L 5 KR 44/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 195/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 44/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.1999 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung ihr im Jahre 1997 entstandener Kosten für eine implantologische Zahnbehandlung.

Die am ...1927 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Durch Bescheid vom 16.08.1989 sagte die Beklagte ihr die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten einer implantologischen Zahnbehandlung zu. Im Zeitraum vom 14.07.1989 bis zum 19.07.1991 wurden der Klägerin daraufhin zwei Implantate im Bereich des rechten und linken Unterkiefereckzahnes nebst Suprakonstruktion eingegliedert. An den entstandenen Kosten beteiligte sich die Beklagte entsprechend ihrer Zusage. Darüber hinaus beteiligte sie sich auch in den folgenden Jahren an den entstehenden Folgekosten der Implantatbehandlung.

Am 02.02.1998 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Rechnung des Zahnarztes v ..., B ..., die Erstattung von 425,34 DM, die sie für die Auswechselung eines Implantatteils sowie Arbeiten an der Suprakonstruktion (Behandlungsdatum: 31.10.1997) aufgewandt hatte. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung durch den Bescheid vom 02.02.1998 mit der Begründung ab, dass eine Bezuschussung implantologischer Leistungen nach den Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) generell ausgeschlossen sei; eine der gesetzlich normierten Ausnahmeindikationen liege bei der Klägerin nicht vor. Den dagegen am 25.02.1998 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte - nachdem sie der Klägerin mit Schreiben vom 09.07.1998 Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte - durch den Widerspruchsbescheid vom 11.11.1998 zurück: Ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für die Auswechselung von Implantatsekundärteilen sowie Wiederherstellung des implantatgestützten Zahnersatzes bestehe nicht, weil nach § 28 Abs. 2 SGB V implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht zur zahnärztlichen Behandlung zählten. Eine der aufgeführten Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle im Sinne dieser Vorschrift sei hier nicht gegeben.

Die Klägerin hat am 26.11.1998 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte die Kosten der zahnärztlichen Behandlung an den Implantaten und der Suprakonstruktion tragen müsse, weil sie im Jahre 1989 die Eingliederung des implantatgestützten Zahnersatzes genehmigt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 02.02.1998 und 09.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1998 zu verurteilen, die 1997 und 1998 durchgeführte Implantatrekonstruktion zu bezuschussen, sowie auch in Zukunft diesen Zuschuss zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber die Erbringung der von der Klägerin begehrten Leistungen ausgeschlossen habe.

Das Sozialgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 27.09.1999 entsprechend dem Klageantrag verurteilt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das ihr am 23.02.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.03.2000 Berufung eingelegt.

Zur Begründung bringt sie vor: § 28 Abs. 2 Satz 8 und 9 SGB V in der Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes schlössen implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion von der zahnärztlichen Behandlung aus; diese dürften von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn seltene, vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorlägen. Letzteres sei nicht der Fall; auch die Klägerin behaupte dies nicht. Hieraus ergebe sich, dass implantologische Leistungen, wie die Klägerin sie begehre, generell nicht zu erbringen seien. Auch sei ein Vertrauensschutz aufgrund jahrelang geübter Praxis nicht gegeben. Bejahe man dies, würde man den mit der Gesetzesänderung absichtlich herbeigeführten Leistungsausschluss konterkarieren. Es müsse dem Gesetzgeber angesichts fortlaufender Veränderungen der wirtschaftlichen, soziologischen und medizinischen Rahmenbedingungen und Interessenlagen mit Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit der Krankenversicherung und die Belastbarkeit der Sozialversicherungssysteme insgesamt erlaubt sein, den Leistungsumfang und die Modalitäten der Leistungsgewährung an neue Entwicklungen und Erkenntnisse anzupassen. Des halb verstoße der Leistungsausschluss implantologischer Leistungen auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Grundgesetz (GG).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.1999 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie macht nunmehr lediglich die Erstattung der im Jahre 1997 angefallenen Kosten für die Implantatbehandlung geltend und erachtet das sozialgerichtliche Urteil insoweit als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage ist unter Abänderung des Urteils vom 27.09.1999 abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung der Bescheide vom 02.02.1998 und vom 09.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1998 verurteilt, die implantater haltende Maßnahme von Oktober 1997 zu bezuschussen.

Soweit die Anfechtungsklage auf die Aufhebung eines Bescheids vom 09.07.1998 gerichtet ist, ist sie unzulässig. Das Sozialgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 09.07.1998 zu Unrecht als Bescheid angesehen, der eine Regelung hinsichtlich der Kosten der Implantatbehandlung trifft. Es handelt sich vielmehr um ein Anhörungsschreiben, das eine derartige Regelung (im Sinne des § 31 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X)) gerade nicht enthält: Die Beklagte kündigt hierin eine Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung an.

Im übrigen ist die Klage unbegründet. Ein - von der Klägerin im Berufungsverfahren allein noch geltend gemachter - Anspruch auf Erstattung eines Teils des für die im Streit stehende Implantatbehandlung aufgewendeten Betrages von 425,34 DM besteht nicht. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 13 Absatz 3 SGB V.

Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, den Versicherten die für die Beschaffung der Leistung aufgewendeten Kosten zu erstatten. Dahingestellt bleiben kann, ob ein Kostenerstattungsanspruch schon des halb ausscheidet, weil die Klägerin die streitige Behandlung vorgenommen hat, ohne sich vorher mit der Beklagten ins Benehmen zu setzen und ihr die Gewährung als Sachleistung zu ermöglichen. Jedenfalls ist ein Anspruch aus anderen Gründen zu verneinen. Da der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs tritt, kann er nur bestehen, wenn die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienst leistung zu erbringen haben (vergl. Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 09.12.1997 1 RK 23/95, SozR 3-2500 § 27 Nr.9; BSG Urteil vom 28.03.2000, B 1 RK 11/98R, SozR 3-2500 § 135 Nr.14). Dies trifft auf die implanantologische Zahnbehandlung sowie auf die Folgebehandlung zuvor eingegliederter Implantate und/oder der Suprakonstruktion nicht zu.

