L 6 V 17/94

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 7 (19) V 77/89
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 V 17/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24. November 1993 abgeändert. Der Beklagte wird unter entsprechender Abänderung der Bescheide vom 25. Januar und 23. November 1989 sowie 13. Mai und 03. November 1992 verurteilt, dem Kläger ab Februar 1978 Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung des Einkommens eines technischen Angestellten der Leistungsgruppe II im Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" als Vergleichseinkommen zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Berufsschadensausgleichs (BSA) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Häftlingshilfegesetz (HHG).

Der im Mai 1924 in Oberschlesien geborene Kläger lebte nach dem Kriege in der früheren DDR. Dort schloß er sowohl ein Studium zum Diplom-Wirtschaftler (1952) als auch ein Studium zum Diplom-Chemiker (1962) erfolgreich ab. Bereits ab Mitte August 1954 war er beim V ... L ... "W ... U ..." (im folgenden: L ... W ...) als Betriebswirtschaftler tätig. 1962 übernahm er dort eine neue Funktion als Diplom-Chemiker in der Abteilung Forschung und Entwicklung. 1965 übernahm er die Leitung der ökonomischen Abteilung in der Abteilung Forschung und Entwicklung und war gleichzeitig Angehöriger der Forschungsleitung der L ... W ...

Im September 1965 wurde der Kläger inhaftiert und anschließend wegen Vorbereitung der Republikflucht zu 21 Monaten Gefängnis verurteilt.

Nach der Entlassung aus der Haft wurde er im Juli 1967 wieder bei den L ... W ... zunächst als ökonomischer Mitarbeiter und später als Abteilungsökonom in der neu gegründeten Hauptabteilung Hydrierung eingestellt. Aufgrund einer Strukturveränderung wurde er ab Januar 1970 als Ökonom für Rationalisierung im Bereich der Erdölverarbeitung eingesetzt, wo er ab März 1971 Abteilungsökonom wurde. Im Januar 1972 wurde er im Betrieb "Primärverarbeitung" als Ökonom für Produktion eingesetzt. Ende August 1973 schied er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Erwerbsleben aus und bezog vom FDGB M ... eine Invalidenrente. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im November 1977 zog er aufgrund des gleichen Versicherungsfalles Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).

Der Beklagte gewährte ihm wegen der Haftschädigungsfolge psychoreaktive Persönlichkeitsstörung Versorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v.H. (Bescheid vom 13. Januar 1989) und lehnte die Gewährung einer höheren Versorgung sowie eines Berufsschadensausgleiches zunächst ab (Bescheid vom 25. Januar 1989; Widerspruchsbescheid vom 28. November 1989). Während des anschließenden Klageverfahrens gewährte er rückwirkend wegen der Haftschädigungsfolgen organische Hirnschädigung und Hirnleistungsschwäche, psychoreaktive Persönlichkeitsstörung und diskrete Halbseitensymptomatik rechts Versorgung nach einem Grad der MdE um 60 v.H., wobei er wegen eines schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben im Alter von 49 Jahren (1973) eine besondere berufliche Betroffenheit annahm (Bescheide vom 12. November 1991 sowie vom 18. und 19. März 1992). Wegen dieses schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben gewährte er des weiteren ab Februar 1978 Berufsschadensausgleich und legte als Vergleichseinkommen (VE) das Durchschnittseinkommen eines technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich "Chemische Industrie", Leistungsgruppe II, zugrunde. Bei dieser Einstufung ging er davon aus, daß der Kläger aufgrund seiner beruflichen Qualifikationen und der früher verrichteten Tätigkeit wahrscheinlich ohne die Schädigungsfolgen wieder in der Chemischen Industrie, mindestens Leistungsgruppe II, tätig geworden wäre (Bescheide vom 13. Mai und 03. November 1992).

Im folgenden hat der Kläger das Klageverfahren im wesentlichen für erledigt erklärt und lediglich noch die Gewährung eines höheren BSA geltend gemacht. Er hat gemeint, das VE sei wegen der zuletzt von ihm verrichteten Tätigkeit dem Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" zu entnehmen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 13. Mai und 03. November 1992 zu verurteilen, bei der Berechnung des Berufsschadensausgleiches das Vergleichseinkommen im Industriebereich "Mineralölverarbeitung" zugrundezulegen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die von ihm vorgenommene Einstufung weiter für zutreffend erachtet.

