L 5 KR 14/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 Kr 37/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 14/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29.01.1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im zweiten Rechtszug.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die in einem Altenpflegeheim lebende Klägerin mit einen Toilettenstuhl versorgen muß.

Die im Jahre 1916 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie wohnt in einem Seniorenzentrum der Beigeladenen und bezieht als Schwerpflegebedürftige Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II. Die Klägerin leidet an einem aufgehobenen Geh- und Stehvermögen bei Morbus Parkinson, Harninkontinenz, Herzinsuffizienz und Diabetes mellitus. Ausweislich eines Gutachtens des MDK Westfalen-Lippe vom 01.04.1996 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.1997 ist die Toilettenbenutzung nur mit Hilfestellung möglich, wobei tagsüber sieben Mal ein Transfer zur Toilette erfolge.

Am 29.10.1996 erstellte der Allgemeinmediziner Dr. O ... ein "Attest zur Vorlage bei der Pflegeversicherung", in dem er die Notwendigkeit eines Toilettenstuhls für die Klägerin angab. Mit Bescheid vom 06.11.1996 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kostenübernahme des "verordneten Toilettenstuhls" ab. Toilettenhilfen gehörten zur Grundausstattung eines Pflegeheimes, welche mit dem Pflegesatz abgegolten seien. Den am 19.11.1996 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.1997 als unbegründet zurück. Zwar handele es sich bei dem Toilettenstuhl um ein Hilfsmittel i.S. des § 33 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Keine Leistungspflicht bestehe jedoch bei Heimbewohnern, die den Toilettenstuhl ohne Zuhilfenahme des Pflegepersonals nicht selbständig benutzen könnten. Hier stehe nicht die Ermöglichung oder Erhöhung der Selbständigkeit des Versicherten, sondern die Entlastung des Pflegepersonals im Vordergrund.

Hiergegen richtet sich die am 19.03.1997 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhobene Klage. Die Klägerin hat geltend gemacht, sie könne die im übrigen behinderungsgerechte Toilette des Pflegeheimes nur unter Mühen und ständiger Beaufsichtigung durch das Pflegepersonal nutzen.

Das SG hat die Arbeiterwohlfahrt Gelsenkirchen als Altenheimträgerin gem. § 75 Abs. 1 SGG beigeladen. Die Beigeladene hat mitgeteilt, daß die Klägerin auch unter Hilfestellung nicht mehr vom Rollstuhl auf eine Toilette umsteigen könne. Eine versuchsweise Benutzung des Toilettenstuhls einer anderen Heimbewohnerin habe gezeigt, daß die Klägerin die Toilettenstuhlbenutzung innerhalb ihres Appartements vollziehen könne, da Körperdrehbewegungen weitestgehend entfielen, mehr Raum zur Verfügung stehe und mit Hilfe der Pflegemitarbeiter nur das Aufstehen aus dem Rollstuhl zum Unterschieben des Toilettenstuhls erfolge. Durch die Rücken- und Seitenlehnen erhalte die Klägerin Sicherheit, was ihre Ängste vor dem Stürzen oder Umfallen verringere. So könne die Klägerin in Ruhe und unter Wahrung ihrer Intimsphäre ihre Notdurft verrichten.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 29.01.1998 unter Aufhebung des Bescheides vom 06.11.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.02.1997 verurteilt, der Klägerin den verordneten Toilettenstuhl zur Verfügung zu stellen. Der Toilettenstuhl sei ein Hilfsmittel i.S. des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, das die Klägerin zum Ausgleich einer Behinderung benötige. Es genüge, daß der Toilettenstuhl der Klägerin die ungestörte und angstfreie Verrichtung der Notdurft ermögliche bzw. zumindest erleichtere. Zur Befriedigung von Grundbedürfnissen gehöre die Verrichtung der Notdurft unter menschenwürdigen Bedingungen. Soweit demnach mit Hilfe des Toilettenstuhls die Verrichtung der Notdurft im Bett oder bei ständiger Anwesenheit weiterer Personen vermieden werde, diene dieses der Erweiterung eines sonst unangemessen beschränkten Freiraumes. Angesichts dieses Zweckes sei die beantragte Leistung mit Kosten von ca. 500,- DM auch nicht unwirtschaftlich und über schreite nicht das Maß des Notwendigen i.S. des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 26.05.1997 berufen. Diese stelle eine einseitige Regelung entgegen der gesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 33 SGB V dar. Sonstige Vorschriften, nach denen Pflegeheime verpflichtet wären, das streitige Hilfsmittel vorzuhalten und Heimbewohnern zur Verfügung zu stellen, seien nicht bekannt.

