Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 184/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 225/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 4/02 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.05.2000 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat der Beigeladenen zu 4) die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die bei der Klägerin als sogenannte Abrufkraft tätig gewesene Beigeladene zu 4) ab Juni 1998 der Versicherungspflicht unterlag.
Die Klägerin setzte u.a. in ihrer Niederlassung in L ... zur Unterstützung der Stammbelegschaft sogenannte Abrufkräfte zur Sortierung von Info-Postsendungen ein. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Geschäftspost (etwa Versandkataloge oder Werbematerialien) mit einem vom Umfang her täglich stark schwankenden Aufkommen. In der Regel bestimmte die jeweilige Niederlassung täglich die notwendige Zahl der zusätzlichen Arbeitskräfte, nach dem ihr morgens vom zuständigen Depot das Sendungsaufkommen angekündigt worden war. Die Abrufkräfte wurden zwischen 7.00 Uhr und 8.00 Uhr morgens angerufen, ob sie zur Verfügung stünden. Nach Zusage erfolgte ihr Einsatz während der üblichen Dienstschichten für eine Dauer von in der Regel vier Stunden entweder ab 9.00 Uhr, 9.30 Uhr oder 10.00 Uhr.
Die Klägerin schloss mit den Abrufkräften zunächst eine sogenannte Rahmenvereinbarung, wonach die jeweilige Abrufkraft in den Kreis der an Arbeitseinsätzen Interessierten aufgenommen wurde. Wechselseitige Ansprüche oder Verpflichtungen wurden durch die Rahmen vereinbarung nicht begründet. Nähere Einzelheiten werden in einem Arbeitsvertrag geregelt, der u.a. die Geltung der für die Beschäftigten der Deutschen Bundespost abgeschlossenen Tarifverträge in der jeweiligen Fassung sowie die Eingruppierung in eine Lohngruppe des für die Arbeiter geltenden Tarifvertrages vorsieht. In dem verwendeten Vordruck heißt es, das Arbeitsverhältnis sei zeitbefristet für die Zeit bis "laufend als Abrufkraft". Als Grund der Befristung wird auf die Rückseite verwiesen. Die Rückseite des Arbeitsvertrages enthält folgende Überschrift: "Der umseitig abgeschlossene Arbeitsvertrag soll entsprechend auch für die folgenden Arbeitsverhältnisse gelten. Darüber hinaus erkennt der Arbeitnehmer an, dass das bei der Ersteinstellung abgelegte Gelöbnis und der Inhalt der Verpflichtungsverhandlung auch für jedes neue Arbeitsverhältnis fortgelten." Darunter befindet sich eine Tabelle, in deren Zeilen jeweils der Tag des Arbeitseinsatzes, die Arbeitszeit und die Zahl der Arbeitsstunden eingetragen wird, die jeweilige Zeile wurde dann vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Unterschrift abgezeichnet.
Die Beigeladene zu 4), die im fraglichen Zeitraum arbeitslos war und keiner weiteren Beschäftigung nachgegangen ist, schloss mit der Klägerin am 06.12.1996 eine Rahmenvereinbarung. Zwischen dem 13.12.1996 und 14.07.1998 war sie für die Klägerin tätig, wobei mit Ausnahme des Monats November 1997 in jedem Monat Einsätze von jeweils vier Stunden Dauer erfolgten. Mit einer Ausnahme wurde die Klägerin höchstens sechsmal pro Monat eingesetzt. Im Regelfall wurden die Einsätze morgens telefonisch vereinbart, gelegentlich legte die Beigeladene zu 4) Folgeeinsätze mit der Klägerin auch schon im Voraus fest. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Blatt 141/142 der Gerichtsakte verwiesen. Das Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 4) erreichte in keinem Monat ein Siebtel der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße.
