L 16 KR 39/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 210/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 39/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08. November 1999 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die vollständige Erstattung der Kosten einer Excimer-Laser-Behandlung seiner Augen (photorefraktive Keratektomie - PRK).

Im Januar 1999 begehrte der pflichtversicherte Kläger bei der beklagten Krankenkasse die Kostenübernahme für eine PRK seines rechten Auges unter Vorlage eines Kostenvoranschlags des Arztes für Augenheilkunde K ... über insgesamt 3404,86 DM. Beigefügt war eine Bescheinigung dieses Arztes vom 12.01.1999, wonach bei dem Kläger auf dem rechten Auge eine einseitige Kurzsichtigkeit von minus 6,0 Dioptrien bei geringem hyperopen Astigmatismus des linken Auges besteht. Aufgrund eines Brechungsungleichgewichtes (Anisometropie) von fast 8 Dioptrien sei eine Korrektur des Sehfehlers durch Brille nicht möglich. Eine monokular optimale Brillenkorrektur führe bei dem Kläger zur absoluten Brillenunverträglichkeit mit Kopfschmerzen, Augendruck, Doppelbildwahrnehmung und Schwindelgefühl. Eine binokular verträgliche Brillenkorrektur führe zu einer erheblichen Sehschärfenherabsetzung auf dem rechten Auge. Der Versuch, die hohe Kurzsichtigkeit des rechten Auges durch Anpassung einer Kontaktlinse auszugleichen, sei an der Trockenheit des Auges mit fortgeschrittener Keratitis sicca sowie dem Unvermögen des Klägers, eine Kontaktlinse zu gebrauchen (konsequenter Lidkrampf beim Einsetzungsversuch), gescheitert. Die refraktive Laserchirurgie sei daher die einzige Möglichkeit, einen Ausgleich der Anisometropie zu erreichen. Der Einsatz dieser Methode sei im Bereich von - 2,0 bis - 6,0 Dioptrien durch den Berufsverband der Augenärzte der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft sowie der Kommission für refraktive Laserchirurgie (KRC) klinisch anerkannt.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung - MDK - Nordrhein, Dr. M ..., kam zu dem Ergebnis, dass die PRK grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sei, jedoch könne bei Bestätigung der Kontaktlinsen-Unverträglichkeit als Einzelfallentscheid die Kostenübernahme der Operation zu einfachen Sätzen des Kostenvoranschlags plus materieller Kosten empfohlen werden.

Mit formlosem Bescheid vom 05.03.1999 sagte die Beklagte eine entsprechende Kostenübernahme dem Kläger zu. Dieser legte am 11.03.1999 Widerspruch ein und bat um Benennung alternativer Behandlungen bzw. eines Augenarztes, der einen Eingriff zu einfachen Kassensätzen abrechne.

Mit Bescheid vom 18.03.1999 sagte die Beklagte dem Kläger daraufhin eine Kostenübernahme in Höhe von 2000,-- DM zu. Auch hiergegen legte der Kläger am 22.03.1999 Widerspruch ein, weil ein weiterer Arzt ihm bescheinigt habe, dass die PRK die einzige Behandlungsmöglichkeit in seinem Falle sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil die begehrte Behandlung nach den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Leistung ausgeschlossen sei, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden dürfe. Aus Vertrauensgesichtsgründen verbleibe es bei der Zusage über 2000,-- DM.

Der Kläger hat am 20.07.1999 vor dem Sozialgericht - SG - Köln Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, da die PRK die einzige Behandlungsmöglichkeit in seinem Fall darstelle, könne die Beklagte trotz der entgegenstehenden Richtlinien aufgrund des Ausnahmefalls die Kosten übernehmen.

Mit Urteil vom 08.11.1999 hat das SG die Beklagte antragsgemäss verurteilt, dem Kläger 3.404,86 DM zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 11.02.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, den 13.03.2000, Berufung eingelegt.

Sie ist der Auffassung, aus Gründen des Systemversagens könne eine durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht empfohlene Leistung dem Versicherten nur gewährt werden, wenn der Ausschuss seine Aufgaben nicht ordnugsgemäss wahrgenommen habe. Davon könne vorliegend keine Rede sein. Allein die Übernahme eines Teils der Kosten könne nicht dazu führen, dass auch auf den restlichen Betrag ein gesetzlicher Anspruch bestehe. Im übrigen sei der zugesagte Betrag von 2000,-- DM am 29.04.1999 auf das Konto des Klägers überwiesen worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 08.11.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des SG Köln zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und stellt unstreitig, dass bereits 2.000,-- DM seitens der Beklagten gezahlt worden sind.