Die Beklagte hat am 16.02.1998 die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Die Ausstattung des Pflegeheimes mit einem fahrbaren Toilettenstuhl gehöre zu den Investitionskosten, hilfsweise zur Pflegevergütung. Insofern sei auf die Landtagsdrucksache 12/2309 vom 18.08.1997 (Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Finanzierung von Pflegehilfsmitteln in stationären Altenhilfeeinrichtungen) zu verweisen. Wenn ein Pflegeheim, das doch typischerweise mit älteren Patienten besetzt sei, von denen sicherlich etliche Inkontinenzprobleme hätten, keine derartigen Toilettenstühle vorhalten brauche und auch alle übrigen in ähnlichen Prozessen streitigen Gegenstände wie spezielle Pflegebetten, Rollstühle usw. nicht vorhalten brauche, so müsse man fragen, weshalb der Aufenthalt denn so viel teuerer sei als in einer Jugendherberge. Selbst wenn man über einen Leistungsanspruch nach § 40 des Sozialgesetzbuchs - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) oder nach § 33 SGB V nachdenken wolle, müsse jedenfalls die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit der Leistung gegeben sein. Diese sei bei der in einem Pflegeheim lebenden Klägerin nicht gegeben, weil es Sache des Heimes sei, derartige Hilfsmittel für seine Bewohner vorzuhalten. Mit der Bezahlung des Pflegesatzes durch den Patienten an das Pflegeheim bestehe - bei entsprechendem persönlichem Bedarf - bereits ein Anspruch des Heimbewohners gegen das Pflegeheim auf einen solchen Toilettenstuhl. Eine Leistung der Krankenkasse stelle deshalb eine überflüssige und eben nicht notwendige Doppelversorgung dar. Letztlich werde damit das Pflegeheim nur von der Verpflichtung entbunden, entsprechende Eigeninvestitionen vorzunehmen. Auffällig sei auch, daß derartige Heime in der Vergangenheit solche Leistungen ganz selbstverständlich ihren Bewohnern zur Verfügung gestellt hätten. Dies ergebe sich - mehr oder minder deutlich - aus dem Urteil des BVerwG vom 25.11.1982 - Az.: 5 C 13/82 -. Es scheine eine konzertierte Aktion dieser Heime zu sein, neuerdings die Pflege- oder Krankenkasse in Anspruch nehmen zu wollen. Die Klägerin könne sich unter den in Betracht kommenden Heimen ein solches aussuchen, das über einen fahrbaren Toilettenstuhl verfüge. Wenn das von ihr ausgesuchte Heim darüber nicht verfüge, sei es eben schlecht ausgestattet und für die Pflege im konkreten Einzelfall nicht geeignet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29.01.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Es handele sich bei dem Toilettenstuhl um ein individuelles, nur für sie bestimmtes Hilfsmittel. So werde der zwischenzeitlich von der Beklagten leihweise zur Verfügung gestellte Toilettenstuhl nur von ihr genutzt und stehe jederzeit in dem zum Appartement gehörenden Badezimmer zur Verfügung. Es scheine sich auch nicht um eine konzertierte Aktion der Heime zu handeln, sondern um das genaue Gegenteil. Erst seit Einführung der Pflegeversicherung komme es zu massiven Problemen mit der AOK, die plötzlich die Ansicht vertrete, das Pflegeheim müsse Hilfsmittel wie Toiletten- und Rollstühle zur Verfügung stellen.

