L 6 SB 51/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 43 SB 236/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 51/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.02.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Feststellung einer Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) bzw. Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und Einkommenssteuergesetzes (EStG) zusteht.

Die am ... 1996 geborene Klägerin leidet an einer Lebensmittel unverträglichkeit. Des Weiteren besteht ein Verdacht auf Pollinosis (Heuschnupfen). Die Klägerin reagiert allergisch auf Milch-, Soja- und Hühnereiweiß, Roggen- und Weizenmehl, Nüsse, Äpfel, Kräuter, Vanille und Phosphat in Lebensmitteln (z.B. Wurst), auf Hausstaub und Getreide-, Baum-, Kräuter- sowie Gräserpollen. Nach der Einnahme bzw. dem Kontakt mit den entsprechenden Stoffen treten bei der Klägerin Ekzemverschlechterungen im Sinne einer Neurodermitis mit Juckreiz und trockenen Hautstellen mit der Gefahr von Hautrissen, Störungen im Magen-Darm-Trakt mit Verstopfung, Magenkrämpfen und sich hieran anschließender tagelanger Appetitlosigkeit, bronchitische Beschwerden mit zum Teil einstündi- gen Hustenanfällen bis zum Erbrechen, dadurch wiederrum verursacht Durchschlafstörungen, und nach dem Essen von phosphathaltigen Speisen Wutanfälle bis zur totalen Erschöpfung auf.

Am 08.10.1998 beantragte die Klägerin die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie von Hilflosigkeit. Sie machte geltend, dass sie zur Vermeidung der Allergene einer ständigen Überwachung bedürfe sowie einer ständigen Bereitschaft zur Eindämmung der Symptomatik bei nicht gänzlich vermeidbarem Allergenkontakt, insbesondere die sofortige, lebensrettende Hilfe im Falle eines Allergieschocks. Der Zeitaufwand beim Einkauf allergenfreier Lebensmittel sei sehr hoch, Grundnahrungsmittel wie Brot, Gebäck und Soßen müssten zeitaufwendig selbst zubereitet werden. Bei Besuchen und Ausflügen müssten alle Lebensmittel von zu Hause mitgenommen werden.

Das Versorgungsamt holte einen Befundbericht des Kinderarztes ... ein, der unter anderem eine kinesiologische Auswertung mit den die Klägerin belastenden Stoffen und einen Verdacht auf Pollinosis angab. Anschließend erteilte es den Bescheid vom 20.01.1999, mit dem es unter Feststellung der Gesundheitsstörungen Neurodermitis, Nahrungsmittelintoleranz und Bronchitis einen GdB von 30 festsetzte.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin, mit dem sie die Feststellung von Hilflosigkeit (Merkzeichen H) geltend machte, wies das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.1999 zurück.

Die Klägerin hat gegen die Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren, die Feststellung des Merkzeichens H, weiterverfolgt hat.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ab Oktober 1998 den Nachteilsausgleich "H" zuzuerkennen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet. Unter Berücksichtigung der Maßgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", Ausgabe 1996 (AHP), läge keine Hilflosigkeit vor. Die Klägerin erfülle auch nicht die Voraussetzung einer der dort aufgezählten Fallgruppen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Befundberichtes des Dr. O ..., des Entlassungsberichtes der ... und des Gutachtens des Prof. Dr. D ..., ..., vom 05.06.2000. Prof. Dr. D ... hat diagnostisch eine Neurodermitis (zur Zeit im beschwerdefreien Intervall unter Diät), eine Nahrungsmittelintoleranz (bisher nicht gesichert durch kontrollierte Belastung) sowie einen rezidivieren den Husten-/Bronchitiden (ohne Notwendigkeit einer Inhalation therapie) festgestellt. Die strikte Diät mit Meidung vieler Nahrungsmittel habe zur guten Besserung der Hautveränderungen und Magen-Darm-Beschwerden geführt. Der wiederholt auftretende Husten ohne Atemnotzustände und saisonale, tageszeitliche oder situative Häufung werde homöopathisch therapiert. Eine Inhalationstherapie sei nicht erfolgt. Die durchgeführten Laboruntersuchungen hätten bei fehlendem Nachweis von spezifischen Antikörpern des Typs IgE keinen Hinweis auf eine Typ-I-Allergie mit der theoretischen Möglichkeit eines anaphylaktischen Schocks ergeben. RAST-Untersuchungen (Radio-Allergo-Sorbent-Test) hätten keinen Nachweis einer Sensibilisie- rung (Hinweis auf Typ-I-Allergie) ergeben gegen verschiedene Nah- rungsmittelallergene (Eiklar, Eigelb, Kuhmilch, Sojabohnen, Nüsse, Fische/Schalentiere, Weizenmehl), Pollen (Birke, Sammelgräser, Roggen), Tierhaare (Katze, Hund, Pferd) und Hausstaubmilben. Eine ergänzende Prick-Testung auf der Haut sei von der Mutter der Klägerin abgelehnt worden.