Der Senat hat ein Gutachten von Prof. Dr. St ..., Chefarzt der Augenabteilung des ...hospitals D ... eingeholt, das dieser am 26.05.2001 in Zusammenarbeit mit dem Assistenzarzt Dr. G ... erstattet hat. Der Sachverständige hat dargelegt, da die berufliche Situation des Klägers - regelmässiger Kontakt mit Mehlstaub als Speditionskaufmann - den Einsatz von Kontaktlinsen ausgeschlossen habe, sei für die Verringerung der Sehbeeinträchtigung nur der photorefraktive Eingriff als letztes therapeutisches Instrument in Betacht gekommen. Dieser könne daher nicht als lediglich kosmetische Maßnahme angesehen werden. Schon 1999 habe für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Anlass bestanden, sich mit der PRK neu zu befassen, da einen Monat später seitens der KRG Richtlinien zur Bewertung refraktiv chirurgischer Eingriffe unter Qualitätssicherung dieser Chirurgie herausgegeben worden seien. Danach sei bis zu einer Myopie von -6 Dioptrien die PRK als wirtschaftlich anerkanntes Verfahren anzusehen. PRK-Eingriffe der Hornhaut hätten sich bis 1999 jedoch noch nicht flächenhaft durchgesetzt, da diese Therapieform in erster Linie als kosmetischer Eingriff gewertet worden sei und werde.

Der Senat hat zu diesem Gutachten eine ergänzende Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 30.08.2001 sowie eine Stellungnahme der KRC vom 22.01.2002 eingeholt. Wegen der Auskünfte wird auf die Stellungnahmen Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von mehr als 1.404,86 DM begehrt. Die weitergehenden Kosten der PRK in Höhe von 2.000,-- DM sind bereits durch die Beklagte befriedigt worden, so dass kein Rechtsschutzbedürfnis für den weitergehenden Klageantrag besteht.

Im übrigen hat das SG die Beklagte zu Unrecht zur Kostenerstattung verpflichtet, weil ein solcher Anspruch dem Kläger nicht zusteht.

Nach § 13 Abs. 3 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, sind, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Es ist schon fraglich, ob die begehrte Behandlung notwendig i.S.d. §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V gewesen ist. Der Sachverständige hat anders als der behandelnde Augenarzt die Notwendigkeit der entsprechenden Versorgung mit der Staubentwicklung am Arbeitsplatz des Klägers begründet, die den Gebrauch von Kontaktlinsen nicht zulasse. Dabei ist aber nicht ersichtlich, warum nicht der Einsatz einer zusätzlichen Schutzbrille während der Staubexposition einen ausreichenden Schutz gewährleisten könnte.

Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, weil die PRK nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen zählt. § 135 Abs. 1 SGB V bestimmt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Die PRK hat keinen Eingang in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gefunden und ist nach den Feststellungen des Sachverständigen auch nicht Bestandteil des vertragsärztlichen Leistungsspektrums geworden, so dass sie als neue Behandlungsmethode i.S.d. § 135 Abs. 1 SGB V anzusehen ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 50). Die danach für eine Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung notwendige Empfehlung durch den Bundesausschuss ist nicht erfolgt, sondern diese Therapie ist unter dem synonymen Begriff der refraktiven Augenchirurgie durch Beschluss des Bundesausschusses vom 11.05.1993 aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen und in der Anlage 2 (Nr. 13) der Richtlinien über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL; veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 21.08.1993, S. 7869) unter die Behandlungsmethoden gefasst worden, deren therapeutischer Nutzen nicht festgestellt werden kann (jetzt Anlage B Nr. 13 der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V [BUB-RL] vom 10.12.1999 [BAnz. 2000 Nr. 56 S. 4602]).

Die NUB-RL sind untergesetzliche Rechtsnormen, die verbindlich das vertragsärztliche Leistungsspektrum regeln (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 S. 30; Nr. 7 S. 55; § 135 Nr. 14 S. 66). Infolgedessen ist dem Versicherten, der sich die Leistung gleichwohl selbst beschafft, im Kostenerstattungsverfahren der Einwand verwehrt, die Behandlungsmethode sei in seinem konkreten Fall zweckmäßig und wirksam gewesen.

