L 10 SB 64/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 6 Vs 78/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 64/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20. April 1998 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1935 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) von 50.

Im Mai 1994 beantragte er erstmals, aufgrund von Nierensteinen, Bronchitis, Meniskusoperation, Verschleiß der linken Schulter und chronischen Rückenleidens den GdB festzustellen. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte von dem Orthopäden Dr. M ... und dem praktischen Arzt E ...ein. Nach gutachtlicher Stellungnahme des Allgemeinmediziners Dr. M ... lehnte er den Antrag mit Bescheid vom 18.10.1994 mit der Begründung ab, daß ein GdB von 20 nicht erreicht werde.

Auf den Widerspruch des Klägers zog der Beklagte u.a. ein Gutachten des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe vom 11.11.1994, einen ärztlichen Entlassungsbericht der Kurklinik W ... vom 18.10.1994 und ein Gutachten des Internisten Dr. B ... vom 28.04.1994 bei. Aufgrund gutachtlicher Stellungnahme des Dr. M ... stellte er sodann mit Abhilfebescheid vom 12.04.1995 einen GdB von 30 fest wegen der Gesundheitsstörung "Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizungen".

Mit weiterem Widerspruch machte der Kläger unter Berufung auf ein Schreiben des Dr. M ... vom 02.05.1995 geltend, daß sein Wirbelsäulenleiden zu gering bewertet und eine degenerative Erkrankung des linken Schultergelenkes nicht beachtet worden sei. Nach erneuter gutachtlicher Stellungnahme des Dr. M ... nahm der Beklagte mit weiterem Abhilfebescheid vom 28.07.1995 als Behinderung zu 2. eine "Funktionsstörung des linken Schultergelenkes" auf; den GdB stellte er weiterhin mit 30 fest.

Auf den Hinweis des Klägers, zwischenzeitlich Rente wegen Berufsunfähigkeit zu erhalten, zog der Beklagte von der Landesversicherungsanstalt Westfalen das Gutachten des Internisten Dr. S ... vom 03.07.1995 bei und wies nach erneuter gutachtlicher Stellungnahme den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.1995 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 17.11.1995 Klage erhoben.

Er hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom

18.10.1994, 12.04.1995 und 28.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.11.1995 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat zunächst Befundberichte von den Radiologen Dres. U ... pp, dem praktischen Arzt E ... und dem Orthopäden Dr. M ... und sodann drei Sachverständigengutachten eingeholt. Der Neurologe und Psychiater Dr. R ... hat in seinem Gutachten vom 19.01.1997 ein psychovegetatives Syndrom bei sensitiver Persönlichkeitsstruktur mit einem GdB von 10 beschrieben. Der Internist Dr. L ... (Gutachten vom 14.03.1997) hat einer chronischen Bronchitis und einer Vorsteherdrüsenvergrößerung mit Blasenentleerungsstörungen, allerdings ohne Restharnbildung, jeweils einen GdB von 10 zugemessen. Der Orthopäde Dr. T ... hat in seinem Gutachten vom 05.05.1997 einer Funktionsstörung der Wirbelsäule bei Aufbauschaden, Rückbildungsveränderungen und muskulärer Insuffizienz einen GdB von 30 zugemessen und den Gesamt-GdB unter Berücksichtigung der übrigen Gesundheitsstörungen ebenfalls mit 30 bemessen.

Auf Antrag des Klägers hat das SG zudem ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Arzt für Orthopädie Prof. Dr. M ... vom 22.09.1997 eingeholt. Dieser hat einen Gesamt-GdB von 60 vorgeschlagen, wobei er einer großbogigen Hyperkyphose der Brustwirbelsäule (BWS) bei Spondylosis hyperostotica der Brust- und Lendenwirbelsäule (LWS) mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung und Muskelverspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule so wie Lockerung L3/4 einen Einzel-GdB von 50, einer hochgradigen medialen Coxarthrose, links mehr als rechts, zusammen mit einer geringfügigen Arthrosis deformans beider Kniegelenke einen Einzel- GdB von 20 und einer Funktionsstörung der Schultergelenke einen Einzel-GdB von 10 zugemessen hat.

Dr. T ... hat demgegenüber an seiner Beurteilung festgehalten (Stellungnahme vom 19.12.1997).

Mit Urteil vom 20.04.1998 hat das SG den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, einen GdB von 50 festzustellen. Wegen der massiven degenerativen Veränderungen, deren Ausmaß Dr. T ... verkannt habe, sei mit Prof. Dr. M ... für das Wirbelsäulenleiden ein GdB von 50 angemessen. Der GdB für die Arthrosis deformans der Hüftgelenke betrage 20 und für die übrigen Gesundheitsstörungen je 10.

