Sonde bestimmt seien. Im übrigen hat er sich auf eine weitere Stellungnahme des Dr. K ... und ein ärztliches Attest des Dr. M ..., Chefarzt der Abteilung Chirurgie im städtischen Krankenhaus H ..., bezogen. Dr. M ... hat ausgeführt, wegen der ständigen Ileusgefahr sei die Ernährung mit Sondenkost lebensnotwendig. Allein die Verabreichung dieser Flüssignahrung sei eine erfolgversprechende lebenserhaltende Maßnahme zur Vermeidung eines progredienten Krankheitsverlaufes mit infauster Prognose (Ärztliches Attest vom 11.11. 1999).

Auf Anraten von Dr. K ... hat der Kläger Ende 1999 das ballaststoffreiche Krankenkostpräparat gewechselt und Osmolite mit Belaststoffen durch Fresubin orginal fibre ersetzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 20. Juli 1999 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Januar 1999 zu verurteilen, ihn - bei ärztlicher Verordnung - mit Fresubin Pfirsich und Osmolite mit Ballast stoffen bzw. Fresubin original fibre zu versorgen und die in der Vergangenheit hierfür aufgewandten Kosten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat weiter gemeint, eine Ausnahmeindikation im Sinne von Ziffer 17.1 i) Arzneimittel-Richtlinien liege nicht vor. Nicht die Kost, sondern nur die spezielle Konsistenz, in der sie verabreicht werde, habe krankheitsverhütende Wirkung. Bei medizinisch indizierter Sondennahrung komme es entscheidend auf die Applikation durch eine Sonde an. Hier werde die Sondenkost aber auf normalem, oralem Wege verabreicht.

Der Senat hat zunächst die behandelnden Ärzte Dres. K ... und U ... gehört und dann als Sachverständigen Prof. Dr ..., Chefarzt des Zentrums für Innere Medizin - Gastroenterologie / Hepatologie - der Universität E ... als Sachverständigen befragt. Der Sachverständige hat u.a. gemeint, der Einsatz flüssiger Nahrung sei medizinisch indiziert, die Umstellung auf normale Kost stelle ein nicht zu vertretendes medizinisches Risiko dar. Die in den Richtlinien aufgeführten Ausnahmetatbestände seien nur exemplarisch. Hier liege ein diesen Umständen entsprechender Zustand vor, da normale orale Nahrung krankheitsbedingt nicht mehr aufgenommen werden könne. Man könne die dem Kläger verordnete Sondennahrung auch als Elementardiät bezeichnen, weil die Nährstoffe hier bereits in ihrer elementaren Form verabreicht werden müssen. Diese Verabreichung könne, müsse aber nicht über eine Sonde erfolgen. Medizinisch indizierte Sondennahrung bedeute, dass der Patient medizinisch notwendig auf eine spezielle Nahrung angewiesen sei. Die Applikation über eine Sonde sei kein zwingendes Merkmal dieses Begriffs. Vielmehr falle die dem Kläger verordnete Trinknahrung darunter (Gutachten vom 28. Februar 2000 mit ergänzender Stellungnahme vom 16. Januar 2001 und Vernehmung in der mündlichen Verhandlung am 07. Februar 2001).

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat auf Anfrage mitgeteilt, er verstehe die Ausnahmeregelung in Ziffer 17.1 i) Arzneimittel-Richtlinien dahingehend, dass es sich um eine sondenapplizierte Nahrung handeln müsse (Stellungnahme vom 12.09.2001).

Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger durch den Bescheid vom 28. September 1998 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999, § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) beschwert, weil dieser Bescheid rechtswidrig ist. Zu Unrecht hat die Beklagte darin abgelehnt, den Kläger mit der verordneten Trink- und Sondennahrung zu versorgen. Denn die verordneten Krankenkostpräparate sind von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Der Anspruch des Klägers folgt - auch für die Zeit vor dem 01. Januar 1999 - aus §§ 27 Abs. 1 Satz 2, 31 Abs. 1 Satz 2, 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. Abschnitt F (Verordnungseinschränkungen aufgrund §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 SGB V und zugelassene Ausnahmen) Ziffer 17.1 i) der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien-AMR) in der Fassung vom 31. August 1993 (Bundesanzeiger Nr. 246 Seite 11155).

