Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 44/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 2/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 23/99 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Leistungen der Pflegeversicherung schließen häusliche Krankenpflege zu Lasten der Krankenversicherung nicht aus.
Der Versicherte erhielt Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe 2. Seine Krankenkasse lehnte die von dem behandelnden Arzt verordnete häusliche Krankenpflege (Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen, Blutdruckmessungen) ab, weil es sich dabei um Leistungen der Grundpflege handele.
Die Krankenkasse hat den Versicherten von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst freizustellen. Die begehrten Leistungen sind nämlich Behandlungspflege im Sinne der Vorschriften der Krankenversicherung und nicht bereits in den Leistungen nach der Pflegestufe 2 enthalten. Der Anspruch ist auch nicht ausgeschlossen, denn im Haushalt des Versicherten lebt keine Person, die die Behandlungspflege durchführen kann.
Der Versicherte erhielt Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe 2. Seine Krankenkasse lehnte die von dem behandelnden Arzt verordnete häusliche Krankenpflege (Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen, Blutdruckmessungen) ab, weil es sich dabei um Leistungen der Grundpflege handele.
Die Krankenkasse hat den Versicherten von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst freizustellen. Die begehrten Leistungen sind nämlich Behandlungspflege im Sinne der Vorschriften der Krankenversicherung und nicht bereits in den Leistungen nach der Pflegestufe 2 enthalten. Der Anspruch ist auch nicht ausgeschlossen, denn im Haushalt des Versicherten lebt keine Person, die die Behandlungspflege durchführen kann.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30.10.1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger vom 01.10. bis 31.12.1997 Anspruch auf häusliche Krankenpflege hat.
Der ... geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Der behandelnde praktische Vertragsarzt Dr. G verordnete für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.1997 häusliche Krankenpflege. Der Kläger leide unter Angiopathie, Arthrose, Diabetes mellitus, Inkontinenz, Krampfleiden, Polyneuropathie, Varicosis. Es wurden einmal täglich bzw. siebenmal wöchentlich Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen und Blutdruckmessungen verordnet.
Mit Bescheid vom 23.10.1997 lehnte die Beklagte es ab, die verordnete häusliche Krankenpflege zu gewähren, weil der Einsatz von Fachpersonal nicht zwingend erforderlich sei. Es handele sich um Leistungen der Grundpflege, für die eine Kostenübernahme bzw. -beteiligung nicht erfolgen könne.
Am 07.11.1997 wurde mit der Begründung Widerspruch erhoben, die Tochter des Klägers könne die begehrten Leistungen nicht mehr erbringen. Das Verhältnis zu ihrem Vater sei sehr angespannt und für sie in zunehmendem Maße schwer zu ertragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.1998 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück. Im übrigen machte sie darauf aufmerksam, daß die Tochter des Klägers die begehrten Leistungen erbringen könne, so daß jedenfalls ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege an § 37 Abs. 3 SGB V scheitere.
Am 19.03.1998 ist Klage aus den Gründen des Widerspruchs erhoben worden.
Nachdem im Verhandlungstermin klargestellt worden war, daß die Tochter des Klägers zwar im selben Haus wie ihre Eltern, nicht jedoch in derselben Wohnung wohne, gab das Sozialgericht mit Urteil vom 30.10.1998 der Klage statt. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V. Bei den begehrten Leistungen handele es sich sehr wohl um solche der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. der einfachen Behandlungspflege. Dies sei wegen der Blutzuckertests und Insulininjektionen dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.02.1998, Az. B 3 P 3/97 R, zu entnehmen. Des weiteren sei dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.04.1996, Az. 3 RK 28/95, zu entnehmen, daß auch einfache medizinische Behandlungspflege, die keine besondere medizinische Sachkunde erfordere, Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V sein könne; im vorliegenden Fall gelte dies für die Salbeneinreibungen und die Blutdruckmessungen. Da die Tochter des Klägers nicht in der Wohnung des Klägers lebe, greife auch nicht die anspruchsausschließende Norm des § 37 Abs. 3 SGB V ein. Deswegen könne es dahingestellt bleiben, ob und wieweit die Tochter des Klägers überhaupt in der Lage sei, die streitbefangenen behandlungspflegerischen Maßnahmen sach- und fachgerecht auszuführen.