Das Sozialgericht (SG) hat eine Auskunft des Verbandes der Chemischen Industrie e.V., F ..., eingeholt, wonach die jetzige L ... W ... AG dort Mitglied ist, und alsdann die Klage abgewiesen, weil es sich bei den L ... W ... um einen Mischkonzern gehandelt habe, der außer Benzin noch andere chemische Produkte hergestellt habe und somit dem Industriebereich "Chemische Industrie" zuzuordnen sei (Urteil vom 24. November 1993, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 30. Dezember 1993).

Mit seiner Berufung vom 26. Januar 1994 hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, zum Verfahren beige laden (Beschluss vom 03. September 1996).

Der Kläger meint, er sei in den Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" einzustufen, weil er ab März 1971 in der neu gebildeten Abteilung "Primäre Erdölverarbeitung" tätig gewesen sei. Dieser Bereich sei zwischenzeitlich als L ... R ... Gesellschaft mbH aus der L ... W ... AG ausgegliedert. Entscheidend sei nicht, welcher Tarifvertrag maßgeblich sei, sondern in welcher Höhe Einkommen erzielt werde. Nach westdeutschen Maßstäben habe er bei den L ... W ... ein Spitzengehalt bezogen, das nur für wenige Arbeitnehmer dieses Betriebes erreichbar war.

Durch den Bescheid vom 13. Mai 1992 sei bindend eine Eingruppierung in die Leistungsgruppe II für technische Angestellte erfolgt, er habe diese Entscheidung lediglich hinsichtlich des zugrundegelegten Wirtschaftsbereiches angefochten. Eine Einstufung gemäß § 3 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 bis 6 BVG (Berufsschadensausgleichsverordnung - BSchAV -) stelle keine angemessene Bewertung seiner Tätigkeit und seiner akademischen Ausbildung dar, sofern man hier nicht das Einkommen der Besoldungsgruppe A 16 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zugrundelegte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.11.1993 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.05.1992 in der Gestalt des Bescheides vom 03.11.1992 zu verurteilen, ihm ab Februar 1978 Berufs schadensausgleich nach einem Vergleichseinkommen der Leistungsgruppe II der technischen Angestellten im Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" zu gewähren.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zunächst maßgeblich darauf abgestellt, daß sowohl die L ... W ... AG als auch die L ... R ... Gesellschaft mbH dem Arbeitgeberverband "Chemie und artverwandte Industrie Ost e.V." sowie der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie an gehörten. Aufgrund der Umstrukturierungen habe die frühere Hauptabteilung Hydrierung erst ab Juli 1990 zum Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" gerechnet werden können. Da der Kläger aber bereits im Mai 1989 das 65. Lebensjahr vollendet habe, wäre er bis zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich in der chemischen Industrie tätig gewesen.

Später hat der Beklagte seine eigene Einstufung gänzlich für unzutreffend gehalten und gemeint, der Kläger sei aufgrund seiner ab geschlossenen Hochschulausbildungen zwingend nach § 3 Abs. 5 BSchAV einzustufen, so daß als VE das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 15 BBesG zugrundezulegen sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß dieses VE seit Juli 1992 sogar unter dasjenige der Leistungsgruppe II im Wirtschaftsbereich "Chemische Industrie" abgesunken sei. Der Umstand, daß die allgemeine Einkommensentwicklung in bestimmten Wirtschaftsbereichen stärker vorangeschritten sei als im öffentlichen Dienst, dürfte dem Verordnungsgeber bekannt gewesen sein, habe ihn jedoch nicht zu einer Änderung der BSchAV veranlaßt. Der Beklagte sehe keine Möglichkeit, diese eindeutigen Vorschriften zu korrigieren. Die unterschiedliche Einkommensentwicklung betreffe genauso diejenigen Leistungsempfänger, bei denen die Einstufung im Juli 1992 bereits bindend festgestellt gewesen sei.