Gegen das am 19.05.1998 zugestellte Urteil hat sich der Beklagte mit seiner Berufung vom 16.06.1998 gewandt, die er im wesentlichen mit der Beurteilung des Dr. T ... begründet; im übrigen sei ein GdB von 50 für Wirbelsäulenschäden nur bei hochgradigen Veränderungen vom Kopfgelenk bis Beckenbereich statthaft.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, § 124 Abs. 2 SGG.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 20.04.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme von Prof. Dr. B ..., Chefarzt der Orthopädischen Klinik der Städtischen Kliniken B ..., vom 27.10.1998 bzw. 17.11.1998 eingeholt. Der Sachverständige hat den GdB für den Wirbelsäulenschaden mit 30 bemessen, den übrigen Gesundheitsstörungen (Senk-Knickfuß, Coxarthrose, Bewegungseinschränkung der Schultergelenke) hat er keinen GdB zugemessen. Es bestünden lediglich an einem Wirbelsäulenabschnitt radiologisch faßbare Veränderungen, aber keine mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die mit einem GdB von 40 zu beurteilen seien.

Prof. Dr. M ... hat demgegenüber seine vorangegangene Beurteilung bestätigt (Stellungnahme vom 02.12.1998).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des SG Detmold, Az. S 14 U 276/97, sowie die Akte der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover, Az. BK 9/45623/94-9, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt; der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert, er hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG sind auf Antrag des Behinderten das Vorliegen einer Behinderung und der GdB festzustellen. Behinderung ist nach § 3 Abs. 1 SchwbG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Zur konkreten Bestimmung des GdB ist im Einzelfall von den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 1983 bzw. 1996 herausgegebenen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) auszugehen, denen im Interesse einer objektiven und objektivierbaren Bewertung und einer am Gleichheitsgebot orientierten Gleichbehandlung normähnliche Wirkung beizumessen ist (z.B. BSG SozR 3-3870 § 3 SchwbG Nr. 5, § 4 SchwbG Nr. 1, 6, 10). Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist nach § 4 Abs. 3 Satz 1 SchwbG der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist kein höherer GdB als 30 fest zustellen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegen bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen, die einen GdB bedingen, vor:

1. Wirbelsäulenschaden mit einem GdB von 30 2. psychovegetatives Syndrom mit einem GdB von 10 3. Bronchitis mit einem GdB von 10 4. Vorsteherdrüsenvergrößerung mit einem GdB von 10.

Bei der Bewertung des Wirbelsäulenschadens ist ebenso wie bei der Beurteilung der anderen auf orthopädischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen den Sachverständigen Dr. T ... und Prof. Dr. B ... zu folgen. Deren Beurteilungen sind - im Gegensatz zu der des Prof. Dr. M ... - aufgrund der erhobenen Befunde schlüssig.

Sie stimmen insbesondere mit den Vorgaben der AHP und den gesetzlichen Anforderungen überein; die Sachverständigen Dr. T ... und Prof. Dr. B ...begründen ihre Beurteilung zutreffend mit den vorhandenen Funktionsbeeinträchtigungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 SchwbG) und nicht - wie vielfach Prof. Dr. M ... - mit radiologischen Befunden, die über das Ausmaß der daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigung keinen oder nur geringen Aufschluß geben.

Nach den AHP 1983, Nr. 26.18, S. 105, die für den Zeitraum bis Ende 1996 Anwendung finden, ist für degenerative Wirbelsäulenveränderungen grundsätzlich ein Höchstwert von 30 vorgesehen. Dieser ist angemessen bei degenerativen Veränderungen mit anhaltender Funktionsbehinderung und häufig rezidivierenden stärkeren, langanhaltenden Nerven- und Muskelreizerscheinungen. Ein höherer GdB kommt danach nur in Betracht, wenn Ausfallserscheinungen nachgewiesen werden oder ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom besteht. Darüber hinaus (AHP 1983 S. 106) kommt bei anderen - hier nicht vorliegenden - Wirbelsäulenschäden ein GdB von 20-40 in Betracht, wenn eine mittelgradige Funktionsbehinderung (z.B. in mehreren Bewegungssegmenten ausgeprägte Einschränkung bis Versteifung, Keilwirbel, Schmetterlingswirbel, fixierter Rundrücken, Blockwirbel mit Gibbusbildung) besteht. Ein GdB von 50 ist nach den AHP 1983, S. 106, nur bei schweren Funktionsbehinderungen gerechtfertigt (z.B. bei Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, an haltender Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfaßt, sowie bei extrem ausgebildeter Skoliose bzw. Spondylolisthesis mit Gleiten um mehr als 2/3 des Wirbelkörpers). Die AHP 1996 unterscheiden nicht mehr zwischen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und anderen Wirbelsäulenschäden. Sie sehen (S. 140) einen GdB von 30 vor bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen an dauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome). Ein GdB von 30 bis 40 ist angemessen bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis

schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (AHP S. 140 und Ergänzung durch Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 15./16.04.1997). Ein GdB von 50 setzt besonders schwere Auswirkungen voraus (Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfaßt, sowie schwere Skoliose).

Auf dieser Grundlage ist die Beurteilung des Prof. Dr. M ..., ein GdB von 50 sei für die Wirbelsäule angemessen, nicht nachzuvollziehen. Es liegt keine Versteifung großer Teile oder Abschnitte der Wirbelsäule vor; beim Kläger ist allein die BWS weitgehend versteift. Eine drei Wirbelsäulenabschnitte umfassende Rumpforthese ist ebensowenig erforderlich wie eine schwere Skoliose vor liegt. Neurologische Ausfallerscheinungen oder ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, die ggf. im Zusammenwirken mit schweren Beeinträchtigungen der Wirbelsäulenfunktion einen GdB von 50 rechtfertigen können, werden auch von Prof. Dr. M ... nicht beschrieben. Sie liegen auch nicht vor. Insbesondere bei der neurologischen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. R ..., aber auch bei den Untersuchungen der anderen Sachverständigen konnten derartige Ausfallerscheinungen bzw. ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom nicht festgestellt werden.

Die von Prof. Dr. M ... u.a. zur Begründung herangezogene und nach seiner Auffassung sich aus Röntgenaufnahmen von 1978 ergebende, ansonsten jedoch in keiner der vorliegenden medizinischen Unterlagen beschriebene Gelenklockerung L3/4 läßt sich ebensowenig wie eine darauf beruhende funktionelle Beeinträchtigung feststellen. Dr. T ... hat die Röntgenaufnahmen, aus denen Prof. Dr. M ... den Schluß auf eine Gefügelockerung gezogen hat, gerade daraufhin überprüft und diese Störung eben nicht feststellen können (ergänzende Stellungnahme vom 19.12.1997). Der nachfolgend nochmals dazu gehörte Sachverständige Prof. Dr. B ... hat ebenfalls nur diskrete degenerative Veränderungen, aber keine Gefügestörungen oder ansonsten radiologisch aufzeigbare Veränderungen der LWS festgestellt.

Dem Wirbelsäulenschaden des Klägers kann auch nicht ein GdB von 40 zugemessen werden. Für die Zeit bis Ende 1996 ist unter Berücksichtigung der AHP 1983 mit einem GdB von 30 der vorgesehene Höchstwert erreicht, da die o.a. besonderen, den GdB ggf. erhöhen den Umstände nicht vorliegen. Mit den AHP 1996 wird ein GdB von 40 ebenfalls nicht erreicht. Ein GdB von 40 ist danach nur angemessen, wenn zwei Wirbelsäulenabschnitte betroffen sind und zumindest in einem Abschnitt schwere und in dem anderen wenigstens mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen bestehen. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor.

Die Beeinträchtigungen im BWS-Bereich sind im Hinblick auf die Versteifung der BW-Körper 3-11 als schwerwiegend anzusehen. Jedoch bestehen weder im Halswirbelsäulen- (HWS) noch im LWS-Bereich wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen. Bei allen Untersuchungen war die Beweglichkeit der HWS des Klägers gegenüber den Normalmaßen zwar eingeschränkt (so z.B. bei der Rotation zwischen 30 bis 50° bei Normalmaßen von 60 bis 80°); diese Einschränkung ist aber nach den Beurteilungen des Dr. T ... und des Prof. Dr. B ... lediglich endgradig. Gleiches gilt hinsichtlich der LWS. Auch hier weichen die Bewegungsmaße von den Normwerten ab (z.B. bei der Seitneigung mit 15 bis 25° statt mindestens 30°; Schober 10/12 bis 13,3 cm statt 10/15 cm); die damit aufgezeigten funktionellen Beeinträchtigungen sind ebenfalls lediglich end- bzw. geringgradig.

