L 5 KR 188/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 80/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 188/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 3/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.05.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung geleisteter Zuzahlungen zur stationären Behandlung.

Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der Beklagten. Er befand sich vom 05. bis 18.11.1997 in stationärer Krankenhausbehandlung und leistete für 14 Tage die Zuzahlung von 17,-- DM täglich (insgesamt 238,-- DM) an das Krankenhaus.

Im Zuge seines Widerspruchs gegen den Sonderbeitrag Krankenhaus-Notopfer 1997 rechnete er mit Schriftsatz vom 15.01.1998 gegen diesen Beitrag mit einem Erstattungsanspruch wegen der geleisteten Zuzahlung auf. Er vertrat die Auffassung, dass sowohl für den Aufnahme- wie den Entlassungstag die Zuzahlung nicht gefordert werden dürfe. Da die Zuzahlung auf dem Gedanken beruhe, dass der Versicherte während der stationären Behandlung häusliche Aufwendungen erspare, sei § 39 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) entgegen seinem Wortlaut teleologisch zu reduzieren; die Zuzahlung entfalle, wenn tatsächlich Aufwendungen nicht erspart worden seien. Von daher müsse grundsätzlich der Aufnahme- und der Entlassungstag zuzahlungsrechtlich als ein Tag gewertet werden; diese Beschränkung entspreche der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz Bundespflegesatzverordnung (BPflV). In seinem Fall dürfe zudem der Aufnahmetag nicht berücksichtigt werden, da er erst um 23.30 Uhr in das Krankenhaus eingeliefert worden sei und damit keinerlei häuslichen Ersparnisse gehabt habe. Mit Schreiben vom 03.04.1998 forderte er mit gleicher Begründung die Erstattung der Zuzahlung für zwei Behandlungstage hinsichtlich einer weiteren stationären Behandlung vom 14. bis 23.03.1998.

Mit Bescheiden vom 29.04.1998 und 22.06.1998 und Widerspruchsbescheid vom 12.03.1999 wies die Beklagte die Aufrechnung zurück und lehnte die Erstattung der geleisteten Zuzahlungen ab. Ein Erstattungsanspruch bestehe nicht, da nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung für jeden Kalendertag der vollstationären Behandlung die Zuzahlung zu leisten sei. Für eine teleologische Reduktion bestehe kein Anlass, da die angeführte Vorschrift der Bundespflegesatzverordnung nur die Abrechnung mit dem Krankenhaus betreffe.

Im Klageverfahren hat sich der Kläger zum einen gegen das Krankenhaus-Notopfer gewandt, das er für verfassungswidrig hält. Er hat erneut gegen den Zahlungsanspruch mit einem Erstattungsanspruch aus überzahlter Krankenhaus-Eigenbeteiligung aufgerechnet. Insoweit trug er vor, er sei mittlerweile der Meinung, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 39 Abs. 4 SGB V gebiete, dass für die Zuzahlungspflicht nur vollständige Kalendertage berücksichtigt werden dürften. Bei der Zuzahlung handele es sich um einen Sonderbeitrag, bei dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten sei. Er hat ferner auf die Auffassung des Landesversicherungsamtes Nordrhein-Westfalen hingewiesen, das es für sachgerecht halte, dass An- und Abreisetag hinsichtlich der Zuzahlungspflicht als ein Tag gelten.

Mit Urteil vom 19.05.2000 hat das Sozialgericht die Klage im vollen Umfang abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Hinsichtlich des Erstattungsanspruchs hat es ausgeführt, der Kläger sei nach dem Gesetzeswortlaut zu den Zuzahlungen verpflichtet gewesen, so dass eine Erstattung nicht in Betracht komme.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 27.09.2000 die Berufung zugelassen, soweit es um die Erstattung von Zuzahlungen geht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.05.2000 teilweise zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 29.04.1998 und vom 22.06.1998 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.1999 zu verurteilen, ihm für das Jahr 1997 14,00 DM, hilfsweise 12,50 DM zu erstatten, hilfsweise festzustellen, dass er für die stationäre Behandlung vom 05. bis 18.11.1997 nur für 13 Tage Zuzahlungen zu leisten hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Hinsichtlich des Erstattungsanspruchs wegen geleisteter Zuzahlungen zur vollstationären Krankenhausbehandlung ist die Berufung aufgrund ihrer Zulassung statthaft (§ 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch sonst zulässig. Dabei geht es im Berufungsverfahren nur noch um die Erstattung von Zuzahlungen zur stationären Behandlung im November 1997. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den weitergehenden Erstattungsanspruch wegen der stationären Behandlungen im Jahr 1998 fallen gelassen, da selbst unter Zugrundelegung seiner Auffassung wegen der weiteren stationären Behandlungen im Mai 1998 (02. bis 06.05. und 11. bis 16.05.1998) auf jeden Fall für 14 Tage die Zuzahlungen zu leisten waren.