Gegen dieses ihr am 04.12.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.01.1999 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Kosten der streitbefangenen Behandlungspflege beliefen sich auf ca. 2.700,-- DM. Daß es sich bei den begehrten Leistungen nicht um Behandlungspflege im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V handele, erscheine auch sachgerecht, weil der Kläger bereits Leistungen nach der Pflegestufe II erhalte. Eine Trennung nach den einzelnen Verrichtungen sei eine willkürliche Zäsur innerhalb eines einheitlichen Lebenssachverhaltes. In Fallgestaltungen dieser Art dränge es sich geradezu auf, daß der mehrmals täglich erscheinende Pflegedienst die streitbefangenen Verrichtungen gleichzeitig mit den Leistungen nach dem SGB XI durchführe. Anderenfalls könne der Pflegedienst zusätzlich zu der Vergütung der Grundpflege die Einsatzpauschale einer Behandlungspflege abrechnen.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, daß ihm die vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen zustünden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug gemommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte verhandeln und entscheiden, obwohl für den Kläger im Termin niemand anwesend war. Das folgt aus den §§ 124, 126 SGG. Auf diese Möglichkeit ist der Kläger in der Terminsnachricht hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger die für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.1997 vertragsärztlich verordnete häusliche Krankenpflege zu gewähren.
Der Kläger hat einen Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V auf Freistellung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst. Der Pflegedienst hat den Kläger noch nicht auf Zahlung in Anspruch genommen. Unabhängig davon, ob § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB V als Anspruchsgrundlage für eine Freistellung heranzuziehen ist, ergibt
sich aus § 13 Abs. 1 SGB V, daß ein Freistellungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung tritt. Ein Freistellungsanspruch kann deshalb nur bestehen, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen als Naturalleistungen zu erbringen sind. Bevor der Kläger sich die streitbefangenen Leistungen selbst beschaffte, hatte er einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Bei sämtlichen ursprünglich vom Kläger begehrten und anschließend selbstbeschafften Leistungen der Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen und Blutdruckmessungen handelte es sich um Behandlungspflege im Sinne der zuletzt zitierten Vorschrift. In diesem Zusammenhang sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab, indem er den Gründen der angefochtenen Entscheidung und den dort herangezogenen Urteilen des Bundessozialgerichts uneingeschränkt folgt.
Der Senat vermag der Beklagten nicht beizupflichten, soweit sich diese im Hinblick auf die vom Kläger bereits erhaltenen Leistungen nach der Pflegestufe II gegen eine Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes wendet. Wegen des gegliederten Sozialversicherungssystems ist es unvermeidlich, bei einem einheitlich erscheinenden Lebenssachverhalt danach zu differenzieren, ob ein Anspruch auf Behandlungspflege (Krankenversicherung) und/oder Grundpflege (Pflegeversicherung) besteht. Die Anspruchsinhalte sind nämlich verschieden. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat einfache (keine Fachkunde erfordernde) und qualifizierte (Fachkunde erfordernde) behandlungspflegerische Leistungen zum Gegenstand. Dagegen besteht die in § 14 Abs. 3 SGB XI geregelte Hilfe in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen, die im einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt sind. Daran ändert entgegen der Auffassung der Beklagten nichts, daß der Pflegedienst zusätzlich zu der Vergütung der Grundpflege die Einsatzpauschale der Behandlungspflege abrechnen kann. Gemäß § 31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt. Deshalb sind versorgungsvertragliche Regelungen im Sinne von § 132 a SGB V, §§ 72 f., 77 SGB XI nicht dazu geeignet, gesetzliche Ansprüche von Versicherten - im vorliegenden Falle aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V - einzuschränken. Sehr wohl ist es den Vertragspartnern der erwähnten Versorgungsverträge unbenommen, solche vertraglichen Regelungen vorzusehen, die eine komplexe Vergütung von Einsatzpauschalen bei der gleichzeitigen Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V und Grundpflege nach dem SGB XI ermöglichen.
Der Beklagten ist immerhin zuzugeben, daß nach den vom Sozialgericht herangezogenen Urteilen des Bundessozialgerichts einfache Behandlungspflege in den Fällen, in denen sie von den im Haushalt des Pflegebedürftigen lebenden Angehörigen erbracht wurden, im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen sind. Denn mit der Einführung der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 53 bis 57 SGB V a.F. (vgl. Urteil des BSG vom 17.04.1996, Az. 3 RK 28/95) und bei Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (vgl. Urteil des BSG vom 19.02.1998, Az. B 3 P 3/97 R) sollte namentlich das Ziel angestrebt werden, die Versorgung von Schwerpflegebedürftigen bzw. Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich zu verbessern, und zwar auch dadurch, daß die pflegenden Angehörigen spürbar entlastet werden sollten, um ihre Pflegebereitschaft und Pflegefähigkeit auf Dauer zu erhalten. Im vorliegenden Fall gehört die Tochter des Klägers aber gerade nicht zu den im Haushalt des Klägers lebenden Personen im Sinne von § 37 Abs. 3 SGB V, so daß der Anspruch auf häusliche Krankenpflege des Klägers durch diese Vorschrift nicht ausgeschlossen ist. Bereits dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift ist zu entnehmen, daß es sich um eine häusliche wohnungsmäßige familienhafte Wirtschaftsführung im Verhältnis zwischen Krankem und der für die Pflege heranzuziehenden Person handeln muß (vgl. in diesem Sinne ebenso Urteil des BSG vom 23.03.1983, Az. 3 RK 66/81). Im übrigen ist § 37 Abs. 3 SGB V als Ausnahmevorschrift teleologisch eng auszulegen. Dies gilt um so mehr gemäß § 2 Abs. 2 SGB I, wonach sicherzustellen ist, daß die sozialen Rechte des Bürgers möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger vom 01.10. bis 31.12.1997 Anspruch auf häusliche Krankenpflege hat.