Zur Begründung eines GdB von über 30 kann auch nicht die von allen Sachverständigen vorgefundene Muskelatrophie der oberen und unteren Extremitäten herangezogen werden. Diese ist nicht Folge einer Erkrankung oder ein zusätzlich zu berücksichtigendes Krankheitsphänomen mit den Folgen vorzeitiger Ermüdung oder Gebrauchsunsicherheit (AHP 1996, Nr. 26.18, S. 137). Sie stellt auch keine Behinderung dar; sie ist vielmehr Ausdruck des schmächtigen Körperbaus des Klägers und liegt im Rahmen der physiologischen Schwankungsbreite.

Nicht nur aufgrund dieser Befunde und der Vorgaben der AHP sind die Beurteilungen des Dr. T ... und des Prof. Dr. B ..., ein GdB von 30 sei für den Wirbelsäulenschaden angemessen, zutreffend; sie werden auch noch zusätzlich durch die von beiden Sachverständigen vorgenommene Gesamtwertung hinsichtlich der Funktionalität der Wirbelsäule bestätigt. Schwer betroffen ist bei dem Kläger nur die BWS. Gerade dieser kommt jedoch im Bewegungsablauf nur eine geringere Bedeutung zu; Versteifungen der HWS bzw. LWS ist im Hinblick auf die damit verbundene Gesamtbeeinträchtigung im Bewegungsablauf erheblich höhere Bedeutung zuzumessen, obwohl auch dabei in der Regel nur ein GdB von 30 in Ansatz gebracht werden könnte.

Den Hüftgelenksbeschwerden des Klägers ist mit Dr. T ... und Prof. Dr. B ... kein GdB zuzumessen. Nach den AHP 1996, Nr. 26.18, S. 150, die insoweit dem Betroffenen günstiger sind als die AHP 1983, ist ein GdB von 10-20 bei geringgradigen Bewegungseinschränkungen in einem Hüftgelenk angemessen. Ein GdB von 20-30 ist gerechtfertigt, wenn beide Hüftgelenke geringgradig betroffen sind. Geringgradig bedeutet u.a., daß Streckung / Beugung bei entsprechenden Einschränkungen der Dreh- und Spreizfähigkeit bis zu 0-10-90° ein geschränkt sind. Eine derartige Einschränkung hat aber selbst Prof. Dr. M ... nicht festgestellt. Die von ihm mitgeteilten Bewegungsmaße (0-0-120°) weisen eine erhebliche bessere, die Norm werte fast erreichende Beweglichkeit auf; bei der Untersuchung durch Dr. T ...waren die Bewegungsmaße sogar noch besser. Soweit Prof. Dr. M ... seine Einschätzung im wesentlich mit einem radiologischen Befund einer besonders hochgradigen Verschmälerung insbesondere des linken Gelenkspaltes stützt, konnte - ebenso wie schon bei der Wirbelsäule - keiner der ansonsten gehörten Sachverständigen, die lediglich beginnende degenerative Veränderungen festgestellt haben, diese Beurteilung teilen. Die damit gegenüber der Beurteilung von Röntgenaufnahmen durch Prof. Dr. M ... bestehenden Bedenken können aber dahinstehen. Denn für die Bemessung des GdB sind nicht radiologische Befunde ausschlaggebend, sondern die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung. Da solche Auswirkungen an den Hüften nur in ganz geringer Form vorliegen, nämlich einer nicht einmal endgradigen Bewegungseinschränkung, ist auch kein GdB anzusetzen.

Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks bedingen einen GdB von 10, wenn der Arm bei entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit nur um 120° zu erheben ist (AHP 1996, Nr. 26.18, S. 143 = S. 109 AHP 1996). Ist der Arm nur um 90° zu erheben, ist ein GdB von 20 anzusetzen. Nach den von Prof. Dr. M ... mitgeteilten Maßen (Vorheben rechts 80°, links 70°) könnte sogar noch ein höherer GdB in Betracht kommen. Diesen im August 1997 vorgenommenen Messungen des Prof. Dr. M ..., der trotz der von ihm mitgeteilten Bewegungsmaße Funktionsstörungen der Schultergelenke nur einen GdB von 10 zugemessen hat, ist ebensowenig wie seiner Einschätzung des GdB zu folgen. Denn noch vier Monate zuvor (Untersuchung durch Dr. T ... am 15.04.1997), lag die Beweglichkeit der Schultergelenke fast in der Norm (Heben 150°), ohne daß nachfolgend gravierende gesundheitliche Veränderungen beim Kläger eingetreten waren. Auch im Oktober 1998 (Untersuchung durch Prof. Dr. B ...) waren die Bewegungsmaße mit 130° deutlich besser. Bei dieser von Dr. T ... und Prof. Dr. B ... festgestellten Bewegungsfähigkeit der Schultergelenke kommt die Feststellung eines GdB nicht in Betracht. Unabhängig davon, daß sich der Senat nicht von der Richtigkeit der Angaben des Prof. Dr. M ... überzeugen kann, ist aufgrund seiner Angaben auch nicht festzustellen, daß bei dem Kläger die von Prof. Dr. M ... angegebenen Funktionsbeeinträchtigungen mindestens sechs Monate bestanden. Dies ist aber Voraussetzung für die Feststellung eines GdB (§ 3 Abs. 1 S. 3 SchwbG).