Gegenstand des Verfahrens ist ausweislich des Sachantrags des Klägers ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den durch die Dauerverordnungen vom 25. Mai und 15. September 1998 verordneten Krankenkostpräparaten. Soweit sich der Kläger diese wegen der Ablehnung der Beklagten zwischenzeitlich selbst beschafft hat, ist daraus ein Kostenerstattungsanspruch geworden, § 13 Abs. 3 SGB V, der - hier - voraussetzt, dass die Beklagte die Sachleistung zu Unrecht abgelehnt hat, was dann der Fall ist, wenn ein Sachleistungsanspruch bestanden hat.

Ohne Bedeutung ist, dass der Kläger auf Rat seines behandelnden Arztes nach etwa einem Jahr das Präparat Osmolite mit Belaststoffen durch das Präparat Fresubin original fibre ersetzt hat. Insbesondere bedurfte es wegen der Ähnlichkeit in der Zusammensetzung (vgl. den Produktkatalog der Firma Fresenius Kabi: Enterale Ernährung. Trink- und Sondennahrungen, Stand: Mai 2002, Seite 10f, 22f einerseits sowie den Produktkatalog der Firma Abbott: "Das Ernährungsprogramm, Stand Oktober 2001, Seite 26f andererseits) und des gleichgelagerten Zwecks im Rahmen der Gesamttherapie (Versorgung mit belaststoffreicher Sondennahrung) nicht eines erneuten Kostenübernahmeantrages an die Beklagte. Denn der Kläger musste und durfte wegen der aufgezeigten Parallelen davon ausgehen, dass sich die Ablehnung der Beklagten auch auf dieses gleichartige Krankenkostpräparat erstreckte.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich nicht allein daraus, dass die Beklagte jedenfalls die Dauerverordnung 15. September 1998 genehmigt hat. Der Senat geht aufgrund der Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 28. September 1998, aber auch in Kenntnis der von den Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen davon aus, dass die Beklagte die Verordnung mit einem Genehmigungsvermerk versehen hat. Gleichwohl kann der Kläger hieraus den geltend gemachten Versorgungsanspruch nur zu einem geringen Teil herleiten. Der Regelungsgehalt einer solchen Genehmigung bezieht sich nämlich regelmäßig auch dann, wenn es sich um eine Dauerverordnung oder um eine Verordnung "bis auf Weiteres" handelt, nur auf den inhaltlich ausdrücklich bezeichneten Bewilligungsabschnitt oder die in der Verordnung ausdrücklich bezeichnete Verordnungsmenge (hier 12 x 500 ML). Die Genehmigung dient zwar gleichzeitig als Rechtsgrund für etwaige spätere Leistungen, die auf ihre Grundlage gewährt werden, stellt jedoch wegen der begrenzten Bindungswirkung von Bewilligungen im Krankenversicherungsrecht (ähnlich wie im Sozialhilferecht) keine Anspruchsgrundlage für unbegrenzte Leistungsansprüche bis zum Eintritt einer wesentlichen Änderung der maßgeblichen Verhältnisse dar (BSGE 85, 132, 133f = SozR 3-2500 § 27 Nr. 12 mit weiteren Nachweisen).

Bei der Beurteilung des streitigen Anspruchs kann offen bleiben, ob es sich bei der verordneten Trink- und Sondennahrung um Arzneimittel im Sinne des SGB V (also wegen der weitgehenden Kongruenz damit um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelrechts, vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nrn. 9, 10) oder um Krankenkost, die (schon) dem Lebensmittelbegriff des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) unterfällt (§§ 2 Abs.3 Nr. 1 Arzneimittelgesetz (AMR) i.V.m. 1 Abs. 1 LMBG, vgl. BSG aaO), handelt (in der Dienstanweisung der Beklagten ist hier von fließenden Übergängen zwischen Nahrungs- und Arzneimitteln die Rede, vgl. Dienstanweisung zu § 31 SGB V, Ziffer 2 "Allgemeines", 2. Absatz). Denn seit dem 01. Juli 1997 ist ausdrücklich (der Gesetzgeber hat hierin nur eine Klarstellung gesehen, vgl. Bundestagsdrucksache 13/7264 vom 19.03.1997 S.83) nur noch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln vom Leistungsumfang von der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, Art. 1 Nr. 8 a) des Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetzes - 2.GKV-NOG) vom 23. Juni 1997 (BGBl. I, 1520, 1522). Bei der verordneten Sondennahrung handelt es sich nicht um apothekenpflichtige Arzneimittel, sondern um Präparate, die auch in Drogerien oder Reformhäusern vertrieben werden dürfen (vgl. §§ 43 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 AMG; Kloesel/Cyran. Arzneimittelrecht. Kommentar. 3. Auflage, Stand 01. Januar 2002, § 2 Ziffer 74).

