L 16 KR 29/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 262/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 29/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 20/02 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.11.2000 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten zahnärztlicher Behandlung im Rahmen einer Implantatversorgung.

Die Klägerin wurde 1987 infolge eines stark atrophierten und infolgedessen zahnlosen Ober- und Unterkiefers im Universitätsklinikum A ... im Rahmen eines Forschungsprojektes mit Implantaten im Unterkieferbereich versorgt. Seit 1996 befindet sie sich in der Behandlung des Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen Dr. Dr. M ... Die Klägerin reichte einen Kostenvoranschlag dieses Arztes vom 13.06.1997 bei der Beklagten über 1.543,69 DM bzw. 2.280,00 DM zuzüglich einer weiteren implantologischen und prothetischen Versorgung ein. Mit formlosem Bescheid vom 17.06.1997 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, weil eine Privatvereinbarung über eine Implantatbehandlung einschließlich eines implantatgestützten Zahnersatzes abgeschlossen worden sei und alternative vertragliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Demgegenüber wies Dr. Dr. M ... darauf hin, dass sich auch 10 Jahre nach der Implantatversorgung noch keine Lockerung desselben gezeigt habe, es jedoch mehrfach zu Brüchen der Suprakonstruktion gekommen sei. Der Klägerin einen Kostenzuschuss zu ihrem implantatgetragenen Zahnersatz zu versagen, bedeute, die Implantate dem Verlust freizugeben und die Kaufunktion wesentlich zu gefährden. Mit Schreiben vom 22.07.1997 verblieb die Beklagte bei ihrer Auffassung.

Dagegen erhob die Klägerin am 09.09.1997 Widerspruch und reichte im Folgenden zum einen eine Liquidation des Dr. Dr. M ... vom 31.08.1997 bezüglich der durchgeführten Behandlung vom 04.06. bis 27.08.1997 in Höhe von 1.796,56 DM sowie andererseits einen weiteren Kostenvoranschlag dieses Arztes vom 05.11.1997 über weitere 2.324,65 DM ein. Mit Schreiben vom 17.08.1998 verblieb die Beklagte weiterhin bei ihrer Auffassung und wies die Klägerin darauf hin, dass nur unter bestimmten Ausnahmevoraussetzungen eine implantologische Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sei, wobei das Beschwerdebild einer schweren Kieferkammatrophie, wie es bei der Klägerin vorliege, nicht zu dem Ausnahmekatalog zähle. Mit diesem Hinweis verband die Beklagte die Anfrage, ob der Widerspruch aufrechterhalten werde. Dies bejahte die Klägerin, weil auch bei ihr ein schwerwiegender Ausnahmefall vorliege und sie die Behandlung solange wie möglich im Klinikum A ... habe durchführen lassen. Da sie infolge ihrer Zahnerkrankung arbeitslos geworden sei, könne sie die Kosten der Behandlung nicht aufbringen. Hätte ihr der behandelnde Zahnarzt nicht zugesichert, dass ein erheblicher Teil der Kosten durch die Beklagte übernommen würde, hätte sie eine entsprechende Versorgung nicht durchführen lassen.

Gleichzeitig reichte die Klägerin weitere Rechnungen des Dr. Dr. M ... vom 15.08.1998 über 2.902,25 DM bzw. 923,50 DM für Behandlungen vom 23.10.1997 bis 20.08.1998 ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 09.12.1998 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, es sei unbegreiflich, dass anderen Versicherten entsprechende Leistungen zur Verfügung gestellt würden. Darüber hinaus hätten inzwischen andere Fachärzte einen Zusammenhang zwischen ihrer seelischen Erkrankung und der Zahnbehandlung festgestellt, so dass die implantologische Behandlung der Vermeidung weiterer Kosten diene.