Zur Beurteilung der Hilflosigkeit hat Prof. Dr. D ... ausgeführt, dass die gemäß den AHP geforderte klinisch gesicherte Typ-I-Allergie mit der Gefahr eines anaphylaktischen Schocks nicht vorliegen würde. Beim Fehlen spezifischer IgE-Antikörper sei die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks weitestgehend auszuschließen, eine Typ-I-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene sehr unwahrscheinlich. Es könne durchaus eine breite Nahrungsmittelintoleranz vorliegen. Zum Nachweis einer Nahrungsmittelallergie fehle es an einer oralen Provokationstestung unter standardisierten klinischen Bedingungen. Homöopathischer Diagnostik bzw. Therapie komme nach übereinstimmenden Stellungnahmen der nationalen Fachgesellschaften für Allergologie keine naturwissenschaftlich nachweisbare Bedeutung zu.

Mit Urteil vom 15.02.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Eine Hilflosigkeit der Klägerin sei unter Heranziehung der Maßgaben der AHP nicht zu begründen. Insbesondere sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das Vorliegen einer Typ-I-Allergie gegen schwer vermeidbare Allergene sehr unwahrscheinlich. Diese Maßgabe der AHP sei für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch bindend. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) würden die AHP Maßstäbe nicht nur im Sinne eines antizipierten Sachverständigengutachtens vorgeben, sondern auch unter Berücksichtigung einer gleichmäßigen Behandlung der Betroffenen normativ verbindliche Maßstäbe festlegen. Es handele sich um ein geschlossenes Beurteilungsgefüge, das nur einer eingeschränkten Evidenzkontrolle der Sozialgerichte unterliege. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von allergieerkrankten Kindern beinhalteten die AHP mit der aufgezeigten Anforderung eines anaphylaktischen Schocks nicht, da bei einer Erkrankung ohne die Gefahr eines lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schocks geringere Anforderungen an die Engmaschigkeit der Überwachung und weniger weitreichende Konsequenzen gegeben seien.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, mit der sie weiterhin die Feststellung von Hilflosigkeit begehrt. In erster Linie macht sie geltend, dass die von den AHP geforderte Gefahr eines anaphylaktischen Schocks als unabdingbare Voraussetzung für das Merkzeichen H ein ungeeignetes Abgrenzungskriterium sei, da auch bei einer Allergie, die zu anderen beeinträchtigenden Folgen als einem lebensbedrohlichen Zustand führe, der gleiche Aufwand und die gleiche stete Vorsorge zur Allergenvermeidung getroffen würde. Die Forderung, dass aufgrund des bisherigen Verlaufs der Erkrankung die drohende Gefahr eines anaphylaktischen Schocks anzunehmen seien müsse, würde unberechtigterweise dazu führen, dass "das Kind in den Brunnen gefallen" sein müsse, ehe der Anspruch verwirklicht werden könne. Hinsichtlich der Maßgeblichkeit der AHP sei zu berücksichtigen, dass diese lediglich ein antizipiertes Sachverständigengutachten darstellen würden und es insoweit an einer entsprechenden Rechtsverordnung und Rechtsprechung fehle. Es sei der neuerlich erkennbare Trend des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Frage der Benachteiligung von Familien mit Kindern zu berücksichtigen. Das Sozialgericht Dortmund habe im Rahmen seiner Urteilsbegründung darüber hinaus die geschilderten Wutanfälle nach dem Verzehr von phosphathaltigen Lebensmitteln unberücksichtigt gelassen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.02.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 20.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.1999 Hilflosigkeit (Merkzeichen H) festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil und die beanstandeten Bescheide für rechtmäßig.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zitierten Unterlagen, insbesondere das Gutachten des Prof. Dr. D ..., die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung niemand erschienen war. Der Bevollmächtigte war mit der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage auf Feststellung einer Hilflosigkeit zu Recht abgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SchwbG/§ 69 Abs. 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Behinderung im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SchwbG/§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist derjenige Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht, § 3 Abs. 1 Satz 2 SchwbG/§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Nach § 4 Abs. 4 SchwbG/§ 69 Abs. 4 SGB IX treffen die Versorgungsbehörden auch dann die erforderlichen Feststellungen, wenn neben dem Vorliegen von Behinderungen weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind.