Die generelle Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich unabhängig davon aus § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. der Ausnahmeregelung in Ziffer 17.1 i) AMR. § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist mit Wirkung zum 01. Januar 1999 durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der GKV (GKV-SolG) vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I, 3853) eingefügt worden, nachdem der Gesetzgeber durch die Rechtsprechung des BSG auf die rechtliche Problematik einer (möglicherweise) fehlen den Rechtsgrundlage für die in Ziffer 17.1 i) AMR geregelten Ausnahmetatbestände aufmerksam wurde. Diese Vorschrift ermächtigt den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V die dort näher umschriebenen nicht apothekenpflichtigen Ernährungstherapeutika wie apothekenpflichtige Arzneimittel dem Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterstellen. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens stellt sie damit eine - ausreichende - Ermächtigungsgrundlage für die durch den Bundesausschuss bereits zuvor in den AMR von 1993 in Ziffer 17.1 i) AMR geregelten Ausnahmen dar. Die auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen AMR regeln als untergesetzliche Rechtsnormen den Umfang und die Modalitäten der Arzneimittelversorgung mit verbindlicher Wirkung auch für die Versicherten (BSGE 81, 73ff = SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; s. auch BSGE 81, 240, 242ff = SozR 3-2500 § 27 Nr.9).

Es kann offen bleiben, ob diese Ausnahmeregelung in der Zeit vom 01. Juli 1997 bis zum 31. Dezember 1998 wegen Verstoßes gegen die höherrangige Norm des § 31 Abs. 1 (jetzt: Satz 1) SGB V (lex superior derogat legi inferiori) keine Rechtswirkung entfalten konnte (vgl. dazu BSGE 81, 240, 242ff = SozR 3-2500 § 27 Nr.9). Jedenfalls für den hier streitigen Zeitraum ist sie durch § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V gedeckt. Dies gilt auch, soweit noch Leistungen aus dem Jahr 1998 im Streit sind, denn § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfasst mit seinem Wirksam werden vom 01. Januar 1999 alle bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Leistungsfälle (lex posterior derogat legi priori). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung - die bereits zuvor - geltende Rechtslage festschreiben wollte; insbesondere Sondennahrung sollte "weiterhin zu Lasten der Krankenkasse verordnungsfähig sein" (Bundestagsdrucksache 14/157 v. 08.12.1998, S. 46). Auf die Frage, ob und wieweit das Vertrauen in eine bestehende Rechtslage geschützt ist und wie weit dieses Vertrauen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG beseitigt werden kann (vgl. dazu BSGE 85, 36, 55f = SozR 3 - 2500 § 27 Nr. 11), kommt es damit hier im Ergebnis nicht an.

Durch die vertragsärztliche Verordnung des Dr. Ullrich ist der Rahmenanspruch des Klägers auf Versorgung mit Arzneimitteln auf die verordneten Präparate konkretisiert worden. Diese unterfallen nach Ziffer 17.1 i) AMR wie Arzneimittel dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn Ziffer 17.1 i) AMR lässt ausdrücklich die Verordnung medizinisch indizierter Sondennahrung zu.

Die Versorgung mit den Krankenkostpräparaten "Fresubin Pfirsich" bzw. "Osmolite mit Belaststoffen/Frisubin original fibre" war und ist wegen der beim Kläger bestehenden Passagebehinderung im Darmbereich medizinisch zwingend indiziert, um eine Verschlimmerung der Krankheit, nämlich das Auftreten von lebensbedrohlichen Ileuszuständen, zu verhindern, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGG V. Bei der verordneten Trink- und Sondennahrung handelt es sich auch um "Sondennahrung" im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V, Ziffer 17.1. i) AMR. Der Beklagten ist zuzugestehen, dass sich diese Interpretation dem Wortlaut der Ausnahmeregelung nicht zwanglos entnehmen lässt. Vielmehr bedarf es dazu einer näheren philologischen Betrachtung der gewählten Formulierung unter Einbeziehung der Systematik sowie des mit der Regelung verbundenen Normzweckes.

