L 17 U 305/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 U 109/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 305/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 06.11.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Verletztengeld über den 08.03.1998 hinaus.

Der 0000 geborene Kläger, der seit April 1976 als selbständiger H tätig ist, erlitt am 00.00.1997 einen Arbeitsunfall, als er bei Reinigungsarbeiten mit dem rechten Zeigefinger in die Förderwalze eines O geriet. Dr. D, Ltd. Arzt der Unfallchirurgische Abteilung des St.-B-Hospitals in C diagnostizierte eine traumatische Durchtrennung des Zeigefingerendgliedes im Bereich zwischen dem proximalen Nagelwall und dem Endglied. Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Folgezeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Dr. D Verletztengeld. Dieser teilte unter dem 24.11.1997 mit, das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren sei am selben Tage mit Arbeitsfähigkeit ab 25.11.1997 beendet worden. Auch der am 26.11.1997 aufgesuchte Chirurg Dr. S in C erachtete den Kläger wegen der chirurgischen Unfallfolgen als arbeitsfähig (Nachschaubericht vom 26.11.1997), wohingegen der den Kläger behandelnde prakt. Arzt X in C weitere Arbeitsunfähigkeit attestierte. Unter dem 11.12.1997 teilte Dr. S mit, dass der Kläger anlässlich der erneuten Einbestellung von einer erheblichen psychischen Belastung, welche zu Schlafstörungen und zu einer erheblichen Minderung seiner Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz führe, berichtet habe. Da Dr. S diese Schlafstörungen nicht als Unfallfolge ansah, ging er weiter von Arbeitsfähigkeit aus. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.1997 die Gewährung von Verletztengeld über den 24.11.1997 hinaus ab. Der Kläger begab sich am 12.12.1997 in ärztliche Behandlung des Neurologen und Psychiaters Dr. T in C und klagte über Phantomschmerzen sowie krampfartige Muskelzuckungen im Endglied des rechten Zeigefingers mit dadurch bedingten Schlafstörungen und reaktiv-depressiven sowie psychovegetativen Störungen, woraufhin Dr. T ein Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit attestierte (Befundbericht vom 23.12.1997). Aufgrund des gegen die Einstellung der Verletztengeldzahlung erhobenen Widerspruchs veranlasste die Beklagte eine Untersuchung durch Dr. K, Oberarzt der Abteilung für Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Brandverletzte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in E, der unter dem 12.02.1998 berichtete, der Kläger akzeptiere offenbar den verletzten Zeigefinger nicht und binde ihn nicht in die Greiffunktion ein, sodass eine stationäre Behandlung zur Abklärung auch der möglicherweise bestehenden gewissen Fehlverarbeitung des Unfallereignisses erforderlich sei. Im Rahmen der anschließenden stationären Behandlung vom 17.02. - 05.03.1998 diagnostizierte Dr. M, Chefärztin der Neurologischen Abteilung ein Carpaltunnelsyndrom als mittelbare Unfallfolge sowie eine drepressive Reaktion im Sinne einer posttraumatischen Anpassungsstörung (Berichte vom 19.02.1998 und 05.03.1998). Dr. C1, Chefarzt der Abteilung für Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Brandverletzte der Klinik schloss die Behandlung wegen des Unfallereignisses mit Arbeitsfähigkeit ab 09.03.1998 ab, die weitere psychiatrische Behandlung werde zu Lasten der Krankenkasse erfolgen (Bericht vom 05.03.1998). Es sei von einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit über den 25.11.1997 hinaus aufgrund einer Fehlverarbeitung des Unfallereignisses bis zum 08.03.1998 auszugehen. Im Rahmen der nervenärztlichen Untersuchung habe sich diese Fehlverarbeitung bestätigt, die jedoch im Wesentlichen auf die Persönlichkeitsstruktur des Verletzten zurückzuführen gewesen sei (Bericht vom 23.04.1998). Nachdem die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 14.04.1998 Anschlussverletztengeld für die Zeit vom 17.02.1998 bis 08.03.1998 bewilligt und der Kläger hiergegen unter Hinweis auf die durchgehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Dr. T Widerspruch eingelegt hatte, half die Beklagte dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.12.1997 mit Bescheid vom 09.06.1998 insoweit ab, als sie durchgängig Verletztengeld für die Zeit vom 25.11.1997 bis zum 08.03.1998 bewilligte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger u.a. dahingehend, dass weiterhin Arbeitsunfähigkeit attestiert worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.1998 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.04.1998 zurück.