Die Klägerin sah die Beigeladene zu 4) zunächst als versicherungsfrei an, da sie davon ausging, dass es sich bei den einzelnen Einsätzen der Abrufkräfte um jeweils gelegentliche Beschäftigungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) (in der damals geltenden Fassung) handele, die während der ersten 50 Arbeitstage versicherungsfrei seien. Ab Juni 1998 bejahte sie Versicherungspflicht.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 4) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28.08.1998 fest, dass die Beigeladene zu 4) versicherungsfrei sei, da eine regelmäßige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vorgelegen habe. Da sie die Geringfügigkeitsgrenzen dieser Vorschrift nicht überschritten habe, habe Versicherungsfreiheit bestanden. Diese Feststellung wiederholte sie mit Bescheid vom 08.10.1998. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beigeladene zu 4) sei nicht regelmäßig beschäftigt gewesen. Ihr Einsatz sei unregelmäßig gewesen, da nur bei unerwartet hohem Aufkommen von Brief- und Paketsendungen, also in plötzlichen Bedarfsfällen, sich die jeweilige Niederlassung aus einer Liste von Interessenten bediene. Die Auswahl erfolge jeweils nach dem Zufallsprinzip, es handele sich somit um kurzfristige Beschäftigungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Beigeladene zu 4) werde seit dem 13.12.1996 im Rahmen eines sich regelmäßig wiederholenden Arbeitsverhältnisses mit gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Die ständige Wiederholung über einen längeren Zeitraum kennzeichne jede dieser Beschäftigungen als regelmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.
Zur Begründung der am 12.05.1999 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Abrufkräfte würden zwar wiederkehrend, jedoch kurzfristig und unvorhersehbar zu Arbeitseinsätzen herangezogen. Es werde jeweils ein befristetes Arbeitsverhältnis geschlossen, so dass sozialversicherungsrechtlich jeweils ein neues Beschäftigungsverhältnis vorliege, das als kurzfristige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zu beurteilen sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.05.2000 abgewiesen. Es hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, dass die Beigeladene zu 4) regelmäßig beschäftigt gewesen sei.
Gegen das ihr am 06.11.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.12.2000 Berufung eingelegt. Sie rügt, das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Unterscheidung zwischen regelmäßigen und gelegentlichen Beschäftigungen verkannt. Die Abgrenzung müsse danach erfolgen, ob der jeweilige Arbeitsanfall und -einsatz für die betreffenden Arbeitnehmer absehbar gewesen sei. Eine bloße Wiederholung von Arbeitseinsätzen könne zur Bejahung des Merkmals der Regelmäßigkeit nicht ausreichen, weil auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ganz offensichtlich von wiederholten Arbeitseinsätzen ausgegangen werde. Im Falle der Beigeladenen zu 4) seien die Arbeitseinsätze nicht vorhersehbar gewesen, so dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zur Anwendung komme.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.05.2000 zu ändern und unter Aufhebung der Bescheide vom 28.08.1998 und 08.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1998 festzustellen, dass die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) ab Juni 1998 Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung begründet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass eine regelmäßige Beschäftigung vorgelegen habe, da aufgrund des Rahmenvertrages eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und den Abrufkräften bestanden habe.
Die Beigeladenen zu 1) bis 3) sind der Auffassung der Beklagten beigetreten, die Beigeladene zu 4) hat sich zur Sache nicht geäußert.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Es besteht keine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ab Juni 1998.
Das ergibt sich für die gesetzliche Krankenversicherung aus § 7 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches ((SGB V) in der bis 31.03.1999 geltenden Fassung), für die Pflegeversicherung aus § 20 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI), für die gesetzliche Rentenversicherung aus § 5 Absatz 2 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), für die Arbeitslosenversicherung aus § 27 Absatz 2 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Nach § 7 Absatz 1 2. Halbsatz SGB V ist, wer eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 SGB IV ausübt, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei. Dieser Vorschrift entsprechende Regelungen ergeben sich für die Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus § 20 Absatz 1 Satz 1 SGB XI, § 5 Absatz 2 Nr.1 SGB VI sowie § 24 Absatz 1 SGB III.