§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der Fassung des 2. Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetzes) vom 23.06.1997 (BGBl I Seite 1520), das am 01.07.1997 in Kraft getreten ist (Art. 19 Absatz 6) und damit im Zeitpunkt der Beschaffung der hier streitigen Leistung galt, bestimmt, dass implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung zählen; gleiches gilt für die Suprakonstruktion. Dies hat das Bundessozialgericht am 19.06.2001 in dem noch nicht veröffentlichten Urteil Az. 1 RK 16/00 (vergl. Pressemitteilung Nr.37/01 vom 20.06.2001) bekräftigt.

Zu den implantologischen Leistungen im Sinne dieser Vorschrift sind auch Leistungen zu zählen, die im Zusammenhang mit einer bereits früher eingegliederten Implantat- oder Suprakonstruktion notwendig geworden sind. Zum einen bietet § 28 Absatz 2 Satz 9 SGB V keinen Anhaltspunkt dafür, dass hier zwischen der erstmaligen Gewährung einer implantologischen Leistung und den darauf fußenden sogenannten "Folgeleistungen" zu differenzieren wäre. Zum anderen verbietet sich die von der Klägerin vertretene Auslegung des § 28 Abs. 2 SGB V bereits deshalb, weil implantologische Leistungen auch vor Inkrafttreten des § 28 Abs. 2 Satz 9 in der Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe des SGB V zu erbringenden Leistungen zählten.

Eine entsprechende Regelung war bereits durch § 28 Absatz 2 Satz 3 SGB V in der Fassung des Artikels 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) vom 01.11.1996 (BGBl I Seite 1631) aufgenommen worden.

Darüber hinaus bestand auch im Zeitpunkt der erstmaligen Eingliederung der Implantate und der Suprakonstruktion bei der Klägerin kein gesetzlicher Anspruch auf die Gewährung dieser Leistungen.

§ 28 Absatz 2 SGB V in der Fassung von Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes vom 20.12.1988 (BGBl I S.2606) schränkte den Anspruch auf zahnärztliche Behandlung unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit und der Zweckmäßigkeit ein; die Versorgung mit herkömmlichem Zahnersatz stellte die wirtschaftlichere Behandlungsmethode dar. Diese Rechtslage gibt (auch) die Begründung des Gesetzentwurfs (des Beitragsentlastungsgesetzes) der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 10.05.1996 (Bundestagsdrucksache 13/4615) wieder. Hier wird ausgeführt: "Implantologische Leistungen und die dazugehörende Suprakonstruktion ... sind bisher außervertragliche Leistungen und gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ...Gleichwohl haben Krankenkassen diese Leistungen ohne Rechtsgrundlage übernommen oder Zuschüsse dazu gezahlt ... Die Vorschrift schreibt nunmehr ausdrücklich vor, dass diese Leistungen nicht zum Leistungskatalog ... gehören. Für sie gibt es alternative Behandlungsmöglichkeiten, die in der Regel wesentlich wirtschaftlicher sind." Der Sachverhalt bietet keinen Anlaß für die Annahme - auch die Klägerin hat dies nicht geltend gemacht -, dass die Versorgung mit herkömmlichen Zahnersatz seinerzeit nicht möglich gewesen wäre oder aber die wirtschaftlichere Alternative dargestellt hätte.

Bestand also bereits im Zeitpunkt der Eingliederung kein gesetzlicher Leistungsanspruch, so kann angesichts des im klaren Wortlaut des § 28 Absatz 2 Satz 9 SGB V zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens nicht zwischen erstmaligen und weiteren (folgenden) implantologischen Leistungen differenziert werden. Auch Folgebehandlungen zählen nicht zu den von der Beklagten geschuldeten Leistungen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf anteilige Kostenerstattung ergibt sich auch nicht aus dem Bescheid der Beklagten vom 16.08.1989, mit dem eine Beteiligung an den Kosten der damaligen, im Jahre 1989 vorgenommenen Implantatbehandlung zugesagt worden ist. Ein derartiger Anspruch lässt sich hieraus schon deshalb nicht herleiten, weil die Zusage der Kostenbeteiligung sich auf die konkrete seinzeit vorgenommene Implantatbehandlung beschränkt und keinerlei Anhaltspunkt dafür bietet, dass die Beklagte auch die Beteiligung an künftig entstehenden Folgekosten zusagen wollte.

Auch von Verfassungs wegen ist eine Auslegung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in dem von der Klägerin erstrebten Sinne nicht geboten.

Artikel 14 Abs. 1 GG ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts überhaupt nicht tangiert, weil das Eigentumsrecht der Klägerin an den eingegliederten Implantaten sowie der Suprakonstruktion durch die Nichtleistung eines Zuschusses den Behandlungskosten nicht berührt wird. Auch das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot des Vertrauensschutzes ist nicht verletzt. Von Verfassungs wegen besteht grundsätzlich kein Vertrauensschutz der Gestalt, dass die Versicherten auf einen unveränderten Fortbestand von Leistungsgesetzen vertrauen dürfen (BSGE 69, 76; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 3). Wenn dies schon für Leistungen gilt, die zu Recht aufgrund einer bestehenden gesetzlichen Grundlage erbracht worden sind, muss dies erst recht für Leistungen gelten, die - wie hier - von der Krankenkasse zu Unrecht erbracht worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved