L 4 RA 7/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 25 RA 9/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RA 7/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.11.2002 geändert. Der Bescheid vom 28.08.2000 hinsichtlich der teilweisen Aufhebung der Bewilligung der großen Witwenrente in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2000 wird insoweit aufgehoben, als die Witwenrente für die Zeit vom 01.10.1993 bis zum 30.09.2000 neu berechnet und eine Überzahlung von 76.521,72 DM zurückgefordert wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit der Berufung begehrt die Beklagte die Änderung des Urteils des Sozialgerichts insoweit, als das Sozialgericht den Bescheid vom 28.08.2000 hinsichtlich der Ausführung des Bescheides vom 02.09.1993 und der Rückzahlung von 76.521,72 DM in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2000 aufgehoben hat.

Nachdem der Ehemann der Klägerin, Horst Jung, am 06.02.1988 verstorben war, bewilligte die Beklagte der am 13.09.1948 geborenen Klägerin antragsgemäß mit Bescheid vom 21.06.1988 die kleine Witwenrente ab dem 16.02.1988 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 427,22 DM. Auf Seite drei dieses Bescheides wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Rente in Höhe von 40 v.H. des Be trages, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Festbetrag über steigt (§ 58 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG)) ruht, wenn sie mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammentrifft. Nähere Einzelheiten würden sich aus den beiliegenden Erläuterungen zum Rentenbescheid ergeben. Es bestehe die gesetzliche Verpflichtung, der Beklagten eine Erhöhung oder das Hinzutreten von Einkommen unverzüglich mitzuteilen. Zu Unrecht gezahlte Beiträge seien zu erstatten (§ 15 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch/SGB X).

Die Klägerin übte, als sie die Witwenrente beantragte, keine Beschäftigung aus. Sie nahm am 07.02.1990 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Telefonistin bei der Firma Lekkerland auf. Diese Tätigkeit umfasste zunächst nur wenige Stunden wöchentlich, wurde dann aber in der Folgezeit bis auf eine vollschichtige Tätigkeit gesteigert. Eine Mitteilung an die Beklagte erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 02.09.1993 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin wegen Vollendung des 45. Lebensjahres neu und zahlte ab dem 01.10.1993 nun mehr die große Witwenrente mit einem Zahlbetrag von 1.288,73 DM monatlich. Auf Seite drei dieses Bescheides befand sich unter dem Punkt Mitteilungs pflichten unter anderem folgender Hinweis:

"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Renten höhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind - Arbeitsentgelt, - Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, - vergleichbares Einkommen, oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung."

Weder der Bescheid von 1988 noch der Bescheid von 1993 wurden angefochten. Im September 1999 teilte eine Kollegin der Klägerin der Firma Lekkerland mit, die Klägerin sei dort seit 10 Jahren mit einem guten Verdienst tätig, ohne dass ihre Rente im Gegensatz zu der Rente von Kolleginnen gekürzt werde. Sie bat um Überprüfung.

Die Beklagte stellte daraufhin anhand des Versicherungsverlaufs der Klägerin fest, dass diese seit dem 07.02.1990 versicherungspflichtig beschäftigt war. Mit Anhörungsschreiben vom 06.04.2000 teilte sie der Klägerin mit, sie habe festgestellt, dass der Anspruch auf Witwenrente kraft Gesetzes ab dem 01.07.1991 ruhe, weil auf die Rente Einkommen anzurechnen sei. Sie beabsich tige daher, den Bescheid vom 21.06.1988 nach § 48 SGB X ab dem 01.07.1991 aufzuheben und den Bescheid vom 07.02.1993 ab seinem Erlass nach § 45 SGB X zurückzunehmen sowie die richtig berechnete Rente in Höhe von 310,97 DM ab dem 01.05.2000 laufend zu zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 01.07.1991 bis zum 30.04.2000 nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X zurückzufordern. Die Voraussetzungen für die beabsichtigten Entscheidungen seien erfüllt, weil die Klägerin ihren gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei. Da für die beabsichtigte Entscheidung von Bedeutung sei, ob diese für den Be troffenen zu einer unbilligen Härte führe, erhielt die Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Klägerin teilte daraufhin mit, dass es sich bei ihrer Tätigkeit bei der Firma Lekkerland um ein ordnungsgemäßes rentenversicherungspflichtiges Ar beitsverhältnis handele, das der Beklagten bekannt sein müsse. Hiervon sei sie stets ausgegangen. Alle Rentenzahlungen seien zudem im Hinblick auf ihr Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Rentenbezuges für Anschaffungen ver braucht worden.

Mit Bescheid vom 28.08.2000 berechnete die Beklagte die große Witwenrente der Klägerin ab dem 01.10.1993 neu und errechnete einen Zahlbetrag von monatlich nur noch 281,20 DM ab dem 01.10.2000. Sie errechnete außerdem eine Über zahlung von 76.521,72 DM für die Zeit vom 01.10.1993 bis zum 30.09.2000. Den Rentenbescheid vom 02.09.1993 nahm sie mit Wirkung ab dem 01.10.1993 nach § 45 SGB X zurück und teilte der Klägerin mit, die entstandene Überzahlung nach § 50 SGB X sei zu erstatten. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheides seien erfüllt, weil die Klägerin sich nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides berufen könne und die Fristen des § 45 Abs. 2 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Die von der Klägerin aufgeführten Gründe seien bei der Vertrauensschutzprüfung sowie bei der Ausübung des Er messens beachtet worden. Sie seien jedoch nicht dazu geeignet, von einer Be scheidrücknahme abzusehen. Die Klägerin sei in dem Rentenbescheid eindeutig und unmissverständlich auf ihre gesetzlichen Verpflichtungen hingewiesen wor den, der Beklagten das Hinzutreten von Erwerbseinkommen unverzüglich mitzu teilen. Sie sei auch darauf hingewiesen worden, dass die Erzielung von Ein kommen Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sie sich daher nicht berufen. Die Meldung über die Aufnahme einer Beschäftigung bzw. einer Entgeltmeldung zu dem eigenen Versi cherungskonto enthebe die Klägerin insoweit nicht von der Mitteilungspflicht zur Hinterbliebenenrente. Auch im Wege des Ermessens sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil besondere Umstände, die die Rücknahme des Bescheides als besondere Härte erscheinen ließen, nicht vorlägen. Auf den Verbrauch der zu Unrecht erbrachten Leistungen komme es hierbei nicht an.

Mit weiteren Bescheiden von 28.08.2000 berechnete die Beklagte außerdem die kleine Witwenrente der Klägerin für die Zeit vom 01.07.1991 bis zum 31.12.1991 und für die Zeit vom 01.01.1992 bis zum 30.09.1993 neu. Sie hob insoweit den Bescheid vom 21.06.1988 nach § 48 SGB X mit Wirkung ab dem 01.07.1991 auf und errechnete eine Überzahlung in Höhe von 78,90 DM bzw. 3.206,46 DM. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X seien erfüllt und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X noch nicht abgelaufen.

Den gegen diese Bescheide eingelegten Widerspruch, den die Klägerin unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.12.2000 zurück. Sie verwies zur Begründung insbe sondere darauf, dass die Klägerin ihren Mitteilungspflichten nicht nachgekom men sei. Hinsichtlich der eigenen Versicherungsnummer der Klägerin sei ihr, der Beklagten, zwar bekannt gewesen, dass diese eine Tätigkeit ausübe, weil diese Tätigkeit ordnungsgemäß angemeldet war und die jeweiligen Rentenversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Dies gelte aber nicht für die Versicherungsnummer, unter der die Witwenrente gezahlt werde. Die Klägerin sei insoweit dazu verpflichtet gewesen, ihr Einkommen unter dieser Versiche rungsnummer mitzuteilen. Erst dann sei es ihr, der Beklagten, möglich, dies im elektronischen Datenbestand festzuhalten und die beiden Konten miteinander zu verbinden. Ohne diese Information durch den Rentner sei es nicht immer möglich, die Angaben zu verschiedenen Versicherungsnummern zusammenzuführen und daraus Renten in richtiger Höhe zu berechnen.

Die Klägerin hat hiergegen am ab 19.01.2001 Klage erhoben. Sie hat auch wei terhin die Auffassung vertreten, dass sie auf dem Bestand der ursprünglichen Rentenbescheide habe vertrauen dürfen. Da sie im Rahmen ihrer Tätigkeit über die Beklagte versichert gewesen sei, sei sie davon ausgegangen, dass dieser alle entsprechenden Daten bekannt gewesen seien. Ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten liege daher nicht vor. Die Fortzahlung der ungekürzten Hinterbliebenenrente beruhe vielmehr allein auf einem Organisationsfehler der Beklagten. Die Rentenzahlungen seien von ihr in voller Höhe für Anschaffungen verbraucht worden. Hilfsweise berufe sie sich auf Verjährung.

Die Klägerin hat beantragt,

die Bescheide vom 28.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2000 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat weiterhin die Ansicht vertreten, dass die Voraussetzungen für die Zu rücknahme bzw. Aufhebung der Rentenbescheide vom 21.06.1988 und 02.09.1993 erfüllt seien, weil die Klägerin ihren gesetzlichen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei. In dem Bescheid vom 02.09.1993 sei die Klägerin unter dem Punkt Mitteilungspflichten ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass das Hinzutreten oder die Veränderung der Erwerbstätigkeit der Beklagten zu melden sei. Ein solcher Hinweis sei auch in dem Bescheid vom 21.06.1988 ent halten. Die Klägerin sei daher als "bösgläubig" im Sinne des Gesetzes anzusehen, so dass auch eine Reduzierung der Forderung nicht in Betracht komme.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Firma Lekkerland eine Beschäftigung der Klägerin seit dem 07.02.1990 als Telefonistin bestätigt und die Einkom menserklärungen für 1990 bis 2000 sowie die Meldebescheinigungen für 1996 bis 1999 vorgelegt.

Ergänzend hat die Klägerin vorgebracht, dass der Beklagten die Meldebeschei nigungen zur Sozialversicherung vorgelegen hätten. Wenn sie ihr dennoch die Rente ungekürzt weitergezahlt habe, sei dies allein auf ein Organisationsver schulden der Beklagten zurückzuführen. Denn sie habe - wenn auch unter verschiedenen Versicherungsnummern - über sämtliche für die Bemessung der Hinterbliebenenrente erforderlichen Informationen verfügt.

In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts vom 25.11.2002 hat sich die Klägerin zu ihrer damaligen Situation eingelassen. Auf den Inhalt dieser Erklärung wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 25.11.2002, der Beklagten zugestellt am 23.12.2002, hat das Sozialgericht denjenigen Bescheid vom 28.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2000, mit dem die Beklagte eine Überzahlung der großen Witwenrente ab deren Beginn am 01.10.1993 gemäß §§ 45, 50 SGB X er stattet verlangt hat, mit der Begründung aufgehoben, dass auf Seiten der Klä gerin weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorgelegen hätten. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der nach §§ 48, 50 SGB X erfolgen Aufhebung der Beschei de über die kleine Witwenrente nebst Erstattung der überzahlten Beträge hat das SG die Klage abgewiesen, weil die verschuldensunabhängigen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vorlägen. Auf den weiteren Inhalt des Urteils wird Bezug genommen.

Mit ihrer am 21.01.2003 eingelegten Berufung beanstandet die Beklagte, dass das Sozialgericht die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X al lein isoliert hinsichtlich des Bescheides vom 02.09.1993 geprüft und somit übersehen habe, in welchem Gesamtzusammenhang dieser Bescheid zu sehen sei. Das Sozialgericht hätte nach Auffassung der Beklagten den Ausführungen im Bescheid vom 21.06.1988 größere Bedeutung beimessen müssen. Hiernach nämlich habe die Klägerin angesichts der eindeutigen Hinweise gewusst, dass sie ihr eine Aufnahme der Beschäftigung mitzuteilen habe und dass zwischen der Höhe der Witwenrente und der Erzielung von Einkommen ein unmittelbarer Zusammenhang dergestalt bestehe, dass dieses Einkommen auf die Witwenrente anzurech nen sei. Zum einen sei es grob fahrlässig, wenn die Klägerin tatsächlich immer nur die erste Seite des Bescheides gelesen habe, zum anderen könne die Klägerin, wenn dies so sei, die Informationen auf den weiteren Seiten der Bescheide nicht in der vom Sozialgericht angenommenen Weise missverstanden ha ben. Überdies seien die dort enthaltenen Hinweise eindeutig und nicht misszuverstehen gewesen. Auch spiele es keine Rolle, dass sich die Klägerin 1993 möglicherweise in einer Lebenskrise befunden habe. Denn ihre Beschäftigung habe sie 1990 aufgenommen, sei also bereits 1990 grob fahrlässig ihrer Mitteilungspflicht nicht nachgekommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.11.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält daran fest, dass sie im guten Glauben an die Richtigkeit der Be scheide Leistungen in Empfang genommen und verbraucht habe. Aufgrund des Freitods ihres Ehemannes habe sie sich seinerzeit in einer persönlichen Le benskrise befunden, die sie in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit soweit einge schränkt habe, dass sie sich allein auf ihren Beruf konzentriert habe.

Die Beklagte legt ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28.09.2000 - L 12 RA 3142/99 - und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 02.08.1996 - L 6 A 92/95 - vor, die ihrer Meinung nach ihren Recht standpunkt stützen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den In halt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 28.08.2000 hat die Beklagte den Bescheid vom 02.09.1993 so wohl für die Vergangenheit - ab dem 01.10.1993 - als auch für die Zukunft - für die Zeit nach Erlass des Bescheides vom 28.08.2000 - aufgehoben. Diesen Aufhebungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides hat das Sozial gericht mit Urteil vom 25.11.2002 vollständig - also für die Vergangenheit und die Zukunft - aufgehoben, wogegen sich die Berufung der Beklagten richtet. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist daher sowohl die Aufhebung für die Vergangenheit als auch die Aufhebung für die Zukunft.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insoweit begründet, als das Sozialgericht den Bescheid vom 28.08.2000 auch mit Wirkung für die Zukunft - also ab dem 01.10.2000 - aufgehoben hat. Insoweit war die Klage abzuweisen (I). Im Übri gen ist die Berufung unbegründet (II.).

I.

Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 02.09.1993 für die Zukunft ist § 45 Abs. 1 SGB X. Denn der Bescheid, mit dem große Witwen rente (§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch/SGB VI) ab dem 01.10.1993 gewährt wurde, ist anfänglich rechtswidrig, weil auf diese Rente ab deren Beginn gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB VI das von der Klägerin aus ihrer Tätigkeit bei der Firma Lekkerland erzielte Einkommen (§ 18 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch/SGB IV) anzurechnen ist. Der Ausschluss des § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI greift nicht, weil der Rentenartfaktor von Anfang an 0,6 beträgt. Fehler bei der Anrechnung selbst sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Da die Klägerin zudem mit Schreiben vom 06.04.2000 ordnungsgemäß angehört wurde (§ 24 SGB X), war die Beklagte befugt, den Bescheid vom 02.09.1993 gemäß § 45 Abs. 1 SGB X unter Einhaltung pflichtgemäßen Ermessens ("darf") für die Zukunft aufzuheben. Dieses Ermessen hat die Beklagte fehlerfrei aus geübt. Hierzu ist erforderlich, dass der Bescheid vom 28.08.2000 erkennen lässt, dass sich die Beklagte ihres Ermessensspielraums bewusst war und die Gesichtspunkte aufzeigt, von denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens aus gegangen ist (BSG SozR 3-5425 § 24 Nr. 14; BSGE 61, 225 ff.). Beides ist der Fall. Denn gemäß Anlage 10 zum Bescheid vom 28.08.2000 war sich die Beklagte bewusst, dass auch bei der Aufhebung für die Zukunft Ermessen auzuüben ist. Sie hat sich ferner mit den von der Klägerin für einen Vertrauensschutz vor gebrachten Argumenten auseinander gesetzt und deutlich gemacht, warum das öf fentliche Interesse an einer Aufhebung des rechtswidrigen Rentenbescheides vom 02.09.1993 für die Zukunft das private Interesse der Klägerin an einer Weiterzahlung der Rente in der bisherigen Höhe überwiegt. Im Übrigen ging die Klägerin nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung selbst davon aus, dass ihr die ungekürzte Witwenrente für diesen Zeitraum nicht mehr zustand.

II.

Im Übrigen, also soweit die Beklagte durch Bescheid vom 28.08.2000 den Be scheid vom 02.09.1993 auch für die Vergangenheit - also für die Zeit vom 01.10.1993 bis zum 30.09.2000 - aufgehoben und die Überzahlung zurückgefor dert hat, ist die Berufung unbegründet. Insoweit hat das Sozialgericht zu Recht den Bescheid vom 28.08.2000 in der Gestalt des Wiederspruchsbescheides vom 21.12.2000 aufgehoben.

Der Bescheid ist rechtswidrig, weil - unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - jedenfalls die Voraussetzung des § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X und des § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 - 3 SGB X für die Bewilligung der großen Witwenrente nicht vorliegen. Damit entfällt auch der Erstattungsanspruch gemäß § 50 Abs. 1 SGB X.

Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) und damit einer Aufhebungsbefugnis nach § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X für die Vergangenheit scheiden aus. Ferner liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB nicht vor. Eine Aufhe bungsbefugnis nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB scheidet insoweit ebenfalls aus.

Aber auch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X lie gen nicht vor, weil das Verhalten der Klägerin weder als vorsätzlich noch als grob fahrlässig zu beurteilen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im Urteil des Sozialgerichts verwiesen.

Auch das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren führt zu keiner ande ren rechtlichen Beurteilung. Insbesondere trifft es nicht zu, dass das Sozialgericht dem Bescheid vom 21.06.1988 größere Bedeutung hätte beimessen müssen. Die Beklagte verkennt bereits, dass dieser Bescheid in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Frage, ob die Beklagte mit - weiterem - Bescheid vom 28.08.2000 die Bewilligung der kleinen Witwenrente zu Recht aufgehoben hat, relevant war. In diesem Zusammenhang hat das Sozialgericht den Bescheid im Übrigen auch geprüft (S. 10 f. der Entscheidungsgründe).

Es ist zudem bereits im Ansatz äußerst fraglich, ob Hinweise bei der Bewilligung der kleinen Witwenrente generell geeignet sind, grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf eine später in rechtswidriger Höhe gewährte große Witwenrente zu begründen. Im hier vorliegenden Fall ist ferner darauf hinzuweisen, dass Streitgegenstand im Berufungsverfahren allein die Aufhebung des Bescheides über die große Witwenrente ab dem 01.10.1993 ist. Die Pflichten, die die Klägerin diesbezüglich treffen, können sich dann aber auch nur aus den Hinweisen ergeben, die die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.1993 bezüglich des Bezuges der großen Witwenrente - und nicht etwa mit Bescheid vom 21.06.1988 bezüglich des Bezuges der kleinen Witwenrente - erteilt hat. Diese Hinweise aber waren - wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat - derart missverständlich, dass ihre Nichtbefolgung grobe Fahrlässigkeit nicht begründen kann.

Der Bescheid vom 28.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2000 war damit insoweit aufzuheben, als die Witwenrente für die Zeit vom 01.10.1993 bis zum 30.09.2000 neu berechnet und von der Klägerin die Überzahlung zurückgefordert wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie trägt dem teilweisen Obsiegen der Beklagten Rechnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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