Versicherungsfreiheit gemäß § 7 SGB V setzt - wie auch die übrigen Vorschriften der SGB III, VI und XI - zunächst voraus, dass grundsätzlich Versicherungspflicht aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses besteht.
Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Diese Voraussetzung erfüllt die Tätigkeit der Beigeladenen zu 4) bei der Klägerin; dies ist unter den Beteiligten auch nicht umstritten. Folglich ist grundsätzlich Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (für die gesetzliche Krankenversicherung), § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung), § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (für den Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung) sowie § 24 Abs. 1 SGB III (für den Bereich der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung) anzunehmen.
Weitere Voraussetzung für das Bestehen von Versicherungsfreiheit gemäß § 7 Absatz 1 1. Halbsatz SGB V sowie den weiteren o.g. Vorschriften der anderen Zweige der Sozialversicherung ist, dass es sich um eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV (in der bis 31.03.1999 geltenden Fassung) handelt. Eine gering fügige Beschäftigung liegt nach dieser Vorschrift vor, wenn 1. die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt,
2. die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt und ihr Entgelt die in Nr. 1 genannten Grenzen übersteigt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen von Nr.1 a.a.O. erfüllt, so dass eine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) gemäß Nr. 2 nach dem 50. Arbeitstag nicht anzunehmen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfolgt die Abgrenzung zwischen den beiden Regelungen der Nr. 1 und der Nr. 2 des § 8 Abs. 1 SGB IV danach, ob eine Beschäftigung regelmäßig (dann gilt Nr. 1) oder nicht regelmäßig - also nur gelegentlich - (dann gilt Nr. 2) ausgeübt wird (vgl. BSG Urteil vom 23.05.1995, Az. 12 RK 60/93, SozR 3-2400 § 8 Nr.4 mit weiteren Nachweisen). Das Merkmal der Regelmäßigkeit ist (auch) erfüllt, wenn der Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereit steht, ohne verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr. 3, BSG a.a.O. m.w.N.). Ferner ist für die Beurteilung des Merkmals der Regelmäßigkeit keine (ausschließlich) vorausschauende Betrachtungsweise vorzunehmen: der Wille der Beteiligten zu einer regelmäßigen Beschäftigung wird vielmehr häufig erst in der Retrospektive deutlich (BSG a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist eine regelmäßige Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) zu bejahen: Die Beigeladene zu 4) hat bei der Klägerin im Zeitraum von Dezember 1996 bis Juli 1998 mit Ausnahme eines Monats jeden Monat gearbeitet; dass die genaue Anzahl und das exakte Datum der Arbeitseinsätze im voraus nicht absehbar waren, schließt eine Regelmäßigkeit der Beschäftigung nicht aus. Entsprechendes gilt für die fehlende arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beigeladenen zu 4), auf jede Anforderung der Klägerin hin zur Arbeit zu erscheinen, denn in der Retrospektive hat die Beigeladene zu 4) ihre Tätigkeit über einen langen Zeitraum immer wieder mehrfach (zwei- bis sechsmal) monatlich ausgeübt.