Die Klägerin begehrt die Feststellung von Hilflosigkeit.

Hilflos ist eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherheit ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf oder die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen oder eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist, § 33 b Abs. 6 EStG. Unter solchen häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen sind insbesondere das An- und Auskleiden, die Nahrungsaufnahme, die Körperpflege, das Verrichten der Notdurft, notwendige körperliche Bewegungen und geistige Anregungen zu verstehen, wobei Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z.B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) außer Betracht bleiben müssen, Punkt 21 (4) AHP.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung von Hilflosigkeit liegen bei der Klägerin nicht vor. Auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund mit den dortigen Ausführungen insbesondere zu den Maßgaben der AHP, ihrer rechtlichen Wirkung sowie der tatsächlichen Erfüllung ihrer Voraussetzungen wird Bezug genommen, § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren zum Teil wiederholt vorgebrachten Argumente konnten zu keiner anderen Entscheidung führen.

Das wiederholte Vorbringen der Klägerin, dass es sich bei den AHP um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, dagegen nicht um eine parlamentarisch verantwortete Gesetzes- oder Rechtsverordnungsgrundlage handele, kann den geltend gemachten Anspruch nicht begründen. Denn unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die auf dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft beruhenden Anhaltspunkte normähnlich nach Art der untergesetzlichen Normen entwickelt haben, erhöht auch der von der Klägerin wiederholt betonte Umstand des Fehlens einer formal normativen Regelung nicht die richterliche Kontrolldichte (BSG, Urteile vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 -; 18.12.1996 - 9 RV 17/95 -; 13.12.2000 - B 9 V 8/00 R -). Vielmehr hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass es eine wirkliche richterliche Kontrolle in der Sache nicht geben könne, weil es für die "Richtigkeit" der AHP außerhalb ihres eigenen Systems keinen ausreichenden Maßstab gebe (BSG, Urteil vom 23.06.1993 a.a.O.).

Darüber hinausgehend hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 29.08.1990 (BSGE 67/204 ff.) die Maßgaben der AHP zur Hilflosigkeit bei Kindern in ihrer begünstigenden Wirkung in Frage gestellt. Es hat ausgeführt, dass es der Rechtsgrundlage entbehre, dass durch die AHP ein großzügigerer Maßstab an die Prüfung der Hilflosigkeit bei Kindern als bei Erwachsenen angelegt würde. Es könnten lediglich die Auswirkungen einer Behinderung maßgeblich sein, die auch bei einem Erwachsenen auftreten würden, da die die Überwachung und Anleitung erfordernde Unreife, mit der Behinderung sachgerecht umzugehen, eine altersgemäße und keine krankhaft verursachte Einschränkung der Selbstständigkeit von Kindern sei. So sei nur die Hilfe, die auch ein ebenso kranker Erwachsener benötige, als vom kindlichen Alter unabhängig zu berücksichtigen.