Zu Recht hat die Beklagte in ihrer Dienstanweisung zu § 31 SGB V schon vor Inkrafttreten des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V bei der Strukturierung des Kapitels 3 "Krankenkost als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung" für medizinisch indizierte Sondennahrung einen eigenen Unterpunkt (nämlich 3.4.) gebildet. Der Wortlaut von Ziffer 17.1 i) AMR gibt das eigentlich nicht her. Er legt vielmehr eine Trennung von Trink- und Sondennahrung und (sonstigen) Diätpräparaten nicht nahe, wenn es heißt: "Als Ausnahmen sind nur zulässig [ ...] Elementardiäten [ ...] bei Patienten mit [ ...] sowie medizinisch indizierter Sondennahrung. Das Dativ - r beim adjektivisch verwendeten Partizip Perfekt "indiziert" macht hier syntaktisch aus dem Prädikativ "medizinisch indizierte Sondennahrung" das Präpositionalattribut "bei Patienten mit medizinisch indizierter Sondennahrung", bezieht also die Konjunktion "sowie" auf die vorangehenden Präpositionalattribute zu "Patienten" und nicht auf die Prädikative wie "Elementardiäten". Das aber kann - wie die Beklagte zu Recht erkannt hat - nicht gewollt sein. Denn als Präpositionalattribute zu "Patienten" sind ausschließlich medizinische Diagnosen angeführt, bei denen Elementardiäten ausnahmsweise der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen sollen. Medizinisch indizierte Sondennahrung soll dagegen offenbar unabhängig von der zugrunde liegenden Diagnose als Krankenkost (in Abgrenzung zu des ausdrücklich genannten Elementardiäten) verordnungsfähig sein. Deshalb gebietet die erkennbare Regelungsabsicht, hier syntaktisch eine Aufzählung von Prädikativen anzunehmen und die genannte Formulierung als "medizinisch indizierte Sondennahrung" zu lesen. Dafür spricht auch die - spätere - Formulierung in der maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V, worin Elementardiäten und Sondennahrung separat angeführt werden.

Bei den verordneten Präparaten handelt es sich auch um Sondennahrung im Sinne dieser Ausnahmeregelung. Denn dieser Begriff umfasst das gesamte Spektrum der Trink- und Sondennahrung, die geeignet ist, als künstliche enterale Ernährung verabreicht zu werden, sei es als orale Trinknahrung, sei es durch Applikation über eine Sonde. Die von der Beklagten und auch vom Bundesausschuss in diese Formulierung "hineingelesene" begriffliche Einschränkung, wonach die Applikation über eine Sonde Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sein soll, lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Regelung entnehmen.

Geregelt ist ausdrücklich der Ausnahmetatbestand "medizinisch indizierte Sondennahrung", was zunächst - nur - bedeutet, dass es sich um Nahrung handeln muss, die geeignet ist, (auch) über eine Sonde appliziert zu werden. Der Begriff "Sondenernährung", der die von der Beklagten favorisierte Auslegung nahe legte, ist dagegen gerade nicht verwendet worden. Damit ist begrifflich ein Kompositum (zusammengesetztes Wort) gewählt worden, das im bedeutungstragenden - zweiten - Wortelement von Nahrung (in Abgrenzung zur spezielleren Elementardiät, s.o) und im - bedeutungseinschränkenden - ersten - Wortelement "Sonden" die Krankenkost ausnimmt, die nicht über eine Sonde appliziert werden kann. Damit ergibt sich begrifflich kein Ansatz für eine Einschränkung, die auf die Applikationsform abstellt. Das macht auch durchaus Sinn, wie der vorliegende Fall verdeutlicht. Denn nach dem Urteil der behandelnden Ärzte Dres. U ..., K ... und M ..., des Dr. M ... vom SMD der Beklagten und des gerichtlichen Sachverständigen Prof. G ..., ist die - orale - Verabreichung von Sondennahrung beim Kläger zwingend indiziert, um den Eintritt lebensbedrohlicher Ileuszustände zu verhindern. Dabei ist nachvollziehbar, dass beide möglichen Verabreichungsformen gleichermaßen dazu dienen, die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhindern.