Diese Form der sich wiederholenden Arbeitseinsätze genügt entgegen der Ansicht der Klägerin den im Rahmen des § 8 Absatz 1 Nr. 1 SGB IV an die Regelmäßigkeit zu stellenden Anforderungen. Erforderlich ist nicht, dass die Arbeitseinsätze in exakt den gleichen zeitlichen Abständen aufeinander folgen. Ausreichend ist vielmehr, dass die Klägerin und die Beigeladene zu 4) - die Ausgangslage zugrunde gelegt - übereinstimmend von einer gewissen Anzahl monatlicher Arbeitseinsätze über einen längeren Zeitraum ausgegangen sein müssen. Deutlich wird dies, wenn man sich die mit den Arbeitseinsätzen verbundenen tatsächlichen (betrieblichen) Verhältnisse vergegenwärtigt: Grundsätzlich waren die Arbeitseinsätze absehbar, weil das erhöhte Arbeitsaufkommen, die Info-Post, jedenfalls in einem generellen Sinne vorhersehbar bzw. bestimmbar war. Die Klägerin wusste aufgrund ihrer Erfahrungen, dass monatlich mit einem (erhöhten) Info-Postaufkommen zu rechnen war, das fortlaufend von der Stammbelegschaft nicht würde bewältigt werden können. Deshalb ergab sich der stetige Mehrbedarf an Arbeitskräften. Als Folge sah sich die Klägerin zum Abschluss der Rahmenvereinbarung mit den Abrufkräften veranlasst, von der die Arbeitseinsätze sogar auch aus einer Betrachtungsweise ex ante "umklammert" werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich sowohl die Abrufkräfte wie auch die Klägerin als Arbeitgeberin an kontinuierlich stattfinden den Arbeitseinsätzen interessiert gewesen sein dürften. Die Arbeitskräfte deshalb, weil sie mit dem ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Einkommen kalkulieren mussten; die Klägerin des halb, weil ansonsten eine aufwendige telefonische Suche nach zum Einsatz bereiten Arbeitskräften hätte erfolgen müssen. Zwar mag es für die Klägerin keine Rolle gespielt haben, wenn einzelne Arbeitnehmer zu einem bestimmten Arbeitseinsatz nicht zur Verfügung gestanden haben. Jedoch kann es kaum im Sinne der Klägerin gewesen sein, wenn sie bei einer Vielzahl von Abrufkräften bei jedem Arbeitseinsatz mit Absagen rechnen musste.
Es kann bei dieser Sachlage keine Rede davon sein, dass die Arbeitseinsätze der Beigeladenen nur gelegentlich im Sinne des § 8 Absatz 1 Nr.2 SGB IV erfolgt sind.
Schließlich sind weder die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV enthaltenen Zeit- noch die Entgeltgrenzen überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist, ob die bei der Klägerin als sogenannte Abrufkraft tätig gewesene Beigeladene zu 4) ab Juni 1998 der Versicherungspflicht unterlag.
Die Klägerin setzte u.a. in ihrer Niederlassung in L ... zur Unterstützung der Stammbelegschaft sogenannte Abrufkräfte zur Sortierung von Info-Postsendungen ein. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Geschäftspost (etwa Versandkataloge oder Werbematerialien) mit einem vom Umfang her täglich stark schwankenden Aufkommen. In der Regel bestimmte die jeweilige Niederlassung täglich die notwendige Zahl der zusätzlichen Arbeitskräfte, nach dem ihr morgens vom zuständigen Depot das Sendungsaufkommen angekündigt worden war. Die Abrufkräfte wurden zwischen 7.00 Uhr und 8.00 Uhr morgens angerufen, ob sie zur Verfügung stünden. Nach Zusage erfolgte ihr Einsatz während der üblichen Dienstschichten für eine Dauer von in der Regel vier Stunden entweder ab 9.00 Uhr, 9.30 Uhr oder 10.00 Uhr.
Die Klägerin schloss mit den Abrufkräften zunächst eine sogenannte Rahmenvereinbarung, wonach die jeweilige Abrufkraft in den Kreis der an Arbeitseinsätzen Interessierten aufgenommen wurde. Wechselseitige Ansprüche oder Verpflichtungen wurden durch die Rahmen vereinbarung nicht begründet. Nähere Einzelheiten werden in einem Arbeitsvertrag geregelt, der u.a. die Geltung der für die Beschäftigten der Deutschen Bundespost abgeschlossenen Tarifverträge in der jeweiligen Fassung sowie die Eingruppierung in eine Lohngruppe des für die Arbeiter geltenden Tarifvertrages vorsieht. In dem verwendeten Vordruck heißt es, das Arbeitsverhältnis sei zeitbefristet für die Zeit bis "laufend als Abrufkraft". Als Grund der Befristung wird auf die Rückseite verwiesen. Die Rückseite des Arbeitsvertrages enthält folgende Überschrift: "Der umseitig abgeschlossene Arbeitsvertrag soll entsprechend auch für die folgenden Arbeitsverhältnisse gelten. Darüber hinaus erkennt der Arbeitnehmer an, dass das bei der Ersteinstellung abgelegte Gelöbnis und der Inhalt der Verpflichtungsverhandlung auch für jedes neue Arbeitsverhältnis fortgelten." Darunter befindet sich eine Tabelle, in deren Zeilen jeweils der Tag des Arbeitseinsatzes, die Arbeitszeit und die Zahl der Arbeitsstunden eingetragen wird, die jeweilige Zeile wurde dann vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Unterschrift abgezeichnet.