Da dem Normgeber ein eigener Gestaltungs- und Beurteilungsspiel raum zukommt, können die Richtlinien durch die Gerichte nur insoweit überprüft werden, ob sie im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung zustandegekommen sind, insbesondere ob sie dem Gleichbehandlungsgebot und dem Willkürverbot genügen, das Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgestaltet gewesen ist und die verfügbaren Beurteilungsgrundlagen ausgeschöpft worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60). Dass die hier maßgebliche NUB-RL Anlage 2 Nr. 13 unter Verletzung dieser Grundsätze oder unter Verstoß gegen höherrangiges Recht zustandegekommen ist, ist nicht ersichtlich (so schon LSG NRW Urt. vom 26.01.1999 - L 5 KR 101/98 -). Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 30.08.2001 hervorgehoben, dass die refraktive Hornhautchirurgie entsprechend den Stellungnahmen der von ihm gehörten Sachverständigen mit einer erheblichen artifiziellen Schädigung der Hornhaut einhergeht, deren Langzeiteffekte nicht abzusehen sind und die im Alter häufig zu sogenannten Dystrophien führen, die eine Keratoplastik notwendig machen (vgl. dazu auch Internet-Information der Lasergeschädigten-Organisation Surgical Eyes mit Sitz in Tampa im US-Bundesstaat Florida unter www.surgicaleyes.org). Angesichts dieser Gefahren spricht nichts für eine sachwidrige Entscheidung des Bundesausschusses.

Im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers im Jahr 1999 hatte sich die Sachlage auch nicht so verändert, dass unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens ein Anspruch auf die begehrte Leistung trotz der entgegenstehenden Richtlinie gegeben gewesen ist. Ein solches Systemversagen ist dann anzunehmen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird (vgl. BSG SozR 3- 2500 § 135 Nr. 4 S. 21; Nr. 14 S. 66). Es kann dahinstehen, ob in dem insoweit maßgeblichen Behandlungszeitpunkt (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12) schon mangels eines erneuten Antrags seitens der zuständigen Gremien die formalen Voraussetzungen für eine Überprüfung gefehlt haben. Die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode setzt den Nachweis ihrer Wirksamkeit voraus, der grundsätzlich dadurch zu führen ist, dass in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken ausreichende Behandlungserfolge belegt werden (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 5; § 109 Nr. 5). Solche Statistiken, die insbesondere einen Aufschluss über die Langzeitrisiken der PRK geben, lagen aber nach der Auskunft der KRC vom 22.01.2002 auch Anfang dieses Jahres noch nicht vor. Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen, der sich allein auf die Erkenntnisse der KRC bezogen hat. Unter diesen Umständen bestand aber für den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen kein Anlass, sich im Jahr 1999 erneut mit der PRK zu befassen. Dass die KRC gleichwohl eigene Richtlinien über den Einsatz der PRK herausgegeben hat, ist dabei ohne Belang, da - wie auch der Bundesausschuss ausgeführt hat - nicht ersichtlich ist, auf welchen wissenschaftlich fundierten Erkenntnisquellen, die einen allgemeinen Konsens in der Augenmedizin gefunden haben, diese Richtlinien beruhen.

Nur ausnahmsweise kann, sofern ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darauf abgestellt werden, ob sich die angewendete Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 21 f.; Nr. 14 S. 68). Da weder seitens der KRC noch nach den Ausführungen des Sachverständigen solche Schwierigkeiten bezüglich der Erstellung wissenschaftlicher Studien bestehen, kann es jedoch auf den Gesichtspunkt der allgemeinen Verbreitung der PRK in der medizinischen Praxis nicht ankommen. Im übrigen hat der Sachverständige eine solche allgemeine Verbreitung gerade verneint.

Der Kläger kann schließlich aus der teilweisen Kostenübernahme durch die Beklagte keine weitergehenden Rechte herleiten. Diese Kostenzusage war zum einen entsprechend der vorstehenden Darlegungen rechtswidrig und zum anderen war der Kläger ausdrücklich dar auf hingewiesen worden, dass ein höherer Kostenzuschuss nicht in Betracht komme, so dass er die Behandlung nicht im Vertrauen auf die Einstandspflicht der Beklagten vorgenommen hat.

Die Berufung musste daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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