Der Kläger hat am 05.08.1998 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Zur Stützung seines Vorbringens hat er eine Bescheinigung des Hausarztes X vom 25.11. und des Dr. T vom 23.11.1998, vorgelegt, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Das SG hat nach Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichte der vorgenannten Ärzte vom 15.02. und 02.03.1999 weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Neurologe und Psychiater Dr. C2 in N hat unter dem 25.08.1999 ausgeführt, wesentliche Unfallfolge sei der auf chirurgischem Fachgebiet liegende traumatisch bedingte Teilverlust des rechten Zeigefingers mit sensiblen Störungen im Bereich des verbliebenen Mittelgliedes. Weitere neurologische Auffälligkeiten in Form neurogener Paresen oder eines Neuromknotens hätten demgegenüber ausgeschlossen werden können. Das beschriebene Carpaltunnelsyndrom sei unfallunabhängig. Auch auf psychiatrischem Gebiet hätten sich weitere Unfallfolgen nicht finden lassen. Da der Kläger das Unfallereignis zu keinem Zeitpunkt als lebensbedrohlich erlebt habe und es sich auch sicherlich nicht um ein Erlebnis handele, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung liege, sei nicht von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Allenfalls auslösend, aber nicht ursächlich habe das Unfallereignis zu einer inadäquaten Konfliktbewältigung geführt. Ursächlich sei vielmehr eine anankastische Persönlichkeitsstruktur, wonach es den Kläger, der seine Mitarbeiter stets zu exaktem Arbeiten angehalten habe, besonders getroffen habe, dass ausgerechnet er aufgrund eigenen schuldhaftem Verhaltens einen Arbeitsunfall erlitten habe. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 08.03.1998 hinaus habe nicht bestanden.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.11.2000, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen den ihm am 11.11.2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.12.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass er vor dem Unfall gesund und psychisch unauffällig gewesen sei. Ohne den Unfall wäre es nicht zu den heutigen psychischen und physischen Beschwerden gekommen. Das Gutachten von Dr. C2 sei nicht schlüssig und nachvollziehbar, da der Sachverständige zum einen die sozialrechtlichen Zusammenhänge bezüglich der psychischen Reaktionen auf einen Unfallereignis verkannt habe und dem Kläger aufgrund dessen Pflicht, seine Mitarbeiter zum exakten Arbeiten anzuhalten, den "Vorwurf des Anankasmus" gemacht habe. Bei der Abtrennung des Zeigefingerendgliedes handele es sich um ein erhebliches Ereignis, dass für jeden Menschen stark belastend sei, insbesondere wenn er die anschließende Verletzung sehe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 06.11.2000 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.04.1998 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 07.07.1998 zu verurteilen, Verletztengeld über den 08.03.1998 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Gerichtsbescheid beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten. Der Chirurg Dr. L in E1 ist im Gutachten vom 19.03.2001 zu der Auffassung gelangt, die chirurgischen Unfallfolgen hätten über den 08.03.1998 hinaus keine weitere Arbeitsunfähigkeit bedingt, da eine wesentliche Herabsetzung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand nicht mehr vorgelegen habe. Privatdozent (PD) Dr. U, Leitender Oberarzt der Neurologischen Universitätsklinik, Berufsgenossenschaftliche Kliniken C3 in C4, hat unter dem 14.02.2001 ausgeführt, bei dem Kläger bestehe außer einem mäßigen Stumpfschmerz mit lokalem Sensibilitätsstörungen im Bereich des Amputationsstumpfes am rechten Finger auf psychiatrischem Fachgebiet ein depressives Syndrom mit generalisierter Leistungsminderung in Form einer Einschränkung der Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, deutliche Antriebsminderung sowie Neigung zur Somatisierung im Sinne einer affektiven Störung. Aufgrund des eher geringfügigen Unfallereignisses und des zeitlichen Verlaufs sei nicht von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Das dem unbeteiligten Beobachter banal erscheinende Ereignis sei beim Kläger als entscheidender pathogenetischer Faktor für die Entwicklung der durchgehend dokumentierten psychiatrischen Krankheitsentwicklung im Sinne einer affektiven Störung zu werten, so dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit wegen dieser depressiven Symptomatik über den 08.03.1998 hinaus zweifelsfrei bestanden habe.