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Die Klägerin hat eine Hilfsmittelverordnung von Dr. O ... vom 30.04.1998 vorgelegt.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten am 08.06.1998 gem. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG gehört. Die Beklagte hat daraufhin mitgeteilt, daß sie die Sache für ausgeschrieben halte, im Hinblick auf zahlreiche ähnlich gelagerte Rechtsstreite jedoch von einer grundsätzlichen Bedeutung ausgehe und eine mündliche Verhandlung für sinnvoll halte.

II.

1.

Der Senat hat die Berufung gem. § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückgewiesen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ein Einverständnis der Beteiligten ist für diese Vorgehensweise nicht erforderlich. Auch aus dem Beklagtenvorbringen wird nicht deutlich, warum nach zweimaliger mündlicher Verhandlung der Angelegenheit in erster Instanz noch eine weitere mündliche Erörterung sinnvoll seien soll. Weder wird ergänzender Vortrag zur Sach- und Rechtslage angekündigt noch ergibt sich aus dem Prozeßverhalten der Beklagten ein Anhaltspunkt für ein etwaiges Nachgeben ohne gerichtliche Entscheidung. Die Beklagte hat sich vielmehr darauf beschränkt, ihren bereits in erster Instanz vertretenen Rechtsstandpunkt ohne nähere Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des SG und mit bereits vorliegenden Entscheidungen des LSG NRW zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz bei Ablehnung von Hilfsmittelversorgungen für Pflegeheimbewohner (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss vom 29.12.1997 - L 2 SKn 16/97 -, Behindertenrecht 1998, 48; LSG NRW, Beschluss vom 12.02.1998 - L 5 SKr 1/98 -) zu wiederholen. Der Senat hält es deshalb im Hinblick auf derzeit begrenzt zur Verfügung stehende Verhandlungstermine im Interesse einer zügigen Entscheidung für gerechtfertigt, von § 153 Abs. 4 SGG Gebrauch zu machen.

2.

Die zulässige Berufung ist unbegründet, weil die Beklagte durch das SG zu Recht zur Versorgung der Klägerin mit einem Toilettenstuhl verurteilt worden ist.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V umfaßt die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Es besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Voraussetzung der Leistungsgewährung ist zunächst die Konkretisierung des Anspruchs durch eine vertragsärztliche Verordnung des Hilfsmittels gem. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V. Diese Verordnung liegt jedenfalls seit dem 30.04.1998 vor.

Der von der Klägerin begehrte fahrbare Toilettenstuhl ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, d.h. üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt werden (BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 5, Bl. 13; BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 13, Bl. 52). Zwar ist die Toilette ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Der Toilettenstuhl ist jedoch durch Rollen sowie behinderungsgerechte Rücken- und Armstützen derart abgewandelt, daß er allein von Kranken und Behinderten genutzt wird (S.a. BSG SozR 2200 § 187 Nr. 4, Bl. 12 - Arthrodesenstuhl -). Ein Ausschluß nach § 34 Abs. 4 SGB V liegt nicht vor.

