L 16 KR 41/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 Kr 76/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 41/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 30/99 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27. Januar 1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Anrechnung der dem Kläger gewährten Berufsunfähigkeitsrente auf das ihm gezahlte Krankengeld (Krg).

Die Beklagte zahlte dem Kläger ab dem 08.11.1995 werktäglich Krg in Höhe von 52,70 DM fortlaufend u.a. aufgrund ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 19.11.1996 bis 03.12.1996 durch Zahlungsanordnung bis 30.11.1996. Am 20.11.1996 erhielt die Beklagte die Mitteilung der LVA Westfalen, daß dem Kläger rückwirkend zum 01.11.1995 Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligt worden war; die Rentenzahlung betrug ab dem 01.07.1996 1.334,53 DM monatlich abzüglich eines Krankenversicherungsbeitrags in Höhe von 89,41 DM sowie eines Pflegeversicherungsbeitrages von 11,34 DM, so daß dem Kläger 1.233,78 DM monatlich ausgezahlt wurden.

Unter dem 28.11.1996 setzte die Beklagte den Zahlbetrag des Krg auf 1,37 DM ab dem 22.11.1996 herab und teilte dem Kläger auf dessen Einwand hin mit, daß das Krg um den Bruttobetrag der Berufsunfähigkeitsrente zu kürzen sei.

Mit Schreiben vom 14.01.1997, bei der Beklagten am 16.01.1997 eingegangen, wandte sich der Kläger gegen diese Kürzungen und machte geltend, dieses führe dazu, daß ihm ein Betrag von 100,75 DM netto weniger zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehe als vor Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente. Diese Schlechterstellung rechtfertigten die gesetzlichen Bestimmungen nicht. Am 07.08.1997 legte er außerdem vorsorglich Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil das Krg um den Zahlbetrag der Berufsunfähigkeitsrente zu kürzen sei. Aus Gründen der Gleichbehandlung aller Rentner sei hierunter der Betrag der Bruttorente zu verstehen, weil andernfalls für die Zeit des Krg-Bezuges ein eigener Versicherungsanteil nicht geleistet werden brauche.

Der Kläger hat am 17.10.1997 vor dem Sozialgericht - SG - Münster Klage erhoben. Er sieht in der Anrechnungsweise der Beklagten einen erheblichen Eingriff in seine Besitzstandsrechte und einen Verstoß gegen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Mit Urteil vom 27.01.1998 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt, Krg unter Berücksichtigung nur der Nettoberufsunfähigkeitsrente zu zahlen und die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 06.03.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.04.1998 Berufung eingelegt, mit der sie ihre Rechtsauffassung weiterverfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Münster vom 27.01.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, die Auffassung der Beklagten verstoße gegen den Normzweck der gesetzlichen Regelung des § 50 Abs. 2 SGB V.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die kraft Zulassung statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger Krg nur unter Kürzung um die Netto-Berufsunfähigkeitsrente, also ohne Anrechnung der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung der Rentner zu zahlen.

Nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V wird das Krg um den Zahlbetrag der Rente wegen Berufsunfähigkeit oder der Teilrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung gekürzt, wenn die Leistung von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der stationären Behandlung an zuerkannt wird. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte noch Sinn und Zweck dieser Bestimmung sprechen für die von der Beklagten vorgenommenen Auslegung i.S. einer Kürzung des Krg in Höhe der Bruttorente, also einschließlich der Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V ist das Krg. lediglich um den "Zahlbetrag" der entsprechenden Rente zu kürzen. Die zusätzliche Verwendung dieses Begriffs wäre aber unverständlich und überflüssig wenn tatsächlich die gesamte Rente einschließlich entsprechender Versicherungsanteile zur Anrechnung kommen sollte. Der Zusatz erhält daher nur einen Sinn, wenn lediglich die dem Versicherten tatsächlich zufließende Leistung bei der Kürzung zu berücksichtigen ist (vgl. Krauskopf, Kommentar zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung, Rdn. 29 zu § 50 SGB V; Hauck/Haines, Kommentar zum SGB V, Rdn. 74 zu § 50; im Ergebnis ebenso Kummer in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, § 23 Rdn. 188).

Diese Interpretation entspricht auch der Entstehungsgeschichte der Regelung in § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V. Schon die vor Inkrafttreten des SGB V maßgebliche Bestimmung des § 183 Abs. 1 RVO enthielt die Regelung, daß das Krg, wenn dem Versicherten während des Bezuges von Krg Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wurde, um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt wurde. Unter dem Begriff "gewährter Rente" wurde auch schon früher die effektiv gezahlte Rente verstanden (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 18. Aufl., 17/368). Durch die zum 01.01.1989 in Kraft getretene Regelung des § 50 Abs. 2 SGB V sollte insoweit keine Änderung erfolgen (BT-Drucks. 11/2237, S. 181 f.). Da zudem ausdrücklich in die Neuregelung der Begriff "Zahl betrag" aufgenommen worden ist, kann dies nur dahin verstanden werden, daß die Kürzungen lediglich den tatsächlich, effektiv an den Versicherten ausgezahlten Rentenbetrag erfassen und diesem ein ungeschmälerter Betrag in Höhe der bisher bezogenen Leistungen erhalten bleiben sollte (so auch Wagner, Gemeinschaftskommentar zum SGB, Rdn. 43 zu § 50 SGB V).

Auch Sinn und Zweck der Bestimmung des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sprechen für dieses Ergebnis. Durch diese Vorschrift soll die Gewährung von Doppelleistungen vermieden werden (vgl. Krauskopf a.a.O. Rdn. 4 zu § 50 SGB V; so auch schon zur Vorgängervorschrift BSG SozR § 183 RVO Nr. 67; SozR 2200 § 183 Nr. 40 S. 110). Die Anrechnung der Bruttorente hätte aber nicht nur die Vermeidung des Bezugs von Doppelleistungen mit Lohnersatzcharakter zur Folge, sondern führte darüber hinaus zu einer Verringerung des dem Versicherten gewährten Zahlbetrages. Eine solche gesetzgeberische Intention ist nicht erkennbar.

Die gegenteilige Auslegung dieser Vorschrift (vgl. dazu Lekon, Die Leistungen, 1991, 121, 130) gebietet auch nicht die Gleichbehandlung der Bezieher von Renten wegen Berufsunfähigkeit. Prüfungsmaßstab kann insoweit allein Art. 3 Abs. 1 GG sein, der es dem Gesetzgeber verbietet, Gruppen von Normadressaten unterschiedlich zu behandeln, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 55, 72, 88). Die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes verlangt den Vergleich von Lebenssachverhalten, die einander nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen, wobei es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers ist, zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht (vgl. BVerfGE 83, 395, 410; 87, 1, 36). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Gesetzgeber aber nicht gehalten gewesen, bei der Gruppe der Krg-Bezieher, denen nachträglich Rente wegen Berufsunfähigkeit zuerkannt wird, im Hinblick auf die Gruppe der Bezieher von Rente wegen Berufsunfähigkeit, die nicht in einem solchen Leistungsbezug stehen, den tatsächlichen Auszahlungsbetrag zusätzlich um die Versicherungsbeitragsanteile der Rentenleistung zu kürzen. Abgesehen davon, daß diese Beiträge von der Rente auch bei ersteren Beziehern einbehalten werden, ergibt sich dies daraus, daß der Anspruch auf Krg ohnehin befristet ist und der Versicherte darauf vertrauen kann, daß das Krg für die Anspruchsdauer unter Zusammenrechnung mit der später gewährten weiteren Lohnersatzleistung in der Summe gleich bleibt. Andernfalls hätte es der Versicherte auch in der Hand, seinen Leistungsanspruch zu manipulieren, indem er den Antrag auf Bewilligung der Rente erst mit Wirkung für das Erlöschen des Krg-Bezuges stellen würde. Daher ist die von der Beklagten vorgenommene Kürzung um die Bruttorente weder sachlich geboten noch bedeutet die Nichtberücksichtigung der Versicherungsanteile eine willkürliche Schlechterstellung der sonstigen Bezieher von Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Da der angefochtene Bescheid der Beklagten daher schon aus diesem Grunde auf den Antrag des Klägers abzuändern war, kann es dahinstehen, ob die Beklagte - jedenfalls für die Zeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 03.12.1996 bzw. die Zahlungsanordnung bis zum 30.11.1996 - die Kürzung ohnehin nur durch förmlichen Aufhebungsbescheid (§ 48 SGB X) hätte vornehmen dürfen (vgl. dazu BSG SozR 2200 § 182 Nr. 103).

Die Berufung mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Der Senat hat der Frage der Auslegung des § 50 Abs. 2 Nr. 2 SGG grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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