Die Beigeladene zu 4), die im fraglichen Zeitraum arbeitslos war und keiner weiteren Beschäftigung nachgegangen ist, schloss mit der Klägerin am 06.12.1996 eine Rahmenvereinbarung. Zwischen dem 13.12.1996 und 14.07.1998 war sie für die Klägerin tätig, wobei mit Ausnahme des Monats November 1997 in jedem Monat Einsätze von jeweils vier Stunden Dauer erfolgten. Mit einer Ausnahme wurde die Klägerin höchstens sechsmal pro Monat eingesetzt. Im Regelfall wurden die Einsätze morgens telefonisch vereinbart, gelegentlich legte die Beigeladene zu 4) Folgeeinsätze mit der Klägerin auch schon im Voraus fest. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Blatt 141/142 der Gerichtsakte verwiesen. Das Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 4) erreichte in keinem Monat ein Siebtel der jeweils geltenden monatlichen Bezugsgröße.
Die Klägerin sah die Beigeladene zu 4) zunächst als versicherungsfrei an, da sie davon ausging, dass es sich bei den einzelnen Einsätzen der Abrufkräfte um jeweils gelegentliche Beschäftigungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) (in der damals geltenden Fassung) handele, die während der ersten 50 Arbeitstage versicherungsfrei seien. Ab Juni 1998 bejahte sie Versicherungspflicht.
Auf Antrag der Beigeladenen zu 4) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28.08.1998 fest, dass die Beigeladene zu 4) versicherungsfrei sei, da eine regelmäßige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vorgelegen habe. Da sie die Geringfügigkeitsgrenzen dieser Vorschrift nicht überschritten habe, habe Versicherungsfreiheit bestanden. Diese Feststellung wiederholte sie mit Bescheid vom 08.10.1998. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beigeladene zu 4) sei nicht regelmäßig beschäftigt gewesen. Ihr Einsatz sei unregelmäßig gewesen, da nur bei unerwartet hohem Aufkommen von Brief- und Paketsendungen, also in plötzlichen Bedarfsfällen, sich die jeweilige Niederlassung aus einer Liste von Interessenten bediene. Die Auswahl erfolge jeweils nach dem Zufallsprinzip, es handele sich somit um kurzfristige Beschäftigungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Beigeladene zu 4) werde seit dem 13.12.1996 im Rahmen eines sich regelmäßig wiederholenden Arbeitsverhältnisses mit gleichen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Die ständige Wiederholung über einen längeren Zeitraum kennzeichne jede dieser Beschäftigungen als regelmäßig im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.
Zur Begründung der am 12.05.1999 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Abrufkräfte würden zwar wiederkehrend, jedoch kurzfristig und unvorhersehbar zu Arbeitseinsätzen herangezogen. Es werde jeweils ein befristetes Arbeitsverhältnis geschlossen, so dass sozialversicherungsrechtlich jeweils ein neues Beschäftigungsverhältnis vorliege, das als kurzfristige Beschäftigung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zu beurteilen sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.05.2000 abgewiesen. Es hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, dass die Beigeladene zu 4) regelmäßig beschäftigt gewesen sei.