Das SG hat Befundberichte von Dr. Dr. M ... eingeholt und mit Urteil vom 07.11.2000 die Beklagte verurteilt, 3.654,50 DM an die Klägerin zu erstatten. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 15.01.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.02.2001 Berufung eingelegt. Sie macht zunächst geltend, dass in den streitigen Rechnungsbeträgen nicht nur implantologische Leistungen, sondern auch funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen enthalten seien, die seit dem 01.01.1997 nicht mehr zu den kassenärztlichen Leistungen zählten. Ein Ausnahmetatbestand, nach dem implantologische Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden könnten, liege bei der Klägerin nicht vor. Insoweit sei die Gesetzeslage eindeutig und könne nicht im Wege der Auslegung erweitert werden. Die Kostenbezuschussung der früheren Implantversorgung durch die Beklagte könne entgegen der Auffassung des SG keinen Vertrauensschutz der Klägerin auslösen, weil der Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht auf einen unveränderten Fortbestand der im Gesetz vorgesehenen Leistungen vertrauen könne. Der entsprechende Leistungsausschluss verstosse auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil das Interesse der Allgemeinheit an der Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen Vorrang vor dem Interesse des Versicherten an einer möglichst optimalen Versorgung haben müsse. Mangels entsprechender Rückwirkungsregelung komme die Klägerin auch nicht in den Genuß der zum 01.01.2000 erfolgten Neuregelung bezüglich der Kostenübernahme hinsichtlich der Suprakonstruktionen. Im übrigen müsse bestritten werden, dass eine anderweitige ärztliche Versorgung bei der Klägerin ausgeschlossen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 07.11.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, bei ihr sei bereits 1997 (wohl 1987) aus zahnärztlicher Sicht konventioneller Zahnersatz nicht mehr befürwortet worden. Die bestehende Kieferatrophie mache eine herkömmliche Zahnersatzversorgung nicht mehr möglich. Die streitbefangene implantologische Leistung müsse im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung gesehen werden. Die Auffassung der Beklagten, dass bei Atrophiefällen eine entsprechende Versorgung vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei, fände in den Gesetzesmaterialien keine hinreichende Stütze.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Kostenerstattung verurteilt, weil der Klägerin ein solcher Anspruch nicht zusteht.

Da die zahnärztliche Versorgung einschließlich der Eingliederung von Zahnersatz (§ 30 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -) grundsätzlich als Sachleistung durch die gesetzliche Krankenversicherung geschuldet wird (vgl. BSG Urt. vom 19.06.2001 - B 1 KR 23/00 R -), der Klägerin als Pflichtversicherte im Zeitpunkt des Behandlungsbeginn (Juni 1997) kein Wahlrecht auf Kostenerstattung zustand und ein solches auch nach Änderung des § 13 Abs. 2 SGB V durch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz vom 23.06.1997 (BGBl. I 1520) später nicht ausgeübt worden ist, kann Anspruchsgrundlage der begehrten Kostenerstattung mangels Vorliegen jeglichen Anhaltspunkts für eine notfallmäßige Versorgung der Klägerin nur, wie auch das SG zutreffend erkannt hat, § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V sein. Danach sind, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind jedoch deshalb schon nicht erfüllt, weil die Ablehnung der begehrten zahnärztlichen Versorgung durch die Beklagte nicht kausal für die Entstehung der Kosten geworden ist.

§ 13 Abs. 3 SGB V räumt den Kostenerstattungsanspruch anstelle der gesetzlich geschuldeten Sachleistung nur für den Ausnahmefall ein, dass es für den Versicherten unzumutbar war, sich vor Behandlungsbeginn mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen oder wenn Letztere aufgrund des Ersuchens einer Leistung diese zu Unrecht verweigert hat und der Versicherte sie sich deshalb selbst verschaffen mußte (vgl. BSG wie vor; BSG SozR 3-2500 § 13 Nrn. 15, 22). Vor Beginn der Behandlung am 04.06.1997 durch Dr. Dr. M ... hat sich die Klägerin aber nicht an die Beklagte gewandt, so dass dieser eine rechtzeitige Entscheidung nicht möglich war. Hinderungsgründe für die Klägerin sind insoweit nicht ersichtlich. Im Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung vom 17.06.1997 war der überwiegende Teil des ersten Behandlungszyklus auch bereits abgeschlossen. Da die nach diesem Zeitpunkt noch am 18., 25. und 27.08.1997 erfolgten Maßnahmen in untrennbarem Zusammenhang mit der begonnen Behandlung standen, erstreckt sich der Kausalmangel auch auf diese Leistungen (BSG, Urt. v. 19.06.2001 - B 1 KR 27/00 R -).