Auch die Beigeladene ist der Auffassung, daß wegen der abgeschlossenen Hochschulausbildung des Klägers § 3 Abs. 5 BSchAV zwingend anzuwenden sei. Die Tatsache, daß das VE in Einzelfällen niedriger sei als eine Einstufung in die Leistungsgruppe II bestimmter Wirtschaftsbereiche, rechtfertige die Abkehr von dieser zwingenden Vorschrift nicht, weil diese Einstufung vom Verordnungsgeber gewollt sei. Mögliche Unterschiede zu anderen VE habe der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber im Hinblick auf die notwendig generalisierende und pauschalierende Ausgestaltung des BSA in Kauf genommen. Es bestehe kein Bedarf für eine Änderung dieser Vorschriften.

Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Gerichtsakten, insbesondere die im Berufungsverfahren eingeholten Auskünfte der L ... R ... mbH und des Statistischen Bundesamtes, die Verwaltungsakten des Beklagten (Grdl.-Nr. 450 291), die Personalakten des V ... L ... W ... "W ... U ...", die Krankenakte der Betriebspoliklinik L ..., die Rentenakten der BfA Berlin (Vn.: ...) sowie die Vorprozeßakten des SG Detmold (Az.: S 18 (2) V 340/79) Bezug. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Kläger durch die angefochtenen Bescheide vom 25. Januar und 23. November 1989, sowie durch die zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen (§ 96 SGG) Bescheide vom 13. Mai und 03. November 1992 insoweit beschwert, als der Beklagte nicht einen höheren Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung des Einkommens eines technischen Angestellten der Leistungsgruppe II im Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" als VE gewährt hat, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Diese Bescheide sind insoweit rechtswidrig, weil der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von BSA unter Zugrundelegung des bezeichneten Vergleichseinkommens hat, §§ 30 Abs. 3 bis 5, 14 BVG, 2 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1, 3 Abs. 1 BSchAV. Die Sonderregelungen des § 3 Abs. 4 und 5 BSchAV finden keine Anwendung.

Zu Recht hat der Beklagte dem Kläger BSA gewährt, weil dieser schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Eben falls zu Recht hat er das maßgebliche VE der Leistungsgruppe II für technische Angestellte entnommen. Unzutreffend ist lediglich der aus dem Bereich "Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie" gewählte Wirtschaftsbereich, da entsprechend dem Begehren des Klägers hier nicht die allgemeine "Chemische Industrie", sondern die "Mineralölverarbeitung" den zutreffenden Wirtschaftsbereich darstellt.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist Streitgegenstand allerdings nicht lediglich die Frage, welchem Wirtschaftsbereich das maßgebliche VE zu entnehmen ist. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine Anspruchsvoraussetzung des streitigen Anspruchs auf Gewährung von BSA. Es ist aber nicht möglich, lediglich Feststellungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmale eines bewilligenden Bescheides anzufechten. Angefochten ist vielmehr der Verfügungssatz, der sich über den geltendgemachten Anspruch insgesamt verhält.

Begehrt ein Kläger also eine höhere Leistung mit der Behauptung, eine andere Einstufung als die vom Beklagten vorgenommene sei zutreffend, so ist der Anspruch insgesamt originär zu prüfen (BSGE 39, 14, 17). Dies gälte selbst dann, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellte, daß überhaupt kein Anspruch auf BSA zu steht; ob es in einem solchen Fall aus Rechtsgründen bei der bindenden Feststellung im angefochtenen Bescheid verbleiben muß, kann hier offenbleiben.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Kläger ohne die Schädigungsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich eine leitende Stellung in einem Industrieunternehmen der Mineralölverarbeitung bekleidet hätte, da er auch in der DDR in diesem Wirtschaftsbereich zuletzt tätig war.

Nach § 30 Abs. 5 Satz 1 BVG ist das VE der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe zu entnehmen, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Dies bedeutet, daß der wahrscheinliche berufliche Werdegang des Klägers hypothetisch - d.h. unter Weglassung der Schädigung - nachzuzeichnen ist.