Soweit der Kläger hilfsweise die Feststellung beantragt hat, dass er für die stationäre Behandlung vom 05. bis 18.11.1997 nur für 13 Tage Zuzahlungen zu leisten hatte, hält der Senat das Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 SGG) für diesen Antrag im Hinblick auf die erklärte Aufrechnung für gegeben. Auf diesem Weg kann zwischen den Parteien Klarheit geschaffen werden, ob der geforderte Sonderbeitrag Krankenhaus-Notopfer infolge der Aufrechnung teilweise erloschen ist.

Die Berufung ist in vollem Umfang unbegründet, denn der Kläger kann die Rückzahlung der Zuzahlungen weder für den Aufnahme- noch den Entlassungstag verlangen.

Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist mangels einer speziellen gesetzlichen Grundlage der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der auch eingreift, wenn der Verwaltungsträger zu Lasten eines Bürgers etwas erhalten hat, das ihm nicht zu steht (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 2; LSG Bayern, Urteil vom 16.07.1998 - L 4 KR 121/97 -). Dieser Erstattungsanspruch ist ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger die Zuzahlung an das Krankenhaus geleistet hat, gegenüber der Beklagten geltend zu machen, da die Krankenkasse - wie sich jetzt auch aus § 43b SGB V ergibt - Inhaberin des Zuzahlungsanspruches ist (vgl. BSG, a.a.O.).

Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, denn der Kläger war nach § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V verpflichtet, für jeden Tag der vollstationären Behandlung vom 05. bis 18.11.1997 die Zuzahlung von 17,-- DM zu leisten. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung ist eindeutig. Die Versicherten haben die Zuzahlung "je Kalendertag" an das Krankenhaus zu zahlen (ebenso Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 03.02.1983, DOK 19983, 610; bestätigt am 28.03.1996, DOK 1996, 441 f.).

Für eine Beschränkung der Zuzahlungspflicht entgegen dem Gesetzes wortlaut sieht der Senat keine hinreichende Grundlage.

Allerdings sehen trotz insoweit gleichlautenden Wortlauts des § 32 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die Zuzahlung zur stationären Rehabilitation die Richtlinien der Rentenversicherungsträger in § 3 Satz 3 vor, dass Aufnahme- und Entlassungstag bei der Festsetzung der Zuzahlung als ein Tag gelten ("Richtlinien für die Befreiung von der Zuzahlung bei medizinischen und sonstigen Leistungen zur Rehabilitation", abgedruckt in der ab 01.01.2000 geltenden Fassung als Anlage 1 zu § 32 im Verbandskommentar; andere Auffassung (Zuzahlung für jeden Tag) Hauck in: Hauck/Haines, SGB VI, § 32 Rdnr. 5). Ebenso vertritt die wohl herrschende Meinung in der Literatur die Auffassung, entsprechend dem Zuzahlungszweck (Berücksichtigung häuslicher Ersparnisse während einer stationären Behandlung) sei die Verpflichtung des Versicherten auf die Pflegesatzabrechnungstage zu beschränken, so dass bei der Berechnung von Abteilungs- und Basispflegesätzen entsprechend § 14 Abs. 2 Satz 2 BPflV Aufnahme- und Entlassungstag auch zuzahlungsrechtlich als ein Tag zählten (Noftz in: Hauck/ Haines, SGB V, § 39 Rdnr. 139; KassKomm-Höfler § 39 SGB V, Rdnr. 57; Wannagat-Mrozynski, Sozialgesetzbuch, § 39 SGB V, Rdnr. 49; wohl auch Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 39 Rdnr. 413; a.A. Krauskopf-Wagner, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 39 SGB V Rdnr. 32.

Dieser Auffassung, die auch die Aufsichtsbehörden in Nordrhein- Westfalen vertreten (s. Schreiben des Landesversicherungsamts Nordrhein-Westfalen vom 17.09.1997 an das damalige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen), kann sich der Senat nicht anschließen.

Es ist schon unschlüssig, dass die Zuzahlungspflicht für den Entlassungstag nur bei der Abrechnung von Pflegesätzen, nicht aber der Abrechnung von Fallpauschalen (§ 11 Abs. 1 BPflV ) entfallen soll, wenn tatsächlich mit der Zuzahlung häusliche Ersparnisse berücksichtigt würden. Solche Ersparnisse sind unabhängig von der Art der Berechnung der Krankenhausleistung zu verzeichnen. Für eine Differenzierung bei der Zuzahlungspflicht je nach Art der Abrechnung des Krankenhauses gäbe es keine die unterschiedliche Behandlung rechtfertigenden Gründe.