Nichts anderes gilt hinsichtlich des zweiten Behandlungszyklus vom 23.10.1997 bis 20.08.1998. Selbst wenn dieser unabhängig von der ersten Behandlung durchgeführt worden sein sollte, so hätte sich die Ablehnungsentscheidung vom 17.06.1997 nicht auf letzteren auswirken können, weil dieser ausdrücklich nur den ersten Kostenvoranschlag (Heil- und Behandlungsplan) betraf. Über den zweiten Behandlungszyklus hat die Beklagte erst durch Schreiben vom 17.08.1998 eine Entscheidung getroffen und damit zu einem Zeitpunkt, als die Behandlung weitestgehend abgeschlossen war.

Der Grundsatz, dass bei einer zu erwartenden Ablehnung seitens der Krankenkasse ihre Entscheidung nicht abgewartet werden muss (zum früheren Recht BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86; BSG USK 86134), hat mit Inkrafttreten des § 13 Abs. 3 SGB V keine Gültigkeit mehr (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 15).

Unabhängig davon hat die Beklagte der Klägerin die streitige Leistung nicht geschuldet. Die bei letzterer bestehende Indikation eines vollständig atrophierten Ober- und Unterkiefers begründet nach der vor dem 01.01.2000 bestehenden Gesetzeslage weder einen Anspruch auf eine Implantatversorgung noch auf die Eingliederung bzw. Wiederherstellung der Suprakonstruktionen (§ 28 Abs. 2 SGB V in der ab dem 01.01.1997 geltenden Fassung des Beitragsentlastungs-Gesetzes vom 01.11.1996 [BGBl. I 1631] bzw. in der Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes, § 30 Abs. 1 in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988 [BGBl. I 2477]. Die Nichtberücksichtigung derartiger Atrophie-Fälle steht im Einklang mit der Ermächtigungsnorm des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V (BSG Urteile v. 19.06.2001 - B 1 KR 4, 5, 23, 27/00 R -). Diese Rechtslage besteht auch unabhängig davon, ob eine anderweitige Versorgung des Versicherten möglich ist (BSG Urt. vom 19.06.2001 - B 1 KR 23/00 R -). Ebenso wenig gebieten verfassungsrechtliche Grundsätze in diesem Fall eine Ausnahme (BSG wie vor).

Schließlich hat die Klägerin auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten keinen Anspruch auf eine weitere Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz. Die grundlegende Implantatversorgung ist nicht durch die Beklagte, sondern im Rahmen eines Forschungsprojekts erfolgt. Auch war eine solche Versorgung nach dem Leistungs- bzw. Leistungserbringerrecht nicht als einzige Behandlungsmethode vorgegeben (vgl. dazu BVerfG NJW 1999, 857; BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 10). Dass sich die Beklagte in der Folgezeit an den Kosten des Erhalts dieser Versorgung beteiligt hat, begründet ebenfalls kein Vertrauen der Klägerin, weil die Versicherten ohnehin nicht auf den unveränderten Fortbestand von Leistungsgesetzen vertrauen können (BSGE 69,76; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 3).

Soweit die Klägerin auf psychische Beschwerden infolge ihrer Zahnprobleme verwiesen hat, wären erstere nicht mit den Mitteln der zahnärztlichen Heilbehandlung, sondern ohnehin durch psychotherapeutische Maßnahmen zu behandeln gewesen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 5; SozR 3-2200 § 182 Nr. 14).

Auf die Berufung der Beklagten musste daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Saved