Der Toilettenstuhl ist bei der Klägerin zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dies ist anzunehmen, wenn der Hilfsmitteleinsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt wird. Das Hilfsmittel muß der elementaren Lebensbetätigung des Behinderten oder deren wesentlicher Verbesserung dienen. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen gehören nicht nur die Ernährung oder die elementare Körperpflege, sondern auch die Schaffung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraumes (BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 3, Bl. 4; BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 5, Bl. 13; BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 16, Bl. 73). Es ist unzweifelhaft, daß die Verrichtung der Notdurft auf einer Toilette zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählt. Dem SG ist auch darin zuzustimmen, daß dies die durch die Rückenlehne und die Seitenstützen des Toilettenstuhls ermöglichte sitzende Verrichtung der Notdurft unter Wahrung der Intimsphäre umfaßt. So kann die Klägerin nur mit Hilfe des Toilettenstuhls ohne Angst vor Stürzen allein in Ruhe die Notdurft verrichten, was ansonsten aufgrund ihrer körperlichen Behinderung nur liegend möglich wäre. Im Hinblick auf die Schwere der Behinderung bestehen keine Zweifel an den diesbezüglichen Angaben der Klägerin und der Beigeladenen. Unter Berücksichtigung der subjektiven Verhältnisse der Klägerin und ihres individuellen Bedarfs ist der Toilettenstuhl damit erforderlich i.S. des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur möglichst umfangreichen Aufrechterhaltung ihrer elementaren Lebensbetätigung.

Der Versorgung mit dem Hilfsmittel steht nicht entgegen, daß die Beigeladene Pflegekräfte zur Unterstützung, nämlich insbesondere zum Wechsel vom Rollstuhl auf den Toilettenstuhl, zur Verfügung stellt. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Fähigkeit, einen Gegenstand selbständig und ohne Hilfe anderer Personen benutzen zu können, kein Abgrenzungskriterium für die Hilfsmitteleigenschaft darstellt. Auch der Umstand, daß neben dem Behinderungsausgleich eine Erleichterung der Pflege bewirkt wird, ist unschädlich (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 20, Bl. 57; BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 7, Bl. 27 f.). Pflegeerleichterung und Behinderungsausgleich schließen sich nicht aus. Ein Hilfsmittel kann gleichzeitig beide Funktionen erfüllen, insbesondere, wenn es - wie hier - die Durchführung bestimmter Verrichtungen des täglichen Lebens erst ermöglicht und diese Verrichtungen auch sonst unter Einschaltung von Pflegepersonal nicht möglich wären (S.a. LSG NRW, Urteil vom 30.04.1998 - L 2 KN 41/97 KR -, Umdr. S. 6). Die Klägerin könnte ohne den Toilettenstuhl eine Toilette allenfalls mit Unterstützung und ständiger Anwesenheit von Pflegekräften nutzen.

Der krankenversicherungsrechtliche Leistungsanspruch der Klägerin auf Hilfsmittelversorgung wird auch nicht dadurch berührt, daß die Beklagte die Auffassung vertritt, das Seniorenzentrum der Beigeladenen habe Toilettenstühle vorzuhalten. Das Gesundheitsreformgesetz hat die Vorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der der Anspruch eines Rentners auf Krankenhilfe ruhte, wenn er in einer Anstalt dauerhaft zur Pflege untergebracht war, in der er im Rahmen der gesamten Betreuung Krankenpflege erhielt, nicht in das SGB V übernommen. Dies wurde u.a. damit begründet, daß diese Regelung zunehmend als Diskriminierung von Pflegebedürftigen angesehen werde (BT-Drucks. 11/2237, S. 165). Auch mit Einführung der Pflegeversicherung hat der Gesetzgeber es unterlassen, den Wegfall der Ruhensvorschrift zu korrigieren. Damit fehlt es unabhängig davon, ob eine derartige Vorhaltepflicht tatsächlich besteht, bereits an einer Rechtsgrundlage, den individuellen Rechtsanspruch der Klägerin i.S. des § 38 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I) zu beschränken und die Beklagte von ihrer Verpflichtung zur Bereitstellung des Hilfsmittels gem. § 17 SGB I zu entlasten (S.a. LSG NRW, Beschluss vom 29.12.1997, Behindertenrecht 1998, 48, 50; LSG NRW, Beschluss vom 26.02.1998 - L 16 SKr 15/98 -, Umdr. S. 5; Griep/Renn in: ZfSH/SGB 1997, 707, 708).