Die Beklagte ist dieser Einschätzung unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme von Dr. W, Chefarzt des Instituts für Neurologie/Psychiatrie der Kliniken St. B1 in W1 vom 13.07.2001 entgegengetreten. Dieser hat dargelegt, das Unfallereignis selbst und die diesbezüglichen Schilderungen des Verletzten sprächen gegen eine erhebliche psychische Traumatisierung im Sinne einer traumatischen Belastungsreaktion. Gleichwohl sei die Ursache der zumindest ab Dezember 1997 beschriebenen offenbar zunehmenden depressiven Störungen weiterhin ungeklärt, da PD Dr. U plausible psychodynamische Zusammenhänge zwischen dem Unfall und der später einsetzenden depressiven Entwicklung nicht dargelegt habe. - Des Weiteren übersandte die Beklagte einen Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. L1 in D1 vom 23.02.2001, den dieser im Zusammenhang mit einem weiteren Unfallereignis von Dezember 2000 erstattet hatte. PD Dr. U verblieb in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2002 bei seiner Einschätzung.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr. E2, Chefarzt der Kliniken am C5 - Klinik G, Fachbereich Psychosomatik/Psychotherapie in T1. Dieser hat unter dem 05.07.2002 ausgeführt, auf seinem Fachgebiet habe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 08.03.1998 hinaus bestanden. Die psychiatrische Symptomatik des Klägers im Sinne einer mittelgradigen bis schweren Episode ohne psychotische Symptome bei zwanghafter Persönlichkeitsstruktur sei nicht durch den Unfall ursächlich zu erklären. In Übereinstimmung mit Dr. C2 und PD Dr. U sei eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund des eher banalen Unfallereignisses nicht anzunehmen. Im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen dem relativ leicht belastenden Ereignis und der vorliegenden schweren und mittlerweile fast fünf Jahre andauernden depressiven Symptomatik sei davon auszugehen, dass für deren Entstehung unfallunabhängige Faktoren vorrangig seien. Es habe sich bei der Verletzung des Zeigefingers um ein alltägliches und austauschbares Ereignis gehandelt, so dass auch andere Konfrontationen mit der abnehmenden Leistungskraft (etwa zunehmende Rückenprobleme) oder andere Kränkungserlebnisse (z. B. zunehmende Kritik und Forderungen des Sohnes) eine solche depressive Symptomatik hätten auslösen können. Auf die Einwendungen des Klägers, wonach die Schlussfolgerungen des Sachverständigen (SV) Dr. E2 auf Angaben beruhten, die der Kläger sich nicht erklären könne, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. E2 vom 11.09.2002 eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht unter Einbeziehung des weiteren Bescheides vom 09.06.1998 abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Weitergewährung von Verletztengeld. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit hat über den 08.03.1998 hinaus nicht vorgelegen.