Vor allem hat die Zuzahlungspflicht nicht den Zweck, häusliche Ersparnisse auszugleichen (s. auch Schmidt, a.a.O., Rdnr. 406). Die Entstehungsgeschichte der Regelung gibt für eine solche Annnahme nichts her. Die Zuzahlungsregelung bei stationärer Krankenhausbehandlung ist durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 02.12.1982 (BGBl. I, 1857) in das Krankenversicherungsrecht aufgenommen worden (§ 184 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO)). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der damalige Gesetzgeber den Grund für die Einführung der Zuzahlung in häuslichen Ersparnissen gesehen hat. In der Gesetzesbegründung heißt es nur, die Zuzahlung solle zur Stabilisierung der Beitragssätze beitragen (Bundestags- Drucksache (BT-Drucks.) 9/2074, S. 99). Bei der Übernahme der Zuzahlungsregelung in das Gesundheitsreformgesetz ist in der Entwurfsbegründung auch lediglich ausgeführt worden, die Zuzahlung entspreche geltendem Recht, aus finanziellen Gründen könne auf die Zuzahlung nicht verzichtet werden (BT-Drucks. 11/2237, S. 178). Lediglich im Zusammenhang mit der Erhöhung der Zuzahlung von 5,-- auf 10,-- DM ist während der Diskussion im 11. Ausschuss das Argument angeführt worden, es handele sich um die Entlastung der Solidargemeinschaft von Kosten, die die Patienten in Form häuslicher Ersparnisse für Verpflegung während des Krankenhausaufenthaltes hätten (BT-Drucks. 11/3480, S. 79).

Das BSG hat dementsprechend im Urteil vom 19.12.1984 (SozR 2200 § 372 Nr. 1) die Zuzahlung als Versichertenkostenanteil bezeichnet. Auch im Urteil vom 19.12.1988 (SozR 2200 § 184 Nr. 32) ist von einer Eigenbeteiligung die Rede. In dieser Entscheidung hat das BSG ausdrücklich den Einwand, den Einsparungen bei den Nahrungskosten stünden anderweitige Mehrkosten gegenüber, zurückgewiesen und gemeint, gleichwohl sei die Höhe der Eigenbeteiligung nicht unangemessen (dem folgend BSG USK 89149). Tatsächlich stellt die Zuzahlung (nur) eine Form der Selbstbeteiligung der Versicherten an den Behandlungskosten dar (so auch Höfler, a.a.O., Rdnr. 51; Noftz, a.a.O., Rdnr. 137). Insbesondere die Erhöhung der Zuzahlung auf 17,-- DM durch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. GKV- NOG) zeigt deutlich, dass es bei der Zuzahlung nicht um die "Abschöpfung" häuslicher Ersparnisse, sondern lediglich um einen Selbstbehalt der Versicherten geht (Noftz, a.a.O., Rdnr. 137a bezeichnet deshalb die Zuzahlung in Gestalt des 2. GKV-NOG zu Recht als "reines Finanzierungsinstrument"). Da also die Zuzahlung unabhängig von etwaigen Ersparnissen des Versicherten ist, kann die Zuzahlungspflicht nicht davon abhängen, ob der Versicherte am Tag der Aufnahme in das Krankenhaus oder am Entlassungstag häusliche Aufwendungen erspart hat.

Ebenso wenig kann die Form der Abrechnung zwischen Krankenhaus und Krankenkasse Bedeutung für die Zuzahlungspflicht haben. Ob die Krankenkasse die Behandlung nach Fallpauschalen oder Pflegesätzen vergütet, ist lediglich eine abrechnungstechnische Frage. In bei den Fällen entstehen die Kosten für das gesamte Behandlungsgeschehen. Der Gesetzgeber hat die Zuzahlung nicht an die der Krankenkasse je Aufenthaltstag entstehenden Kosten geknüpft, sondern fordert die Zuzahlung für jeden Kalendertag des Aufenthalts. Damit hat er eine klare und in der Praxis einfach umsetzbare Regelung für die Selbstbeteiligung geschaffen. Diese pauschalierte Eigenbeteiligung hat keinen Bezug zu der die Krankenkasse gegenüber dem Krankenhaus treffende Zahlungspflicht, so dass es auch keinen Grund für einen "synchronen" Verlauf beider Zahlungspflichten gibt (so aber Höfler, a.a.O., Rdnr. 57). Es gibt somit keinen Grund für die entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 BPlV im Rahmen des § 39 Abs.4 SGB V. Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob die Form der Abrechnung einen sachlichen Grund für eine Differenzierung bei dem Umfang der Zuzahlungspflicht bieten würde, denn bei einer Abrechnung nach Fallpauschalen hätte der Versicherte trotz gleich langen Aufenthalts im Krankenhaus die Zuzahlung auch für den Entlassungstag zu leisten.

Erst recht gibt es keine Grundlage für das weitergehende Begehren des Klägers, dass nicht nur am Entlassungs-, sondern auch am Aufnahmetag die Zuzahlung entfallen soll. Bereits oben ist dargelegt worden, dass der Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus für die Zuzahlungspflicht irrelevant ist. Weshalb eine "verfassungskonforme" Auslegung des § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V dahingehend geboten sein soll, dass nur für volle Kalendertage des Aufenthalts die Zuzahlung gefordert werden könne, erschließt sich dem Senat nicht. Wie oben dargelegt, hat der Gesetzgeber eine pauschalierte Form der Eigenbeteiligung angeordnet, die unabhängig von der Art der

Abrechnung zwischen Krankenhaus und Krankenkasse ist. Für eine Einschränkung des Wortlauts des § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V gibt es daher keinen Grund.

Da somit der Kläger zu Recht für 14 Tage die Zuzahlung geleistet hat, ist auch sein Hilfsantrag unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und daher die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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