Der ... geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Der behandelnde praktische Vertragsarzt Dr. G verordnete für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.1997 häusliche Krankenpflege. Der Kläger leide unter Angiopathie, Arthrose, Diabetes mellitus, Inkontinenz, Krampfleiden, Polyneuropathie, Varicosis. Es wurden einmal täglich bzw. siebenmal wöchentlich Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen und Blutdruckmessungen verordnet.
Mit Bescheid vom 23.10.1997 lehnte die Beklagte es ab, die verordnete häusliche Krankenpflege zu gewähren, weil der Einsatz von Fachpersonal nicht zwingend erforderlich sei. Es handele sich um Leistungen der Grundpflege, für die eine Kostenübernahme bzw. -beteiligung nicht erfolgen könne.
Am 07.11.1997 wurde mit der Begründung Widerspruch erhoben, die Tochter des Klägers könne die begehrten Leistungen nicht mehr erbringen. Das Verhältnis zu ihrem Vater sei sehr angespannt und für sie in zunehmendem Maße schwer zu ertragen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.1998 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück. Im übrigen machte sie darauf aufmerksam, daß die Tochter des Klägers die begehrten Leistungen erbringen könne, so daß jedenfalls ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege an § 37 Abs. 3 SGB V scheitere.
Am 19.03.1998 ist Klage aus den Gründen des Widerspruchs erhoben worden.
Nachdem im Verhandlungstermin klargestellt worden war, daß die Tochter des Klägers zwar im selben Haus wie ihre Eltern, nicht jedoch in derselben Wohnung wohne, gab das Sozialgericht mit Urteil vom 30.10.1998 der Klage statt. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V. Bei den begehrten Leistungen handele es sich sehr wohl um solche der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. der einfachen Behandlungspflege. Dies sei wegen der Blutzuckertests und Insulininjektionen dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.02.1998, Az. B 3 P 3/97 R, zu entnehmen. Des weiteren sei dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.04.1996, Az. 3 RK 28/95, zu entnehmen, daß auch einfache medizinische Behandlungspflege, die keine besondere medizinische Sachkunde erfordere, Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V sein könne; im vorliegenden Fall gelte dies für die Salbeneinreibungen und die Blutdruckmessungen. Da die Tochter des Klägers nicht in der Wohnung des Klägers lebe, greife auch nicht die anspruchsausschließende Norm des § 37 Abs. 3 SGB V ein. Deswegen könne es dahingestellt bleiben, ob und wieweit die Tochter des Klägers überhaupt in der Lage sei, die streitbefangenen behandlungspflegerischen Maßnahmen sach- und fachgerecht auszuführen.
Gegen dieses ihr am 04.12.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.01.1999 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Kosten der streitbefangenen Behandlungspflege beliefen sich auf ca. 2.700,-- DM. Daß es sich bei den begehrten Leistungen nicht um Behandlungspflege im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V handele, erscheine auch sachgerecht, weil der Kläger bereits Leistungen nach der Pflegestufe II erhalte. Eine Trennung nach den einzelnen Verrichtungen sei eine willkürliche Zäsur innerhalb eines einheitlichen Lebenssachverhaltes. In Fallgestaltungen dieser Art dränge es sich geradezu auf, daß der mehrmals täglich erscheinende Pflegedienst die streitbefangenen Verrichtungen gleichzeitig mit den Leistungen nach dem SGB XI durchführe. Anderenfalls könne der Pflegedienst zusätzlich zu der Vergütung der Grundpflege die Einsatzpauschale einer Behandlungspflege abrechnen.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, daß ihm die vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen zustünden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug gemommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte verhandeln und entscheiden, obwohl für den Kläger im Termin niemand anwesend war. Das folgt aus den §§ 124, 126 SGG. Auf diese Möglichkeit ist der Kläger in der Terminsnachricht hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger die für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.1997 vertragsärztlich verordnete häusliche Krankenpflege zu gewähren.