Versicherte haben nach einem Arbeitsunfall nach Maßgabe der §§ 26 f. des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wegen unfallbedingter Gesundheitsstörungen u.a. Anspruch auf Verletztengeld. Letzteres wird nach §§ 45 f. SGB VII erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist oder wegen der Maßnahmen der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann und unmittelbar vor der Arbeitsunfähigkeit oder Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgeld, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Verletztengeld u.a. in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII genannte Leistungen hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 57, 227, 228; 69, 180, 182) liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge von Krankheit nicht oder nur mit der Gefahr der alsbaldigen Verschlimmerung in der Lage ist, seiner bisher ausgeübten oder ein ähnlich gearteten Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar], § 45 SGB VII Rdnr. 5; Kasseler Kommentar - Höfler - § 44 SGB V Rdnr. 10). Die Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen medizinische Voraussetzungen vom Arzt festzustellen sind; es ist Sache des Versicherungsträgers und der im Rechtsstreit damit befassten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, dazu Feststellungen zu treffen, ob die objektiven medizinischen Befunde den Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit ausfüllen (BSGE SozR 2200 § 182 Nr. 84; SozR 3-2200 § 182 Nr. 12; Bereiter-Hahn/ Mehrtens a.a.O. Rdnr. 5.1). Ob infolge eines Arbeitsunfalls Arbeitsunfähigkeit vorliegt, beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Erkrankt der Verletzte während der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit an einem unfallunabhängigen Leiden, das ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hätte, ist danach Verletztengeld nur so lange zu erbringen, wie die Folgen des Versicherungsfalls Arbeitsunfähigkeit bedingen (BSGE 17, 157, 158; Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O. Rdnr. 4).

Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ist auch der erkennende Senat der Ansicht, dass beim Kläger über den 08.03.1998 hinaus unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht mehr bestanden hat. Dabei stützt er sich insoweit zum Einen auf die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Berichte von Dr. M und Dr. C1, die im Wege des Urkundsbeweises zu verwerten waren, auf das im ersten Rechtszug eingeholte Gutachten von Dr. C2 sowie auf das im Berufungsverfahren einholte Gutachten von Dr. E2. Soweit PD Dr. U zu einer anderen Einschätzung gelangt ist, war diesen Ausführungen nicht zu folgen. Dafür sind im Einzelnen folgende Erwägungen maßgebend:

Der Kläger zog sich bei dem Arbeitsunfall vom 00.00.1997 einen Verlust des Zeigefingerendgliedes der rechten Hand zu. Dass diese Unfallfolge über den 08.03.1998 hinaus chirurgischerseits keine Arbeitsunfähigkeit hervorgerufen hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und wird überdies bestätigt durch das Gutachten von Dr. L vom 19.03.2001. Auch der mäßige Stumpfschmerz und die lokalen Sensibilitätsstörungen bedingen über den 08.03.1998 hinaus keine Arbeitsunfähigkeit. Das Carpaltunnelsyndrom rechts ist von den im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen übereinstimmend nicht ursächlich auf den Arbeitsunfall bezogen worden.

Soweit der Kläger wegen der psychiatrischen Beschwerdesymptomatik auch über diesen Zeitpunkt hinaus arbeitsunfähig krank ist, ist der Arbeitsunfall dafür nicht die rechtlich wesentliche Ursache. Die unfallrechtliche Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung gilt auch für die - besonders schwierige - Zusammenhangsbeurteilung psychoreaktiver/psychogener Störungen und Neurosen nach körperlichen bzw. seelischen Traumen (so BSGE 14, 173, 177; 19, 275, 278; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 26; BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 RU 17/88 -; vgl. dazu auch die Darlegungen bei Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6 Aufl. S. 221 ff.). Diese besonderen Probleme rühren daher, dass seelische Empfindungsstörungen ohne organische Grundlage nach einem Unfallereignis und -erlebnis höchst unterschiedlich ausfallen