Der Senat geht davon aus, daß der Kläger auch ohne die Schädigungsfolgen etwa zum gleichen Zeitpunkt in die Bundesrepublik Deutschland gelangt wäre, da seine berufliche Karriere in der DDR allein durch die Verbüßung der Haftstrafe und die damit einher gehenden besonderen Umstände jedenfalls insoweit beendet war, als eine mit besonderem Vertrauen einhergehende berufliche Führungsposition für ihn nicht mehr erreichbar war. Die bis zur Schädigung in der DDR verrichtete berufliche Tätigkeit dürfte sich indes von der später verrichteten Tätigkeit inhaltlich nicht wesentlich unterschieden haben, da die nach der Haftverbüßung erfolgte Umsetzung nicht auf Folgen der Schädigung, sondern auf die verbüßte Haftstrafe und deren Begleitumstände zurückzuführen sein dürfte. Der berufliche Werdegang in der DDR nach der Verbüßung der Haftstrafe zeigt, daß der Kläger auch weiterhin unter besonderer Ausnutzung seines Fachwissens eingesetzt wurde und ihm auch dabei wiederum ein beruflicher Aufstieg gelang. Dies hat auch die BfA im Rentenbescheid vom 26. Juni 1978 dadurch dokumentiert, daß sie ab Mai 1969 wieder das zuvor auch bis September 1965 zugrundegelegte Entgelt der Leistungsgruppe 1 der damaligen Anlage 1 zum Fremdrentengesetz zugrundegelegt hat. Dann ist es aber wahrscheinlich, daß der nachweislich hochqualifizierte Kläger mit seinem besonderen Fachwissen in einem Industrieunternehmen der Minerlölverarbeitung, zum Beispiel als Controller (vgl. Auskunft der L ...- R ... Gesellschaft mbH vom 19. Januar 1995) gearbeitet hätte.

Bei dieser Einschätzung kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darauf an, ob und in welcher Form sich die früheren L ... W ... zwischenzeitlich umstrukturiert haben, insbesondere ob und ab wann der Zweig, in dem der Kläger tätig war, eindeutig der Mineralölindustrie zuzuordnen war und welchen Anteil er an der Gesamtwertschöpfung oder am Erlös der L ... W ... oder ihrer Rechtsnachfolger hatte. Nach dem Gesetz ist vielmehr wesentlich auf die Kenntnisse und Fähigkeiten sowie den bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen abzustellen. Danach spricht alles dafür, daß der Kläger zuletzt in einer Abteilung tätig war, die bei wertender funktionaler Betrachtung dem Wirtschaftsbereich Mineralölverarbeitung zuzuordnen war. Dies folgt aus dem aktenkundigen beruflichen Werdegang des Klägers sowie aus den Auskünften der L ... R ...-Gesellschaft mbH und des Statistischen Bundesamtes.

Bereits die vor der Schädigung ausgeübten Tätigkeiten des Klägers dürften seit seinem Wechsel in die Abteilung Forschung und Entwicklung im März 1962 wesentlich mit der Erdölverarbeitung zu tun gehabt haben, zumal der Kläger durch seine Diplomarbeit offenbar ein besonderes Interesse und besondere Fähigkeiten in diesem Bereich nachgewiesen hatte. Ob die letzte (ab Januar 1965) vor der Schädigung verrichtete Tätigkeit als Leiter der ökonomischen Gruppe der Hauptabteilung Forschung schwerpunktmäßig diesem Bereich zuzuordnen war, kann letztlich offenbleiben. Jedenfalls - und darauf kommt es entscheidend an - ist die nach der Schädigung von 1967 bis 1973 ausgeübte Tätigkeit inhaltlich eindeutig diesem Tätigkeitsbereich zuzuordnen. So war er ab Januar 1970 als Ökonom für Rationalisierung im Bereich Erdölverarbeitung eingesetzt, wo er 1971 Abteilungsökonom und 1972 Ökonom für Produktion im Bereich der Primärverarbeitung wurde. Diese Einschätzung wird durch die Auskünfte der L ...-R ...-Gesellschaft mbH sowie des statistischen Bundesamtes in Wiesbaden bestätigt. Die Leuna-Raffinerie-Gesellschaft mbH ordnet sich in Kenntnis der maßgeblichen Kriterien als Rechtsnachfolgerin für den Tätigkeitsbereich, in dem der Kläger früher tätig war, selbst dem Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" zu. Das Statistische Bundesamt sieht keine Anhaltspunkte, dieser Einstufung zu widersprechen.

Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten ist es für diese wertende Einordnung unerheblich, welcher Tarifvertrag heute für die L ...-R ...-Gesellschaft mbH maßgeblich ist, welchem Arbeitgeberverband dieses Unternehmen angehört und welche Berufsgenossenschaft zuständig ist. Diese sich aus der Logik des Sachzusammenhanges ergebende Folgerung sieht der Senat auch durch die Auskunft des Statistischen Bundesamtes vom 17. August 1995 bestätigt. Danach wird bei der statistischen Ermittlung der maß geblichen Durchschnittseinkommen in Kauf genommen, daß in einigen dem Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" zuzuordnenden Unternehmen tatsächlich ein Tarifvertrag der allgemeinen chemischen Industrie maßgeblich ist, der folglich bei der Ermittlung der maßgeblichen Durchschnittseinkommen keine Berücksichtigung findet.

Folglich spielt es bei der pauschalen, generalisierten Entschädigung beim BSA keine Rolle, daß es im allgemeinen Erwerbsleben auch Tätigkeiten gibt, die - obwohl funktional dem Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" zugehörig - aufgrund tariflicher Besonderheiten tatsächlich geringer entlohnt werden.

Entgegen der später vom Beklagten und auch von der Beigeladenen geäußerten Auffassung ist ein Absinken des VE durch einen Aufstieg des Klägers von der Leistungsgruppe II in die Leistungsgruppe I (§ 3 Abs. 4 BSchAV) oder aufgrund der priviligierenden Sonderregelung des § 3 Abs. 5 BSchAV nicht zum Nachteil des Klägers zu berücksichtigen.

Dabei bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob diese Regelungen in Fällen wie dem vorliegenden wegen der unterschiedlichen Entwicklungen der Einkommen in der privaten Wirtschaft einerseits und im öffentlichen Dienst andererseits noch i.S. von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die BSchAV (jetzt: § 30 Abs. 14 BVG) und mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind. Denn aus dem Gesamtregelungszusammenhang der Vorschriften zum BSA wird hinreichend deutlich, daß sowohl § 3 Abs. 4 als auch § 3 Abs. 5 BSchAVO eine den Beschädigten begünstigende Regelung darstellen, wobei diese Vorschrift ihm eine Beweiserleichterung einräumen will, während jene ihm bei konkretem Nachweis einer wahrscheinlich höher qualifizierten Tätigkeit als diejenige der Leistungsgruppe II eine Vergünstigung gewährt. Über das Rundschreiben der Beigeladenen vom 23. März 1992 - VI a 1-53056 - (BArbBl. 1992, S. 116ff) gilt für in der früheren DDR berufstätige Beschädigte im Ergebnis die gleiche Beweiserleichterung wie nach § 3 Abs. 5 BSchAV; hierin empfiehlt die Beigeladene unter anderem für Beschädigte, die ihr Berufsleben in der ehemaligen DDR zurückgelegt haben, bei Hochschulabsolventen die Einstufung in die Leistungsgruppe I der Angestellten.

Seit Juli 1985 kann diese Höherstufung indes für den Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" nicht mehr verwirklicht werden, weil ab diesem Zeitpunkt das Einkommen der Leistungsgruppe II bereits das nach § 3 Abs. 4 und 5 BSchAVO höchstens zugrunde zulegende VE der Besoldungsgruppe A 15 BBesG - Endstufe - übersteigt. Hier dürfte der Verordnungsgeber zur Anpassung der BSchAV aufgerufen sein (vgl. BSG Urteil vom 25.06.1986 Az.: 9 a RV 39/84, S. 11ff). Ob in derartigen Fällen eine gesetzes- und verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschriften, etwa durch Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 16 BBesG, angezeigt ist oder ob eine grundsätzliche strukturelle Änderung der VO durch den Verordnungsgeber erfolgen muß, kann für die Beurteilung des vorliegenden Falles im Ergebnis dahinstehen.

Denn der Kläger hat lediglich die Zugrundelegung eines VE der Leistungsgruppe II im Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung" begehrt; er hat durch die damit erfolgte Beschränkung seines Begehrens konkludent auf eine höhere Einstufung verzichtet. Diese aus Sicht des Klägers konsequente und einheitliche Antragstellung, mit der er gleichzeitig einräumt, daß ihm auch für den Zeitraum von Februar 1978 bis Juni 1985 das bis dahin noch höhere VE nach der Besoldungsgruppe A 15 BBesG nicht zusteht, trägt auch dem zu treffenden Einwand des Beklagten, das VE müsse durchgehend einheitlich festgestellt werden, Rechnung. Ob und inwieweit in ähn lich gelagerten Fällen, in denen bereits vor Juli 1985 bindend eine Einstufung nach § 3 Abs. 4 oder 5 BSchAVO vorgenommen war, auf Antrag des Betroffenen wegen einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eine Neueinstufung vorzunehmen ist, kann hier unentschieden bleiben.