Der Kläger hat einen Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V auf Freistellung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst. Der Pflegedienst hat den Kläger noch nicht auf Zahlung in Anspruch genommen. Unabhängig davon, ob § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB V als Anspruchsgrundlage für eine Freistellung heranzuziehen ist, ergibt
sich aus § 13 Abs. 1 SGB V, daß ein Freistellungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung tritt. Ein Freistellungsanspruch kann deshalb nur bestehen, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen als Naturalleistungen zu erbringen sind. Bevor der Kläger sich die streitbefangenen Leistungen selbst beschaffte, hatte er einen Sachleistungsanspruch auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Bei sämtlichen ursprünglich vom Kläger begehrten und anschließend selbstbeschafften Leistungen der Salbeneinreibungen, Insulininjektionen, Blutzuckerkontrollen und Blutdruckmessungen handelte es sich um Behandlungspflege im Sinne der zuletzt zitierten Vorschrift. In diesem Zusammenhang sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab, indem er den Gründen der angefochtenen Entscheidung und den dort herangezogenen Urteilen des Bundessozialgerichts uneingeschränkt folgt.
Der Senat vermag der Beklagten nicht beizupflichten, soweit sich diese im Hinblick auf die vom Kläger bereits erhaltenen Leistungen nach der Pflegestufe II gegen eine Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes wendet. Wegen des gegliederten Sozialversicherungssystems ist es unvermeidlich, bei einem einheitlich erscheinenden Lebenssachverhalt danach zu differenzieren, ob ein Anspruch auf Behandlungspflege (Krankenversicherung) und/oder Grundpflege (Pflegeversicherung) besteht. Die Anspruchsinhalte sind nämlich verschieden. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat einfache (keine Fachkunde erfordernde) und qualifizierte (Fachkunde erfordernde) behandlungspflegerische Leistungen zum Gegenstand. Dagegen besteht die in § 14 Abs. 3 SGB XI geregelte Hilfe in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen, die im einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt sind. Daran ändert entgegen der Auffassung der Beklagten nichts, daß der Pflegedienst zusätzlich zu der Vergütung der Grundpflege die Einsatzpauschale der Behandlungspflege abrechnen kann. Gemäß § 31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt. Deshalb sind versorgungsvertragliche Regelungen im Sinne von § 132 a SGB V, §§ 72 f., 77 SGB XI nicht dazu geeignet, gesetzliche Ansprüche von Versicherten - im vorliegenden Falle aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V - einzuschränken. Sehr wohl ist es den Vertragspartnern der erwähnten Versorgungsverträge unbenommen, solche vertraglichen Regelungen vorzusehen, die eine komplexe Vergütung von Einsatzpauschalen bei der gleichzeitigen Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V und Grundpflege nach dem SGB XI ermöglichen.
Der Beklagten ist immerhin zuzugeben, daß nach den vom Sozialgericht herangezogenen Urteilen des Bundessozialgerichts einfache Behandlungspflege in den Fällen, in denen sie von den im Haushalt des Pflegebedürftigen lebenden Angehörigen erbracht wurden, im weitesten Sinne bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen sind. Denn mit der Einführung der Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 53 bis 57 SGB V a.F. (vgl. Urteil des BSG vom 17.04.1996, Az. 3 RK 28/95) und bei Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (vgl. Urteil des BSG vom 19.02.1998, Az. B 3 P 3/97 R) sollte namentlich das Ziel angestrebt werden, die Versorgung von Schwerpflegebedürftigen bzw. Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich zu verbessern, und zwar auch dadurch, daß die pflegenden Angehörigen spürbar entlastet werden sollten, um ihre Pflegebereitschaft und Pflegefähigkeit auf Dauer zu erhalten. Im vorliegenden Fall gehört die Tochter des Klägers aber gerade nicht zu den im Haushalt des Klägers lebenden Personen im Sinne von § 37 Abs. 3 SGB V, so daß der Anspruch auf häusliche Krankenpflege des Klägers durch diese Vorschrift nicht ausgeschlossen ist. Bereits dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift ist zu entnehmen, daß es sich um eine häusliche wohnungsmäßige familienhafte Wirtschaftsführung im Verhältnis zwischen Krankem und der für die Pflege heranzuziehenden Person handeln muß (vgl. in diesem Sinne ebenso Urteil des BSG vom 23.03.1983, Az. 3 RK 66/81). Im übrigen ist § 37 Abs. 3 SGB V als Ausnahmevorschrift teleologisch eng auszulegen. Dies gilt um so mehr gemäß § 2 Abs. 2 SGB I, wonach sicherzustellen ist, daß die sozialen Rechte des Bürgers möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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