Im Erwachsenenalter würde eine Nahrungsmittel- und Pollenallergie - auch nach den Ausführungen der Klägerin - keine Hilflosigkeit begründen (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.11.1991 - 9a RVs 8/90 -).

Aber auch die Berücksichtigung der einen Vergleich mit gleichalt rigen gesunden Kindern zu Grunde legenden Anhaltspunkte (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 1/95 -, ohne weitere Begründung) kann nicht zu dem von der Klägerin erstrebten Nachteilsausgleich führen. Denn - wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - stellt die Differenzierung der AHP nach dem Kriterium der Gefahr eines anaphylaktischen Schocks keine willkürliche unsachliche Regelung dar. Bei einer klinisch gesicherten Typ-I-Allergie mit der Gefahr eines lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schocks ist zusätzlich zwecks Überwachung der Allergenvermeidung die Notwendigkeit ständiger Bereitschaft einer Hilfsperson wegen der Gefahr eines lebensbedrohlichen Schocks erforderlich. Insoweit kann das Argument der Klägerin, dass die Überwachung zur Allergenvermeidung auch ohne entsprechende Gefahr ständig erfolgen müsse, nicht durchdringen.

Auch der Einwand der Klägerin, die Anforderung der AHP, dass aus dem bisherigen Verlauf auf die Gefahr lebensbedrohlicher anaphylaktischer Schocks zu schließen sein müsse, sei unzumutbar ("Kind in den Brunnen gefallen"), kann das diesbezügliche Beurteilungssystem der AHP vorliegend nicht in Frage stellen. Insoweit haben zusätzlich zur Berücksichtigung des konkreten bisherigen Verlaufs die Untersuchungsergebnisse des Prof. Dr. D ... ergeben, dass das Auftreten eines lebensbedrohlichen Schocks unwahrscheinlich ist. Auch der behandelnde Kinderarzt Dr. O ... hat in seinem Befundbericht vom 27.09.1999 die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks zwar nicht als völlig ausgeschlossen, aber als sehr gering eingeschätzt.

Entsprechendes gilt für die von der Klägerin betonte Unverträglichkeit phosphathaltiger Speisen mit der Folge von Verhaltensauffälligkeiten, da nach den Untersuchungen des Sachverständigen mangels Entwicklung spezifischer Antikörper auch insoweit die Gefahr eines lebensbedrohlichen Schocks als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden kann.

Hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten erheblichen Zeitaufwands, der auch durch die Auswahl, Zubereitung und Vorhaltung allergenfreier Speisen verursacht sei, wird - unter Wiederholung der sozialgerichtlichen Ausführungen - darauf hingewiesen, dass die im Rahmen des § 33 b Abs. 3 Satz 2 EStG maßgeblichen Speise-Verrichtungen auf die reine Nahrungsaufnahme (Essen und Trinken) zu begrenzen sind. Anders als bei der Beurteilung einer Pflegebedürftigkeit im Sinne des Kranken- und Pflegeversicherungsrechts spielt der hauswirtschaftliche Hilfebedarf im Versorgungsrecht und Einkommenssteuerrecht keine Rolle, d.h. hauswirtschaftliche Verrichtungen, zu denen auch das Einkaufen von Lebensmitteln und die Nahrungszubereitung zählen, sind nicht berücksichtigungsfähig (BSG, Urteile vom 02.07.1997 - 9 RVs 9/96 -; - 9 RV 19/95 -; 10.09.1997 - 9 RV 8/96 -).

Die Lebensmittelunverträglichkeit der Klägerin berechtigt auch nicht zu einer Gleichbehandlung mit den in den AHP aufgeführten Fällen der Phenylketonurie - Punkt 22 (4) l) -.