Der Sachverständige Dr. R ... hat bei dem Kläger zusätzlich lediglich eine allgemeine Nervosität und Erregbarkeit feststellen können, diese als psychovegetatives Syndrom beschrieben und einen GdB von 10 für angemessen erachtet. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hat er nicht feststellen können. Die - von den Beteiligten nicht angegriffene - Beurteilung des Sachverständigen legt auch der Senat zugrunde. Sie stimmt mit den AHP überein. Diese sehen für leichtere neurotische Störungen einen GdB von 0-10 (AHP 1983, Nr. 26.3., S. 48) bzw. 0-20 (AHP 1996, S. 60) vor.

Die bei dem Kläger vorliegende und bereits in den von dem Beklagten eingeholten Berichten (Gutachten des MDK vom 11.11.1994 und Entlassungsbericht vom 18.10.1994) beschriebene chronische Bronchitis bedingt ebenfalls einen GdB von 10. Die Erkrankung hat zu keinen Folgeerscheinungen wie einer Einschränkung der Lungenfunktion geführt. Dies ergibt sich aus den o.a. Berichten; auch bei der Lungenfunktionsprüfung durch Dr. L ... war die Lungenfunktion unauffällig. Da bei dem Kläger sowohl nach den erhobenen Befunden als auch seinen eigenen Angaben kein kontinuierlich ausgiebiger Husten und Auswurf bzw. häufige akute Schübe bestehen (AHP 1996, Nr. 26.8, S.82 = GdB 20-30), ist die Beurteilung des Sachverständigen Dr. L ..., ein GdB von 10 sei angemessen, zutreffend. Diesen Wert sehen die AHP (a.a.O.) für die leichte Form der chronischen Bronchitis vor.

Der GdB für ein Prostataadenom richtet sich nach den Harnentleerungsstörungen und der Rückwirkung auf die Nierenfunktion (AHP 1996, Nr. 26.13, S. 112). Die Nierenfunktion des Klägers ist intakt; die Werte für Serum-Kreatinin und Harnstickstoff lagen nach den Laboruntersuchungen des Dr. L ... im Normbereich. Trotz Vergrößerung der Vorsteherdrüse konnte der Sachverständige auch eine Restharnbildung ausschließen. Es bestehen lediglich Miktionsbeschwerden in Form von häufigerem (4-5x) und verzögertem Wasserlassen mit Nachträufeln. Dafür ist mit Dr. L ... ein GdB von maximal 10 angemessen; diesen geben auch die AHP 1996, Nr. 26.12, S. 109, für leichte Entleerungsstörungen der Blase (z.B. geringe Restharnbildung oder längeres Nachträufeln) vor. Störungen stärkeren Grades (z.B. Notwendigkeit manueller Entleerung, Anwendung eines Blasenschrittmachers, erhebliche Restharnbildung, schmerzhaftes Harnlassen), die einen GdB ab 20 bedingen, liegen nicht vor.

Sämtliche Sachverständigen messen den Gesundheitsstörungen psychovegetatives Syndrom, Bronchitis und Vorsteherdrüsenvergrößerung keine das Gesamtausmaß der Beeinträchtigung erhöhende Wirkung zu, so daß als Gesamt-GdB der durch das Wirbelsäulenleiden hervorgerufene GdB von 30 angemessen ist. Diese Beurteilung ist zutreffend; sie stimmt mit den AHP Nr. 19 Abs. 3 bzw. 4 überein. Danach führen Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 nur in Ausnahmefällen und mit einem GdB von 20 vielfach nicht zu einer Zunahme des Gesamtausmaßes der Beeinträchtigung. Ein Anhaltspunkt, der ein Abweichen von diesen Regeln rechtfertigen könnte, besteht nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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