können und nicht direkt erfahrbar und objektivierbar sind. Eine Entschädigung setzt zudem voraus, dass es sich bei diesen Störungen um solche von Krankheitswert handelt, was dann der Fall ist, wenn ernste und echte Versagenszustände vorliegen, die der Betreffende nicht aus eigener Kraft unter Einsatz aller verfügbaren Mittel seines Willens überwinden kann. Vorgetäuschten Störungen (Aggravation/Simulation) sowie Wunsch- und Zweckreaktionen ist insoweit ein Krankheitswert abzusprechen; sie können keine Entschädigungsansprüche begründen (BSGE, a.a.O.; BSG SozR a.a.O.). Dass der medizinische Sachverständige in derartigen Fällen oft an die Grenze seiner diagnostischen und prognostischen Erkenntnismöglichkeiten geführt wird, ist bekannt und im Erscheinungsbild neurotischer Störungen und der Schwierigkeit ihrer medizinischen Erfassung begründet. Gleichwohl ist in derartigen Fällen von Sachverständigen eine deutlich abgrenzbare Beweisantwort zu verlangen und bei der Beweiswürdigung einen strengen Maßstab anzulegen, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung, zuletzt im Urteil vom 17.04.2002 (L 17 U 24/00 unter Hinweis auf die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 26; SozR 3 - 3800 § 1 Nr. 4; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 265) entschieden hat. Hiervon ausgehend haben zunächst die gehörten Gutachter übereinstimmend dargelegt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung bei dem Kläger nicht vorliegt. Die diesbezüglichen Darlegungen von PD Dr. U und Dr. E2 entsprechen der herrschenden Lehrmeinung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 251). Entgegen der Einschätzung des nach § 109 SGG gehörten PD Dr. U ist die von ihm diagnostizierte anhaltende affektive Störung nicht wesentlich verursacht durch den Versicherungsfall. Dass das auch von ihm beschriebene "objektiv banale Trauma" als entscheidender pathogenetischer Faktor für die Entwicklung anzusehen ist, hat der SV - worauf auch Dr. W in seiner im Wege des Beteiligtenvorbringens zu berücksichtigenden Stellungnahme vom 13.07.2001 hingewiesen hat - nicht überzeugend nachweisen können. Demgegenüber hat insbesondere Dr. E2 unter eingehender Würdigung der beruflichen und privaten Situation herausgearbeitet, dass der Kläger in den letzten Jahren immer mehr an seine Leistungsgrenzen gestoßen ist und daher - wie auch Dr. C2 belegt hat - aufgrund der durch eine eigene "Fehlleistung" verursachten Verletzung seine narzistisch - notwendige Unfehlbarkeit zerstört hatte. Mithin wurde die depressive Symptomatik zwar durch die Verletzung des Zeigefingers ausgelöst, gleichwohl handelt es sich insoweit um ein alltägliches und austauschbares Ereignis, so dass auch - worauf Dr. E2 verwiesen hat - andere Konfrontationen geeignet gewesen wären, eine solche depressive Symptomatik auszulösen. Auch der Umstand, dass hier ein offensichtliches Missverhältnis zwischen dem Unfallereignis selbst, den dabei erlittenen organischen Schäden und der nachfolgenden psychischen Reaktion besteht, ist nach herrschender Ansicht ein Indiz für die Wesentlichkeit der zu neurotischen Reaktionen neigenden Krankheitsanlage, wie der vorgenannte SV dargetan hat. In solchen Fällen stellt das Unfallereignis aber nicht die rechtlich wesentliche Ursache dar, sondern hat nur die Bedeutung eines auslösenden Faktors und damit die einer (unwesentlichen) Gelegenheitsursache (vgl. dazu BSGE 62, 220, 222; BSG SozR 2200 § 548 Abs. 20; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 8 SGB VII Rdnr. 8.2.3; Brackmann/ Krasney, Handbuch der Sozialversicherung 12. Aufl. § 8 SGB VII Rdnr. 378; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 260 ff). Dass schließlich beim Kläger auch ein sekundärer Krankheitsgewinn besteht, weil er mangels anderweitiger Versicherungsansprüche auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung angewiesen ist, hat der SV ebenfalls anhand der eingehenden Exploration überzeugend belegt. Derartigen Wunsch- und Zweckreaktionen ist aber - wie bereits dargelegt - ein Krankheitswert abzusprechen.

Da nach alledem die angefochtenen Verwaltungsakte der Sach- und Rechtslage entsprachen, mussten Klage und Berufung erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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