Gegen das ihr am 06.11.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.12.2000 Berufung eingelegt. Sie rügt, das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Unterscheidung zwischen regelmäßigen und gelegentlichen Beschäftigungen verkannt. Die Abgrenzung müsse danach erfolgen, ob der jeweilige Arbeitsanfall und -einsatz für die betreffenden Arbeitnehmer absehbar gewesen sei. Eine bloße Wiederholung von Arbeitseinsätzen könne zur Bejahung des Merkmals der Regelmäßigkeit nicht ausreichen, weil auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ganz offensichtlich von wiederholten Arbeitseinsätzen ausgegangen werde. Im Falle der Beigeladenen zu 4) seien die Arbeitseinsätze nicht vorhersehbar gewesen, so dass § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zur Anwendung komme.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.05.2000 zu ändern und unter Aufhebung der Bescheide vom 28.08.1998 und 08.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.1998 festzustellen, dass die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) ab Juni 1998 Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung begründet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass eine regelmäßige Beschäftigung vorgelegen habe, da aufgrund des Rahmenvertrages eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und den Abrufkräften bestanden habe.
Die Beigeladenen zu 1) bis 3) sind der Auffassung der Beklagten beigetreten, die Beigeladene zu 4) hat sich zur Sache nicht geäußert.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Es besteht keine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ab Juni 1998.
Das ergibt sich für die gesetzliche Krankenversicherung aus § 7 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches ((SGB V) in der bis 31.03.1999 geltenden Fassung), für die Pflegeversicherung aus § 20 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI), für die gesetzliche Rentenversicherung aus § 5 Absatz 2 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), für die Arbeitslosenversicherung aus § 27 Absatz 2 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Nach § 7 Absatz 1 2. Halbsatz SGB V ist, wer eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 SGB IV ausübt, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei. Dieser Vorschrift entsprechende Regelungen ergeben sich für die Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus § 20 Absatz 1 Satz 1 SGB XI, § 5 Absatz 2 Nr.1 SGB VI sowie § 24 Absatz 1 SGB III.
Versicherungsfreiheit gemäß § 7 SGB V setzt - wie auch die übrigen Vorschriften der SGB III, VI und XI - zunächst voraus, dass grundsätzlich Versicherungspflicht aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses besteht.
Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Diese Voraussetzung erfüllt die Tätigkeit der Beigeladenen zu 4) bei der Klägerin; dies ist unter den Beteiligten auch nicht umstritten. Folglich ist grundsätzlich Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (für die gesetzliche Krankenversicherung), § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung), § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (für den Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung) sowie § 24 Abs. 1 SGB III (für den Bereich der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung) anzunehmen.
Weitere Voraussetzung für das Bestehen von Versicherungsfreiheit gemäß § 7 Absatz 1 1. Halbsatz SGB V sowie den weiteren o.g. Vorschriften der anderen Zweige der Sozialversicherung ist, dass es sich um eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV (in der bis 31.03.1999 geltenden Fassung) handelt. Eine gering fügige Beschäftigung liegt nach dieser Vorschrift vor, wenn 1. die Beschäftigung regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt,
2. die Beschäftigung innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt und ihr Entgelt die in Nr. 1 genannten Grenzen übersteigt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen von Nr.1 a.a.O. erfüllt, so dass eine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 4) gemäß Nr. 2 nach dem 50. Arbeitstag nicht anzunehmen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfolgt die Abgrenzung zwischen den beiden Regelungen der Nr. 1 und der Nr. 2 des § 8 Abs. 1 SGB IV danach, ob eine Beschäftigung regelmäßig (dann gilt Nr. 1) oder nicht regelmäßig - also nur gelegentlich - (dann gilt Nr. 2) ausgeübt wird (vgl. BSG Urteil vom 23.05.1995, Az. 12 RK 60/93, SozR 3-2400 § 8 Nr.4 mit weiteren Nachweisen). Das Merkmal der Regelmäßigkeit ist (auch) erfüllt, wenn der Beschäftigte zu den sich wiederholenden Arbeitseinsätzen auf Abruf bereit steht, ohne verpflichtet zu sein, jeder Aufforderung zur Arbeitsleistung Folge zu leisten (BSG SozR 3-2400 § 8 Nr. 3, BSG a.a.O. m.w.N.). Ferner ist für die Beurteilung des Merkmals der Regelmäßigkeit keine (ausschließlich) vorausschauende Betrachtungsweise vorzunehmen: der Wille der Beteiligten zu einer regelmäßigen Beschäftigung wird vielmehr häufig erst in der Retrospektive deutlich (BSG a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist eine regelmäßige Beschäftigung der Beigeladenen zu 4) zu bejahen: Die Beigeladene zu 4) hat bei der Klägerin im Zeitraum von Dezember 1996 bis Juli 1998 mit Ausnahme eines Monats jeden Monat gearbeitet; dass die genaue Anzahl und das exakte Datum der Arbeitseinsätze im voraus nicht absehbar waren, schließt eine Regelmäßigkeit der Beschäftigung nicht aus. Entsprechendes gilt für die fehlende arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beigeladenen zu 4), auf jede Anforderung der Klägerin hin zur Arbeit zu erscheinen, denn in der Retrospektive hat die Beigeladene zu 4) ihre Tätigkeit über einen langen Zeitraum immer wieder mehrfach (zwei- bis sechsmal) monatlich ausgeübt.