Es liegt nahe, dass bei einer solchen (Grenz-)Konstellation zunächst die für den Kläger schonendere orale Applikation gewählt wird, und erst, wenn diese medizinisch nicht mehr vertretbar erscheint, die Applikation durch eine hinter dem Passagehindernis in den Darm einzubringende Verweilsonde erfolgt. Warum - zumindest in Grenzfällen wie dem vorliegenden - gerade von dieser medizinischen Entscheidung auch die Verordnungsfähigkeit abhängen soll, ist nicht erkennbar. Dies bedeutete, dass für eine ärztliche Entscheidung auch Kostengründe ins Kalküleinflössen. Dafür sind aber sachliche Gründe nicht erkennbar, wie sowohl systematische als auch am Normzweck orientierte Überlegungen verdeutlichen:

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof ... handelt es sich beim Kläger um ein Krankheitsbild, das den in Ziffer 17.1 i) AMR ausdrücklich genannten Krankheitsbildern in seinen Auswirkungen entspricht: Medizinisch indizierte Sondennahrung bedeute, dass der Patient medizinisch notwendig auf eine spezielle Sondennahrung angewiesen sei; die Applikation über eine Sonde sei kein zwingendes Merkmal dieses Begriffes; vielmehr falle auch die dem Kläger verordnete Trinknahrung darunter. Diese Ausführungen überzeugen, weil die Vergleichbarkeit des beim Kläger zugrundeliegenden Krankheitszustands mit unter einem Morbus Crohn oder einem Kurzdarmsyndrom leidenden Patienten dafür spricht, Trink- und Sondennahrung unabhängig von der Applikationsweise den bei diesen Krankheiten - oral - verabreichten Elementardiäten gleichzustellen. Bei diesen Krankheiten müssen wegen der fehlenden Resorptionsfähigkeit des Darms (Malresorption) Elementardiäten verabreicht werden. Auch bei ihnen ist also wegen einer Störung im Darmbereich die Verabreichung normaler Nahrung nicht möglich. Ähnlich ist es auch bei konsumierenden Erkrankungen, bei denen wegen allgemeiner körperliche Schwäche die Verarbeitung normaler Nahrung nicht mehr möglich ist. In allen die sen Fällen hat die enterale künstliche Ernährung - wie auch beim Kläger - lebenserhaltende Funktion.

Die Gleichstellung medizinisch indizierter Sondennahrung mit den genannten Elementardiäten unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung und der gewählten Verabreichungsform wird auch durch systematische Überlegungen bestätigt. Denn die Ausnahmeregelung in Ziffer 17.1 i) AMR ist von dem Bestreben getragen, Elementardiäten (ebenfalls unabhängig von der Applikationsweise) nur ausnahmsweise bei bestimmten medizinischen Indikationen, andere Krankenkostpräparate hingegen generell als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung einzuordnen. Zu diesen gehört auch die medizinisch indizierte Sondennahrung, da diese erkennbar unabhängig von der zugrunde liegenden Diagnose generell verordnungsfähig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sein soll. Das bedeutet: Ist medizinisch die Verabreichung von Sondennahrung (als Sonderfall einer Elementardiät) indiziert, soll es sich unabhängig von der zugrunde liegenden Krankheit um Krankenkost handelt, die ausnahmsweise dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterfällt.

Der Senat kann über den Antrag des Klägers, der eine Erstattungsforderung im Einzelnen nicht beziffert hat, durch Grundurteil entscheiden, § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Höhe des Anspruchs wird die Beklagte unter Anwendung von § 31 Abs. 3 SGB V unter zusätzlicher Prüfung der Frage, ob ein Abzug wegen ersparter Aufwendungen in Betracht kommt (der Kläger hat seine Bereitschaft, eine solchen Anteil zu tragen, ausdrücklich erklärt) zu prüfen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der zentralen Rechtsfrage nach der Reichweite der Ausnahmeregelung in Ziffer 17.1 i) AMR grundsätzliche Bedeutung beimisst, § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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