Es geht nicht an, die Klägerin insoweit auf etwaige Ansprüche aus dem Heimvertrag zu verweisen. Der Wortlaut des § 33 SGB V stellt ausschließlich auf medizinische Kriterien ab und enthält keinen Hinweis auf Selbsthilfeerfordernisse (Kasseler Kommentar - Höfler, Stand: 1/98, § 33 SGB V RdNr. 18a). Abgesehen von gesetzlich geregelten Ausnahmen (vgl. § 37 Abs. 3, § 38 Abs. 3 SGB V) läßt sich in der gesetzlichen Krankenversicherung kein genereller Vorrang der Selbsthilfe oder der Hilfe Dritter gegenüber i.d.R. durch Beitragsleistungen erworbenen Leistungsansprüchen begründen (Vgl. BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 16, Bl. 76 f.; BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 18, Bl. 93; LSG NRW, Beschluss vom 12.02.1998 - L 5 SKr 1/98 -, Umdr. S. 4 f.). Auf die von der Beklagten für möglich gehaltene Abdeckung der Kosten für Toilettenstühle durch die Investitionskosten bzw. die Pflegevergütung (§ 82 SGB XI) kommt es demnach nicht an. Im übrigen ergibt sich aus der Antwort der Landesregierung NRW vom 18.08.1997 (LT-Drucks. 12/2309), daß Hilfsmittel, die einen individuellen Bedarf abdecken, nicht zu den Investitionsaufwendungen vollstationärer Pflegeeinrichtungen zählen sollen. Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BVerwG vom 25.11.1982 (ZfS 1983, 84) ist unergiebig, weil sie lediglich den Begriff der Pflege in § 85 Nr. 3 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) definiert. Inwieweit stationäre Pflegeeinrichtungen Toilettenstühle und andere Hilfsmittel tatsächlich vorhalten bzw. in der Vergangenheit vorgehalten haben ist nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist allein, daß der Klägerin das erforderliche Hilfsmittel nicht zur Verfügung stand. Die Beklagte kann nicht ernsthaft meinen, die Klägerin zur Vermeidung ihrer Leistungspflicht auf den Umzug in eine andere Einrichtung verweisen zu können.

Eine Konkurrenz mit dem Anspruch des Pflegebedürftigen auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, besteht nicht. Die Pflegeversicherung ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI nur insoweit einstandspflichtig, als die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind (Subsidiarität der Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, s.a. § 78 Abs. 1 Satz 1 SGB XI; BT-Drucks. 12/5262 zu § 36 SGB XI, S. 113).

Entsprechend den Angaben in dem Gutachten des MDK vom 01.04.1996 geht der Senat davon aus, daß die Klägerin mehrmals am Tag den Toilettenstuhl nutzt. Das Hilfsmittel steht in dem Appartement der Klägerin ständig bereit. Eine Nutzung des Stuhles durch mehrere Behinderte findet nicht statt und erscheint weder als zweckmäßig noch als zumutbar. Deshalb ist insbesondere die in Ausführung des erstinstanzlichen Urteils vorgenommene leihweise Bereitstellung des Toilettenstuhls (§ 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V) wirtschaftlich im Sinne einer angemessenen Relation zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil der Hilfsmittelversorgung (§ 12 SGB V).

3.

Revisionszulassungsgründe i.S. des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Zwar ist dem Senat bekannt, daß die Beklagte die Hilfsmittelversorgung von Heimbewohnern oftmals mit dem Argument ablehnt, die Pflegeeinrichtung sei insoweit leistungspflichtig. Diese Verwaltungspraxis, für die eine Rechtsgrundlage weder ersichtlich ist noch substantiiert vorgetragen wird, begründet jedoch keine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (Vgl. Mayer- Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 160 RdNr. 9). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinsichtlich des Hilfsmittelanspruchs wird nicht aufgeworfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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