Diese Form der sich wiederholenden Arbeitseinsätze genügt entgegen der Ansicht der Klägerin den im Rahmen des § 8 Absatz 1 Nr. 1 SGB IV an die Regelmäßigkeit zu stellenden Anforderungen. Erforderlich ist nicht, dass die Arbeitseinsätze in exakt den gleichen zeitlichen Abständen aufeinander folgen. Ausreichend ist vielmehr, dass die Klägerin und die Beigeladene zu 4) - die Ausgangslage zugrunde gelegt - übereinstimmend von einer gewissen Anzahl monatlicher Arbeitseinsätze über einen längeren Zeitraum ausgegangen sein müssen. Deutlich wird dies, wenn man sich die mit den Arbeitseinsätzen verbundenen tatsächlichen (betrieblichen) Verhältnisse vergegenwärtigt: Grundsätzlich waren die Arbeitseinsätze absehbar, weil das erhöhte Arbeitsaufkommen, die Info-Post, jedenfalls in einem generellen Sinne vorhersehbar bzw. bestimmbar war. Die Klägerin wusste aufgrund ihrer Erfahrungen, dass monatlich mit einem (erhöhten) Info-Postaufkommen zu rechnen war, das fortlaufend von der Stammbelegschaft nicht würde bewältigt werden können. Deshalb ergab sich der stetige Mehrbedarf an Arbeitskräften. Als Folge sah sich die Klägerin zum Abschluss der Rahmenvereinbarung mit den Abrufkräften veranlasst, von der die Arbeitseinsätze sogar auch aus einer Betrachtungsweise ex ante "umklammert" werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich sowohl die Abrufkräfte wie auch die Klägerin als Arbeitgeberin an kontinuierlich stattfinden den Arbeitseinsätzen interessiert gewesen sein dürften. Die Arbeitskräfte deshalb, weil sie mit dem ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Einkommen kalkulieren mussten; die Klägerin des halb, weil ansonsten eine aufwendige telefonische Suche nach zum Einsatz bereiten Arbeitskräften hätte erfolgen müssen. Zwar mag es für die Klägerin keine Rolle gespielt haben, wenn einzelne Arbeitnehmer zu einem bestimmten Arbeitseinsatz nicht zur Verfügung gestanden haben. Jedoch kann es kaum im Sinne der Klägerin gewesen sein, wenn sie bei einer Vielzahl von Abrufkräften bei jedem Arbeitseinsatz mit Absagen rechnen musste.
Es kann bei dieser Sachlage keine Rede davon sein, dass die Arbeitseinsätze der Beigeladenen nur gelegentlich im Sinne des § 8 Absatz 1 Nr.2 SGB IV erfolgt sind.
Schließlich sind weder die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV enthaltenen Zeit- noch die Entgeltgrenzen überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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