Denn die bei dieser Stoffwechselkrankheit erforderliche Diät, die sehr schlecht riecht und schmeckt, führt dazu, dass die Kinder gefüttert und sowohl die Zulage als auch das Weglassen von Nahrungsmitteln überwacht werden müssen (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 12.12.1974 - VI B 14.73 -). Darüber hinaus drohen bei der Phenylketonurie bei Diätfehlern - wenn auch nicht gleich bei einem einzigen - schwerwiegende irreparable Folgen bis hin zu einer erheblichen Hirnschädigung sowie eine Krampfneigung in den ersten Lebensjahren (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Phenylketonurie).

Vielmehr ist die dargestellte Lebensmittelunverträglichkeit mit einer Zöliakie (Gluten-/Eiweißallergie) vergleichbar, die nach den AHP - Punkt 22 (4) t) - in der Regel keine Hilflosigkeit begründet (so auch LSG Hessen, Urteil vom 20.05.1999 - L 6 SB 1494/98 - in Breith. 2000/85 ff.; LSG Niedersachsen, Urteil vom 18.12.1997 - L 10 Vs 52/97 - in Breith. 1998/551 f.).

Da bereits die von der Klägerin geschilderte und von Dr. O ... bestätigte Lebensmittelunverträglichkeit keine Hilflosigkeit begründet, kann dahingestellt bleiben, welche Anforderungen an den Nachweis einer Allergie zu stellen sind. Insoweit liegt nach den Ausführungen des Prof. Dr. D. nicht der von den AHP geforderte klinische und naturwissenschaftlich anerkannte Nachweis einer Allergie vor.

Auch die von der Klägerin geschilderten Reaktionen auf Getreide-, Gräser- und Baumpollen können keine Hilflosigkeit begründen. Denn diese Reaktionen haben nach den eigenen Angaben beim Sachverständigen Prof. Dr. D ... noch nicht zu Atemnotanfällen geführt, so dass insoweit die Gleichstellung mit einem Bronchialasthma schweren Grades - Punkt 22 (4) g) AHP -, verbunden mit der Notwendigkeit einer dauernden Bereitschaft einer Hilfsperson wegen lebensbedrohlicher Zustände durch Serien schwerer Anfälle, außer Betracht bleibt.

Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D ... das Auftreten von bronchitischen Infekten im Kleinkindalter mit einer Frequenz bis zu ein bis zwei Monaten noch als normal gilt.

Hinsichtlich der Notwendigkeit, die Aufenthaltsorte der Klägerin im Freien zu überwachen (Vermeidung von hohen Gras, Bäumen), ist zudem zu berücksichtigen, dass Kinder im Alter der nun 5-jährigen Klägerin im Allgemeinen außer Haus noch nicht unbeobachtet bleiben können.

Auch bezüglich der Pollinosis kann dahingestellt bleiben, dass darüber hinaus nach der Untersuchung durch Prof. Dr. D ... von einem naturwissenschaftlich anerkannten klinischen Nachweis einer Allergie nicht ausgegangen werden kann.

Auch die von der Klägerin angesprochene Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts konnte zu keiner anderen Entscheidung führen. Denn in dem insoweit wohl in Bezug genommenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit einer gleichmäßigen Beitragsleistung von Eltern und Kinderlosen zur Pflegeversicherung vom 03.04.2001 - 1 BvR 1629/94 - wird ausgeführt, dass das bestehende Interesse der Allgemeinheit an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien es nicht gebietet, diese Erziehungsleistung zu Gunsten der Familien in einem bestimmten sozialen Leistungssystem zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht sieht eine Grenze erst gegeben, wenn das entsprechende soziale Leistungssystem ein Risiko abdecken soll, dass vor allem die Altengenerationen trifft, und seine Finanzierung so gestaltet ist, dass sie im Wesentlichen nur durch das Vorhandensein nachwachsener Generationen funktioniert. Die vorliegend betroffene steuerrechtliche Regelung des § 33 b EStG steht dagegen nicht in Bezug zum sogenannten Generationenvertrag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2, Nr.1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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