Der Senat hat keine Bedenken, von der Wirksamkeit eines Verzichts auf die einseitig begünstigende Einstufung nach § 3 Abs. 4 und/oder 5 BVG auszugehen. Diesen Verzicht hat der Kläger hier durch seine schriftliche Erklärung, er beantrage die Zugrundelegung des VE nach der Leistungsgruppe II im Wirtschaftsbereich "Mineralölverarbeitung", konkludent ausgesprochen.

Bei der Sondereinstufung nach § 3 Abs. 4 und 5 BSchAVO handelt es sich nicht, wie Beklagter und Beigeladene meinen, um zwingende Einstufungsvorschriften, sondern um einseitig privilegierende Sondervorschriften, auf deren Anwendung verzichtet werden kann, selbst wenn damit nicht auf die Sozialleistung insgesamt verzichtet wird. Denn bei teilbaren Ansprüchen kann auch nur auf einen Teil des Anspruchs verzichtet werden (Hauck-Haines Sozialgesetzbuch, SGB I, Kommentar Allgemeiner Teil, Stand Januar 1997, § 46 4 a; (Lilge/v. Einem in Gesamtkommentar zur Sozialversicherung, (GK), Stand August 1997, § 46 SGB I 1 d, 2). Dabei kann offenbleiben, ob dies auf der - entsprechenden - Anwendung des § 46 Sozialgesetz buch 1. Buch (SGB I) oder auf Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu gründen ist (vgl. BSGE 60, 11ff = SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 21 = Breithaupt 1986, 877ff). Auf die Anwendung einsei tig begünstigender Rechtsvorschriften darf ein Sozialleistungsempfänger jederzeit verzichten (BSG a.a.O.).

Öffentliche Interessen stehen dem nicht entgegen; insbesondere ist unerheblich, daß sich für den Kläger ab 1985 durch den Verzicht ein höherer Zahlbetrag ergibt.

Denn der Kläger verzichtet zunächst nur - abstrakt - auf eine allgemein günstigere Rechtsposition, die sich erst im konkreten Einzelfall in einem höheren Zahlbetrag niederschlägt. Die Zulässigkeit eines solchen Verzichts kann aber nicht davon abhängen, wie es sich im konkreten Falle auswirkt.

Die aus dem Verzicht resultierend höhere Belastung des Beklagten ist auch bei entsprechender Anwendung des § 46 Abs. 2 SGB I zu lässig; hier ist nur die Belastung eines anderen Sozialleistungsträgers, nicht aber die stärkere Belastung des gleichen geregelt; diese soll zulässig bleiben (GK a.a.O. 5.).

Der Senat verkennt auch nicht den Einwand der Beigeladenen, es handele es sich bei dem gesetzlichen Gesamtkonzept des BSA um eine pauschalierte, an einem durchschnittlichen Berufserfolg orientierte und in der Höhe begrenzte Abgeltung von beruflichen Schäden. Dieser Einwand ist jedoch vorliegend nicht stichhaltig. Denn der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, daß der Ausgleich der beruflichen Schäden am individuellen beruflichen Erfolg festgemacht werden soll. Dann entspricht es aber dieser gesetzlichen Konzeption nicht mehr, wenn der BSA bei höherem beruflichen Erfolg im Vergleich zu denjenigen Beschädigten, die lediglich einen geringeren beruflichen Erfolg aufzuweisen haben, absinkt. Vielmehr muß es dem Beschädigten möglich sein, auf die mit § 3 Abs. 5 BSchAVO bezweckte Besserstellung zu verzichten, um sich in die - zumindest nachgewiesene - niedrigere - Leistungsgruppe einstufen zu lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 SGG, wobei die erstinstanzliche Kostenentscheidung auch insoweit zu korrigieren ist, als das SG bei seiner Kostenentscheidung das wesentliche Obsiegen des Klägers in erster Instanz unberücksichtigt gelassen hat.
Rechtskraft
Aus
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